Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[174] An Frau von Epinay

Neapel, den 31. Mai 1777

Zanken Sie mich, bitte, nicht aus, teure Frau, wegen meines Stillschweigens; ich habe Ihnen solch gute Gründe dafür angegeben, daß Sie still sein müssen, und selbst wenn ich keine guten Gründe gehabt hätte, so habe ich Ihnen doch vergangene Woche das Kapitelverzeichnis eines Werkes geschickt, welches Sie unsterblich machen wird, wenn Sie es schreiben. Aber (wie dumm bin ich doch), Sie laufen nicht dem Ruhme der Unsterblichkeit nach, wie Sie mir soeben gesagt haben. Schreiben Sie es also zu Ihrem Vergnügen; denn wenn Sie warten wollen, bis ich, der ich es ganz fertig in meinem Kopfe trage, es schreibe, können Sie lange warten.

Der Kosmopolit hat mir geschrieben, um mir seine kurze Reise nach Deutschland und hierauf seine Rückkehr nach Rußland anzuzeigen. Wenn die Höfe keine stürmischen Meere wären, hätten Sie einen Hauptgrund, ihn als einen für immerdar Verlorenen zu beweinen; aber er ist Philosoph und nicht ehrgeizig. Sobald er den Sturm bemerkt, wird er nach dem Hafen einlenken, und Sie werden ihn wiedersehen. Inzwischen hat er mich allen Ernstes eingeladen, nach Petersburg zu gehen, und er gibt mir das Stelldichein bei Ihnen in Paris, wo wir zusammen in den Reisewagen steigen sollen. Nichts ist spaßhafter als diese Reisepläne, die eine Schwalbe und eine Schildkröte zusammen machen. Ich muß ihm indessen ganz ernsthaft nach Frankfurt antworten; aber wenn mein Brief ihn nicht dort erwischt, geruhen Sie ihm zu sagen, daß ein Briefwechsel, der beständiger als bisher wäre, die Kaiserin ebenso unterhalten könnte wie eine mündliche Unterredung mit mir; und ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ich ihm diesen Verkehr zum mindesten für das Viertel von dem verschaffe, was meine Reise und mein Aufenthalt in Rußland kosten würde. Sie sehen, daß ich gut wäge und messe und die Finanzen der Kaiserin schone.

Lassen wir den Kaiser abreisen. Ich weiß nicht, welcher Teufel des Jahrhunderts den Fürsten die Laune eingibt, sich den ändern Völkern zu zeigen: findet man sie besser als den eigenen Fürsten, so hinterlassen sie das unwürdigste Bedauern; findet man, daß sie ihnen gleichen oder sogar schlechter sind, so hinterlassen sie Niedergeschlagenheit und Verzweiflung im menschlichen Herzen. Es gibt Dinge, die nur im Begehren schön sind: die Liebe hat derartige Schönheiten, und ich finde, daß die Tugend der Fürsten wie der Genuß einer Jungfernschaft ist. Es ist besser, sie sich vorzustellen, als sie zu genießen. Leben Sie wohl!


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