Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

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[56] An Frau von Epinay

Neapel, 2. Februar 1771

Was? Ihre geistreichen Herren haben nicht mehr Geist? Da muß man von Neapel kommen und ihnen die Köpfe zurechtsetzen wegen der Auswahl einer Parodie, die Wort für Wort wiedergibt. Das kommt davon, wenn man Geist hat und spitzfindig ist. Ein Dummkopf wäre nicht in Verlegenheit darum gewesen, aber faciunt pol nimis intelligendo nihil ui intelligant. Aber ich bin in noch viel größerer Verlegenheit; denn ich habe nur von der zweiten Sendung den Entwurf aufbewahrt; von dem der ersten ist keine Spur mehr da, und ich kann mich durchaus nicht mehr daran erinnern. Indessen schicke ich Ihnen das kleine Stückchen Vorrede, das ich parodiert habe, und das erste Kapitel. Kapitel II muß ganz abgedruckt werden; das dritte bis zu Seite 35 einschließlich, mit der Fußnote. Weiter weiß ich nichts mehr; aber ich schicke Ihnen, sauber geordnet, die einzelnen Stücke der zweiten Sendung; nach diesen werden Sie sich einen Begriff machen, wie bei der Anordnung des Textes zu verfahren ist...

Übrigens empfehle ich Ihnen nur eins: wenn das Ding jemals gedruckt wird, so lassen Sie es ja nicht in halbgebrochenen Seiten setzen, so daß Text und Parodie einander gegenüberstehen. Viele Übersetzer haben diesen Fehler begangen, und alle haben ihn bereut. Nichts macht eine Übersetzung oder Parodie so gründlich tot wie diese Methode. Der Leser muß immer nur eine ferne Erinnerung haben, und der Text muß ihm gewissermaßen nur dunkel vorschweben, sonst hat er kein Vergnügen daran. Ich bin gewiß, mein Freund Grimm (der fühlt, was er liest) wird dieser Beobachtung, die ich Ihnen vorlege, donnernden Beifall zollen; er wird sie richtig und wahr finden, und zu gleicher Zeit neu. Also lassen Sie den Text, vollständig wie er ist, abschreiben oder drucken und hierauf die Abhandlung über die Tumulte; wird sie ohne Unterbrechung und in einem Atemzug gelesen, so kann sie einen Ochsen vor Lachen bersten machen. Dixi.

Nun zu etwas anderem. Ist es möglich? Sie amüsieren sich damit, mir eine Abhandlung über Vorzüge und Studien der Frauen zu schreiben, und zwar gerade in diesem für Frankreich so kritischen Augenblick, wo man entzückt ist, einen langen Brief zu sehen, weil man denkt, man wird reizende Anekdoten darin finden? Haben Sie's bemerkt? Nr. 39 ist der einzige Brief, den ein Staatsminister nicht hat lesen können, sintemalen, als er geschrieben wurde, kein Staatsminister vorhanden war. Genug, sie haben mir nichts mitgeteilt, und ich bin in der tiefsten Unkenntnis über den ganzen großen Spektakel von Ereignissen, die bei Ihnen vorfallen. Wollen Sie jedoch trotzdem meine Prophezeiung? Ich sage voraus: man wird sich entschließen, gegen die Freigeister eine grausame Verfolgung ins Werk zu setzen. Und warum? werden Sie fragen. Weil irgend jemand unrecht haben muß, und weil niemand sich so einladend allen Parteien darbietet, um Unrecht zu erhalten, als ein alleinstehender Gelehrter von glänzendem Ruf, der keinem Menschen Böses oder Gutes tut. Darum muß so einer unrecht haben, und zwar alles Unrecht haben, und an allem schuld sein: also muß man ihn verfolgen. Hof, Parlamente, Stände, Klerus, Jesuiten, Jansenisten – alle finden ihre Rechnung dabei. Ergo, abolendo rumori, Nero subdidit reos, quos populus Encyclopedistas appellabat. Das sagt mir mein Herz, und mein Herz sieht oft schwarz, selten falsch.

Sie wollen von mir wissen, was eine Frau studieren soll? Ihre Sprache, damit sie Verse korrekt sprechen und schreiben kann, wenn sie Neigung dafür hat. Alles in allem genommen, muß sie stets ihre Phantasie pflegen; denn das wahre Verdienst der Frauen und ihrer Gesellschaft besteht darin, daß sie immer ursprünglicher sind als die Männer; sie sind weniger verkünstelt, weniger verdorben, weniger von der Natur entfernt, und darum liebenswürdiger. Auf dem Gebiet der Moral müssen sie gründlich die Männer studieren und niemals die Frauen. Sie müssen alle Lächerlichkeiten der Männer kennen und studieren, und niemals die der Frauen.

Was Sie auch sagen – ich bin sehr zufrieden mit Voltaires Artikel über »Getreide«, soweit ich darin erwähnt werde. Man sieht klar und deutlich, daß er es nicht mit den Ökonomisten hat verderben wollen, daß er aber nichts von ihnen hält. Was den Gegenstand selbst anlangt, so sieht man, daß er zu alt ist, um ihn noch studieren zu können, und daß seine Leidenschaft und sein Genie ihn stets auf Abwege bringen. Rousseau hatte gesagt, Jesus sei als Gott gestorben; und Voltaire hat sich über diesen Ausspruch lustig gemacht; ich sage jetzt: der Verfasser des Getreideartikels faselt als Voltaire. Man wird sich über mich lustig machen, wenn man niemals gesehen zu haben glaubt, wie ein Voltaire faselte. Ich glaube jedoch mich deutlich genug auszudrücken. Leben Sie wohl. Haben Sie mich lieb.

Der Brief ist zu dick, um ihn durch Vermittlung des Botschafters zu schicken.

Vergessen Sie nicht die arme Kranke, wenn sie noch am Leben ist.

Ich bin ganz stumm geworden, weil ich infolge des Verlustes meiner Zähne beim Sprechen stark zische und lispele. Ich bin also nicht mehr auf der Welt; denn was ist der kleine Abbé, wenn er stumm ist! Adieu...

In diesem Augenblick erhalte ich Ihre Nr. 40 und die Pariser Briefe vom 14. Ich bin von Kummer ganz niedergedrückt; Sie wissen warum. Ich glaubte, Unglückliche stürben niemals; aber ach, sie sterben wie alle anderen. Welchen Trost hat man dann noch, wenn man zum Unglück geboren ist?


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