Abbé Galiani
Briefe an Madame d'Epinay und andere Freunde in Paris 1769-1781
Abbé Galiani

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

[187] An Grimm

Neapel, den 5. August 1780

Welch schlechte Ausreden, mein teurer Schweiger, geben Sie als Gründe für Ihr Schweigen an! Sie sagen, daß die Schreiberei Sie umbringt und Sie die meiste Zeit über nicht wissen, womit Sie anfangen sollen. Ich werde Sie es lehren. Beginnen Sie mit der Kaiserin und dann mit mir. Sie und ich, wir beide werden uns gut dabei stehen.

Wen könnte man jemals überzeugen, daß die beiden größten Wesen der Welt zu Mohilof von einem kleinen Einwohner Neapels gesprochen haben, den alle zwei niemals gesehen haben. Gibt es etwas Merkwürdigeres und Unglaublicheres? Dennoch ist es wahr; aber wenn man es unter die Leute brächte, würde es nur eine Verfolgung mehr durch unseren literarischen Schreibepöbel auf mich herabziehen, und ich habe dies wahrhaftig nicht nötig. Mir genügen die, unter denen ich leide.

Mohilof wird, nach der Insel Lampedusa, dem ständigen Urbild, der zweite Tempel vollkommener Duldsamkeit werden. Dort sieht man den gleichen Mann den türkischen Marabut oder den christlichen Eremiten spielen, je nachdem das heransegelnde Korsarenschiff mohammedanisch oder neapolitanisch ist. Er zündet abwechselnd die Kerzen der Kapelle an, während er das andere Heiligtum schließt. An die Türken verkauft er ausgezeichneten Wein, an die Christen aber Hühner für die Fasttage. Deshalb wird er, da er die menschlichen Bedürfnisse befriedigt, von beiden Religionen geliebt.

Sie haben sich getäuscht, indem Sie glaubten, es sei die Erzherzogin Beatrice, deren Eroberung ich gemacht habe. Ganz und gar nicht! Es handelt sich um ihren Gemahl. Ich stehe im Briefwechsel mit ihm. Er hat die Druckbogen meines Werkes über das Geld, das ich vor kurzem neu auflegen ließ, gierig verschlungen. Er liebt mich nach Verdienst; aber er achtet mich viel mehr, als ich es verdiene.

Der Pater Sanadon hat die Oden des Horaz ausgeräubert, um ein Carmen saeculare herauszuziehen; darauf ist ihm eingefallen, daß Knaben und Mädchen es strophenweise gesungen hatten, und daraus schloß er einen Haufen Dummheiten. Indessen hat Philidor es in Musik gesetzt, und sie versichern mir, daß es schön sei. Mit der Sauce ißt man alles. Sie fordern mich auf, ich solle arbeiten, um die Kaiserin zufriedenzustellen, deren stets erhabene und stets originelle Ideen eine vollständige Aufführung des Gedichts nach antiker Weise wünschten. Ich habe es nicht nötig, daß man mich bei der Arbeit für eine einzige Fürstin ermutigt; aber kann ich es? Wissen Sie nicht, daß ich blödsinnig bin? Besonders aber ist mein Französisch eingerostet, das es mir unmöglich wird, mich in dieser Sprache gut auszudrücken. Fügen Sie hinzu, daß ich nicht diktieren kann, da niemand meiner Umgebung es niederschreiben könnte. Meine Handschrift ist höllisch geworden. Schließlich verstehe ich nicht ganz, was Sie mit dem Programm meinen. Um Ihnen aber meinen Eifer und meinen Stumpfsinn zu beweisen, werde ich Ihnen mit nächster Post mitteilen, was ich zu Paesiello sagen würde, damit er mein Carmen saeculare, das nicht ganz das des Paters Sanadon, noch das des Herrn Dacier ist, auf meine Weise in Musik setzte. Was die Dekorationen einer antiken Zeremonie anbetrifft, so versteht jeder französische Ballettkomponist mehr davon als ich.

Sie haben mich getröstet durch Ihre Bemerkung, daß Frau von Epinay diesen Sommer in besserem Zustande als den vorhergehenden verbracht habe. Mit den Frauen verhält es sich anders als mit den Männern, denen jedes neue Jahr mehr zu fürchten gibt. Je weiter die Frauen in die Jahre kommen, desto gesicherter wird ihr Greisenalter.

Leben Sie wohl. Es ist so heiß, daß ich unmöglich weiterschreiben kann.


 << zurück weiter >>