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Ich bin geboren 1862, in Wien. Mein Vater ist Kaufmann. Er hat eine Eigenheit: Er liest nur französische Bücher. Seit 40 Jahren. Über seinem Bette hängt ein wunderbares Bildnis seines Gottes »Victor Hugo«. Er sitzt abends in einem dunkelroten Lehnstuhle, liest die »Revue des deux Mondes« und hat einen blauen Rock an, mit breitem Sammetkragen à la Victor Hugo. Nein, einen solchen Idealisten gibt es nicht mehr auf dieser Welt. Man fragte ihn einmal: »Sind Sie nicht stolz auf Ihren Sohn?!«
Er erwiderte: »Ich war nicht sehr gekränkt, daß er 30 Jahre lang ein Tunichtgut gewesen ist. So bin ich nicht sehr geehrt, wenn er jetzt ein Dichter ist! Ich gab ihm Freiheit. Ich wußte, daß es ein Va-banque-Spiel sei. Ich rechnete auf seine Seele!«
Jawohl, edelster, merkwürdigster aller Väter, lange habe ich dein göttliches Geschenk der Freiheit mißbraucht, habe edle und ganz unedle Damen heiß geliebt, bin in Wäldern herumgelungert, war Jurist, ohne Jus zu studieren, Mediziner, ohne Medizin zu studieren, Buchhändler, ohne Bücher zu verkaufen, Liebhaber, ohne je zu heiraten, und zuletzt Dichter, ohne Dichtungen hervorzubringen! Denn sind meine kleinen Sachen Dichtungen?! Keineswegs. Es sind Extrakte! Extrakte des Lebens. Das Leben der Seele und des zufälligen Tages, in 2-3 Seiten eingedampft, vom Überflüssigen befreit wie das Rind im Liebig-Tiegel! Dem Leser bleibe es überlassen, diese Extrakte aus eigenen Kräften wieder aufzulösen, in genießbare Bouillon zu verwandeln, aufkochen zu lassen im eigenen Geiste, mit einem Worte, sie dünnflüssig und verdaulich zu machen. Aber es gibt »geistige Mägen«, welche Extrakte nicht vertragen können. Alles bleibt schwer und ätzend liegen. Sie bedürfen 90 Prozent Brühe, Wässerigkeiten. Womit sollten sie die Extrakte auflösen?! »Mit eigenen Kräften« vielleicht?!
So habe ich viele Gegner, »Dyspeptiker der Seele« ganz einfach! Schwer Verdauende! »Fertig werden« ist für den Künstler alles. Sogar mit sich selbst fertig werden! Und dann, ich halte dafür: Was man »weise verschweigt« ist künstlerischer, als was man »geschwätzig ausspricht«. Nicht?! Ja, ich liebe das »abgekürzte Verfahren«, den Telegramm-Stil der Seele!
Ich möchte einen Menschen in einem Satze schildern, ein Erlebnis der Seele auf einer Seite, eine Landschaft in einem Worte! Lege an, Künstler, ziele, triff ins Schwarze! Basta. Und vor allem: Horche auf dich selbst! Gibt deinen eigenen Stimmen in dir Gehör! Habe kein Schamgefühl vor dir selbst! Lasse dich nicht abschrecken durch ungewohnte Laute! Wenn es nur die deinigen sind! Mut zu deinen Nacktheiten!!
Ich war nichts, ich bin nichts, ich werde nichts sein. Aber ich lebe mich aus in Freiheit und lasse edle und nachsichtsreiche Menschen an den Erlebnissen dieses freien Inneren teilnehmen, indem ich dieselben in gedrängteste Form zu Papier bringe.
Ich bin arm, aber ich selbst! Ganz und gar ich selbst! Der Mann ohne Konzessionen!
Wohin bringt man es damit?! Zu 100 Gulden monatlich und einigen warmen Verehrern.
Nun, die habe ich!
Mein Leben war der unerhörten Begeisterung für Gottes Kunstwerk »Frauenleib« gewidmet! Mein armseliges Zimmerchen ist fast austapeziert mit Akt-Studien von vollendeter Form. Alle befinden sich in eichenen Rahmen, mit Unterschriften. Über einer Fünfzehnjährigen steht geschrieben: »Beauté est vertue«. Schönheit ist Tugend. Unter einer anderen: »Es gibt nur eine Unanständigkeit des Nackten – – – das Nackte unanständig zu finden!«
Unter einer anderen steht geschrieben: »So erträumten dich Gott und die Dichter! Aber die schwächlichen Menschlein erfanden das Schamgefühl und verhüllten dich, sargten dich ein!«
Wenn P. A. erwacht, fällt sein Blick auf die heilige Pracht und er nimmt die Not und Bedrängnis des Daseins ergeben hin, da er zwei Augen mitbekommen hat, die heiligste Schönheit der Welt in sich hineinzutrinken!
Auge, Auge, Rothschild . . Besitz des Menschen!
Aber diese anderen starren, glotzen das Leben an wie die Kröte die Wasserrose!
Ich möchte auf meinem Grabsteine die Worte haben: »Er liebte und sah!«
Ja, in inneren Ekstasen leben, sich selbst heiß heizen, sich kochend machen, sich selbst in Brand setzen an den Schönheiten der Welt, war für Vater und Sohn alles, alles!
Aber während der Alte noch ziemlich in Beziehungen stand mit dem Leben des Tages oder in Kollision geriet, begab sich der Junge ohne Bedenken und sofort aus diesem Pflichtenkerker heraus.
Ja, ich bin arm, arm, aber mein edler Vater gab mir den Reichtum, den wenige Väter in milder Weisheit ihren Söhnen gewähren: »Zeit zur Entwicklung und Freiheit!« So konnte meine Seele, unbetrogen um die unerhörten Schätze, die jeden Tag und jede Stunde das Leben uns wie Perlen an öden Strand auswirft, so konnte meine Seele den tragischen oder zärtlichen Ereignissen sich liebevoll hingeben und wachsen, wachsen – – –.
Meine Mama war ehemals eine ganz zarte wunderschöne Dame mit edlen Händen und Füßen und schmalen Gelenken. Wie eine Gazelle. Einmal brachte mein Vater aus England ein wunderbares Mädchen mit. Er sagte zu Mama: »Dies, meine Liebe, ist Maud-Victoria. Es ist das schönste Mädchen Englands.« Meine Mama sah, daß es wirklich das schönste Mädchen Englands sei, und sagte ganz traurig: »Wird sie nun bei uns bleiben müssen?!« In Folge dessen war mein Vater so gerührt, daß er das »schönste Mädchen Englands« wieder in die Heimat zurückschickte.
Als mein Vater die Aschantee-Mädchen, meine geliebten Freundinnen, häufig besuchte und ihnen seidene Tücher schenkte, sagte jemand: »Der alte Mann ist von seinem Sohne erblich belastet.«
Als Knabe hatte ich eine unbeschreibliche Liebe zu den Berg-Wiesen. Die Berg-Wiese, in Sonnenglut heißen Duft dampfend, aushauchend, mit Käfern und Schmetterlingen besät, berauschte mich direkt. Ebenso Wald-Lichtungen. An sumpfigen besonnten Stellen sitzen Schmetterlinge, blau-seidene kleine und schwarz-rote Admirale, und man sieht den Huf-Abdruck der Hirsche. Berg-Wiesen aber liebte ich einfach fanatisch, ja, hatte Sehnsucht nach ihnen. Unter den weißen heißen Steinen vermutete ich überall Kreuzottern, und dieses Tier war überhaupt das Märchen-Mysterium meiner Knabenjahre. Es ersetzte mir den Menschenfresser, den Riesen und die Hexe. Alle Bisse und deren Folgen, deren entsetzliche langsame Folterqualen, deren mysteriöse schleichende Wirkung, deren perfide geheimnisvolle Art, kannte ich auswendig, die Wund-Behandlung und so weiter. Der wunderbare zarte grau-schwarze Leib der Kreuzotter kam mir als das Schönste, Vornehmste vor, und als ich ein kleines Mädchen liebte, dachte ich mir immer und immer wieder nur eines aus: »Eine Kreuzotter bisse sie in den Fuß während einer Bergpartie, und ich söge ihr die Wunde aus, um sie zu retten!«
Ich kannte genau das Terrain, auf dem mit unbedingter Sicherheit Kreuzottern hausen müßten, betrat es, lauerte; aber in meinem ganzen Leben habe ich keine lebendige Kreuzotter erschaut, obzwar die Gegend des Schneeberges davon wimmelt. Es blieb für mich nur ein böser, aber süß beruhigender Traum.
Immer dachte ich es mir aus: die Geliebte wird gebissen, oberhalb des Fußknöchels. Alles steht ratlos und verzweifelt. Da hole ich aus der nächsten Sennhütte Enzianschnaps, erzeuge den Alkoholrausch, das einzige Heilmittel. Dann sagt sie: »Oh, wieso wußten Sie es?« Und ich sage einfach: »Ich habe es im Brehm gelesen – – –."
Immer, überall wartete ich auf Kreuzottern. Niemals kamen sie.
Mit 23 Jahren liebte ich ein wunderbares 13jähriges Mädchen abgöttisch, durchweinte meine Nächte, verlobte mich mit ihr, wurde Buchhändler in Stuttgart, um rasch Geld zu verdienen und für sie sorgen zu können später. Aber es wurde nichts aus alledem. Nie wurde etwas aus meinen Träumen.
Ich habe nie irgend etwas anderes im Leben für wertvoll gehalten als die Frauenschönheit, die Damen-Grazie, dieses süße, kindliche. Und ich betrachte Jedermann als einen schmählich um das Leben Betrogenen, der einer anderen Sache hienieden irgendeinen Wert beiläge!
Opfere dem unerbittlichen Tage und der harten Stunde, aber wisse es und fühle es, daß deine heiligen und wahrhaften Augenblicke nur jene sind, da dein gerührtes und erstauntes Auge die schöne sanfte Frau erblickt! Wisse es, Verführter des Lebens, daß du ein Taglöhner, ein Kärrner, ein Gefangener, ein Rekrut bist, ein Selbst-Betrüger und Betrogener des Lebens, und daß nur durch die »heilige schöne Frau« du ein Adeliger und ein Kaiserlicher werden könntest!
Meinen kleinen Sachen, die ich schreibe, lege ich nur den Wert bei, den Mann, welchen seine tausend Pflichten erschöpfen und aushöhlen, ein bißchen aufzuklären über dieses leibliche, zarte und mysteriöse Geschöpf an seiner Seite. Hineingefressen in die Pflichten des unerbittlichen Tages, darf er es sich nicht erlauben, die Frau als ein seltsames und unerforschliches Wesen an und für sich zu betrachten, sondern als einfache Genossin in seinen Schwierigkeiten! Ihre Welt in ihr ist ihm teuer und verständlich, insofern er Segnungen davon empfängt. Das andere bleibe den Dichtern überlassen! So nehmen denn diese dem Leben ein wenig Entrückten immer und immer wieder ihre Leier und verherrlichen weinend jene Adeligsten, von welchen die anderen die brutaleren Vorteile ziehen! Ich selbst habe nur Leid erfahren an diesen Herrlichen, für welche ich mein verlorenes und unnötiges Dasein hingebracht habe. Dennoch glaube ich ein wenig mitgewirkt zu haben, daß ein Hauch von griechischem Schönheits-Kultus in die vom Leben bedrängten Jünglinge komme! Aber auch das mag nur eine Utopie sein.
Arm und verlassen lebe ich nun dahin, den Blick noch immer gerichtet auf eine edle Frauenhand, einen adeligen Schritt, ein mildes weltentrücktes Antlitz. Amen – – –.