Peter Altenberg
Prosaskizzen
Peter Altenberg

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Reminiszenzen

(in "Semmering 1912", Berlin 1913)

Eine angenehme Abwechslung während des Lernens war das Anzünden der Öllampe am Winternachmittage. Draußen sah man undeutlich graue Häuser wie fremde Welten. Da kam das Stubenmädchen und zündete die Öllampe an. Vorsichtig nahm sie die Milchglaskugel ab, den glänzenden Zylinder aus Glas. Sie drehte den bereits vormittags richtig abgeschnittenen Docht hoch mit der Messingschraube, legte zwei fadendünne harzimprägnierte Hölzchen (eine ganz neue Erfindung der Technik) im Kreuz über den gelben Docht und zündete diese an den Enden an. Oft brannte der Docht, oft brannte er nicht. Endlich brannte er. Da stülpte das Stubenmädchen vorsichtig den Glaszylinder auf und dann die Milchglaskugel. Nun wurde noch ein wenig an der Messingschraube, auf welcher der Name »Ditmar« und zwei Merkurflügel waren, hin und her gedreht, damit die Lampe nicht rauche. Endlich brannte sie mit einem dottergelben matten Schein. Da saß man denn und schrieb die Einleitung zu dem Aufsatze »Charakter des Wallenstein«: »Wenn wir die großen Helden vergangener Zeiten an unserem geistigen Auge vorüberziehen lassen – – –«

»Sie, Marie, der Docht raucht auf der linken Seite – – –«

»Aber junger Herr, das ist eine Sekkatur. Ich habe ihn heute vormittags ganz gerade abgeschnitten.«

Charakter des Wallenstein: »Auf der Höhe seiner Macht angelangt, überfiel ihn wie die meisten Sterblichen die Sehnsucht nach noch Höherem, Unerreichbarem – – –«

Die Lampe brannte mit dottergelbem, mattem Schein, und richtig, links rauchte sie ein wenig und schwärzte sogar den Glaszylinder an.

 


 


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