Peter Altenberg
Prosaskizzen
Peter Altenberg

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Kabarett »Fledermaus« (3)

3. Februar 1909

(in "Das Altenbergbuch", Wien/Leipzig 1922)

Februar-Programm. Es ist ein herrliches, reichhaltiges Programm. Es ist ein so rührender Versuch darin, dem Publikum, das sich amüsieren will, alle nur möglichen Konzessionen zu machen und dennoch der »Würde der Angelegenheit« ein bißchen zu dienen. So entstand der »Kabarettgedanke«, so entstand jetzt sein zweiter lustigerer Teil: »Die zehn Gerechten«. So entstand die feine und zugleich groteske Parodie »Der Schatten des Lord Rahu«, in der Dr. Egon Friedell den Sherlock Holmes in eleganter unpointierender Manier darstellt. Es ist ein fast tragischer Kampf in der »Fledermaus« zwischen Künstlern und ihren Welten und dieser Welt »Publikum«. Die Himmelsstürmer sind die Besiegten, die Konzessionen machenden an allen Ecken und Enden sind die Besiegten  – – – hier wird ein reservierter, fast idealer, weil möglicher Mittelweg eingeschlagen. In den »Zehn Gerechten« wird das Publikum der »Fledermaus« selbst in den eigenen Räumen dargestellt, während einer Kabarettvorstellung. Es wird also dem wirklichen Publikum ein Spiegelbild vorgehalten seines Benehmens, Fühlens und Denkens. Das ist ein liebenswürdig-gefährlicher Versuch. Von den Darstellern erwähne ich nur den tüchtigen »Mostrich«, der sich schon seit langem auch in der »Operettenparodie« als Kammerdiener ganz besonders durch diskrete und dennoch groteske Charakterisierung hervortut! Welcher Direktor wird ihn entdecken, bis ihn alle bereits entdeckt haben?! Es steckt verborgene Kraft in ihm, man könnte sich patzig machen mit seiner Entdeckung. Aber auch dazu hat niemand die Lust. Laube hatte sie noch und Dingelstedt. Aber seitdem findet man das bessere Geschäft darin, »protokollierte Firmen« zu überzahlen, anstatt billige zu »entdecken«! – Ich möchte nun einen Hymnus schreiben auf Mimi Marlow. Aber diese natürliche, einfache, liebenswürdigste Urkraft versteht man entweder mit freudigstem Herzen oder man versteht sie gar nicht. Sie ist die »Seele« der reizenden »Operettenparodie«, sie belebt und erwärmt, wirkt wie ein allerherzigstes Kindchen, ohne sich irgendwie darum zu bemühen! Ein jedes ihrer neuen Lieder ist erfüllt von ihrer lieblichen Naturkraft, sie belebt alles sieghaft, weil in ihr selbst natürliches Leben ist, das dann naturgemäß ausströmt, sich auslebt im Chanson. Miß Olga George hat »künstlerische Absichten«, aber es wird niemandem plausibel, selbst dem geneigtesten Schmock nicht! Sie hat es sich zu bequem gemacht, zu leicht vorgestellt. Im Publikum sind viel mehr »geniale Nicht-Tänzerinnen«! Beardsley war ein »genialer Irrsinniger«; einen Schritt weiter und er wäre ein Trottel geworden. Ihn rettete ein Irgendetwas. Aber die anderen sollten vorsichtig sein. Nur nicht an solchen gebrechlichen »Genie-Trotteln« sich hinaufranken wollen, wie Beardsley, E. T. A. Hoffmann, Novalis, Strindberg, Wedekind, Hamsun etc. etc. Sie wissen alles, alles, nur nicht, daß drei und fünf acht ergibt, diese einfachen Dinge begreifen sie nicht. Dazu sind sie zu kompliziert, zu genial. Infolgedessen sind sie natürlich Trotteln des einfachen Lebens. »Mundus vult decipi« ist eine der größten Gemeinheiten des menschlichen Denkens. Wie wenn man sagen würde: »Ein Kind will mit Zündhölzern spielen«! Selbst das Kabarett kann eine »Welt voll Aufklärung« sein, aber es muß Leute geben, die »aufgeklärt« werden sollen – – –!

P. A.

 


 


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