Peter Altenberg
Prosaskizzen
Peter Altenberg

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Nachtlichter

(Aus "Bilderbögen des kleinen Lebens", Berlin 1909:)

Peter Altenberg,
der Begründer der »Nachtlichter«, deren erste Nummer demnächst erscheint, führt diese mit folgenden Gedanken ein:

Kabarett – – – Kleinkunsttheater, die Kunst, im Kleinen so zu wirken, wie sonst die ganz großen Dinge im Theater! Das können nur ganz wenige. Für mich bisher nur Yvette Guilbert, Mela Mars, die Marya Delward in ihren besten Sachen, Dr. Egon Friedell, Coquelin ainé, Girardi, Otto Treßler, die Niese. Die könnten nämlich alle aus einem Nichts ein Alles machen!

Man kann einen Roman schreiben von 200 Seiten, und er ist vortrefflich. Man kann dasselbe auf drei Seiten sagen, und es ist ebenso vortrefflich. Das Ganze ist eine Zeitersparnis. Es gibt heutzutage viele sonst tüchtige Menschen, die keine Zeit haben, 200 Seiten zu lesen. Diesen gibt man drei Seiten im Extrakte!

Eine Menge Menschen vertragen heutzutage nicht mehr ein Souper von 10 Gängen. Diesen gibt man eben Sanatogen, Somatose; weshalb sollen sie sich anstrengen, 200 Seiten zu verdauen – – – man gibt ihnen drei Seiten, die denselben Zweck erfüllen! So ist die Position des »Kabarett« dem »Theater« gegenüber. Das heißt: so sollte sie sein. Das sind nämlich »ideale Forderungen«, à la »Wildente«, die heute bei uns nur die Mela Mars erfüllt. Die Marlow kann da noch mit im »Automobillied«. Da hat sie auch diese »mysteriöse, mitreißende Kraft«, aus einem Nichts eine Schicksalstragödie zu gestalten! Tragische Komplikationen zu schaffen mit einem undefinierbaren Etwas! Oder im Vorlesen meiner Kindergeschichten!

Das Kabarett sei also, ideal gedacht, ein Hort der kleinen großen Kunst! Nicht alle Vögel sind Lämmergeier, Seeadler, Kondor, und erheben sich 12 000 Fuß in die eisigklaren Lüfte, um Umschau zu halten über ganze Länderstrecken! Es gibt auch wertvolle entzückende kleine Vöglein wie der Zaunkönig, der Eisvogel, die Haubenmeise. Sie sind vielleicht noch origineller, merkwürdiger, ja bewundernswerter als die Riesenvögel! Ähnlich verhält es sich mit den Klein-Künstlern! Sie erheben sich nie 12 000 Fuß über die Erde wie Ibsen, Gerhart Hauptmann, Hamsun, Strindberg, Maeterlinck. Aber sie huschen unbeschreiblich anmutig über die Erde hin, durch Wiesengräser und Gebüsche, und erfreuen ebenfalls durch ihre »Klein-Künste« des lebendigen Lebens! So war es seinerzeit mit der »Militärmusik« von Detlev von Liliencron und der Musik von Oskar Strauß. So war es mit dem herrlichen Ringeltanz desselben Komponisten. Muß man denn alle »Perlen« in eineinhalbstündige Operetten versenken und von »geschickten Tauchern« erst herausfischen lassen?!?!

Das »Kabarett« erspare dem zahlenden Publikum diese Mühe! Es bringe die »Perlen« und lasse den Schlamm und die Wertlosigkeiten abrinnen – – – So machen es ja auch die Perlenfischer.

 


 


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