Peter Altenberg
Prosaskizzen
Peter Altenberg

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Landpartie (2)

(in "Semmering 1912", Berlin 1913)

Ich bin »radikal« geworden. Ich mache mit einer mir sympathischen Dame eine Eisenbahnfahrt von 25 Minuten nach M. Wenn sie nicht am Fenster lehnt und in die Landschaft hinausstarrt, bin ich bereits enttäuscht, nicht mehr ganz »à mon aise«. Sie erwartet also »anregende Konversation«, pfui! Wenn sie sagt: »Es zieht, machen Sie, bitte, das vis-a-vis-Fenster zu«, bin ich mit ihr fertig. Rheumatismus zieht nicht bei mir, das ist schlechtrassig, so 1870, zur Krachzeit. Wenn ich ihr in M. das herzige, brausende, dunkle Flüßchen zeige, muß sie entzückt sein, ja sie muß, sie muß, sie muß! Wenn ich ihr den Frieden der langen Dorfstraße zeige, muß sie selbst »friedevoll« werden! Wenn ich ihr das niedere, schneeweiße Haus zeige mit den schwarzen Eisengittern und den vergoldeten Schleifen und sage: »Hier hatten die Generäle Napoleons des Ersten Quartier!«, so muß es ihr wie heiliger Schauer über ihren rosigen Rücken laufen! Billiger gebe ich es nicht. Es sind schlechte Zeiten angebrochen für wirklich zarte Seelen, und daher muß man prüfen, ehe man ewig Landpartien macht! Wenn sie in dem kleinen, traulichen Dorf-Kaffeehaus ihren Tee selbst bezahlt, ist es gut. Wenn nicht, ist es bedenklich. Wenn sie den Sonnenuntergang nicht beachtet, sondern lieber von einem erzählt, der sie einst sehr, sehr geliebt hat, ist es vollkommen verfehlt. Auch der Rauch der Lokomotiven sogar hat sie zu interessieren. Wenn sie sagt: »Ich möchte nicht gar zu spät nach Hause kommen«, so ist es falsch. Mit mir kommt man immer zu früh, und nie zu spät nach Hause. Auf der Rückfahrt hat sie eine andere zu sein wie auf der Hinfahrt! Wie sie das macht, ist ihre Sache! In dem »langen Tunnel« hat nichts zu geschehen! Aber sie hat es innerlich zu bedauern, daß es so war! Ich bin »radikal« geworden. Eine Fahrt von 25 Minuten; Aufenthalt; retour – und ich weiß alles!

 


 


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