Peter Altenberg
Prosaskizzen
Peter Altenberg

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Die »Gelsen«

(in "Mein Lebensabend", Berlin 1919)

In dem schrecklichen, nur historischen, also unlebendigen Venedig, am grausandigen, unromantischen »Lido«, einem ekligen »Vergnügungsetablissement« der Müßiggänger und Partieenjägerinnen und koketten Verheirateten, nannte man sie liebevoll »Sansaras«, schützte sich vor ihnen schweigend durch Räucherkerzchen, die an Weihrauch erinnerten. Aber bei uns, im blühenden Österreich, nennt man sie verächtlich »Gelsen«, Blutsaugerinnen, läßt sich durch sie die Donau-Auen »mies« machen! Pfui! Gründet lieber, statt zu schimpfen, in Klosterneuburg eine Fledermaus-Zuchtanstalt! In hohen luftigen Hangars an schmalen wagrechten Stangen sollen bei Tag eine Million Fledermäuse schlafend hängen, um bei Nacht eine jede 200 Mücken, also 200 Millionen Mücken zu vertilgen! Abgesehen davon könnte man an die Obstzüchter und Bauerngärten von ganz Österreich die Fledermäuse verkaufen und so den Ertrag des Bodens zu Milliarden steigern! Die Fledermaus ist ein liebes, süßes, mysteriöses, stilles, anspruchsloses Tierchen, bei Tag, wenn wir arbeiten (ich nicht!), schläft sie, und bei Nacht fängt sie uns die schrecklichen Gelsen weg und ernährt sich von selbst! Sie arbeitet für die ganze Menschheit bei Nacht, wie die Dichter, wenn sie zufällig »Inspiration« haben! Nachts, wenn alles still ist, beginnt die Arbeit. Die Fledermäuse leisten oft viel verdienstlichere!

 


 


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