Peter Altenberg
Prosaskizzen
Peter Altenberg

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Fahrt

(in "Semmering", Berlin 1913)

Ich bin nicht gereist, ich weiß bis heute es nicht, wie ein Schlafwagen ausschaut, verstehe nichts davon, daß man nachts in seinem Bett, auf einem Kopfpolster, unter einer Decke und mit anderen nützlichen und bequemen Utensilien, durch die Welt getragen wird und morgens, ganz ausgeruht, irgendwo sich befindet, wo man, mit Respekt zu melden, noch niemals auch nur annähernd gewesen ist. Nun brachte man mich an einem frischen Julimorgen, per Automobil, 70 Kilometer die Stunde, nach Wiener-Neustadt. Alle Wiesen begossen uns fortwährend mit ihren Parfüms. Wind und Duft, das allein spürte man. Lioschka sagte nur einmal: »Wenn etwas geschieht, gehen die Splitter der Autobrille vorerst in die Augen und zerreißen sie!« Dann nahm sie langsam die Autobrille ab. Dann sagte sie: »Ihre geliebten weißen Kartoffelblütenfelder! Früher habe ich mich nicht getraut, sie schön zu finden! Es hätte sich auch nicht für mich geschickt!« Dann sagte sie: »Haben Sie auch den roten Mohn in den Wiesen gern, obzwar es ein Unkraut ist und schädlich für die armen Kühe?!«

Ich berührte leise ihre Hand in den hellbraunen Rehlederhandschuhen. In Wiener-Neustadt setzte man mich ab. Gerade fiel einer von einem Gerüste, brach sich das Genick. Ich kaufte mir Bergblumenansichtskarten und fünffarbige Hülsen für Bleistifte. Ich ließ mir ein Zimmer aufsperren im Hotel neben dem Bahnhof, um zu schlafen. Alle Bediensteten waren wie besorgte Kindermädchen, obzwar ich nicht nach »reichlichem Trinkgeld« aussah. Aber der Schein trügt. Das ist vielleicht die letzte Philosophie dieser dienenden Menschen.

Er ist vielleicht doch ein reicher Narr! Das letztere stimmte. Man brachte mir alles, das heißt zehn Flaschen Pilsner Bier. Das ist doch alles! Ja und einen Roßhaarpolster. Wenn ich nur wüßte, weshalb man noch nicht auf polierten Granitsteinen schläft?! Diese Eiderdaunen aus zusammengedrückter Watte sind doch nur für die »Prinzessinnen in den Kindermärchen«! Wir Erwachsenen wollen hart schlafen, wie die Kaiser in ihren einfachen Feldbetten im Kriege. Amen.

Ich erwachte und fuhr sogleich auf den Semmering zurück. Aus dem Dunst ins Gebirge. In Pottschach stieg eine ein, in einem braungrün schillernden seidenen Bauernkostüme. Die hatte ein Gesicht wie eine 14jährige Eleonora Duse. Aber in Payerbach stieg sie wieder aus. Sie sah meinen Blick nicht voll Trauer und Verzweiflung. Besser für sie und mich. Vielleicht hätte sie gedacht: »Alter Hund!« Die Lokomotive »pustete«, wie man zu sagen pflegt, in die Bergweltkurven hinauf. Man glaubt immer, daß sie es nicht überwältigen wird. Aber das ist ein laienhafter Irrtum. Sie ist dazu geschaffen, konstruiert und ausprobiert. Gerade so ist es wie mit der »unglücklichen Liebe«. Unser Herz ist dazu konstruiert. Manchmal zerbricht es. Das sind »unvorhergesehene Fälle«, die auch der genialste Maschinentechniker nicht vorausberechnen kann. Die Luft wurde immer frischer, und ich gedachte des genialen Erbauers dieser Bahn, Ritter von Ghega, der sie in die Felsen mit Gewalt hineinbohrte, damit der Naturfreund alles genieße, Abgründe, Urwälder, Ausblicke, kurz die Dekoration der Bergeswelten! Auf dem Semmering dachte ich: »In Pottschach ist eine eingestiegen, in einem braungrün schillernden seidenen Bauernkostüme. Weshalb hat sie meinen Blick nicht gesehen von namenloser Begeisterung?! Vielleicht hätte er sie geschützt vor dem Herrn so und so, dem sie jetzt unbefangen die Hand reichen wird zum »ewigen Bunde«?! Unsere Blicke sind nicht da, um zu »zünden«, sondern um zu »schützen«, vor Blicken, die »seelisch stargrau« sind! Wir sind nicht da, um zu »erobern«, sondern um zu »schützen«! Ein jeder hat seine Aufgabe im Leben! Er erfülle sie!«

 


 


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