Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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2. Es fehlte an einem nationalen Epos.

Eben deshalb dürfen wir unmöglich ein nationales Epos in dem alten Italien annehmen, wie man es hin und wieder wohl angenommen, aber bei reiflicher Ueberlegung doch allgemein wieder aufgegeben hat. Schon die große Dürftigkeit der römischen Mythologie kann zum Beweise dienen, daß es ein solches Epos nie gegeben hat. Wo ist hier die Spur einer eigenthümlichen Sagenbildung und Sagenpoesie im Sinne der Ilias und Odyssee? Wo die Spur einer Kosmogonie im Sinne der Hesiodischen oder der Edda? Da es doch an alten Kriegen und Eroberungen, also an Anlässen wenigstens zu einer italischen Ilias nicht gefehlt hat und der Gottesdienst des Janus deutlich lehrt, daß die religiöse Vorstellung sich mit kosmogonischen Fragen allerdings beschäftigt hat. Nicht einmal Helden im epischen Sinne des Wortes scheint das alte Italien gekannt zu haben, sondern höchstens streitende Genien des Lichts, geheimnißvoll wirkende Dämonen des stillen Waldgeheimnisses und wohlthätige alte Könige, welche wie Saturnus und Faunus in der frommen Urzeit regierten, dann aber ein für allemal in die 4 Unsichtbarkeit der Berge oder der Flüsse entrückt wurden; dahingegen die wirklich epischen Gestalten und Namen, Hercules und die Castoren, Ulysses und Diomedes und der fromme Aeneas durchweg von den Griechen entlehnt sind. Man könnte sagen, daß in dem früheren italischen Alterthum vielleicht Manches der Art vorhanden gewesen sein möchte, was später aus Mangel an Litteratur und in Folge frühzeitigen Verlustes der nationalen Freiheit wieder verloren gegangen sei. Aber sollten wirklich Cato und Varro, die eifrigen und patriotischen Forscher, sollte Virgil, dem so viel daran lag ein nationales Heldengedicht für Rom und Latium zu schaffen, trotz alles Suchens nur so wenig gefunden haben, wenn früher bedeutend mehr vorhanden gewesen wäre? Ich möchte den alten Bewohnern Italiens deshalb keineswegs jede Anlage zur Poesie und volksthümlichen Tradition absprechen. Auch bei ihren nationalen Festen und Versammlungen mag manches alte Wort von Mund zu Mund gegangen, in ihren Heiligthümern manches Denkmal der Vorzeit gepflegt, beim festlichen Mahle und bei allen heiteren Veranlassungen manches Lied gesungen sein: wo wäre ein Volk ganz ohne Lieder und ohne Sagen? Nur werden diese immer weit mehr geschichtlichen oder idyllischen und mährchenhaften Inhalts gewesen sein als epischen d. h. eines solchen, wo Götter und Helden die handelnden Personen sind: und vollends an eine Entwickelung des weltlichen Gesanges im Ganzen und Großen, wie sie bei den Griechen frühzeitig eingetreten ist, wozu ganz vornehmlich eine Emancipation der Dichtung von dem Einflusse der Priester und der positiven Religion erfordert wird, an solche Aöden, wie sie uns in den Homerischen Gedichten entgegen treten, ist ganz gewiß nicht zu denken. Vielmehr weiß die Vorzeit Italiens nur von singenden Faunen und Nymphen, orakelnden Propheten und zaubernden Frauen zu erzählen, und die lateinische Sprache hat kein eignes Wort für Gedicht und Dichter in dem Sinne wie es jene griechischen Professionisten des weltlichen Gesanges gewesen sind. Auch ist es charakteristisch genug daß die römischen Camenen, in denen die späteren römischen Dichter die griechischen Musen wiedererkennen wollten, nach der älteren Volkssage wohl den alten Priesterkönig Numa zu seinem Werke begeisterten, aber keinen italischen Orpheus, keinen Musäos: und in einer andern Wendung, daß nach sabinischer Sage die Laren dem berühmten Augur Atta Navius, da er als Knabe in einem Weinberge eingeschlafen war, die Erfindung seiner Kunst eingaben, damit er ein verlornes Stück seiner Heerde 5 wiederfinde, während nach griechischer Sage Dionysos dem Aeschylos in gleicher Lage die Tragödiendichtung eingab. Eben so wenig wußte das alte Italien von einem kunstreichen Metrum und von kunstreicher Instrumentalmusik, womit der epische Gesang hätte begleitet werden können. Sondern Alles ist schlicht und einfach und kunstlos geblieben, und vollends bei allen öffentlichen Functionen der Religion hat immer nur die priesterliche Formel und das liturgische Gebet gegolten, nicht die bewegtere Gemüthsstimmung des festlichen Gesanges, den die Römer erst von den Griechen lernten. Ueberall sind die Wunder der Natur und des Lebens wohl ein Anlaß zu Opfern und Weissagungen, in denen der Priester und Seher sie zum Frommen des gemeinen Wesens technisch und praktisch ausbeutet, aber nirgends begegnet man jenem poetischen Drange des Herzens und der Einbildungskraft, welcher in die Anschauung und das Gefühl für diese Wunder versenkt Religion und Geschichte mit den idealen Gestalten der Dichtung belebt hätte.


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