Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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5. Apollo.

Der erste rein griechische Gottesdienst, welcher uns begegnet. Von seiner Verbreitung in Italien, seiner hohen Bedeutung für die römische Religionsgeschichte, seiner engen Verbindung 266 mit den durch Tarquinius Superbus nach Rom verpflanzten sibyllinischen Sprüchen und den wichtigen Folgen des Gebrauchs dieser Sprüche bei so vielen Veranlassungen ist S. 130 ff. die Rede gewesen, so daß hier nur das Nöthige zur Geschichte und Characteristik des Apollodienstes in Rom und der mit ihm immer eng verbundenen sibyllinischen Spruchbücher hinzuzusetzen ist.

Die Sibyllen sind von Apollo begeisterte Prophetinnen, welche in sehr verschiednen Gegenden genannt werden, am frühesten in den Umgebungen des troischen Ida, wo auch Kassandra zu ihnen gehört, dann in dem ionischen Erythrae, dessen Sibylle mit der Zeit vor allen übrigen berühmt wurde, ferner auf Samos, in Delphi und in dem italischen Cumae. Immer werden sie als Jungfrauen geschildert, die in einsamen Höhlen oder Schluchten wohnen, von dem Geiste Apollos ergriffen in wilder Entzückung wahrsagen und dabei im Volke das höchste Ansehn genossen; bald nennt die Sage sie Apollos Priesterinnen, bald seine Geliebten, Schwestern, Töchter oder Gattinnen. Da sie dem Geiste nach verwandt waren, lag es nahe genug sie auch äußerlich mit einander in Verbindung zu setzen; so galt namentlich die Cumanische gewöhnlich für identisch mit der Erythräischen, welche, so erzählt man, von Apollo so viele Lebenstage als der Sand am Strande ihrer Heimath Körner zählte erlangt habe, doch unter der Bedingung daß sie ihre Heimath verlassen solle und deren Erde nie wiedersehn dürfe. Also habe sie sich nach Cumae begeben und dort ein unendlich langes Leben gelebt, bis sie zuletzt aufs sehnlichste nach dem Tode verlangte und denselben endlich durch einen mit der Erde ihrer Heimath versiegelten Brief fandServ. V. A. VI, 321, vgl. Aristot. Mirab. 95, Pausan. X, 12, 8, Petron. Sat. 48, Iustin M. Cohort. 37.. Oder sie soll zuletzt nur noch als Stimme gelebt haben, welche als flüsternder Laut durch die unterirdischen Räume und Gänge rauschte, die sich unter dem Apollotempel zu Cumae und in den Felsen, auf denen die Stadt lag, in vielen untereinander verzweigten Höhlen weit hinein ins Land, man sagt bis zum Avernersee erstrecken und die Sage von der Sibylle bis jetzt bewahrt haben. Auch bei Virgil sind diese Felsen und diese Höhlen der Schauplatz ihrer Weissagung. Dort sitzt sie und schreibt ihre Gesichte »in Zeichen und Namen« auf Palmblätter, welche sie dann zusammenlegt und in der Höhle verbirgt, bis der Wind sie verweht und unter die Menschen bringt. Oder er schildert sie wie 267 die Priesterin des Apollo und der unterirdischen Diana, deren Weissagung aus den Katakomben der Tiefe in den darüber liegenden Tempel Apollos hinaufquillt und die denselben Aeneas später zu den Opfern am Avernus anleitet und seine Führerin in der Unterwelt istVirgil Aen. III, 443 ff., VI, 9 ff, vgl. Ovid. Met. XIV, 101 ff.. Lange vor Virgil hatte Naevius in seinem Gedichte vom Punischen Kriege dieselbe Sibylle die kimmerische genanntVarro bei Lactant. 1, 6, 9, vgl. Strabo VI p. 243 sq., weil der Sage nach einst das mythische Volk der Kimmerier in denselben unterirdischen Gängen bei Cumae gehaust hatte. In Rom erscheint diese Sibylle, von deren Sprüchen sich in alter Zeit jedenfalls eine Sammlung zu Cumae befand, bekanntlich unter Tarquinius Superbus in der Gestalt einer Greisin, welche dem Könige zuerst 9, dann 6, endlich 3 Bände immer für denselben Preis anbietetDionys II. IV, 62, Gellius N. A. 1, 19, Tzetz. Lycophr. 1278–80. Varro, welcher zehn Sibyllen unterschied und die Erscheinung der Cumanischen aus chronologischen Gründen, die aber hier nicht gelten können, unter Tarquinius Priscus setzte, scheint gleich die erste Sammlung für eine gemischte gehalten zu haben, wie es die spätere wirklich war, s. bei Lactant. 1, 6, 7, vgl. Serv. V. A. VI, 36, Plin. H. N. XIII, 13.. Auch war es dieser König, welcher die Commission zur Aufbewahrung und Befragung dieser Sprüche (S. 132) begründet und eine hochverrätherische Verletzung ihres Geheimnisses mit der Strafe der Vatermörder und Tempelschänder zuerst bestraft hatte. Nie durften diese Sprüche anders als auf Befehl des Senats befragt werden.

Von einer Verehrung des Apollo in Rom erfahren wir aus sichrer Nachricht erst zur Zeit der Decemvirn, doch darf man wegen des engen Zusammenhanges seines Dienstes mit der sibyllinischen Weissagung ein höheres Alterthum ohne Bedenken annehmen. Und zwar ist es auch hier neben der Weissagung der andre Grundgedanke dieser Religion, die Heilung von leiblichen und geistigen Schäden, mit denen uns Apollo zuerst entgegentritt, bis in späteren Zeiten auch die Apollinische Musik in Rom Eingang fand. Das Zutrauen zur Apollinischen Inspiration wurde auch durch die in Italien früh verbreitete Verehrung des Orakels zu DelphiSchatzhäuser von Caere und Spina zu Delphi, s. Strabo V p. 214. 220, vgl. Herod. 1, 167. Eine spätere Sendung der Römer nach Delphi ist die nach der Schlacht bei Cannä, wo der Annalist Q. Fabius Pictor theilnahm, s. Liv. XXII, 57, XXIII, 45, XXVIII, 45, Appian Hannib. 27. Vgl. auch Liv. XXXVIII, 48, XLV, 27. befördert, wohin bekanntlich auch Rom seine Sendungen schon zur Zeit der Vertreibung der Tyrannen, 268 dann während der Belagerung von Veji gerichtet haben soll. Den sühnenden und heilenden Apollo aber verehrten die Römer so allgemein und vorzugsweiseMacrob. S. 1, 17, 15. In den Indigitamenten des Numa fehlte Apollos Name, s. oben S. 119, 173. Auf die Verehrung des sühnenden Apollo deutet auch die Uebertragung der Reliquien des Orest von Rhegium nach Aricia und von dort nach Rom, s. Hygin. f. 261, Serv. V. A. II, 116, VI, 136., daß auch die Vestalischen Jungfrauen beteten: Apollo Medice, Apollo Paean!, offenbar weil die sibyllinischen Sprüche und der Cultus der für sie bestimmten Decemvirn den griechischen Gottesdienst am meisten von dieser Seite empfahlen. Auch der häufige Gebrauch des Apollinischen Lorbeers in Rom und andre Spuren deuten darauf, daß Apollo in Rom vorzüglich in dieser Eigenschaft des ἀλεξίκακος Eingang fand. Selbst die älteren Namen des römischen Apollo hängen mit dieser Auffassung und Herkunft seiner Religion zusammen. Die Etrusker nannten den griechischen Gott, den auch sie als Licht- und Heilgott allgemein verehrten, Aplu, eine Form des Namens welche sich in Griechenland bei den Thessalern im Gebrauch erhalten hatte. Die Römer aber gebrauchten die in älterer Zeit bei den Griechen des südlichen Italiens herkömmliche Form Apello, die sie im Sinne ihrer Sprache vom Abwenden der Krankheiten und andrer Uebel verstandenPaul. p. 22, Macrob. 1, 17, 14.. Oder sie machten sich den fremden Namen dadurch verständlicher, daß sie ihn im Sinne des offenbarenden Orakelgottes umbildeten, so daß aus Apello Aperta wurde, wie aus Persephone ProserpinaPaul. p. 22 Aperta idem Apollo vocabatur, quia patente cortina responsa ab eo dentur. Vgl. Ritschl im Rh. Mus. f. Philol. 1857 S. 106 ff. und 476. In einem vermuthlich Ennianischen Verse bei Cic. de Divin. 1, 21, 42 heißt es noch: ut se édoceret obsécrans Apóllonem. Vgl. die Form APOLONES bei Or. n. 1433, APOLENEI auf einem Stein aus Pisaurum, APOLLINEI bei Henzen n. 5700. Der Pythische Apollo hieß lateinisch Putius, Placidi gl. p. 492.. Von der später recipirten Form Apollo bildete man zunächst den Genitiv Apollonis, bis später Apollenis und Apollinis das Gewöhnliche wurde.

Die erste Spur eines Apollinischen Heiligthums, etwa eines Lorbeerhains, findet sich wie gesagt in der Zeit der Decemvirn, und zwar in derselben Gegend, wo später der Flaminische Circus und das Theater des Marcellus erbaut wurden, eine Gegend die eigentlich Vorstadt war, aber sich außerordentlich schnell bevölkerteLiv. III, 63 in prata Flaminia, ubi nunc aedes Apollinis est, iam tum Apollinarem appellabant, avocavere senatum. Es ist wohl hinzuzudenken lucum.. Zwanzig Jahre später, in den Zeiten des Militärtribunats, 269 wurde bei einer Pestilenz auf Geheiß der sibyllinischen Sprüche auf derselben Stelle der Tempel des Heilgottes Apollo gelobt und vier Jahre darauf (429 v. Chr.) eingeweihtLiv. IV, 25 Aedis Apollini pro valetudine populi vota est etc. Der bei Liv. VII, 20 erwähnte Tempel ist wahrscheinlich derselbe, auch der T. Apollinis Medici bei Liv. XL, 51, wo wohl zu lesen ist: et post Spei ad Tiberim [et ad] aedem Ap. M.: ein geräumiger Tempel, welcher oft zu Senatssitzungen benutzt wurde und außer dem Bilde des Apollo gewiß auch die seiner Mutter und seiner Schwester enthielt, übrigens bis August der einzige dieses Gottesdienstes geblieben ist. Bald darauf, seit dem Jahre 399 v. Chr., beginnen die Lectisternien in Rom, auf deren oft wiederholte Feier der Apollinische Cultus gleichfalls einen bestimmenden Einfluß ausübte; namentlich ist die allgemeine Heiterkeit, Versöhnlichkeit und Gastlichkeit, mit welcher diese Lectisternien in älterer Zeit von Haus zu Haus begangen wurden, ein Grundzug der Apollinischen Sommer- und ErndtefesteVgl. oben S. 133 und Liv. V, 13 tota Urbe patentibus ianuis promiscuoque usu rerum omnium in propatulo positis notos ignotosque passim advenas in hospitium ductos ferunt et cum inimicis quoque benigne ac comiter sermones habitos, iurgiis ac litibus temperatum, vinctis quoque dempta in eos dies vincula; religioni deinde fuisse, quibus eam opem dei tulissent, vinciri. So mögen von den Griechen die Theoxenien, die Metageitnien und ähnliche Feste des Apollo begangen sein.. Endlich, aber erst 200 Jahre später (212 v. Chr.) wurden auch Apollinarische Spiele in Rom eingeführt, wie sie bei den Griechen als Pythien so weit verbreitet waren. Die Veranlassung gaben der schwere Krieg mit Hannibal und die Sprüche eines berühmten Sehers der italischen Vorzeit, des Marcius, welche kurz vorher sehr vernehmlich auf die Niederlage bei Cannä gedeutet hatten. Jetzt empfahlen sie Spiele des Apollo als ein sichres Heilmittel gegen den Feind, »dieses garstige Geschwür im Leibe Italiens«, und zwar sollten diese Spiele in aller Lust und Heiterkeit (comiter) gefeiert und die Kosten durch eine Collecte von Haus zu Haus gedeckt werden, der städtische Prätor ihnen vorstehen, die sibyllinischen Decemvirn aber das Opfer nach griechischem Ritus verrichtenLiv. XXV, 12, Macrob. 1, 17, 27 ff. (bei beiden ist nach Apollini zu ergänzen et Dianae), vgl. Liv. XXVI, 23, XXVII, 11. 23, Paul. p. 23.. Es war grade die Zeit wo Hannibal Tarent eroberte und wieder bis Campanien vorrückte, während Hasdrubal von Spanien her mit dem Einfall in das obere Italien drohte. Apollo, der Arzt, 270 der Abwender, sollte auch in dieser Noth helfen, und er half wirklich, nachdem man das Opfer in der vorgeschriebenen Weise dargebracht und die Spiele im Circus Maximus aufgeführt hatte, wobei das Volk mit Lorbeer bekränzt zuschauete und die Matronen für Alle beteten: wieder ein sehr festlicher und heiterer Tag, der wie jene Lectisternien mit Familienschmäusen und offenen Thüren durch die ganze Stadt gefeiert wurde. In den folgenden Jahren wurden dieselben Spiele von dem Prätor von neuem gelobt und gehalten, bis sie endlich im J. 208 v. Chr. auf Veranlassung einer Pest ein für allemal gelobt und auf den festen Tag des 13. Juli verlegt wurden, immer unter der Oberaufsicht des städtischen Prätors. Man stritt sich später ob diese Spiele das erstemal des Sieges oder des Wohlseins wegen (victoriae an valetudinis ergo) gelobt worden waren, da eigentlich beide Meinungen Recht hatten, denn Apollo der Gott des Heils ist als solcher auch der Gott des Siegs, wie dieses ja auch in jenem Spruch des Marcius sehr bestimmt angedeutet wurdeHostes Romani si ex agro expellere vultis, Vomica quae gentium venit longe etc.. Doch ist es interessant bei dieser Gelegenheit eine Legende kennen zu lernen, welche den Glauben an die schnelle Hülfe des Heilgottes und Schützen Apollo, den die Jonier deshalb als βοηδρόμιος verehrten, gleichfalls gut ausdrückt. Das Volk habe eben bei diesen Spielen gesessen und dem gesticulirenden Gesange eines alten Mimen zugehört, als es plötzlich durch alle Reihen hieß: der Feind ist vor der Stadt. Alles eilt nun schnell hinaus und dem Feinde entgegen, siehe! da stürzt eine ganze Wolke von Pfeilen herab auf die Feinde, so daß diese eilig umkehren und die Römer eben so eilig zu den Spielen des Helfers in der Noth (dei sospitalis) zurückkehren konntenMacrob. 1, 17, 25, Fest. p. 326 Salva res est dum cantat senex, ein aus diesem Vorfall entstandenes Sprichwort. Die welche auch bei diesen Spielen an den Heilgott Apollo dachten, beriefen sich auf die Zeit mitten im heißen Sommer. Die bei Festus l. c. erwähnten parasiti Apollinis sind die für seine Spiele eingesetzten Schauspieler, Mimen u. s. w., deren Zunft zu seinem Tempel in einem ähnlichen Verhältnisse gestanden zu haben scheint wie die der Pfeifer und der Dichter zu dem der Minerva auf dem Aventin, s. Friedländer bei Marquardt IV, 533.. Ja jener alte Mime hatte die ganze Zeit über unverdrossen fortgetanzt und fortgesungen, so daß die Spiele nicht einmal instaurirt zu werden brauchten. Eine Erzählung die auch insofern zu beachten ist als daraus erhellt, daß diese Apollinarischen Spiele gleich von Anfang an 271 sowohl scenische als circensische waren. Auch sind sie jedenfalls bald nach den Römischen Spielen und den Megalesien mit dramatischen Aufführungen verbunden worden, da schon im J. 179 v. Chr. von der Erbauung eines Theaters und eines Prosceniums beim Tempel des Apollo die Rede ist und zehn Jahre später, kurz vor dem Tode des Ennius, dessen Thyest bei den Spielen des Apollo zur Aufführung kamCic. Brut. 20, 78 vergl. Liv. XL, 51 und Ritschl Parerga S. 217. 291.. Der gewöhnliche Schauplatz der circensischen Spiele des Apollo war nachmals der Circus Flaminius, welchen C. Flaminius zwei Jahre vor der Schlacht am Trasimenischen See angelegt hatte. Wie alle Spiele in Rom, so haben auch diese sich mit der Zeit immer weiter ausgedehnt, bis sie nach den vorhandnen Kalendern vom 6. Juli bis zum 13. gefeiert wurden, nur dieser letzte Tag im Circus.

Also wurde Apollo seit dem zweiten Punischen Kriege in dem ganzen Umfange seines Wesens zu Rom verehrt, als Sühn- und Heilgott, in welcher Hinsicht der einheimische Veiovis je länger desto mehr hinter dem gleichartigen griechischen Gottesdienste zurücktrat, als Orakelgott und als festlicher Gott der Musik und der heiteren Lebensfreude, obgleich auch der römische Apollo, wenn er gereizt wurde, ein strenger und eifriger Gott sein konnteVgl. Valer. Max. 1, 1, 18, Appian. Pun. 127. Weniger Umstände machte man mit einem alten Bilde des Apoll, welches nach dem plötzlichen Tode des jüngeren Scipio drei Tage lang weinte. Dio Cass. fr. 84.. Manche Neuerungen brachte die Zeit des Sulla, unter dessen Vorfahren der erste welcher den Namen Sulla führte als einer der Sibyllinischen Decemvirn die Stiftung der Apollinarischen Spiele vorzüglich betrieben und darüber eben jenen Namen bekommen hatteMacrob. 1, 17, 27, vgl. Charis. 1, 18, 20 und Serv. V. A. VI, 70, welcher diese Ueberlieferung falsch verstanden hat. Daher auf einem As des P. SVLA an der prora novis der Kopf der Sibylla angebracht ist. Auf dem römischen Forum befanden sich in der Nähe der Rostra drei eherne Bilder der Sibylla, die man für sehr alt hielt, Plin. H. N. XXXIV, 5, 11.. So war auch der Dictator Sulla ein abergläubischer Verehrer des Apollo ἀλεξίκακος, von dem er ein kleines goldnes Bild, welches aus Delphi stammte, in den Stunden der Schlacht bei sich zu tragen pflegte: was ihn übrigens nicht abhielt das Orakel zu Delphi, dessen Ansehn freilich damals sehr gesunken war, schonungslos zu plündernPlut. Sulla 12. 29, Valer. Max. 1, 2, 3. Vgl. Cic. de Divinat. 1, 19, II, 57. Eine sehr 272 verhängnißvolle Katastrophe war dann auch für die sibyllinischen Sprüche und den Apollodienst jene Feuersbrunst, welche im J. 83 v. Chr. den Capitolinischen Tempel und mit ihm die ältere Sammlung der Sprüche verzehrte. Alsbald wurden Boten in alle Welt ausgesendet, um in Italien, Sicilien, Afrika, Samos, Ilium, vorzüglich aber in Erythrae Alles was von sibyllinischen Sprüchen in Apollinischen Tempeln oder bei Privaten aufzutreiben war zu sammeln und zu sichten, woraus eine neue Sammlung sehr gemischten Inhalts in mehreren Büchern entstandVgl. Dionys. H. IV, 62, welcher sich auf Varros Untersuchungen bezieht, und Tacit. Ann. VI, 12. Sprüche von stark monotheistischer Färbung führen Iustin. M. Coh. 16 u. Lact. 1, 6 an, vgl. Aug. C. D. XVIII, 23 und die Andeutung einer der römischen Staatsreligion gefährlichen Tendenz bei Cic. de Divin. II, 54, 110. Auch jüdische Weissagungen hatten sich in diese spätere Sammlung eingedrängt, sowohl aus Palästina als aus Alexandrien, s. Pausan. X, 12, 5., unter welchen nur die Sprüche der erythräischen Sibylle bestimmter nachweisbar waren, da dieselbe sich in dem Vorworte ihrer Weissagungen ausdrücklich nannte und sich dabei zugleich ihrer Abkunft aus Babylon rühmte. Schon dieses weist nach dem Orient; auch ist nicht zu verkennen, daß mit dieser neuen Sammlung auch sonst manche Elemente orientalischer Weissagung und Anschauung nach Rom kamen, selbst monotheistische Ueberzeugungen und messianische Hoffnungen, welche bald deutlich verlauteten. So war nun auch von Apollo in einem ganz andern Sinne die Rede; er wurde mit dem orientalischen Sonnengotte identificirt und in dem bevorstehenden zehnten und letzten Weltalter eine Herrschaft des Apollo in diesem Sinne geweissagt, welche später Augustus gerne auf sich anwenden hörteVgl. Virgil in der bekannten, wahrscheinlich gegen Ausgang des J. 40 v. Chr. gedichteten Ecl. IV, 4 und dazu Servius. Die Vertheilung der verschiednen Weltalter an verschiedne Götter stammt aus der ägyptischen Theologie, s. Nigidius Figulus bei Servius zu vs. 10. Auch Horaz in dem Carmen Seculare identificirt Apollo mit Sol, Diana mit Luna.. Auch die Vermehrung des Collegiums der sibyllinischen Zehnmänner um fünf Stellen scheint aus dieser Zeit zu stammen, desgleichen die völlige Verschmelzung dieses Priesterthums mit dem Apollinischen Gottesdienste, daher sie von diesem nun auch die Insignien des Lorbeers, des Dreifußes, des Delphins und des Raben annahmenArnob. IV, 35, Serv. V. A. III, 332. Vgl. die M. des L. Torquatus III vir mit dem K. der Sibylle und dem Dreifuß und Eckhel D. N. VI p. 316..

273 Einen neuen Aufschwung nahm der Dienst des Apollo in Rom unter August. Dieser Fürst verband mit einer griechischen Bildung eine persönliche Vorliebe für diesen Gottesdienst, welche zum Theil auf älteren Traditionen seiner Familie beruhen mochteVgl. den Gentilcult des Vejovis – Apollo bei den Juliern, oben S. 236. Einige erklärten den Namen der Cäsaren und die traditionelle Verehrung des Apollo von einer Geburt durch den Kaiserschnitt, s. Serv. V. A. VII, 761, X, 315., bei ihm und seinen Verehrern aber um so mehr Anklang fand, als die Erfahrungen seines Lebens und seine persönliche Erscheinung in mancher Hinsicht einen besondern Schutz des lichten Gottes zu bestätigen schienen. Schön und jung trat er in das durch Cäsars Ermordung von neuem aufgeregte Römerreich als Ordner und Friedensstifter, und als nun vollends der unter den Augen des Aktischen Apollo gewonnene Seesieg über Antonius und Kleopatra seine Alleinherrschaft entschieden hatteVgl. Virgil Aen. VIII, 704 in der poetischen Beschreibung der Schlacht bei Actium: Actius haec cernens arcum intendebat Apollo desuper etc. und Propert. IV, 6, 29 cum Phoebus – astitit Augusti puppim super et nova flamma luxit in obliquam ter sinuata facem., nahmen sowohl die mythologischen Huldigungen der Dichter als Augusts wohlberechnete Stiftungen zu Ehren seines Sehutzgottes einen immer kühneren Anlauf. Die Dichter combinirten die alte Weissagung von der Herrschaft der Aeneaden mit dem Bilde des troischen Apollo, wie ihn die Ilias und die troische Sage schilderte, als den mächtigen Schutzgott des alten Troja, der Aeneas gerettet, Achill getödtet und seinen Schutz nun auf Rom, das neu erstandene Troja, und auf seinen Liebling Augustus übertragen habeHorat. Od. IV, 6 ad Apollinem, ein prooemium des carmen seculare, wo dieses geflissentlich hervorgehoben wird. Achill würde Troja zerstört haben, ni tuis victus Venerisque gratae vocibus Divom Pater annuisset rebus Aeneae potiore ductos alite muros, ganz im Sinne der griechischen Sage, s. m. Griech. Mythol. 2, 308. Bei Virgil Aen. VI, 69 ff. erscheint sogar die Erbauung des T. des Palatinischen Apoll wie die Lösung eines Gelübdes des Aeneas, vgl. Serv. zu v. 69.. Die Schmeichler gingen einen Schritt weiter und behaupteten gradezu, daß Apollo der wahre Vater des August sei, welcher seinerseits gerne auf solche Fictionen einging, indem er sich bald in Apollinischer Haltung und mit Apollinischen Attributen darstellen ließ, bald wohl gar selbst als Apollo auftratSueton Octav. 70, vgl. Serv. V. Ecl. IV, 10 tangit Augustum, cui simulacrum factum est cum Apollinis cunctis insignibus. Coram. Cruq. Hor. Ep. 1, 13, 17 Palatinus Apollo dictus est a monte Palatino, ubi Caesar in bibliotheca sibi statuam posuerat habitu ac statu Apollinis.. Dazu 274 kam die Verherrlichung des Apoll durch die Stiftung neuer Tempel, Tempelbilder und Spiele, sowohl zu Ehren des Aktischen Apollo, welchem gleich nach jenem am 2. Septbr. des J. 31 v. Chr. gewonnenen Siege die Aktien, ein nach griechischer Weise mit musischen und gymnischen Spielen und mit Wettrennen alle vier Jahre zu begehendes Kampfspiel gestiftet und der Tempel erweitert und mit den Spolien der Schlacht umgeben wurde, als zu Ehren seines speciellen Schutzgottes d. h. des Palatinischen Apollo, welcher seit August zu den angesehensten Göttern in Rom gehörte. Schon vor der Schlacht bei Actium hatte August, als er sich auf dem Palatium ein Haus baute und der Blitz in dasselbe einschlug, den Platz zu einem Tempel des Apollo bestimmt, welcher nun vollends nach dieser Schlacht, unter dem Eindrucke so außerordentlicher Ereignisse mit der größten Pracht und allen Hülfsmitteln der damaligen Kunst ausgeführt wurdeVellei. Pat. II, 81, Sueton Octav. 29, Dio XLIX, 15, vgl. Becker Handb. I, 425. Im J. 28 wurde er eingeweiht, wie es scheint am Jahrestage der Schlacht bei Actium, da gleichzeitig die Feier der Actischen Spiele in Rom eingesetzt wurde, s. Dio LIII, 1, daher auch Propert. IV, 6 in dem Gedichte vom Palatinischen Apoll zugleich von der Schlacht bei Actium singt. Die vierte Feier dieser römischen Aktien erwähnt Dio LIV, 19, eine spätere LIX, 20, Stat. Silv. II, 2, 8, Or. n. 2633 u. A.. In den Umgebungen des Tempels sah man die Bilder der Danaiden und der Aegyptiaden, welche vermuthlich gleichfalls an die Niederlage Aegyptens erinnern sollten, in dem Tempel die Statue des Apollo zwischen Latona und Diana, welche letztere den Namen Victrix führte, da Augustus ihr einen ähnlichen Antheil an dem Siege über S. Pompejus zuschriebEckhel D. N. VI p. 93 sq. Ueber die Ausstattung des Tempels s. O. Müller Handb. der Arch. § 125, 4, 361, 4, O. Jahn Archäol. Aufs. S. 22 ff. Da der Tempel nach dem Neronischen Brande von Domitian neu erbaut oder restaurirt wurde (Tacit. Ann. XV, 39, Martial XII, 3, 9) und unter Commodus ein neuer Brand den kaiserlichen Palast verheerte (Dio LXXII, 24), wird auch die Tempelstatue später nicht mehr dieselbe gewesen sein; und wirklich ist auf den Münzen des Commodus das Bild des Palatinischen Apoll ein andres als auf den früheren. Um so schwieriger ist es den Beinamen Ap. Rhamnusius zu erklären, der nur aus den Regionen bekannt ist, s. m. Reg. S. 182. wie dem Apoll an dem über Antonius und Kleopatra: lauter Werke berühmter griechischer Meister, denen sich ähnliche Kunstschätze in der benachbarten Bibliothek anschlossen. Ferner wurden seit dem J. 12 v. Chr., nachdem auch das Pontificat an Augustus übergegangen war, die sibyllinischen Sprüche nicht mehr auf dem Capitol, sondern in diesem Tempel des Palatinischen Apollo aufbewahrt, nachdem 275 August nochmals eine strenge Sichtung derselben vorgenommen und eine große Menge verdächtiger Sprüche, die sich immer von neuem einschlichen, hatte verbrennen lassenSueton Octav. 31, vgl. Dio LIV, 17 und die Anspielungen bei Virgil Aen. VI, 69 ff. mit Servius zu vs. 72, so wie die epikritischen Maaßregeln Tibers bei Tacit. Ann. VI, 12 und Dio LVII, 18.. Die natürliche Folge dieser Einrichtung war, daß auch die Quindecimvirn von nun an speciell die Diener des Palatinischen Apollo wurden, wie dieses besonders in einem Gedichte des Tibull (II, 5) ausgesprochen ist, mit welchem er den ältesten Sohn seines Gönners Messala bei seiner Aufnahme in das Collegium der Quindecimvirn begrüßte. Mithin war dieser Apollo zugleich der Gott des Heiles und des Sieges, wie der alte römische und der Aktische Apollo, und der der Weissagung und der musischen Künste, in welchem Sinne der Tempel und die Tempelstatue ausgestattet waren; vorzugsweise aber doch auch er wieder der alte Heilsgott, worin zugleich der wahre Grund des hervorragenden Antheils zu suchen ist, den Augustus dem Palatinischen Apollo an den von ihm im J. 17 v. Chr. neu eingerichteten Secularspielen einräumte. Hatten diese Spiele nehmlich früher nur den Göttern der Unterwelt gegolten, so verschmolz zuerst Augustus mit diesem Culte den der himmlischen Götter, namentlich des alten Capitolinischen Jupiter und des neuen Palatinischen Apollo, offenbar weil diese beiden Götter unter den himmlischen die vornehmsten Heilsgötter waren und die Ideen jenes Festes damals und früher vornehmlich die der Heilung und Sühnung aller alter Schäden gegenüber einer neuen Zukunft waren. Auch werden solche Vorstellungen deutlich in dem bekannten Secular-Gedichte des Horaz ausgesprochen, welches durch dieselben Secularspiele des August veranlaßt und zum Vortrage im Tempel des Palatinischen Apollo am dritten Tage des ganzen Festes bestimmt warHorat. carm. sec. 37 ff. und 61 ff., Od. 1, 21, 13 hic bellum lacrimosum, hic miseram famem pestemque a populo et principe Caesarem Persas atque Britannos vestra motus aget prece. Vgl. Zosimus II, 1 συντελεῖ δὲ πρὸς λοιμῶν καὶ φϑορῶν καὶ νόσων ἀκέσεις und 4, wo es von August heißt, er habe das Fest aus denselben Gründen erneuert. Anders erklärt den Zusammenhang K. F. Hermann de loco Apollinis in carmine Horatii seculari, Gott. 1843..

Neben dieser neuen Stiftung blieb aber auch jener alte Dienst des Apollo vor der porta Carmentalis immer sehr angesehn; ja es scheint daß dieser alte Tempel zur Zeit des August von C. Sosius, welcher unter Antonius Befehlshaber in Syrien 276 und Cilicien war, kunstvoller ausgebaut und bei der Gelegenheit mit einem neuen, von Seleucia nach Rom geführten Bilde des Apoll von Cedernholz und jener berühmten Gruppe der Niobiden ausgestattet wurde, um derentwillen Sosius und sein Tempel seitdem so oft genannt istPlin. H. N. XIII, 5, 11, XXXVI, 5, 28, wenn dieser Tempel wirklich mit jenem alten identisch ist. Es könnte auch ein kleinerer Tempel in der Nähe des größeren gewesen sein, vorzüglich zur Aufnahme jener seltnen Kunstwerke bestimmt.. Auch die Apollinarischen Spiele wurden fortgesetzt gefeiert, sowohl die circensischen als die scenischenVon einer Feier des Agrippa, als er Prätor war, s. Dio XLVIII, 20, von einer Feier der circenses Apollinares unter Antoninus Pius, bei welcher der Circus einstürzte, Catal. Imper. p. 647, Iul. Capitol. Antonin. P. 9. Auf scenische Apollinares scheint sich die Terracotta bei D'Agincourt Rec. de fragm. de sculpt. en terre cuite, P. 1814 Titelv. zu beziehn, vgl. O. Jahn Archäol. Beitr. S. 209.. Daneben beweisen manche hin und wieder erwähnte Bilder und Heiligthümer des ApollDer Ap. Sandaliarius und Tortor d. i. der Schinder des Marsyas gehörten zu den von August und Agrippa an den Kreuzwegen und Wasserbassins aufgestellten Kunstwerken, s. Sueton Octav. 57 und 70. Andre Bilder befanden sich hin und wieder in den Tempeln und Hallen, darunter Apollo und die neun Musen in einem eignen T. bei der Halle der Octavia oder jenem alten Tempel s. Plin. XXXVI, 5, 34, Iuvenal. VII, 37, Martial. XII, 3, 9. Ein Apollo Monetae wird genannt auf Münzen des Commodus, eine area Apollinis bei den Regionariern. Der Heilgott Apollo, Salutaris, Conservator etc. wird auf den Münzen des Caracalla und der späteren Kaiser oft genannt und scheint mit dem älteren Palatinus identisch zu sein, daher bisweilen neben ihm die Diana Victrix erscheint, s. Eckhel D. N. VII p. 212. 357. 372. 383. 395., daß dieser Gott vollends seit August zu den beliebtesten in Rom gehörte und sowohl den Sinn für Kunst und Bildung vielfach anregte als in schlimmen Zeiten die beängstigten Gewissen zu trösten wußte. Erst das zunehmende Gewicht des orientalischen Sonnendienstes und die mit der Zeit immer rücksichtsloser durchgeführte Tendenz, die individuellen Bilder und Gestalten der Götter in die Abstraction allgemeiner Weltmächte aufzulösen, scheint den griechischen Apollo allmälich in den Hintergrund gedrängt zu haben. Am längsten dauerte das Ansehn des Palatinischen Apoll und der sibyllinischen Sprüche, welche noch zur Zeit des Aurelian mit eifrigem Glauben befragt und unter Julian bei einem Brande des Tempels mit großer Mühe gerettet wurden, bis sie endlich in der Zeit, da Rom von den Gothen und andern Barbaren bedrängt war, in solchem Grade eine Quelle des Aberglaubens und 277 schädlicher Aufregung wurden, daß Stilicho sie verbrennen ließVopisc. Aurel. 18, 19, Ammian. Marc. XXIII, 3, Claudian bell. Got. 228, Rutil. Namat. II, 52 p. 215 ed. Zumpt.. Noch ist zu bemerken daß in den sinkenden Zeiten manche Götter der nördlichen Völker, vorzüglich der Celten, mit dem Namen Apollo genannt werden, welche auf eine weite Ausbreitung des Sonnendienstes auch in diesen Gegenden schließen lassen, namentlich Apollo Grannus und BelenusBelis heißt er bei Herodian VIII, 3 als ein Hauptgott der Gegend von Aquileia, sonst Belenus oder Belinus, s. Tertull. Apolog. 24, ad Nat. II, 28, nach welchem er überhaupt in Noricis verehrt wurde, vgl. J. Grimm D. M. 579 und oben S. 240. Ap. Grannus, oft erwähnt in rheinischen und elsässischen Inschriften, ist Grannaur d. h. der Schöngelockte, s. Martin rel. des Gaulois chap. 21 sqq. und Creuzer Deutsche Schr. z. Archäol. 2, 120. 456..


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