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Carna oder Cardea
denn beide Namen kommen neben einander vor, obwohl die Göttin eine und dieselbe zu sein scheint. Einige Schriftsteller beschreiben sie als eine Göttin welche Herz und Eingeweide stärke, Andre nennen sie Cardea und eine Göttin der Thürangeln, 603 die sie mit den gleichartigen männlichen Gottheiten, dem Forculus und Limentinus zusammenstellenMacrob. S. I, 12, 31, vgl. Tertull. de Idolol. 15, de Corona 13, ad Nat. II, 15, Scorp. 10, Augustin C. D. IV, 8, VI, 7. In allen diesen Stellen ist Cardea wohl die beste Lesart.. Die Auflösung dieses Widerspruchs giebt Ovid F. VI, 101 ff. welcher auf Veranlassung ihres Festes an den Kalenden des Juni folgendes Mährchen erzählt. Am Tiber lag ein alter Hain des Helernus, wo die Pontifices regelmäßige Opfer brachten. Daher stamme die Nymphe, welche eigentlich Cranae geheißen habe, aber durch Janus zur Carna d. h. zur Schutzgöttin aller Angeln und alles Aus- und Eingangs geworden sei. Als Nymphe sei sie keusch und rüstig gewesen wie Diana; sprach ein Jüngling ihr von Liebe, so schickte sie ihn mit dem Verbote sich umzusehen ins Gebüsch und entwich hinterrücks. Auch dem liebenden Janus dachte sie so zu entkommen; aber dieser mit seinem Doppelgesichte war nicht zu hintergehn. So gewann er sie, gab ihr das Schutzrecht über alle Thürangeln (das ius cardinis) und dazu einen Weißdorn (spinam albam), um damit allen bösen Schaden von den Thüren abzuwenden, vor allem die gräulichen Strigen, welche in der Nacht kommen und den Kindern das Blut aussaugen. Das sind garstige Flügelgestalten mit großem Kopf, starrenden Augen, dem Schnabel eines Raubvogels, aschgrauem Gefieder und scharfen Krallen. Wenn die Amme nicht aufpaßt, schlüpfen sie bei Nacht ein, nehmen das Kind aus der Wiege und sättigen sich mit seinem Blute. Strigen heißen sie von stridere, στρίζειν, weil sie in der Nacht unheimlich schwirren; wie sie entstanden weiß man nicht, ob sie ein eignes Vogelgeschlecht sind oder ob böser Zauber alte Weiber nach ihrem Tode in solche Vögel verwandeln kann. So drangen sie auch in die Kammer des latinischen Königskindes Proca, welches fünf Tage alt beinahe ihre Beute geworden wäre. Sie sogen von seinem Herzblute, vergebens wimmerte das Kind nach Hülfe. Die Amme eilt herbei und sieht die Spur der Krallen an der zarten Wange; schon hatte das Kind eine Farbe wie das welke Laub der Bäume. Da nimmt sie ihre Zuflucht zur Carna, welche gleich an die Wiege des kleinen Prinzen tritt, die Eltern tröstet und ihrer Noth hilft. Zuerst berührt sie die Pfosten und die Schwelle dreimal mit dem Laube des Erdbeerbaumes (arbutus), dann besprengt sie den Eingang mit Wasser und nimmt die Eingeweide eines Spanferkelchens in ihre Hand. Nun spricht sie den Segen: 604 Schont ihr nächtlichen Vögel der Eingeweide des Kindes, das zarte Thier gelte für den zarten Knaben, Herz für Herz, Eingeweide für Eingeweide, Seele für Seele. Dann legt sie die Stücke ins Freie, Niemand darf sich nach ihnen umblicken. Endlich legt sie die Janusruthe von Weißdorn ins Fensterloch und nun kann keine Strige mehr hinein und das Kind bekommt schnell seine Farbe wieder. Warum man an dem Festtage der Carna, den Kalenden des Juni, Speck und Bohnen esse und der Göttin davon darbringe? Weil man diese Speisen für besonders nahrhaft hieltMacrob. I, 12, 33 cui pulte fabacia et larido sacrificatur, quod his maxime rebus vires corporis roborentur. Vgl. Ovid F. VI, 181, Plin. H. N. XVIII, 12, 30.; vollends wer sie an dem ersten Juni genieße, welcher Tag deshalb Kalendae fabariae hieß, der könne das ganze Jahr hindurch auf gesunde Eingeweide rechnen. Also das derbe Mahl, das nur der gesunde Magen verträgt, zu Ehren der Göttin, die Fleisch und Blut segnet und behütet. Eine Göttin die der Strenia und Juventas verwandt ist, deren Ovid F. VI, 65 gleichfalls zu den Kalenden des Juni gedenkt, auch der Juno, der eigentlichen Schutzgöttin aller Wochenstuben, welcher diese Kalenden vor den übrigen heilig waren. Weil Carna die Wochenstube an Thür und Fenster behütet daß kein Spuk eindringe, hielt man sie für eine Göttin des Ein- und Ausgangs, weil sie sich auf geheimnißvolle Künste versteht, liebt sie den Versteck. Auf dem Caelius hatte sie ein eignes Heiligthum, angeblich hatte es Iunius Brutus gleich nach Vertreibung des Tyrannen gestiftet, wobei wieder die Kalenden des Juni im Spiele sind, aber auch der Doppelsinn des Wortes cor. Nehmlich man betete zu ihr um Segen für Herz und Nieren und alle EingeweideUt iecinora et corda quaeque sunt intrinsecus viscera salva conservet. Vgl. Lucret. VI, 1150 morbida vis in cor moestum confluxerat aegris. Horat. S. II, 3, 29 in cor traiecto lateris miseri capitisve dolore. Vgl. v. 161 non est cardiacus d. h. der an einem schwachen Magen leidet. Manche leiteten den Namen Cardea ab von cor., wo das Wort cor (καρδία) eigentlich den Magen bedeutete, das zur Gesundheit des ganzen Menschen so wesentliche Organ, wie dieses der römischen Plebs von dem klugen Menenius Agrippa mit so gutem Erfolge zu Gemüthe geführt wurde. Andre nahmen cor für den Verstand und so entstand die Legende, daß Brutus der Urheber dieses Dienstes seiMacrob. l. c. quia cordis beneficio, cuius dissimulatione brutus habebatur, idoneus emendationi publici status exstitit, hanc deam quae vitalibus praeest templo sacravit. Vgl. Cic. Tusc. I, 6, 18 Aliis cor ipsum animus videtur, ex quo excordes, vecordes concordesque dicuntur et Nasica ille prudens – Corculum et egregie cordatus homo etc. Lucret. V, 1105 ingenio qui praestabant et corde vigebant. Petron. 75 Corculum est quod homines facit, cetera quisquilia omnia. Das fanum Carnae erwähnt auch Tertull. ad Nat. II, 9.. Die Strigen haben den 605 Aberglauben der alten Griechen und Italiener auch sonst viel beschäftigt. Sie fressen Herz und Eingeweide verstorbner Kinder, indem sie dafür Stroh einstopfen, zehren das Mark der Lebendigen und rauschen durch die Luft wie unsre HexenVgl. Plaut. Pseudol. III, 2, 31, Petron. 63 und 134, Fest. p. 314 Stri[gem, ut ait Verri]us Graeci στρίγγα ap[pellant], quod maleficis mulieribus nomen inditum est, quas volaticas etiam vocant. Itaque solent his verbis eas veluti avertere Graeci: Στρίγγ’ ἀποπέμπειν νυκτιβόαν, τὰν στρίγγ’ ἀπὸ λαῶν, Ὄρνιν ἀνωνύμιον, στρίγγ’ ὠκυπόρους ἐπὶ νῆας, wie M. Haupt diese Verse hergestellt hat, ἐπὶ νῆας d. h. fort mit ihnen ins Meer, in den Ocean. Vgl. Isidor XI, 4, 2, XII, 7, 42, Gloss. Labb. Striga λαιστρύγων καὶ γυνὴ φαρμακίς und den verwandten Aberglauben bei Grimm D. M. 992. 1035.. Der Weißdorn und der Hartriegel (cornus d. i. κράνεια, daher der Name Cranae) lieferte auch die Hochzeitsfackel (S. 583), der Hartriegel wegen seiner Härte, weswegen man ihn auch zu Lanzenschäften, vermuthlich auch zu Thürangeln verwendete, welche bei den Alten als Zapfen oben und unten am Thürflügel angebracht und in die obere und untere Schwelle eingelassen wurden. Dem Weißdorn (ῥάμνος) wurde auch in Asien und Griechenland eine Gegenwirkung gegen dämonische Einflüsse zugeschrieben, daher man ihn bei Geburten und Leichenbegängnissen draußen an der Thür anheftete oder davon vor der Thür verbrannte oder sich und die Häuser mit einer daraus gewonnenen Salbe bestrichHesych. u. Phot. v. ῥάμνος. Vgl. Diog. L. IV, 57 und andre Stellen bei Bötticher Baumcultus S. 360.. Lauter Vorstellungen und Hülfsmittel des populären Aberglaubens, welcher sowohl in Griechenland als in Italien außerordentlich erfinderisch war und wie die Geschichte des Mährchens bei den Alten einer eingehenderen Beobachtung würdig wäre. In andern Fällen half man sich mit der einfachen Personification des gefürchteten Uebels, z. B. der