Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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8. Die Ursprünge Roms.

Auch die römische Sage ist kein Product der Dichtung, sondern der Stadtchronik, ein Gewebe griechischer und römischer Sagenschreiber, von denen die letzteren sich meist durch die ersteren bestimmen ließen. Doch liegen alte Thatsachen des römischen Cultus und der römischen Geschichte zu Grunde, und diese sind es welche der Erzählung trotz ihrer Mißverständnisse und Entstellungen ein nicht geringes Interesse verleihen.

Diese mit der älteren römischen Litteratur entstandne, später in einzelnen Zügen immer weiter ausgeführte Stadtchronik begann mit Janus und Saturnus, den Königen des Anfangs, von denen jener das Janiculum dieser das Capitol bewohnt habe (S. 162. 410). Darauf folgte die erste Palatinische Ansiedlung durch Evander mit seiner Mutter Carmenta und seinem Sohne Pallas, welchem Virgil ein so schönes Andenken gestiftet hat: bei welchen Fabeln schon jene alten Heiligthümer an und auf dem Palatium im Spiele sind, welche die römische Stadtsage in so verschiedenen Zügen beschäftigten, der Dienst des Faunus (S. 342) und des oder der Pales (S. 364) so wie der der nahe verwandten Carmenta (S. 357). Zum Evander kommt Hercules, der den bösen Cacus erschlägt und seinen Dienst an der Ara Maxima stiftet (S. 648), bei welcher Fabel wieder die Erzählung von den Argeern anknüpft, welche in diesem Zusammenhange zu Argivern d. h. in Rom gebliebenen Begleitern des Hercules wurden (S. 515). Das ganze Gewebe macht sehr bestimmt den Eindruck einer griechischen Composition. So weit Vermuthung statthaft ist, möchte ich die Quelle in einer Cumanischen Chronik suchen, da namentlich die Gruppe Evander-Cacus und Hercules auf eine solche zurückweist (S. 643). Auch ist es sehr bemerkenswerth daß Evander nicht blos in der römischen Stadtsage, sondern auch in der von Tibur und Praeneste genannt wurde, endlich daß er in der gewöhnlichen Tradition für den Erfinder des latinischen Alphabets galt, welches das griechische und höchst wahrscheinlich Cumanischen Ursprungs warDionys IV, 26, Plin. H. N. VII, 58, Tacit. Ann. XI, 14, vgl. Mommsen Unterital. Dial. S. 26 ff. 39. Bei den Dichtern galt Evander für einen Verwandten der Atriden, Virg. A. VIII, 130 Serv. Ganz im Stil der Mirabilien ist die Erzählung bei Serv. A. VIII, 345..

Auf diese Vorgeschichte folgte die Erzählung von der 695 Gründung Roms d. h. der Palatinischen Altstadt, für deren Gründer Romulus galt. Offenbar liegen dabei wieder alte Culte und Cultuserinnerungen zu Grunde, namentlich die des Palatinischen Mars, dessen Salier die Zwillinge zuerst in ihren Liedern gefeiert haben mögen, des Faunus und der Fauna, welche in dieser Fabel als Faustulus und Acca Larentia oder Lupa und Luperca auftreten (S. 342, 785. 423), endlich des Ruminus und der Rumina und die des Ruminalischen Feigenbaums, unter welchem die Wölfin mit den Zwillingen, wie sie fort und fort der kurzgefaßte Inbegriff der Geschichte vom Ursprunge Roms geblieben ist, so auch höchst wahrscheinlich das älteste Symbol derselben und die erste Veranlassung zur erzählenden Ausführung warS. oben S. 369 und Schwegler R. G. I, 419 ff.. Jedenfalls ist die Idee der Zwillinge eine sehr alte, da der Palatinische Hügel in dieser Gegend deswegen den Namen Germalus führteVarro l. l. V, 54 Germalus a germanis Romulo et Remo, quod ad ficum Ruminalem ibi inventi, quo aqua hiberna Tiberis eos detulerat in alveolo expositos. und dieselbe Idee sich in den Sagen andrer latinischer Städte wiederholt, namentlich in der von Praeneste und TiburVirg. Aen. VII, 670 Tum gemini fratres Tiburtia moenia linquunt. Vgl. oben S. 518 und Serv. V. A. VII, 678 von Praeneste: Ibi erant Pontifices et Dii Indigetes, sicut etiam Romae. Erant etiam duo fratres qui Divi appellabantur etc. (S. 693). Ein alter Beiname des Zwillings Romulus war Altellus s. Paul. p. 7, doch wohl von alter.. Auch die öffentlichen Laren Roms wurden durch die ganze Stadt als Brüderpaar dargestellt (S. 493), und so mögen denn auch Romulus und Remus in der ältesten Auffassung nichts weiter als die Laren oder Indigeten der Palatinischen Altstadt gewesen sein, welche sich mit der Zeit zu den zwölf Laren der Stadtflur d. h. der Arvalischen Brüder erweiterten. Eben so alt war aber auch der Name Roma d. i. die heilige Ursprungsstätte der Romani oder vielmehr der Ramnes, wie sich die Angehörigen der Palatinischen Stammtribus nanntenRamneis und Romaneis scheint dasselbe Wort zu sein, s. Fröhner im Philol. X (1855) S. 552 ff. Die Griechen nennen die Zwillinge gewöhnlich Ῥωμύλος und Ῥῶμος.. Daher die Namen Romulus und Romus oder Remus für die beiden Zwillinge, zunächst die von der Wölfin unter dem Ruminalischen Feigenbaum gesäugtenPlut. Rom. 6 κληϑῆναι δὲ καὶ τούτους ἀπὸ τῆς ϑηλῆς ἱστοροῦσι Ῥωμύλον καὶ Ῥῶμον, ὅτι ϑηλάζοντες ὤφϑησαν τὸ ϑηρίον., wobei zu bemerken daß auch der Tiber in den heiligen Urkunden der Römer den Beinamen Rumon d. i. vermuthlich des Nährenden 696 führte (S. 512), ferner daß es in der Nähe von Rom einen Ort Remona oder Remuria und einen Remurinus ager, im Lande der Hirpiner eine Stadt Romulea gabPaul. p. 276 vgl. Müller Fest. p. 402 und über die Stadt Romulea Liv. X, 17, Steph. B. v. Ῥωμυλία.. Der Tiber mit seinen Ueberschwemmungen, die Höhle des Faunus in Lupercal, die Wölfin als das geweihte Thier des Mars oder der Fauna, der heilige Specht und der Kibitz, dieser als Symbol der Vesta, boten den nächsten Anlaß zur Belebung und bildlichen Ausführung der Scene d. h. der Geschichte der beiden Zwillinge, welche für den ältesten Theil und den Kern der ganzen Erzählung von Romulus und Remus gelten darf. Eine Familienmünze der Pompeia, auf welcher Fostlus d. i. Faustulus, der Ruminalische Feigenbaum mit jenen Vögeln, die Wölfin mit den säugenden Zwillingen abgebildet sind, ist für uns das älteste authentische Denkmal des VorgangsDie eherne Wölfin auf dem Capitol ist wahrscheinlich dieselbe, welche im J. 458 d. St. von den Aedilen Cn. und Qu. Ogulnius beim Ruminalischen Feigenbaum aufgestellt wurde, s. Liv. X, 23, Dionys I, 79, Becker Handb. I S. 291 ff., Urlichs de lupa aenea Capitolina, Rh. Mus. N. F. IV (1846) S. 519 ff. Gewöhnlich wurde die Wölfin mit den Zwillingen im Lupercal gedacht, wie Virg. Aen. VIII, 630 ff. den Vorgang schildert und wie sie auf den späteren Kaisermünzen so oft als Bild der ewigen Stadt und ihres Ursprungs zu sehen ist..

Eine neue Erweiterung erfolgte sobald man für die Zwillinge eine Mutter suchte, bei welchem Punkte die Combinationen der Griechen und die der Römer bedeutend von einander abwichen. Die Griechen gingen mit ihrer Heroine Roma oder dem Eponymos Romus oder Romulus entweder einfach auf die gegebenen Ahnherrn der italischen Genealogie zurück, Ulysses oder Aeneas oder Latinus u. s. w., oder sie nannten Roma eine edle Dame aus Troja, welche mit dem Aeneas in diese Gegend verschlagen vom Aboriginerkönige Latinus die Zwillinge geboren habeFest. p. 266 Romam, Dionys. I, 72 ff., Plut. Rom. 2.. In der römischen Sage dagegen treten gewisse alte Thatsachen des nationalen Glaubens und der latinischen Geschichte deutlich genug hervor. Immer ist der Albanische Mars der Vater und eine Albanische Vestalin die Mutter, weil man sich des Ursprungs von Alba deutlich bewußt war und weil Mars der nationale Befruchtungsgott, Vesta die allgemein verehrte Göttin des Gemeindeverbandes war. Grade so galt bei den Sabinern der Gründer von Cures für einen Sohn des Quirinus und einer 697 geweihten Jungfrau, während die Abstammung des Pränestinischen Caeculus vom Vulcan, die des Servius von dem Feuergotte des Heerdes schon bestimmter an Vesta erinnert, Amata aber als Königin von Lavinium, die Mutter der Lavinia, durch jenen Namen sogar ausdrücklich als Dienerin der Vesta bezeichnet wird. Der Name jener Albanischen Vestalin ist in der gewöhnlichen Ueberlieferung Rhea oder Rea Silvia, in der gräcisirenden Ilia. Von jenen ist Silvia der Gentilname, Rea aber, woraus vermuthlich die gräcisirende Schreibart Rhea erst später entstanden ist, bedeutet entweder die Angeklagte oder voti rea d. h. die Geweihte, den Göttern VerlobteVirg. Aen. V, 237 voti reus, vgl. Macrob. S. I, 12, 31 und III, 2, 6 oben S. 118, 172. Niebuhr R. G. I, 222 erklärt Rea für die Angeklagte, Schwegler I, 426 ff. Rhea Silvia für die Idäische Rhea (ἴδη = silva), was doch auf ein zu junges Datum führen würde., mit einem Worte die Vestalische Jungfrau aus dem königlichen Geschlechte der Silvier. Bei den älteren Dichtern Naevius und Ennius ist Ilia noch die Tochter des Aeneas, also Romulus dessen EnkelServ. V. A. I, 273 Naevius et Ennius Aeneae ex filia nepotem Romulum conditorem Urbis tradunt. VI, 778 Dicit namque (Ennius) Iliam fuisse filiam Aeneae. Eine Angabe welche für Ennius durch das Excerpt bei Cic. de Divin. I, 20, 40 bestätigt wird, wo eine Tochter des Aeneas und der Eurydice, welche in den Kyprien und bei Lesches für die Frau des Aeneas galt, von der Ilia als germana soror d. h. als Stiefschwester angeredet wird. Also war Ilia bei ihm die Tochter des Aeneas und der Lavinia. Dabei scheint Ennius aber auch schon von dem Albanischen Tyrannen Amulius gewußt zu haben, s. Porphyr. z. Horat. Od. I, 2, 18. Vgl. Dionys I, 73, wo er, nachdem er die griechischen Schriftsteller über das römische Alterthum verhört hat, von den römischen hinzusetzt, sie alle wären nicht alt, doch hätten sie häufig alte Quellen benutzt. τούτων δέ τινες μὲν Αἰνείου γενέσϑαι υἱοὺς λέγουσι Ῥωμύλον καὶ Ῥῶμον, τοὺς οἰκιστὰς τῆς Ῥώμης, ἕτεροι δὲ ϑυγατρὸς Αἰνείου παῖδας., so fremd war ihnen noch die chronologische Vorsicht der späteren Schriftsteller, welche die ganze Reihe der Albanischen Könige einschoben, um einen beruhigenden Zusammenhang der Zeitrechnung herzustellen. Dessenungeachtet ist die Beziehung auf Aeneas und Troja bei diesen verschiedenen Combinationen so sehr die Hauptsache, daß die latinische Aeneassage also damals in ihren Grundzügen schon fertig vorgelegen haben muß.

Ein andrer Maaßstab für die jüngere Entstehung der gewöhnlichen Geschichte vom Romulus ergiebt sich daraus daß Romulus, der Gründer der Palatinischen Roma, und Quirinus, der nationale Gott und Führer der Quirinalischen Sabiner, bei derselben aufgehört hatten verschiedene Personen zu sein, was 698 auf ein ziemlich junges Zeitalter führt (S. 330) d. h. auf dasselbe wo sich die gewöhnliche römische Stadtchronik überhaupt gebildet hat. So verdankt Romulus die Hersilia nur dieser Verwechslung mit QuirinusS. oben S. 328. Nach Einigen war Hostus Hostilius, der Bundesgenosse des Romulus und Großvater des Tullus Hostilius, der Gemahl der Hersilia, Dionys III, 1, Plut. Rom. 14. 18, Macrob. S. I, 6, 16. Tullus Hostilius soll in seiner Jugend wie Romulus unter den Hirten gelebt haben, Val. Max. III, 4, 1.. Noch deutlicher aber tritt diese Confusion in der Erzählung von seinem Ende und seiner Erhöhung zum Gott hervor, und hier gewinnen wir zugleich eine Andeutung über die wahre Quelle dieser und anderer Erweiterungen. Es ist keine andre als die gentile Tradition und Sagenfabrik der Albanischen Julier, dieselbe welcher wir auch in der Geschichte des Cults der Venus Genetrix und in der Aeneassage begegnet sind. Nicht ohne Grund heißt es nehmlich daß Romulus nach seiner Entrückung zuerst dem Proculus Iulius d. h. einem Edlen (vgl. procus, proceres) aus dem Geschlechte der Julier erschienen sei, und zwar auf dem Quirinale, mit der Forderung daß man ihm auf diesem Hügel als Quirinus einen Tempel erbauen solleCic. Rep. II, 10, 20, wo Proculus Iulius, hier ein homo agrestis, aussagt a se visum esse in eo colle Romulum, qui nunc Quirinalis vocatur. Eum sibi mandasse ut populum rogaret ut sibi in eo colle delubrum fieret; se Deum esse et Quirinum vocari. Dionys. II, 63 παρελϑών τις εἰς τὴν ἀγορὰν Ἰούλιος ὄνομα, τῶν ἀπ’ Ἀσκανίου γεωργικὸς ἀνήρ. Plut. Rom. 28 ἄνδρα τῶν πατρικίων γένει πρῶτον ἤϑει τε δοκιμώτατον αὐτῷ τε Ῥωμύλῳ πιστὸν καὶ συνήϑη, τῶν ἀπ’ Ἄλβης ἐποίκων Ἰούλιον Πρόκλον. Ovid F. II, 4 Proculus Longa veniebat Iulius Alba.. So sehr hatte man schon damals die alte und ursprüngliche Bedeutung dieses alten Heiligthums auf dem Quirinal vergessen, welches eben deshalb später von Augustus, dem Aeneaden und Julier, so eifrig und prächtig restaurirt wurde, wahrscheinlich am 29. Juni, welcher Tag seitdem gleichfalls ein Festtag des Quirinus warKal. Venus. 29. Juni: Quirino in Col(le), vgl. Becker Handb. I, 571, II, 2, 99. d. h. des Romulus Quirinus, keineswegs des alten Kriegsgottes der Sabiner von Cures und Reate.

Die vollständige Geschichte der Zwillinge, der Gründung Roms und der Regierung des Romulus bis zu seiner Verklärung, in welche noch viele andre sociale und historische Erinnerungen aus den ältesten Zeiten der Stadt verwebt wurden, hatte unter den Dichtern zuerst Ennius in seinen Annalen in hochpoetischer Ausführung vorgetragenIo. Vahlen Ennianae Poesis Reliq. p. 9 sqq. und p. XXVIII sq.. Unter den Annalisten erzählte schon 699 Fabius Pictor, wenn dieses der alte Annalist des Namens ist, nach der Probe bei Dionys. 1, 79 zu urtheilen, die Sage ganz im Geschmack eines griechischen Romans und in pragmatischer Breite. Die gewöhnliche Tradition ist bei Cicero, Ovid, Livius, Dionys, Plutarch u. A. zu findenSchwegler R. G. I, 384 ff.. Als Dienerin der Albanischen Vesta geht Rhea Silvia, die Tochter des frommen Numitor, um Wasser zu schöpfen an eine heilige Quelle im Haine des Mars. Ein Wolf, das Thier des Mars, scheucht sie in eine Höhle, wo dieser sie findetServ. V. A. I, 273 Haec, ut multi dicunt, cum peteret aquas ad sacra, repentino occursu lupi turbata refugit in speluncam, in qua a Marte compressa est., oder, wie Ovid und andere Dichter erzählen und verschiedene Kunstdenkmäler den Vorgang darstellen, an der Quelle in sanften Schlummer versunken wird sie von dem Gotte überraschtOvid F. III, 11 ff., Stat. Silv. I, 2, 242, wahrscheinlich nach Ennius. Vgl. die bildlichen Darstellungen bei Müller-Osterley Denkm. d. A. K. II, 23, 252–254 und L. Urlichs in den Jbb. d. V. v. Alterthumsfr. im Rheinl. I (1842) S. 44 ff.. Da wurden unter großen Zeichen und Wundern die Zwillinge empfangen, welche die Stadt der Zukunft gründen solltenDionys. I, 77.. Als Ilia sie geboren, büßt sie ihr Glück mit dem Leben, da Amulius sie in den Tiber (nach Andern in den Anio) stürzen läßt, wo der Flußgott sie liebend aufnimmt und zu seiner Gattin erhöht. Auch die Kinder sollen in dem Flusse umkommen, daher man sie in einer Mulde an seinem Ufer aussetzt. Der überschwellende Strom treibt diese bis an den Fuß des Palatinischen Hügels, da wo der Ruminalische Feigenbaum stand und in der Nähe die heilige Höhle des Lupercus war. Aus dieser Höhle eilt die Wölfin herbei um die hülflosen Zwillinge zu stillen, während der Specht und der Kibitz sie schützend umschweben. Da findet sie Faustulus, der Aufseher der königlichen Heerden, welcher sie seinem Weibe, der Acca Larentia übergiebt. So wuchsen sie unter Heerden und Hirten heran, in solcher Schönheit und Kraft daß Alle sich ihnen willig fügten, wie davon besonders in alten Liedern gesungen wurdeS. oben S. 86, 111, Cic. d. Rep. II, 2, 4, Plut. Rom. 6.. Als Denkmäler dieser Jugend zeigte man auf dem Palatin eine Hütte des Faustulus und des Romulus. Nach Andern wurden sie zum höhern Unterrichte nach Gabii gethan, wobei die Erinnerung an eine alte Priesterschule und Auguraldisciplin in dieser Stadt, die 700 gleichfalls Albanische Colonie war, zu Grunde liegtS. oben S. 106. Vgl. Cic. de Divin. I, 48, 107 atque ille Romuli auguratus pastoralis, non urbanus fuit, nec fictus ad opiniones imperitorum, sed a certis (peritis?) acceptus et posteris traditus.. Dann erfolgt die Erkennung in Folge von Händeln zwischen den Hirten des Numitor und des Amulius, von welchen die letzteren den Remus in einem Hinterhalt oder bei der Lupercalienfeier fangen und nach Alba führen. Romulus befreit ihn und stürzt den Amulius, worauf Numitor den Jünglingen Land und Leute zur Gründung von Rom anweist.

Bei dieser sind die Auspicien und der Zwist der Brüder das Bedeutungsvolle. Daß Rom auspicato gegründet worden wird oft hervorgehoben und war im Sinne der römischen Auguraldisciplin, nach welcher jeder öffentliche Vorgang durch die Auspicien geheiligt und geweiht werden mußte, etwas UnerläßlichesSchwegler R. G. 1, 440. Der lituus Romuli wurde in der Curie der Palatinischen Salier auf dem Palatin gezeigt, s. oben S. 314, 696.. Der Zwist der Brüder und der Tod des einen war zunächst vielleicht nur die Folge ihrer älteren Zwillingsnatur, da die spätere Sage nur einen Ktisten für Rom brauchen konnte. Indessen hat sie von dieser Dichtung einen geschickten Gebrauch gemacht, da sie zugleich die lange Vernachlässigung des Aventin dadurch rechtfertigt und der Stadt auf dem Palatin eine um so größere Weihe verleiht. Der Aventin hat eine weit günstigere Lage als der Palatin, dicht am Strome und luftiger, auch leichter zu befestigen; man kann es sich kaum denken daß die Albanische Ansiedelung ohne dringende Veranlassung nicht ihn, sondern den Palatin zur Gründung einer Stadt erwählte; wie andrerseits Remus als Repräsentant des lange verschmähten, endlich der Plebs überlassenen Hügels eben dadurch mit der Zeit eine volksthümliche Bedeutung bekommen hatProp. II, 1, 23, IV, 1, 9, Pers. I, 71, Iuven. X, 73. Als die Stelle, wo Remus gestanden, wurde auf dem Aventin die Remoria oder Remuria gezeigt, s. Paul. p. 276, Becker S. 449. Einige dachten dabei an remores aves d. h. quae acturum aliquid remorari compellunt, Paul. p. 276. Vgl. den Ausdruck remoram facere b. Fest. p. 277 remeligines.. Genug die bekannte Erzählung ist die, daß gleich über den Ort der Gründung unter den Brüdern Streit und Parteiung ausgebrochen sei. Romulus mit seinem Anhange wählt den Palatin, Remus den Aventin. Die Götter d. h. die Auspicien sollen entscheiden, daher jeder sich auf den Gipfel seines Bergs begiebt und mit Gebeten und frommen Gebräuchen die Nacht hindurch bis zum 701 frühen Morgen der Zeichen harrt. Kaum erhob sich die SonneDieses hatte Ennius sehr schön beschrieben, der sich übrigens nicht geringe Abweichungen von der gewöhnlichen Tradition erlaubte, indem er den Romulus auf den Aventin stellte, s. die Verse des Ennius b. Cic. de Divin. I, 48, 107. Die zwölf Geier sind das augustum augurium Romuli, s. Ennius b. Varro r. r. III, 1, 2 Septingenti sunt paulo plus aut minus anni, Augusto augurio postquam inclita condita Roma est. Sueton Octav. 7., da erschienen dem Remus zuerst sechs, aber unmittelbar darauf dem Romulus zwölf Geier, so daß Remus nachgeben mußte, obwohl er bittern Groll im Herzen behielt. Er bewies es durch den höhnenden Sprung über die niedrige Mauer des Romulus, der ihn darauf zürnend erschlug: eine Allegorie der Heiligkeit und Unverletzlichkeit dieser Mauer, obwohl man es später für gerathen hielt, um den Brudermord zu beseitigen, den Reiterhauptmann Celer anstatt des Romulus zu nennen und diesen den Geist des erschlagenen Bruders durch die Stiftung der Lemurien versöhnen zu lassenS. oben S. 499. Caracalla berief sich nach dem Morde seines Bruders auf den Vorgang des Romulus, Herodian. IV, 5 αὐτὸς γοῦν ὁ τῆσδε τῆς πόλεως κτίστης Ῥωμύλος οὐκ ἤνεγκεν ἄδελφον ὑβρίσαντα μόνον ἐς τὰ ἐκείνου ἔργα.. Als Gründungstag des Palatinischen Rom wurden die Palilien am 21. April gefeiert (S. 366), als die Stätte, wo Romulus seine Gründung begonnen, die sogenannte Roma quadrata gezeigt, welche vermuthlich der Mundus dieser ältesten urbs gewesen warDafür halten sie Becker und Schwegler. Vgl. oben S. 456.. Sie lag in derselben Gegend, wo man auch die Hütten des Romulus und Faustulus zeigte, auf dem Germalus d. h. dem Zwillingshügel und in der Nähe jener andern Heiligthümer, welche man zum Belege der wunderbaren Geburt und Jugend der Zwillinge zeigteBecker Handb. I, S. 105 ff., meine Regionen S. 188 ff..

Einen bedeutenden Zuwachs an Bevölkerung soll die junge Stadt durch das sogenannte Asyl des Romulus inter duos lucos bekommen haben, von welcher Ueberlieferung der Kern in dem alten Culte des Vejovis nachgewiesen ist (S. 236). Darauf folgt die Feier der Consualien und der Raub der Sabinerinnen, in welchen Erzählungen sich wieder alte Cultusideen und alte Traditionen des ehelichen Jungfrauenraubs und des matronalen Lebens mit der historischen Thatsache einer sabinischen Ansiedlung auf dem Quirinal und einer Verbündung zwischen dieser und dem Palatinischen Rom verschmolzen habenS. oben S. 245. 302. 321. 328. 420. 584, Schwegler R. G. I, 460 ff.. Die dreißig 702 Sabinerinnen, denn nur so viele kannte die ältere Ueberlieferung, galten zugleich für die Stammmütter (Matres) des palatinisch-römischen Patriciats und für die schützenden Heroinen des patriarchalischen Institutes der dreißig Curien, die nach ihnen benannt sein sollenSchwegler S. 477, vgl. oben S. 248., bei welcher Auffassung wohl zu beachten ist daß bei vielen Völkern des Alterthums, auch in Griechenland und Kleinasien, die edlen Geschlechter sich nicht von Ahnherrn, sondern von Ahnfrauen ableiteten. Der als Gewaltthat aufgefaßte Raub motivirt dann weiter die ersten Kriege Roms d. h. den Triumph des Romulus über Caenina und seinen König Acron, bei welcher Gelegenheit der Dienst des Iup. Feretrius gestiftet wird (S. 177), und den Krieg mit den Sabinern unter T. Tatius, welcher mit ihrer Niederlassung auf dem Quirinal endigt. Da man sich aus sacralen Ueberlieferungen, namentlich denen der Augurn, verschiedener Stiftungen der Sabiner auf der Capitolinischen Burg erinnerte, die erst durch die Anlage des forum Traiani so entschieden wie es jetzt der Fall ist von dem Quirinal getrennt wurde, so ließ man diesen Krieg mit der Einnahme des Capitols durch die Sabiner beginnen. Dies ist die Sage von der Tarpeia, der Tochter des Capitolinischen Burgvogtes Spurius Tarpeius, durch deren Verrath sich die Sabiner der wichtigen Burg bemächtigen. Auch dabei lag ein örtlicher Cultus zu Grunde, der mit der Zeit unverständlich geworden war, denn es wird ausdrücklich überliefert daß Tarpeia auf dem nach ihr benannten Felsen, dem Saxum Tarpeium, von welchem die Verbrecher hinabgestürzt wurden, ein Grab hatte und von den Römern mit jährlichen Todtenopfern verehrt wurdeDionys. II, 40, Varro l. l. V, 41, Fest. p. 343 und 363, Plut. Rom. 17 u. A. Da Tarpeia als Vestalin und an der Quelle schöpfend gedacht wird, so mag sie ursprünglich Quellengöttin gewesen sein. Der Ort ihrer Verehrung als die Stätte, wo der Verrath bestraft wurde, und die Nähe der p. Pandana, welches Thor immer offen stand, bestimmten die weitre Entwicklung der Sage, die auch das spätere Rom immer viel beschäftigte, vgl. den Chronographen v. J. 354 p. 645, Niebuhr R. G. I, 255, 3, 360.. Vom Capitol herab stürmen die Sabiner gegen die Römer, deren Burg der Palatin ist, so daß die Niederung zwischen beiden Hügeln, das spätere Forum, das Schlachtfeld bildet. An der Spitze der Sabiner kämpft Metius Curtius, von welchem die Stadtsage den Namen des lacus Curtius auf dem Forum ableitete (S. 466), an der der Römer Hostus Hostilius, der kriegerische König aus der Fremde, dessen Enkel der spätere König Tullus Hostilius ist. In der 703 höchsten Bedrängniß des Kampfes gelobt Romulus den Tempel des Iup. Stator an dem gewöhnlichen Eingangsthore des Palatin von der Via Sacra, denn so weit waren die Sabiner vorgedrungen (S. 176). Endlich stürzen sich die geraubten Sabinerinnen zwischen die Kämpfenden, indem sie den friedlichen Bund vermitteln, der auf dem Comitium zwischen Romulus und T. Tatius abgeschlossen wird (S. 321). Die Römer bewohnten fortan den Palatin und Caelius, über welchen Hügel sich ihre Ansiedelung allmälich erweiterte, bis sich aus dieser unter dem Namen der Luceres eine neue Stammtribus, die jüngste der drei alten patricischen bildete, die Sabiner den Quirinal (S. 327) und das Capitol. T. Tatius wohnt als sabinischer Priesterkönig und Augur auf der Arx; auch die Sodales Titii, welche ein entferntes Andenken von ihm bewahrten, bezogen sich speciell auf das AuguralwesenVarro l. l. V, 85 Sodales Titii dicti ab Titiis avibus, quas in auguriis certis observare solent. Vgl. Tacit. Ann. I, 54 ut quondam T. Tatius retinendis Sabinorum sacris Sodales Titios instituerat. Vgl. S. 110. Auch in dem Gebrauche der Strenien (S. 160) und durch die Altäre b. Varro l. l. V, 74 (S. 59) hatte sich sein Andenken erhalten.. Die gewöhnliche Ueberlieferung schilderte ihn als einen TyrannenDer Vers des Ennius: O Tite tute Tati tibi tanta tiranne tulisti!, namentlich die von seinem Tode, bei welcher die Erinnerung an eine Feindschaft zwischen den Sabinern in Rom und dem latinischen Bunde, welchem Rom durch sie vermuthlich entfremdet wurde, deutlich durchblickt. Die Verwandten des Tatius plündern erst im Gebiete der Laurenter und erschlagen dann deren Gesandte, als sie in Rom Genugthuung fordern, deren sich auch der sabinische König weigert. Deshalb wird T. Tatius bald darauf bei dem latinischen Bundesopfer zu Lavinium, wohin er und Romulus sich als Repräsentanten Roms begeben, von den Latinern erschlagenLiv. I, 14, Dionys. II, 51. 52, Plut. Rom. 23. Anders Zonaras VII, 4 οἱ δὲ τῶν ἀνῃρημένων οἰκεῖοι μὴ τυγχάνοντες δίκης ἐν Ἀλβάνῳ ϑύοντα μετὰ Ῥωμύλου τὸν Τάτιον προσπεσόντες κτιννύουσι, wo aber auch gewiß ἐν Λαβινίῳ zu schreiben ist. Doch mag die Scene erst später von Alba nach Lavinium verlegt worden sein.. Romulus stiftet ihm in Rom, am Abhange des Aventin im sogenannten Lauretum, ein Grab und Denkmal, bei welchem man jährliche Todtenopfer brachteVarro l. l. V, 152, Fest. p. 360, Becker Handb. I, 450.. Ferner weiß die Ueberlieferung von jährlichen Sühnungsopfern »der Städte« am Ferentinischen ThorePlut. Rom. 24 καὶ καϑαρμοῖς ὁ Ῥωμύλος ἥγνισε τὰς πόλεις, οὓς ἔτι νῦν ἱστοροῦσιν ἐπὶ τῆς Φερεντίνης πύλης συντελεῖσϑαι. Am besten liest man πηγῆς für πύλης. Die Städte sind wohl die latinischen Bundesstädte., welches in Rom sonst 704 nie genannt wird, daher vermuthlich die Quelle der Ferentina, der bekannte Ort der latinischen Bundesversammlungen (S. 383) dafür zu setzen ist.

Was sonst noch von Romulus erzählt wird, der nun wieder eine geraume Zeit allein regiert haben soll, betrifft meistens die fundamentalen und elementaren Ordnungen der römischen Bürger- und Wehrverfassung, welche nicht hieher gehören. Außerdem ist viel von seinen Kriegen mit Fidenä und Veji die Rede, welche jedenfalls die bedenklichsten Feinde Roms waren und dieses bekanntlich bis zu den Zeiten des Camill beschäftigt haben. Endlich wendet sich die Sage zu seinem Ende und zur Verklärung als Romulus Quirinus. So alt der dabei zu Grunde liegende Cultus des Quirinus war, so sehr macht die Erzählung vom Tode des Romulus den Eindruck einer modernen Erfindung. Romulus hält eine Musterung des Volks im Marsfelde, da erhebt sich ein heftiges Ungewitter mit Sturm und Regen, Donner und Blitz, in welchem er verschwindet. Ennius hatte nach dem Vorbilde der griechischen Fabel von der Verklärung des Hercules eine förmliche Auffahrt zum Himmel daraus gemacht, indem Romulus durch den Wagen seines Vater Mars entführt wurdeEnnius b. Cic. de Rep. I, 41, 64, Ovid F. II, 491 ff, Lucan. Pharsal. 1, 197 rapti secreta Quirini, vgl. Liv. I, 16 und Dionys. II, 56 καὶ πεπιστεύκασιν ὑπὸ τοῦ πατρὸς τὸν ἄνδρα ἀνηρπάσϑαι.. Aber nur die Näherstehenden hatten das Wunder mit ihren Augen gesehen, darum erscheint Romulus dem Proculus Iulius in verklärter GestaltOvid F. II, 501 pulcher et humano maior trabeaque decorus. Plut. Rom. 28 καλὸς μὲν ὀφϑῆναι καὶ μέγας –, ὅπλοις δὲ λαμπροῖς καὶ φλέγουσι κεκοσμημένος. Vgl. oben S. 329., nennt sich Quirinus und fordert jenen Tempel und Gottesdienst auf dem Quirinal. Für den Tag der Verklärung hielt man den der s. g. Nonae Caprotinae d. h. die Nonen des Julius, wo sich immer viel Volks im Marsfelde versammelteDionys. II; 56, Plut. Rom. 27. 29. Vgl. oben S. 255.. Eine andre Tradition, die eines Rationalisten und eifrigen Republikaners, erzählte daß die Senatoren den greisen Romulus, der zuletzt auch zum Tyrann geworden sei, im Senate zerrissen und die blutenden Glieder heimlich bei Seite geschafft hätten. Später sei dem Volk das Mährchen von seiner Apotheose aufgebunden worden. 705


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