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Mit den Genien vergleicht Censorin recht passend die zahlreichen Schutz- und Lebensmächte, welche in den pontificalen Indigitamenten angerufen wurden, indem sie sich im Grunde nur dadurch von den gewöhnlichen Genien unterscheiden, daß diese ein für allemal denselben Menschen oder denselben Ort unter ihren Schutz genommen hatten, jene kleineren Götter oder 573 numina dagegen (S. 53) nur bei gewissen Veranlassungen des menschlichen Lebens als mitwirkende Mächte hervortreten. Sie haben insofern eine gewisse Aehnlichkeit mit den Engeln des populären Glaubens, welche gleichfalls nicht blos für persönliche Schutzengel galten, sondern auch für Gelegenheitsengel möchte ich sagen, d. h. für solche welche nur bei bestimmten Gelegenheiten als wirksam gedacht und als solche namentlich in einzelnen alten Grabschriften und Kinderliedern geschildert werdenVgl. die Grabschrift des Landgrafen Friedrich mit der gebissenen Wange auf dem Grabsteine in Reinhardsbrunn: Ich will heynt schlafen gehn, Zwölf Engel sollen mit mir gehn, Zween zu Häupten, Zween zur Seiten, Zween zun Füßen, Zween die mich decken, Zween die mich wecken, Zween die mich weisen, Zu dem himmlischen Paradeisen. Derselbe Spruch war als Kinderlied bekannt, s. Simrock. Deutsches Kinderbuch n. 167 und das andre n. 44 Fünf Engel haben gesungen, Fünf Engel kommen gesprungen, Der erste bläst das Feuer an, der andre stellt das Pfännel dran, Der dritt schütt das Süppchen nein, Der vierte thut brav Zucker hinein u. s. w. Noch näher liegt der Vergleich der begleitenden Dämonen des griechischen Göttercultes z. B. in dem der Demeter des Ἁδρεύς d. i. der Reisende, ἀπὸ τῆς καρπῶν ἁδρύνσεως Etym. M., der Γενετυλλίδες, des Τύχων, des Ὑμέναιος in dem der Aphrodite, Lob. Agl. p. 630 und 1234, des Ἄκρατος und andrer Satyrn und Nymphen in dem des Dionysos, der das menschliche Leben in den verschiedensten Thätigkeiten vor- und nachbildendeu Eroten und Psychen in der späteren griechischen Kunst.; wie denn wirklich schon die christlichen Kirchenväter diese hülfreichen Lebensmächte jener alterthümlichen Gebetsformeln mit unsern Engeln verglichen haben. Dennoch war dieser Glaube in Italien und Rom sehr alt, da er wesentlich auf dem Gottesdienste des Numa und den von ihm formulirten priesterlichen Gebeten beruhte, welche speciell als Anrufungen solcher Mächte Indigitamenta genannt wurden (S. 119). Ja man darf behaupten daß nur ein solcher mehr pantheistischer als polytheistischer Glaube, wie der der religiösen Gesetzgebung Numas zu Grunde liegende, im Stande war neben den wenigen Hauptgöttern des Himmels und der Erde, die er aufstellte, eine so große Schaar von dienenden Mächten zuzulassen, daher diese eben deshalb, sobald der griechische Polytheismus um sich griff, je länger desto mehr aus dem Gedächtniß des Volks und der Praxis des priesterlichen Gebets verloren gegangen sind. Sie erschienen übrigens in diesen Gebeten nicht allein, sondern zusammengestellt mit den Hauptgöttern des älteren römischen Glaubens, welche aber bei solchen Gelegenheiten gleichfalls nicht in ihrer vollen Geltung und gesammten Wirkung, sondern nur in der speciellen Beziehung auf den jedesmal vorliegenden einzelnen Fall einer 574 Geburt, einer Vermählung u. s. w. angerufen wurden: ein Beweis mehr daß die Indigitamenta nicht, wie man neuerdings gewöhnlich angenommen, priesterliche Verzeichnisse des ältesten Götterglaubens gewesen sind, sondern für gewisse Veranlassungen des Lebens bestimmte Gebets- und Anrufungsformeln. Es wäre sehr wichtig wenn diese Veranlassungen sich näher bestimmen ließen, indessen wird dieses kaum weiter möglich sein als sofern diese Gebete selbst auf gewisse Gelegenheiten hindeuten. Auch ist wohl zu bedenken daß unsre Kenntniß von denselben nicht unmittelbar auf den priesterlichen Originalurkunden, sondern nur auf den Auszügen Varros beruht, oder vielmehr größtentheils nur auf den Auszügen, welche die Kirchenväter zum Behufe ihrer Polemik aus jenem Werke Varros gemacht hatten. So muß es auch dahin gestellt bleiben ob Varro diese vielen Götternamen in jenen priesterlichen Urkunden zu einem ähnlichen Ganzen zusammengestellt gefunden hatte, wie er selbst sie in einem Werke zusammengestellt hatte,oder ob sie nicht vielmehr in jenen Urkunden in viele einzelne Gruppen zerfielen und je nach den besondern Veranlassungen des Cultus oder des Lebens in verschiedenen Gebeten und Liturgieen zusammengestellt waren, welches letztere ich aus verschiedenen Gründen für das Wahrscheinlichere halte. Varro hatte nehmlich diese Götter, wie wir aus Augustin C. D. VI, 9 erfahren, in zwei Abtheilungen behandelt, indem er zuerst sämmtliche Götter aufzählte welche das menschliche Leben unmittelbar, von der Geburt eines Jeden bis zu seinem Tode betrafen, und zweitens diejenigen Namen zusammenstellte welche nicht sowohl den Menschen selbst als seine äußerlichen Bedürfnisse, Lebensunterhalt, Kleidung u. s. w. angingenAugustin l. c. Denique et ipse Varro commemorare et enumerare deos coepit a conceptione hominis: quorum numerum exortus est a Iano eamque seriem perduxit usque ad decrepiti hominis mortem et deos ad ipsum hominem pertinentes clausit ad Naeniam deam, quae in funeribus senum cantatur. Deinde coepit deos alios ostendere, qui pertinerent non ad ipsum hominem, sed ad ea quae sunt hominis, sicuti est victus, vestitus et quaecunque alia huic vitae sunt necessaria, ostendens in omnibus quod sit cuiusque munus et propter quid cuique debeat supplicari. Mit Unrecht hat man diese erklärenden Zusätze Varros auf die Originalurkunden der Indigitamenta bezogen, verführt durch Servius V. Ge. I, 21, wo es von diesen libri pontificales heißt, qui et nomina deorum et rationes ipsorum nominum continent, quae etiam Varro dicit: in welcher Stelle diese letzten Worte, verglichen mit der genaueren Angabe Augustins beweisen, daß dieser Grammatiker seine Weisheit eben auch nur dem Varro verdankte.. Er hatte ferner dazu einen erklärenden Commentar 575 hinzugefügt, indem er jeden Götternamen entweder aus dem Sprachgebrauche oder aus den Gewohnheiten der alten Zeit erläuterte, welche Erläuterungen er zum Theil in andern Schriften noch weiter ausgeführt hatte: so daß wir auf diesem Wege viel Wichtiges und Interessantes über die Sitte und Sprache des höheren Alterthums erfahren. Nur daß wir uns wie gesagt genügen lassen müssen auf den Spuren Varros, von welchem hier wie gewöhnlich alle späteren Schriftsteller abhängen, einherzugehn, ohne uns daraus einen unmittelbaren Schluß auf die Gestalt und Beschaffenheit der Indigitamenta selbst zu erlauben.
Nach dieser Anleitung also und den Auszügen der beiden Kirchenväter Tertullian und Augustin, die das Meiste erhalten haben, wollen wir zunächst die Götter aufzählen, welche mit Beziehung auf die Schwangerschaft und Geburt einer Mutter und die erste Woche des Kindes, wir wissen nicht ob bei einer und derselben oder bei verschiedenen Cultusgelegenheiten angerufen wurdenTertullian ad Nat. II, 11, de An. 37, Augustin C. D. IV, 11 und 37, VII, 2 und 3. Vgl. Ambrosch in dem S. 119, 174 angeführten Buche und Marquardt Handb. d. R. A. IV S. 7–21.. Durch sorgfältige Prüfung dieser Texte und Ausscheidung aller überflüssigen Polemik, welche diesen Schriftstellern die Hauptsache war, gewinnen wir eine fortlaufende Reihe von Göttern und Götternamen, deren gemeinschaftliche Beziehung das menschliche Leben ist, wie es keimt, ans Licht tritt und sich dann weiter entwickelt: alte Cultusgötter, deren Namen in dieser und den folgenden Reihen die leitenden Begriffe und gleichsam die Knotenpunkte des liturgischen Gesammtgedankens sind, und eine große Anzahl von helfenden und dienenden Gottheiten (potestates, numina), deren Benennungen und Personificirungen nicht allein sehr genau,sondern hin und wieder auch, wie mich dünkt, mit Zartheit und Innigkeit auf alle Miniaturbeziehungen des menschlichen Lebens eingehen. Zuerst wird Janus genannt, überall der Anfang der Dinge, auch jedes Gebets und Opfers, hier Consivius d. h. der Anfang alles keimenden Lebens (S. 152), dann Saturnus, weil jede Ehe eingegangen wurde liberorum procreandorum causa oder wie die Griechen mit ihrem lebhafteren Gefühle für alles Natürliche sagten, ἐπὶ σπόρῳ, ἐπ’ ἀρότῳ παίδων, daher der Gott aller Saaten auch hier an seiner Stelle war (S. 418). Dann folgen Liber und Libera, welche schon deshalb, weil sie in dieser nach Anleitung der Indigitamenta gebildeten Reihe mit aufgeführt werden, für altrömische Cultusgötter gelten müssen. 576 Liber ist in diesem Zusammenhange der Gott der männlichen Zeugungskraft, Libera die Göttin des weiblichen EmpfängnissesNach Augustin IV, 11 weil jener virorum, diese feminarum seminibus praeest, nach VII, 2 quod marem effuso semine liberat, während Libera (Venus) den Frauen denselben Dienst thue. Vgl. ib. VI, 9 oben S. 442. Natürlich stammen diese Erklärungen aus dem Werke Varros.. Beide werden aus demselben Grunde zusammen genannt, aus welchem wir auch weiterhin in diesen Gebetsfragmenten häufig männliche und weibliche Mächte (Divi Patres und Divae Matres) zusammengestellt finden werden: weil nehmlich nach einer dem ganzen Heidenthum gemeinsamen Grundanschauung die polarisch entgegengesetzten Erscheinungen des menschlichen und animalischen Geschlechtslebens auf einen gleichartigen Gegensatz der göttlichen Causalität zurückgeführt werden. Diese Gottheiten also sind es, welche das eheliche Beilager segnen und befruchten; andre, größtentheils dienende Genien der Juno oder auch die abgesonderten Eigenschaften dieser höchsten Gottheit alles weiblichen Lebens, werden als solche angerufen welche die keimende Frucht im Mutterleibe bilden und pflegen. So die Fluonia, auch Fluviona oder Fluvionia, ursprünglich nur ein Beiname der Juno, welcher dieser Göttin durch die Hemmung der monatlichen Blutabsonderungen während der Schwangerschaft einen wesentlichen Einfluß auf die Erzeugung und Ernährung des Kindes im Mutterleibe zuschriebPlin. H. N. VII, 15 vgl. oben S. 245.. Ferner nach Tertull. d. An. 37 die weiblichen Mächte Alemona, welche die zarte Frucht nährt, und die beiden Göttinnen der entscheidenden Monate, Nona und Decima, endlich die Partula als die bei der Geburt selbst behülfliche Göttin: über welche drei Göttinnen wir durch einen ausführlicheren Auszug aus dem 14ten Buche der Religionsalterthümer Varros, in welchem er über diese Götter gehandelt hatte (S. 63, 73), von Gellius N. A. III, 16 belehrt werden. Varro hatte dort nehmlich gelehrt daß die Geburt frühestens im achten, spätestens im elften Monate erfolge, wobei er sich auf Aristoteles berufen hatte. Die alten Römer aber hätten auf solche außerordentliche Fälle keine Rücksicht genommen, sondern den neunten und zehnten Monat für die gewöhnliche Zeit angesehen und danach ihre Parcen d. h. Geburtsgöttinnen benannt, die eine von der Geburt überhaupt, die andre von jenen beiden Monaten (S. 564). Ferner schließt sich hier an die unvermeidliche Anrufung der Iuno Lucina als der eigentlichen Entbindungsgöttin 577 (S. 242), endlich die der männlichen Gottheiten Vitumnus und Sentinus, die dem Kinde Leben und sinnliche Empfindung verleihenPer quem viviscat infans et sentiat primum, Tertull. ad Nat. II, 11., und die des Jupiter selbst in seiner Eigenschaft als Diespiter, d. i. der Gott des lichten Tages, welcher das neugeborne Kind mit dem Alles belebenden und beseelenden Lichte empfängt. Auch Vitumnus und Sentinus werden nur für besondre Abstractionen von dem allgemeinen Begriffe Jupiter zu halten sein, welcher hier wie überall für die höchste Quelle alles Lebens und aller Beseelung galtMacrob. S. I, 10, 15 quod aestimaverunt antiqui animas a Iove dari et rursus post mortem eidem reddi, wo freilich dieser letzte Zusatz nach späterem Glauben schmeckt. Doch galt Luft und Licht immer für das Princip der Beseelung, anima (ἄνεμος), welches Wort Ennius gleichbedeutend mit Luft gebrauchte, und Sonnenlicht, s. Ennius b. Varro l. l. V, 59, r. r. I, 4 p. 5 und 168 ed. Vahlen, Pacuvius p. 71 ed. Ribb., Grimm D. M. 786, oben S. 528, 1367..
Es folgen die eigentlichen Geburtshelferinnen, denen so zu sagen die Manipulation bei der Entbindung oblag, wie die Griechen in demselben Sinne neben der Hera und Artemis noch die Eileithyia oder mehrere Göttinnen desselben Namens verehrten. Zunächst gehört dahin die Candelifera, weil bei der Entbindung eine Kerze angesteckt wurde, wahrscheinlich als sinnliche Darstellung des Lichtes, an welches das Kind durch die Geburt gelangt; und zwar durfte es nur eine Kerze sein, keine Oellampe, weil der Geruch einer verlöschenden Lampe für sehr gefährlich galtPlin. H. N. VII, 7 Miseret atque etiam pudet aestumantem quam sit frivola animalium superbissimi origo, cum plerumque abortus causa odor a lucernarum fiat exstinctu.. Ferner die beiden Carmentes, welche durch Besprechung und magische Formeln bei der Entbindung helfen und selbst bei dieser Hand anlegen, daher man eine Prosa oder Porrima und eine Postverta unterschied, je nachdem das Kind zuerst mit dem Kopfe oder umgekehrt ans Licht kamS. oben S. 358. Ein auf dem umgekehrten Wege, zuerst mit den Füßen ans Licht Gekommener heißt Agrippa s. Plin. VII, 8, 6, Gellius XVI, 16.. Ferner gehört hierher die Nymphe Egeria (S. 509), daher der häufige Gebrauch des Namens Egerius im alten Latium, und Numeria d. i. die Göttin der schnellen und leichten Geburt, daher Numerii eigentlich solche hießen welche schnell und leicht zur Welt gekommen sindVarro im Cato vel de liberis educandis b. Non. Marc. p. 352: ut qui contra celeriter erant nati fere Numerios praenominabant, quod qui cito facturum quid se ostendere volebat, dicebat numero id fore: quod etiam in partu precabantur Numeriae, quam deam solent indigetare etiam Pontifices., auch Natio als eine alte, auf dem Gebiete von Ardea 578 verehrte GeburtsgöttinCui cum fana circuimus in agro Ardeati rem divinam facere solemus: quae, quia partus matronarum tueatur, a nascentibus Natio (al. Nascio) nominata est, Cic. N. D. III, 18, 47.; dahingegen die sogenannten Nixi Dii griechischen Ursprungs waren und hier nur als gleichartige Wesen erwähnt werden mögen. So nannte man nehmlich drei Götterbilder, welche auf dem römischen Capitol vor der Cella der Minerva zu sehen waren und nach Einigen aus der Beute des syrischen Kriegs, nach Andern aus der korinthischen Beute stammten. Sie befanden sich in knieender Stellung, galten aber für hülfreiche Götter der Entbindung und werden als solche auch bei Ovid Met. IX, 293 neben der Lucina angerufen: eine Darstellung welche sich am natürlichsten dadurch erklärt daß die Alten das Niederknieen bei der Entbindung für förderlich hieltenWelcker kl. Schr. 3, 185 ff., vgl. meine Griech. Myth. 1, 320..
Endlich eine Reihe von Gottheiten, welche das neugeborne Kind schützen und pflegen, theils männliche theils weibliche. Augustin IV, 11 nennt zuerst die Opis d. i. die Mutter Erde als kinderpflegende Göttin (S. 418), daher bei den Römern das neugeborne Kind nach alter Sitte alsbald auf die Erde gelegt oder gestellt wurdeOvid Trist. IV, 3, 46 tactaque nascenti corpus haberet humus. Sueton Octav. 5 esse se possessorem ac velut aedituum soli, quod primum B. Augustus nascens attigisset. Vgl. oben S. 332, 759.. Dann der Deus Vagitanus, der dem neugebornen Kinde mit dem ersten Schrei den Mund öffnetQui in vagitu os aperit, Tertull. l. c. vgl. Augustin. IV, 8 aut Vagitano, qui infantum vagitibus praesidet. IV, 21 Quid necesse erat Opi Deae commendare nascentes, Deo Vaticano vagientes, Deae Cuninae jacentes etc. Varro wollte nehmlich auch den Deus Vaticanus wie Vagitanus erklären, s. Gell. N. A. XVI, 17 und oben S. 338, 775., und die Dea Levana, welche die Kinder von der Erde wieder aufhebt, nach der bekannten Sitte das neugeborne Kind vor dem Vater auf die Erde zu legen, worauf dieser es aufhob und damit seine Pflege und Erziehung übernahm, aber auch alle Rechte der väterlichen Gewalt sich vorbehieltDionys. II, 26 ff., Virg. A. IX, 212, Horat. S. II, 5, 46, Intpp. Terent. Heaut. IV, 1, 13.. Ferner die beiden eng verbundenen Göttinnen Cunina und Rumina (S. 54). Jene ist die Schutzgöttin der Wiege, in welcher sie das Kind vor Schaden und Zauber behütet, während Rumina für die volle Brust der 579 Mutter oder der Amme beim Nähren des Säuglings sorgtLactant. I, 20, 36 Colitur et Cunina, quac infantes in cunis tuetur ac fascinum submovet. Vgl. Augustin IV, 34. Die Inschr. b. Or. n. 1851 ist unächt.. Einen wichtigen Moment brachte weiter für Knaben der neunte, für Mädchen der achte Tag nach der Geburt, d. i. der sogenannte dies lustricus, wo das Kind seinen Namen bekam und zugleich lustrirt und gegen allen Zauber geweiht wurde, namentlich dadurch daß man ihm allerlei zierliche Kleinigkeiten (crepundia) und die Bulla um den Hals hängte, ein goldenes Medaillon mit darin verborgnen Schutzmitteln (praebia) gegen den Neid und bösen Blick. Darauf bezieht sich die Verehrung der Dea Nundina, welche von diesem neunten Tage ihren Namen hatMacrob. S. I, 16, 36, vgl. O. Jahn Leipz. Ber. 1855 S. 44.. Auch wurde an diesem Tage dem Kinde, welches nun als eigne Person ins Leben trat, eine Art von Prognostikon seiner Zukunft gestellt, was Veranlassung gab alle Schicksalsmächte anzurufen, Fortuna und die Carmentes und die Fata Scribunda (S. 565). Der neunte Tag wurde zu diesen Gebräuchen ausersehen, weil dieser überhaupt und so auch für die Wöchnerinnen ein kritischer Tag ist, die sich erst dann von ihrem Lager wieder erheben und an dem Familenleben von neuem Antheil nehmen.
Eine zweite Reihe von solchen dienenden Mächten bilden die Namen der Götter und Göttinnen, welche die Jugend des zarten Kindes behüten und pflegen, es essen und gehen und sprechen lehren, die verschiednen Gemüthsaffecte und geistigen Thätigkeiten in ihm entwickeln, mit ihm aus- und eingehn und es in die Schule begleitenIm Allgemeinen kann man sie Dii Nutritores nennen, wodurch auf einer M. des Saloninus die griechischen ϑεοὶ κουροτρόφοι übersetzt werden, Eckhel D. N. VII p. 421., bis zur Juventas und Fortuna barbata, mit welchen wieder ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Zunächst gehören dahin die Potina und Educa, denn dieses scheinen die richtigen Formen der sehr verschieden geschriebenen Namen zu seinAugustin. IV, 11 Diva Potina potionem ministrat, Educa (v. Edulica) escam praebet. IV, 34 sive Educa et Potina (v. Potica) escam potumque sumpserunt. Vgl. VI, 9, Tertull. ad Nat. II, 11, wo sie Potina u. Edula heißen, und Varro im Cato b. Non. Marc. p. 108, wo zu lesen ist: Cum primo cibo et potione initiarent pueros, sacrificabantur ab edulibus Educae (v. Edusae), a potione Potinae nutrices. Educa ist abzuleiten von educare in dem Sinne von füttern, nutrire, s. Non. Marc. p. 447 Varro Cato vel de liberis educandis: Educit enim obstetrix, educat nutrix, instituit paedagogus, docet magister., d. h. die beiden Göttinnen welche das Kind, nachdem 580 es entwöhnt worden, an Speise und Trank gewöhnen. Ein andrer Schriftsteller fügt, gleichfalls aus Varro, die Cuba hinzu, die das Kind von der Wiege ins Bettchen legtDonat. z. Ter. Phorm. I, 1, 11 apud Varronem legitur initiari pueros Educae et Poticae et Cubae Divis edendi et potandi et cubandi, ut primum a lacte et cunis transferuntur.. Weiter schließt sich hier an die Dea Ossipago, welche dazu hilft daß die Knochen der Kinder fest und derbe werden (S. 245), ferner die göttlichen Mächte des Stehen- Gehen- und Sprechenlernens, welche nun wieder männlichen Geschlechts sind, wahrscheinlich weil man sich jene Göttinnen, die Potina Educa Cuba mehr nach Art der Ammen, diese dagegen mehr nach Art der Pädagogen dachte. Sie heißen Divus Statanus oder Statilinus und Divus Fabulinus, welchem beim ersten Stehen und Sprechen der Kinder ein Dankopfer gebracht wurdeNon. Marc. p. 532 Statilinum et Statanum et Fabulinum praesides deos Varro Cato vel de lib. educandis puerilis aetatis (v. puerilitatis) affirmat: »Alii Statano et Statilino, quorum nomina habent scripta Pontifices. Sic cum primo fari incipiebant, sacrificabant Divo Fabulino«. Vgl. Tertull. ad Nat. II, 11, d. An. 39, Augustin IV, 21.. Andre nennen eine weibliche Göttin Statina und fügen zu der ganzen Gruppe noch die Adeona und Abeona hinzu, welche wohl nicht die Beschützer der Kinder beim Aus- und Eingehn sind, sondern die der ersten Laufversuche mit dem bekannten Ab- und Zulauf zwischen zwei Paaren schützender Arme. Dem Fabulinus stand noch ein besondrer Farinus zur Seite, auch ein LocutiusTertull. l. c. [Deus est dictus] et ab effatu Farinus (v. Farmus) et aliis a lo[quendo Locutius]. Vgl. Varro l. l. VI, 52 fatur is qui primum homo significabilem ore mittit vocem. Ab eo ante quam ita faciant pueri dicuntur infantes, quom id faciant iam fari etc. Vielleicht unterschieden sich der Statanus und Statilinus (von statuere) ähnlich wie der Farinus und Fabulinus. Ueber den in der Nahe des Vestatempels verehrten Aius Locutius oder Loquens s. oben S. 55 und Becker Handb. I, 244., von denen jener sich auf die ersten Sprechlaute des Kindes bezieht; dahingegen Fabulinus schon ein Ausdruck des zusammenhängenden Schwätzens, Locutius aber der des deutlichen Sprechens ist. Nun beginnt das Kind auszugehn, in die Schule zu gehn, dort etwas zu lernen. Auch dabei begleiten es eigne Schutzgötter, zunächst die Iterduca und Domiduca, welche es die ersten Wege aus dem Hause und wieder in dasselbe zurückgeleiten, ferner alle die Mächte, welche das Gemüthsleben und die geistigen Affecte und Anlagen des Kindes wecken und bildenAugustin IV, 11 und 21, VII, 3, Tertull. I. c.. So zunächst die 581 Mens, welche einen verständigen Sinn in den Kindern erzeugt, Divus Volumnus und Diva Volumna, das sind die Götter des Verlangens, während die von Tertullian genannte Diva Voleta mehr das sittliche Wollen (velle) im Gegensatze zu dem Nicht-Wollen (nolle) ausdrücktDeo Volumno et Deae Volumnae (nascentes commendant) ut bona vellent, August. IV, 21. Doch sind diese Namen nicht von velle abzuleiten, sondern von volup (Volup-nus).. Ferner die Paventia oder Paventina von dem kindlichen Affecte des Bangens und Schreckens und Venilia d. i. die Göttin des sichern Hoffens und der unbefangenen ErwartungDe spe quae venit Venilia, August. l. c. Auch bei Tertullian ist Venilia die dea spei. Zu Grunde liegt eine Erklärung Varros s. Intp. Mai. V. A. X, 76 Varro rerum div]inarum XIIII de dis certis: Spes cum conciliata non frustra esset et evenisset, [Veniliae sacrifica]bantur, quam deam cum Neptuno coniungunt multi. Vgl. oben S. 503.. Ihnen schließen sich weiter an Volupia und Lubentina oder Lubia als Göttinnen der Lust und des sinnlichen VerlangensAugust. IV, 8 aut Volupiae, quae a voluptate appellata est, aut Libentinae, cui nomen a libidine. Vgl. oben S. 387, 933., ferner Praestana oder Praestitia, das ist eine Göttin des Strebens und der Kraft, wie Valentia und Pollentia, welche gleichfalls zu Rom in besondern Bildern verehrt wurdenTertull. ad. Nat. II, 11 [praesta]ntiae Praestitiam. Arnob. IV, 3 nennt die Dea Praestana, welche auf Veranlassung eines kräftigen Lanzenwurfs des Romulus verehrt worden sei, vgl. Plut. Rom. 20, Serv. V. A. III, 46. Die Göttin Pollentia wird erwähnt b. Liv. XXXIX, 7 vgl. Plaut. Cas. IV, 4, 3. Eine Diva Peta a rebus petendis dicta nennt Arnob. IV, 7.. Daher sich diesen Göttinnen alsbald der männliche Agonius und Peragenor gesellt, begleitet von der weiblichen Agenoria, lauter Numina der ausführenden und durchsetzenden Thatkraft, wie sie in Rom so frühzeitig erweckt und geübt wurdeTertull. l. c. ab actu Peragenorem. Augustin IV, 6 Deam Agenoriam, quae ad agendum excitaret, Deam Stimulam, quae ad agendum ultra modum stimularet, Deam Murciam, quae praeter modum non moveret ac faceret hominem, ut ait Pomponius (der Attellanendichter), murcidum i. e. nimis desidiosum et inactuosum. Vgl. IV, 11 und Paul. p. 10 Agonium etiam putabant deum dici praesidentem rebus agendis.. Ferner gehören in diese Reihe die Stimula d. i. der heiße und heftige, mit Aufregung verbundene Trieb der Liebe, des Ehrgeizes u. s. w., daher man diesen Namen später auf die griechische Semele, die Mutter des Bacchus übertrug, sammt ihrem Widerspiel der Dea Murcia d. i. die Göttin der Ermüdung und Erschlaffung, wie sie auf jede heftige Aufregung folgt, eigentlich Venus (S. 385). Weiter Strenua d. i. die Göttin 582 der gesunden leiblichen Entwicklung und Numeria und Camena nach den beiden Hauptstücken des römischen Schulunterrichts, dem Rechnen und Singen d. h. Auswendiglernen und Vortragen guter LiederNumeria quae numerare doceat, Camoena quae canere, Augustin. IV. 11. Sonst ist Minerva die Göttin der Schulen, namentlich des Memorirens, s. Aug. VII, 3 cui per ista minuta opera puerorum memoriam tribuerunt., endlich der Divus Catius, der die Kinder gescheut (catus) machtAug. IV, 21 quid opus erat Deo Catio Patre, qui catos i. e. acutos faceret. Daher die Namen Cati und Corculi. Ein merkwürdiges Beispiel der vollständigen Benennung dieser Gottheiten mit Divus Pater, Diva Mater s. oben S. 51. So heißt es weiterhin b. Aug. VI, 9 Deus Pater Subigus et Dea Mater Prema., Consus, durch welchen sie Nachdenken und Rathschlagen lernen, und Sentia, welcher sie gute Gedanken (sententias) und den treffenden Ausdruck derselben verdanken. Ihren letzten Abschluß bekommt diese Periode durch die Iuventas und Fortuna Barbata, welche die endlich mündig gewordnen Jünglinge verehren (S. 234, 463), während die Mädchen bei demselben Lebensabschnitte der Venus, der Diana und der Fortuna Virginalis ihre Huldigung darbrachten (S. 396. 554).
Eine neue Reihe bilden die Gottheiten der Ehe und des ehelichen Beilagers, man kann sie im Allgemeinen die Dii Nuptiales nennen, neben welchen die Bräute noch sogenannte Camelae Virgines angerufen haben sollen (S. 89), vermuthlich eine Gruppe von Nymphen, welche mit der Zeit den griechischen Beinamen γαμήλιαι angenommen hatten. Die übrigen Namen, soviel wir von dieser Reihe wissen, denn die Auszüge der Kirchenväter werden hier etwas tumultuarisch und verweilen mit besondrer Vorliebe beim ObscönenTertull. ad Nat. II, 11, Augustin. IV, 11, VI, 9, Arnob. IV, 7 und 11., lassen sich nach den verschiedenen Acten einer römischen Hochzeit ordnen. Zuerst sei erwähnt die Dea Iuga und der Deus Iugatinus, jene eigentlich die Juno (S. 249), welche überhaupt in diesem Kreise wieder die dominirende Göttin ist. Beide, Iuga und Iugatinus, sind recht eigentlich die Götter der ehelichen Verbindung überhaupt, des coniugium. Weiter schließen sich an die Dea Afferenda ab afferendis dotibus, welches auf einen eignen dazu angesetzten Act schließen läßt, wo der Vater, die Verwandten, die Clienten ihre Gaben und Geschenke zur Mitgift und Aussteuer darbrachten. Weiter der Deus Domiducus und die Dea Domiduca 583 oder Iterduca, welche sich auf den festlichsten und fröhlichsten Act einer antiken Hochzeit beziehn, die Heimführung der jungen Frau in das Haus des sie dort erwartenden Mannes. Die Braut erschien dabei in Rom zuerst als nupta, als nova nupta, wie es bei Catull in dem allerliebsten und höchst mahlerischen Hochzeitsgedichte 61, 80 heißt, d. h. mit dem sogenannten flammeum verschleiert, einem großen Kopftuche von dunkelgelber oder feuerrother Farbe, welches die Gemahlin des Flamen Dialis als Priesterin der Juno immer trugPaul. p. 89. 92 flammeo, Plin. H. N. XXI, 8, 22, Non. Marc. p. 541. Schol. Iuvenal. VI, 225 u. a.. Darunter war das Haar gescheitelt, zu welchem Zwecke die sogenannte celibaris hasta gebraucht wurde (S. 248), und in sechs Zöpfe geflochten, nach Einigen weil dieses die alte Nationaltracht der römischen Mädchen überhaupt gewesen, nach Andern weil die Vestalinnen ihr Haar eben so trugenFest. p. 339 senis crinibus. Vgl. O. Müller zu Paul. p. 63 v. comptus.. Außerdem war der Kopf mit einem hohen thurmartigen Aufsatze geschmücktLucan. II, 354 ff., bei dem übrigen meist sehr kostbaren Anzuge aber war von besondrer Wichtigkeit der kunstreich geschürzte Gürtel, welcher immer aus Schaafwolle gewebt sein mußte und mit dem sogenannten Herculesknoten geschürzt wurdePaul. p. 63 Cinxiae Iunonis und Cingulo.. Geführt wurde die Braut von zwei Knaben aus guter und noch blühender Ehe, während ein andrer Knabe von gleicher Herkunft mit einer brennenden Fackel, welche vom Weißdorn oder Hartriegel genommen wurde, ein dritter Knabe oder auch ein Mädchen mit einem Becken voll Wassers, das aus einer reinen Quelle geschöpft sein mußte, voraufschrittFest. p. 245 patrimi et matrimi, Paul. p. 87 facem, vgl. die verschiedenen Erklärungen bei Plin. H. N. XVI, 18, 30 und Varro b. Serv. V. A. IV, 103, Ecl. VIII, 29, Non. Marc. p. 112 fax. Um die Hochzeitsfackel rissen sich zuletzt die beiden Parteien der Braut und des Bräutigams, ne aut uxor eam sub lecto viri ea nocte ponat aut vir in sepulcro comburendam curet, quo utroque mors propinqua alterius utrius capiari putatur, Fest. p. 289. Die fünf Fackeln oder Kerzen, von denen Plut. Qu. Ro. 2 spricht, gehören wohl zu einem andern Acte der Vermählungsfeier, desgleichen der Camill mit der Lade verborgener Heiligthümer b. Varro l. l. VII, 34, Paul. p. 50 und 63.. Außerdem wurde ein farreum d. h. ein aus far gebackner Kuchen und Rocken und Spindel vor ihr hergetragenPlin. H. N. XVIII, 3, 3, Plut. Qu. Ro. 31., während sie selbst drei Asses bei sich führte, um dieselben bei dem Antritte 584 ihrer neuen Würde an ihren Hausherrn, an die Laren des Hauses und an die nächsten Compitallaren des Quartiers zu geben (S. 492). Natürlich fand sich dazu noch allerlei andre Begleitung von Verwandten und Freunden der Braut und des Bräutigams mit Musik, Gesang und Scherz, namentlich in der beliebten Manier der fescennini versus (S. 442) oder der fescennina locutio, wie Catull sich ausdrückt. Ein andrer herkömmlicher Gebrauch war das Ausstreuen von Nüssen, welche bei demselben Dichter von einer allegorischen Person, dem Concubinus vertheilt werden, einer Personification des Liebesabenteuers und der ungebundenen Neigung, welche jetzt von dem Manne Abschied nimmt, um sein Regiment dem Gott der Ehe zu überlassen. Das Ausstreuen der Nüsse bei dieser und bei andern Gelegenheiten wird von den römischen Alterthumsforschern verschieden, aber nicht richtig erklärtVirg. Ecl. VIII, 30, Pers. I, 10 vgl. oben S. 415. 436 und Serv. z. Virgil a. a. O., Schol. Veron. p. 76 Keil. Vorzüglich dienten die nuces iuglandes zu diesem Zweck s. Plin. H. N. XV, 22, 24, vgl. oben S. 97, 131.. Vielmehr haben die Haselnüsse bei vielen und verschiedenen Völkern eine erotische Bedeutung, als Sinnbilder der Liebe, der Befruchtung, der Lebensverjüngung, wie dieses neuerdings aus jenen alten italischen und aus französischen und deutschen Gebräuchen, Sprichwörtern und Liedern ausführlich nachgewiesen istMannhardt in der Zeitschr. f. deutsche Mythol. u. Sittenk. 3, 95 ff.. Ja es haben sich sogar in einigen Gegenden von Frankreich ganz ähnliche Hochzeitsgebräuche erhalten, da man in der einen Nüsse über das am Altare knieende Paar zu schütten, in einer andern der Braut in der ersten Hochzeitsnacht dieselbe Frucht zu spenden pflegte. Die Anrufungen und Personificationen des Hymenaeus und des Talassio oder Talassius dagegen, wie sie uns gleichfalls durch die anmuthigen Gedichte Catulls 61 und 62 vergegenwärtigt werden, sind theils griechischen theils sabinischen Ursprungs, wie die sabinische Sitte überhaupt bei den matronalen Ueberlieferungen und Hochzeitsgebräuchen der Römerinnen einen bedeutenden Einfluß behaupteteLucan. II, 368 Non soliti lusere sales nec more Sabino excepit tristis convicia festa maritus.. Talus soll ein vornehmer Sabiner und Genosse des T. Tatius, Talassius ein beim Raube der Sabinerinnen hervorragend betheiligter Genosse des Romulus gewesen sein, der zu dem sprichwörtlichen Gebrauche seines Namens bei allen Hochzeiten Anlaß gegeben habeLiv. 1, 9 vgl. Dionys. II, 46, Hieronym. b. Mommsen üb. die Chronogr. v. J. 354 S. 691. Talus war nach Fest. p. 359 ein gewöhnlicher Vorname der Sabiner. Ein Rutuler Tălus b. Virg. Aen. XII, 513. Varro erklärte den Namen durch τάλαρον d. i. quasillum, also Talassio für eine Personification der den Matronen obliegenden Wollarbeit, Serv. V. A. I, 651, Plut. Qu. Ro. 31. Andre Erklärungen b. Roßbach d. röm. Ehe S. 345 und Huschke die osk. und sabell. Sprachdenkm. S. 244.: vielleicht ursprünglich nur ein 585 Beiname des Quirinus (S. 328), aus welchem mit der Zeit diese historische Person geworden war. Endlich gelangte der Zug an die festlich geschmückte Schwelle des Hauses, wo neue Gebräuche zu beachten waren. Zunächst wurden die Thürpfosten von der Braut mit Oel oder Fett bestrichen und mit wollenen Binden umwundenPlin. H. N. XXVIII, 9, 37, Serv. V. A. IV, 458, vgl. Non. Marc. p. 69 Adipatum veteres honeste pro pingui et succulento et opimo posuerunt. Bei den Persern glaubte man sich durch Einreibung mit Löwenfett eine besondre Gunst beim Volk oder bei den Königen zu verschaffen, Plin. XXVIII, 8, 25., letzteres in dem gewöhnlichen Sinne der Heiligung und Consecration, während bei jenem Gebrauche das gewöhnliche Fett oder Oel wohl nichts Anders als reichliche Fülle und exuberanten Segen ausdrücken sollte, das Wolfsfett dagegen, welches Einige vorzogen, indem sie demselben eine averruncirende Wirkung zuschrieben (ne quid mali medicamenti inferretur), eine bestimmtere Beziehung auf den Dienst des Mars andeutet. Wegen des ganzen Gebrauches hieß Juno unter andern auf Hochzeit und eheliche Verbindung deutenden Beinamen auch Unxia,Martian. Cap. II, 149 Iterducam et Domiducam, Unxiam, Cinxiam mortales puellae debent in nuptias convocare, ut earum et itinera protegas et in optatas domos ducas et quum postes ungant faustum omen affigas et cingulum ponentes in thalamis non relinquas. während als eigne Schutzgötter der Schwelle und des Aus- und Eingangs Forculus und Limentinus und die weibliche Göttin Cardea verehrt wurden, von denen hernach die Rede sein wird. Weiter mußte die Braut mit der größten Vorsicht jeden Anstoß an der Schwelle vermeiden, daher sie gewöhnlich, um jeder Möglichkeit eines bösen Omens zuvorzukommen über dieselbe hinübergetragen wurdePlaut. Cas. IV, 4, 1, Catull. 61, 166 vgl. Non. Marc. p. 53 vestibulo, p. 479 sacrificantur, Varro b. Serv. V. Ecl. VIII, 30, Plut. Qu. Ro. 29.. Von der Schwelle gelangte sie durch das Vestibulum in den Familiensaal, wo der Mann ihr mit Feuer und Wasser vom Heerde des Hauses entgegentrat (S. 533), sie aber ihn mit der altherkömmlichen Anrede empfing: Ubi tu Gaius ego Gaia, nach der gewöhnlichen Erklärung mit Beziehung auf Gaia Caecilia oder Tanaquil, das Ideal einer guten Hausfrau; doch 586 war eigentlich auch hier wohl nur die Sorge für ein gutes Omen im Spiel, denn der Name Gaius ist entstanden aus Gavius (die oskische Form ist Gaavius), welches mit gaudere (gav–isus) zusammenhängt, also auf Freude und liebliches Wesen hindeutetMommsen Unterit. Dial. S. 253, Aufrecht in der Zeitschr. f. vgl. Sprachf. I, 232, vgl. Paul. p. 95 Gaia Caecilia, Quintil. I, 7, 28, Plut. Qu. Ro. 30.. Darauf läßt sie sich in dem Saale auf einem wollenen Vließe niederPaul. p. 114 In pelle lanata nova nupta considere solet –, quod testetur lanificii officium se praestaturam viro. Vgl. Plut. Qu. Ro. 31, Liv. I, 57., denn sie ist unter dem Schutze der Manturna eingetreten und wird auf dieser Stätte nun bleiben, aber nicht um die Hände in den Schooß zu legen, sondern um sie fleißig zu rühren und unter den Mägden bis in die Nacht hinein zu spinnen, wie uns die keusche Lucretia geschildert wird. So ist sie also in matrimonium ducta d. h. feierlich eingeführt in das Haus wo sie fortan als materfamilias leben und walten soll, nachdem die Ehe selbst an der den Genien des Hauses geweihten Stätte (S. 566) vollzogen und mit dem Segen der Fruchtbarkeit gesegnet worden. Auch dieser natürliche Act und Gedanke wurde im Sinne dieser alterthümlichen Frömmigkeit durch eine eigne Reihe von liturgischen Anrufungen und entsprechenden Gebräuchen ausgedrückt, auf welche die Kirchenväter in ihrem polemischen Eifer nur zu gerne zurückkommen. Zunächst gehören dahin die Anrufungen der (Iuno) Cinxia und Virginensis, jener mit Rücksicht auf die Lösung des Gürtels der Braut, dieser weil diese jetzt ihre Jungferschaft preisgiebt. Weiter die für unsre Gewöhnungen allerdings sehr anstößige Huldigung an einen eignen Genius des weiblichen Empfängnisses und der männlichen Befruchtung, den Mutunus Tutunus, bei welcher sich die junge Frau auf ein fascinum setzteS. außer Tertull. ad Nat. II, 11 u. Apolog. 25 Augustin C. D. IV, 11, Arnob. IV, 7 Tutunus, cuius immanibus pudendis horrentique fascino vestras inequitare matronas et auspicabile ducitis et optatis. Vgl. ib. 11 und Lactant. I, 20, 36 colitur et – Tutinus, in cuius sinu pudendo nubentes praesident, ut illarum pudicitiam prior deus delibasse videatur. Augustin. VI, 9 Priapus nimis masculus, super cuius immanissimum et turpissimum fascinum sedere nova nupta iubebatur more honestissimo et religiosissimo matronarum. VII, 24 in celebratione nuptiarum super Priapi scapum nova nupta sedere iubebatur. Die beiden Namen erklärt Salmasius Exercitatt. Plin. ad Solin. XXIV p. 219, Mūtūnus durch das griechische μύτυος s. μύττων d. i. τὸ γυναικεῖον, Tūtūnus durch πόσϑη, πόσϑων, äol. πόϑϑων, lat. Puttunus und Tuttunus. Arnob. V, 18 nennt diese Genien des ehelichen Beilagers deos conserentes.. Endlich folgende den 587 weiteren Verlauf des ersten ehelichen Beilagers betreffende Gottheiten: ein Deus Subigus, ut viro subigatur (virgo), eine Dea Prema, ut subacta ne se commoveat prematur, ferner die Dea Pertunda, quae praesto est virginalem scrobem effodientibus maritis, und die Dea Perfica welche das Werk vollends zum guten Ende ausführtAugustin. VI, 9, Arnob. IV, 7.. Daß solche Gottheiten nicht blos in den priesterlichen Gebetsformeln existirten, sondern in und außerhalb Roms auch vom Volke und zwar von Männern und Frauen angebetet wurden, beweist die Capelle des Mutunus Tutunus in Rom, in welcher die Frauen verhüllt zu opfern pflegten (Fest. p. 154) und ein neuerdings in der Gegend von Rimini aufgefundenes seltsames Bildwerk in der Gestalt der Hufe eines Pferdes oder Esels mit der Inschrift Prema Arimn [ensis oder si] MutinoMonum. d. Inst. Archeol. 1854 p. 83., welches sich auf den Cultus einer Göttin der Viehzucht und der thierischen Begattung zu beziehen scheint.
Auch bei den übrigen Lebensbeziehungen lassen uns die Excerpte der Kirchenväter im Stich; nur die Reihe der den Tod und das Begräbniß betreffenden numina läßt sich einigermaßen herstellen. Eine Viriplaca, welche in einer Capelle auf dem Palatin verehrt wurde, deutet auf gestörtes Vernehmen zwischen Mann und Frau. So oft zwischen beiden Streit entstanden war, behauptet Val. Max. II, 1, 6, gingen sie in diese Capelle, sprachen sich dort rund und offen gegeneinander aus und kehrten darauf versöhnt wieder in ihr Haus zurück. Die Reihe der Todesgötter beginnt bei Tertullian ad Nat. II, 15 mit dem Deus Viduus, welcher die Seele von dem Körper scheidet (viduat) und als Todesgott nicht innerhalb der Stadt, sondern vor derselben verehrt wurde. Ihm schließen sich an der Deus Caeculus, der die Augen der Sterbenden bricht (qui oculos sensu examinat) und die gleichfalls zu Rom verehrte Dea Orbona, welche das Licht der Augen vollends auslöschtQuae in orbitatem lumina exstinguit, so ist b. Tertullian a. a. O. für semina zu lesen. Vgl. Lucret. III, 1013 lumina sis oculis etiam bonu' Ancus reliquit, qui melior multis quam tu fuit. v. 1031 lumine ademto animam moribundo corpore fudit. Plin. H. N. VII, 43, 45 Metellus orbam luminibus exegit senectam. XI, 37, 55 Coclites – qui altero lumine orbi nascuntur, und den Gebrauch der Wörter orbus für caecus, orbitas für caecitas. Dieselbe Göttin wird erwähnt b. Cic. N. D. III, 25 und Plin. II, 7, 5 ideoque etiam publice Febris fanum in Palatio dicatum est, Orbonae ad aedem Larum ara et Malae Fortunae Esquiliis. Andre erklärten sie weniger richtig für eine Schutzgöttin der orbi d. h. der Verwaisten, Arnob. IV, 7 vgl. Paul. p. 183.. Dann folgt 588 die eigentliche Todesgöttin Mors oder Morta, welche von Einigen zu den drei Parcen gerechnet wurdeTertull. l. c., Cic. N. D. III, 17, 44, Gell. N. A. III, 16, 11 oben S. 564., darauf Libitina als die Göttin der Leichenbegängnisse (S. 387) und Naenia d. i. die Personification der üblichen Todesklage, mit welcher Varro die Reihe dieser auf den Verlauf des menschlichen Lebens bezogenen Gottheiten geschlossen hatte. Sie hatte eine eigne Capelle vor dem Viminalischen Thor, wahrseheinlich doch in der Nähe des lucus Libitinae. Es ist die Göttin der Todesklage wie sie während des Leichenzugs entweder von den Verwandten oder von dazugemietheten Klageweibern (praeficae) gesungen wurdePaul. p. 163, Non. Marc. p. 66 und 145, Cic. de Leg. 11, 24, 62, vgl. Gell. N. A. XX, 2, Non. M. p. 54 siticines.. Mit dieser Klage, deren schwermüthige Laute in dem Namen der Naenia nachklingen, war eine kurze Aufzählung der Verdienste des Verstorbnen verbunden, wie uns davon das Libell des Seneca vom Tode des Kaisers Claudius 12 eine anschauliche Vorstellung giebt. Von diesen unter Begleitung von klagenden Flöten während des Leichenzugs vorgetragenen Gesängen werden von genauen Schriftstellern unterschieden die Klagen und Gesänge, welche am Grabe des schon Bestatteten unter den Klängen einer eignen Art von Tuben von sogenannten Siticines vorgetragen sein sollen.
Auf diese erste Reihe also folgte bei Varro eine zweite, welche alle äußeren Verhältnisse und Bedingungen des menschlichen Lebens wiederspiegelte, Nahrung, Kleidung u. s. w. Leider liegen bei diesem Abschnitte größtentheils nur abgerissene Excerpte der späteren Schriftsteller vor; doch lassen sich folgende Gruppen unterscheiden. Zuerst die Namen solcher Götter, deren Thätigkeit sich auf das städtische und örtliche Leben, den Häuserbau und die nothwendigsten häuslichen Einrichtungen bezogVgl. die leider sehr entstellte Uebersicht bei Tertull. ad Nat.II, 15., an ihrer Spitze vermuthlich wieder Janus, hier als Gott der Bögen und Durchgänge, und neben ihm eine entsprechende weibliche Göttin, die Diva Arquis und Iana. Dann wurde vermuthlich das sehr alte städtische Fest Septimontium erwähnt, wo auf sieben Höhen der Stadt von den Bewohnern der benachbarten Quartiere den Schutzgöttern dieser Höhen (montes), wie es scheint, ein Opfer dargebracht wurde, nehmlich 589 auf dem Palatium, den Velien, dem Fagutal (S. 100, 137), einer ehemals befestigten Höhe über der Subura, dem Germalus d. h. der Ecke des Palatin wo die Zwillinge (germani) gefunden worden, endlich dem Oppius und Cispius, mit sacralen Beziehungen und Erinnerungen, über welche leider kein genauer Bericht vorliegtBecker Handb. I, 222 ff., Marquardt IV, 159. Ueber die Subura vgl. Fest. p. 309.. Weiter gab es einen eignen Divus Ascensus und eine Dea Clivicola, Personificationen der vielen Steige (clivi) und Gruben im alten Rom, wo man um von dem einen Quartier ins andre zu gelangen viel bergauf und bergab laufen mußteLucian de Merc. Cond. 26 σὺ δ’ ἄϑλιος τὰ μὲν παραδραμὼν τὰ δὲ βάδην ἄναντα πολλὰ καὶ κάταντα (τοιαύτη γὰρ ὡς οἶσϑα ἡ πόλις) περιελϑὼν ἵδρωκάς τε καὶ πνευστιᾶς.; daher sich hier auch die Divi Limones anschließen mögen d. h. die Schutzgenien der schiefen AbhängeArnob. IV, 9 Quis curatores obliquitatum (credat esse deos) Limones (cod. lemons), quis Saturnum praesidem sativis, quis Montinum montium?. Ferner gehören dahin die Götter der Schwellen, der Deus Forculus und die Diva Cardea, Divus Limentinus und Diva Limentina, endlich der gelegentlich erwähnte Divus LateranusArnob. IV, 6 Lateranus – deus est focorum et genius, – quod ex laterculis crudis caminorum istud exaedificetur genus. 9. Quis Limentinum, quis Limam (l. Limentinam) custodiam liminum gerere. Vgl. Tertull. l. c., ein eigner Schutzgeist der Heerde, welche von ungebrannten Backsteinen erbaut wurden. Wieder andre Genien und Schutzgeister der Art hatten es mit den Küchen und Backöfen (S. 408), den Bädern (S. 557, 1452), den Ställen, den Gefängnissen, den Bordellen zu thun, wie z. B. in den Ställen gewöhnlich die Epona verehrt wurde. Es sind männliche oder weibliche Ortsgenien, welche sich von den gewöhnlichen Genien in der That nur dadurch unterscheiden, daß sie je nach der besondern Beziehung des Orts oder der damit herkömmlich verbundnen Thätigkeit einen eignen Namen bekommen hatten. Eine andre Reihe solcher Personificirungen bezog sich dagegen auf die Hülfsmittel und Bedingungen des täglichen oder bürgerlichen Lebens, den Erwerb u. s. w.S. namentlich Augustin. C. D. IV, 21, Arnob. IV, 21.. So der Deus Honorinus, ein eigner Gott der Ehrenstellen, die Dii Lucrii als Götter des Gewinnstes, die Dea Pecunia als göttliche Macht des Geldes, welche in Rom bekanntlich immer sehr viel gegolten hat. Auf die beiden Arten des Geldes 590 beziehn sich der Deus Aesculanus und sein Sohn, wie Augustin ihn nennt, der Deus ArgentinusAugustin l. c. nam ideo patrem Argentini Aesculanum posuerunt, quia prius aerea pecunia in usu esse coepit, post argentea. Vgl. IV, 28, Plin. H. N. XXXIII, 3, 13. Gold wurde erst 62 Jahre spater geprägt. Da ein Deus Aurinus nicht verehrt wurde, wäre die Zeit zwischen dem ersten und zweiten punischen Kriege etwa als Grenze dieser Sprachbildungen festzuhalten., die Personificationen des Erz- und Silbergeldes, welches letztere in Rom selbst erst seit dem J. 485 d. St., 269 v. Chr., fünf Jahre vor dem ersten punischen Kriege geprägt wurde, woraus man zugleich einen Schluß auf das Alter dieser Gebilde ziehen kann. Eben dahin gehört der Deus Arculus, der Gott der Kasten und Laden, in denen man das Geld verwahrte (Paul. p. 16). Wieder auf eine andre Reihe von städtischen Lebensbeziehungen deutet die Diva Fessonia d. i. eine Schutzgöttin der Ermüdeten, welcher sich die in verschiedenen Gegenden vor der Stadt verehrte Quies anschließen mag, eine Göttin des Ausruhens am Wege und der stillen Sammlung von der Mühe des Lebens und dem Geräusche der StadtAugustin IV, 16 nennt eine aedes Quietis extra p. Collinam, Liv. IV, 41 ein fanum Quietis an der via Labicana. Vgl. August. IV, 21 und Cic. Or. I, 1 qui locus quietis et tranquillitatis plenissimus fore videbatur, in eo maximae moles molestiarum et turbulentissimae tempestates exstiterunt.. Ferner die Diva Pellonia, welche die Feinde vertreibt und sich insofern mit dem Deus Tutanus und Deus Rediculus gesellen mag, den man auf der Stelle verehrte wo Hannibal, angeblich durch außerordentliche Gesichte bestimmt, vor Rom umgekehrt warPaul. p. 283 Rediculi fanum, Plin. H. N. X, 43, 60, Non. Marc. p. 47 Tutanus, wo dieses Bruchstück aus einer Satire Varros erhalten ist: Noctu Annibalis cum fugavi exercitum Tutanus, hoc Tutanu' Romae nuncupor. Hacpropter omnes qui laborant invocant..
Vollständiger ist die Reihe der Götter des Ackerbaus (dii agrestes), welche Varro höchst wahrscheinlich in demselben zweiten Abschnitte unter den zum Unterhalte des menschlichen Lebens gehörenden Göttern behandelt hatte. Die bestimmenden Hauptgötter sind hier Tellus, Ceres, Saturnus, Ops u. s. w. Ihnen gesellen sich für das Einzelne zunächst die Dea Rusina (von rus), der Deus Iugatinus, die Dea Collatina, die Dea Vallonia, je nachdem der zu bestellende Acker entweder im offnen Felde oder an Bergesabhängen oder auf einem Hügel oder im Thale gelegen warAugustin C. D. IV, 8 Nec agrorum munus uni alicui deo committendum arbitrati sunt, sed rura Deae Rusinae, iuga montium Deo Iugatino, collibus Deam Collatinam, vallibus Valloniam.. Weiter wurden als Schutzgottheiten der 591 Saat vornehmlich die beiden der Tellus oder Ops verwandten, also weiblichen Göttinnen unterschieden, Seia und Segetia. Jener Name ist von sero sēvi abzuleiten, so daß sie eigentlich Sevia heißen müßte, denn es ist speciell die Göttin der Aussaat, die das noch im Schooße der Erde schlummernde Korn behütet und befruchtet, wofür auch die Namen Fructiseia und Semonia vorkommen. Dahingegen jene andre Göttin, welche auch Segesta hieß, die Göttin der schon aus der Erde hervorsprossenden Saat (seges) istAugustin IV, 8. 21, vgl. Macrob. S. I, 16, 8 apud veteres quoque qui nominasset Salutem, Semoniam, Seiam, Segetiam, Tutilinam ferias observabat. Die Dea Segetia sieht man in einem eignen T. auf M. der Salonina, der Gemahlin Galliens, Eckhel D. N. VII p. 418. Nach Plin. H. N. XVIII, 2 standen die Bilder der Seia und Segesta im Circus, ein drittes Bild aber, welches neben ihnen stand, hatte einen verborgenen Namen. Immer sind die Göttinnen der Saat zugleich Göttinnen der Geburt und des Todes, daher zur mystischen Allegorie besonders einladend.. Weiter entsprechen dann den einzelnen Entwicklungsstadien der keimenden, wachsenden und reifenden Saat über der Erde folgende Schutzgötter. Zunächst die Proserpina, welcher Name vermuthlich aus dem der griechischen Persephone entstanden ist, in diesem Zusammenhange aber die Fürsorge der Ceres oder Tellus für die aus der Erde hervorkeimenden Halme ausdrücktAugustin l. c. Praefecerunt ergo frumentis germinantibus Proserpinam. Arnob. III, 33 et quod sata in lucem proserpant cognominatam esse Proserpinam. Vgl. oben S. 443., ferner ein Divus Nodotus, welcher dem aufstrebenden Halm von einem Knoten zum andern emporhilftAugustin l. c. geniculis nodisque culmorum Deum Nodotum. Arnob. IV, 7 Nodotus dicitur Deus qui ad nodos perducit res satas., eine Volutina, welche die deckenden Hülsen der Aehren bildet, endlich die Patelena, welche diese Hülsen öffnet, damit die Aehre daraus hervorwachsen kannAugustin l. c. involumentis follicidorum Deam Volutinam, cum folliculi patescant, ut spica exeat, Deam Patelenam. Wie genau auch hier im praktischen und sacralen Sprachgebrauche unterschieden wurde, sieht man aus Paul. p. 211 pennatas impennatasque agnas in Saliari carmine spicas significat cum aristis et alias sine aristis, agnas novas voluit intelligi. Serv. V. Ge. I, 314 spicos de maturis frugibus abusive dicimus, nam proprie spicus est cum per culmi folliculum i. e. extremum tumorem aristae adhuc tenues in modum spiculi eminent.. Bei einem andern Schriftsteller wird noch genauer zwischen einer Dea Patellana und einer Dea Patella unterschieden, von welchen jene die Aehre aus der umgebenden Hülse hervorlocke, diese aber die 592 Göttin der hervorgetretenen und im Lichte des Himmels reifenden Aehre seiBei Arnob. IV, 7 lese ich: Patellana numen est et Patella, ex quibus una est patefactis, patefaciendis frugibus (für rebus) altera praestituta.. Also wäre diese die eigentliche Erndtegöttin, die blonde Ceres der Griechen (ξανϑὴ Δημήτηρ, flava Ceres), und in der That scheint die Erndtegöttin in dem alten Italien meist unter diesem Namen verehrt worden zu sein. Wenigstens nennen die iguvinischen Tafeln eine Göttin Padella und die oskische Weihinschrift von Agnone eine PatănaAufrecht und Kirchhoff Umbr. Sprachd. 2, 80, Mommsen Unterit. Dial. 128 u. 135., die höchst wahrscheinlich mit jener Patella identisch sind, und auch die Dea Panda, welche am Abhange des Capitols verehrt wurde, wo nach ihr ein Thor die p. Pandana hieß, ist mit Recht mit ihr verglichen worden, da auch dieser Name auf denselben Cult einer Erndtegöttin zurückführtVerschiedne Erklärungen bei Arnob. IV, 3, welcher sie Dea Panda vel Pantica nennt, und bei Non. Marc. p. 44 pandere, wo diese Stelle aus Varro de vita pop. Ro. lib. I angefuhrt wird: Hanc Deam Aelius (also ward sie in den Liedern der Salier genannt) putat esse Cererem, sed quod in asylum (nehmlich das inter duos lucos) qui confugisset, (ei) panis daretur, esse nomen fictum a pane dando pandere, quod est aperire. Die p. Pandana war mit der p. Saturnia identisch, Becker Handb. I, 119, daher es nahe liegt bei der Panda an die Ops zu denken.. Es scheint sogar daß dieser Name bei den Sabinern und andern Völkern des mittlern Italiens der gewöhnliche anstatt der latinischen und römischen Ceres gewesen istServ. V. Ge. I, 7 Sabini Cererem Panem appellant, wo also höchst wahrscheinlich zu schreiben ist Pandam. Auch in Varros Satiren kam der Name Panda vor (S. 306, 669) und eine Göttin Empanda nennt Paul. p. 76. Vgl. die Göttin Πανδινα auf Münzen von Hippon und Terina, welche durch die Attribute von Mohnköpfen und Aehren als Ceres bestimmt wird.. Doch giebt es auch hier für den weiteren Verlauf der Reife des Getreides bis zur Erndte und Einspeicherung noch eine ganze Reihe einzelner Gottheiten, welche nicht selten mit den Beinamen der griechischen Demeter übereinkommenΔ. ἀμαία, ἀμαλλοφόρος, Ἰουλώ, Σιτώ, Ἱμαλίς, μεγαλόμαζος, μεγάλαρτος, Griech. Mythol. I, 475.. So ward zur Dea Hostilina gebetet daß sie die Aehren in gleicher Höhe wachsen lassen möge, denn hostire ist in der ältern lateinischen Sprache i. q. aequareAugustin IV, 8 cum segetes novis aristis aequantur, quia veteres aequare hostire dixerunt. Vgl. Fest. p. 270 redhostire., zur Flora daß sie die Blüthe des Getreides in ihren Schutz nehme, zur Lacturcia, neben welcher 593 ein männlicher Deus Lactans verehrt wurde, daß sie die jungen, noch milchigen Aehren, zur Matura daß sie das reifende Korn behüteAugustin l. c. florescentibus frumentis Deam Floram, lactescentibus Deam Lacturciam, maturescentibus Deam Maturam. Zur Lacturcia vgl. Virgil G. I, 315, wozu Servius bemerkt: Varro in libris Divinarum dicit Deum esse Lactantem, qui se infundit segetibus et eas facit lactescere. Et sciendum inter lactantem et lactentem hoc interesse, quod lactans est quae lac praebet, lactens cui praebetur. Vgl. Nemesian. Cyneg. 290 inde ubi pubentes calamos duraverit aestas, lactentesque urens herbas siccaverit omnem messibus humorem culmisque armarit aristas etc.. Auf sie folgt die Dea Runcina, welche das Geschäft besorgt welches die Alten runcari segetes nannten d. h. die Saat durch Ausrupfen des Unkrauts und der unbrauchbaren Aehren reinigen, darauf die Dea Messia, welche das reife Korn schneidet, endlich die Tutilina, welche das Einfahren und Einheimsen des geschnittenen KornsTertull. Spectac. 8 vom Circus: Columnas Sessias (leg. Seias) a sementationibus, Messias a messibus, Tutulinas a tutelis fructuum sustinent. Wahrscheinlich standen auf jeder Säule drei gleichartige Göttinnen, vgl. Plin. H. N. XVIII, 2. Ueber die Dea Tutilina s. Augustin. l. c, Non. Marc. p. 47, Grut. 99, 6. So feierte man in Athen der Demeter eigne Ἐπικλείδια., und eine Dea Terensis, welche das Ausdreschen des Getreides auf der Tenne besorgtArnob. IV, 7 quae praeest frugibus terendis Noduterensis, wo zu lesen ist Terensis. 11 Pertundam, Perficam, Noduterensem, zu lesen Nodotum, Terensem.. Und hier dürfen wir auch auf das oben S. 404 aus Serv. V. G. 1, 21 erwähnte Gebet des Flamen beim Opfer der Ceres zurückkommen, wo zuerst Tellus und Ceres, gewiß aber auch der männliche Tellumo oder Saturnus und nach ihm folgende männliche Götter angerufen wurden: der Vervactor, Reparator, Imporcitor, Insitor, Obarator, Occator, Sarritor, Subruncinator, Messor, Convector, Conditor, Promitor, durch welche Namen die wichtigsten Geschäfte des Landmanns von der Aussaat bis zur Erndte personificirt werden. Vervactor ist nehmlich der erste Umbrecher des Ackerbodens, worauf er als vervactum oder ager novalis eine Zeitlang ruhtI. M. Gessner im lex. rusticum z. Ausg. der Script. rei rust., welcher das Wort von vertere und agere ableitet, während Plin. H. N. XVIII, 19, 49 erklärt: quod vere semel aratum est a temporis argumento vervactum vocatur. Reparator ist der das Feld von neuem umbricht, proscindit. Das ganze Geschäft des zweimaligen Umwendens und das Darauffolgen des Pfluges umfaßt der attische Τριπτόλεμος., Reparator der welcher ihn zum zweitenmale umbricht, Imporcitor endlich der wirkliche Pflüger, welcher mit dem Pfluge die Balken oder Bänke (porcas) 594 zwischen den Furchen aufwirftPaul. p. 108 Imporcitor qui porcas in agro facit arando. Porca autem est inter duos sulcos terra eminens. Vgl. Placid. p. 492., in welche darauf von dem Insitor die Saaten eingestreut werden. Darauf folgt das Geschäft des Obarator, welcher den Acker nach eingestreuter Saat überpflügt, und des Occator, welcher mit der Egge nachhilftPlin. H. N. XVIII, 20, 49 aratione per transversum iterata occatio sequitur, ubi res poscit crate vel rastro etc. Vgl. Virg. G. I, 94, Plaut. Merc. Prol. 71 tibi aras, tibi occas, tibi seris, tibi eidem metis. Das Wort hangt zusammen mit occidere s. Varro r. r. I, 31, Fest. p. 181.. Weiterhin, nachdem die Saat aufgegangen ist, beginnt die Thätigkeit des Sarritor, welcher mit der Hacke das Unkraut aushebt, und des Subruncinator, welcher vor der Erndte mit der Hand jätet. Endlich beginnen die Geschäfte des Messor d. h. des Schneiders, des Convector d. h. des Einfahrers, des Conditor d. h. des Speicherers, des Promitor d. h. des Ausgebers. In einem andern Zusammenhange wird erwähnt ein Deus Spinensis, den man bat die Dornen und andres Gestrüpp (spinas) von den Aeckern zu entfernenAugustin IV, 21..
Auch für die Geschäfte des Weinbaus, der Baum- und Obstzucht, der Bienenpflege und der Viehzucht gab es wahrscheinlich ähnliche Gebete und Personificationen, doch ist hier nur wenig erhalten. Zum Weinbau gehört die Dea Meditrina, welcher das Fest der Meditrinalia entsprichtS. oben S. 175, Paul. p. 123 und den attischen Gebrauch am Tage der Pithögien vor dem ersten Trunk zu beten, ἀβλαβῆ καὶ σωτήριον αὐτοῖς τοῦ φαρμάκου τὴν χρῆσιν γενέσϑαι, Plut. Symp. Qu. III, 7, 1.. Der Obst- und Baumzucht entsprechen Vertumnus und Pomona (S. 397), der Bienenzucht eine Dea Mellona oder MelloniaAugustin IV, 34, Arnob. IV, 7., der Viehzucht außer dem Silvanus, der Pales u. s. w. ein Deus Nemestrinus als Gott der nemora. Endlich gab es zwei eigne Göttinnen der Rindviehzucht und der Pferdezucht, Bubona und EponaAug. IV, 24, 34, Plin. H. N. XVIII, 3. Der durch eine Inschrift aus der Gegend der Eifel bekannt gewordene Caprio scheint dagegen ein celtischer Gott zu sein, s. J. Becker Zeitschr. f. A. W. 1851 n. 16.. Jene scheint durch eigne Spiele, die ludi Bubetii hießen, verherrlicht worden zu sein, diese, die Epona, von epus anstatt des gewöhnlichen equus (vgl. das griech. ἵππος, celt. epo, und die Stadt Eporedia j. Ivrea), wurde weit und breit in Italien und den romanisirten Ländern in den Ställen verehrt, und zwar nicht blos als Schutzgöttin der Pferde, sondern auch als die der Esel 595 und Mäuler. Entweder wurde in einer Nische in der Mitte des Hauptbalkens, der die Decke des Stalls trug, eine kleine Capelle errichtet und ihr Sitzbild in derselben bei festlicher Gelegenheit mit Rosen und andern Blumen bekränzt, oder es wurden mit ihrem Bilde ganze Praesepien von Pferden, Eseln, Mauleseln und andern Thieren in Gemälden oder in Bildwerken ausgeführt und für den Gebrauch der Ställe geweihtIuvenal. VIII, 156, Apulei. Metam. III p. 225. Vgl. Tertull. ad Nat. I, 11, Apolog. 16, Minuc. Fel. Octav. 28. Daher auch die Inschriften diese Göttin oft nennen, s. Grut. 87, 4–6, Or. n. 402. 4792–94, Henzen n. 5804. Auch sind verschiedene Bildwerke der Art erhalten, s. v. Florencourt Jbb. d. V. v. A. F. im Rheinl. III, 47 ff. und Chr. Walz ib. VIII, 129 ff. Einmal steht sie in langem Gewande und liebkosend zwischen zwei Füllen, ein andermal sitzt sie auf einem Pferde u. s. w..
Wie weit die ältere Zeit diesem Triebe der Personification aller sacralen Acte folgte, sieht man auch aus den über die Vorgänge im Haine der Dea Dia aufgenommenen Protokollen der Arvalischen Brüder t. XXXII u. XLIII. Einmal soll ein Feigenbaum vom Giebel des Tempels entfernt werden. Da wird sowohl vor als nach dieser Arbeit (S. 430) zuerst den Göttern des Orts geopfert, dann aber der Adolenda, Commolenda und Deferunda, das sind Personificationen des bei Hinwegräumung jenes Baums beobachteten Verfahrens, indem man ihn erst von dem Tempel herunternahm, dann zerhackte und endlich verbrannte. In einem andern Falle, wo einige von dem Blitz beschädigte Bäume aus dem Hain entfernt werden, wird wieder zuerst den Göttern und dann der Adolenda und Coinquenda geopfert, welche letztere in diesem Falle dasselbe bedeutet was dort die Commolenda, während die Deferunda von selbst wegfiel. Auch dabei liegt aber keineswegs die bloße Willkür der Personification abstracter Thatsachen zu Grunde, sondern eine gewisse herkömmliche, durch priesterliche Satzung und Weihung geheiligte Formel. Wurde doch selbst auf dem Lande kein heiliger Baum gefällt, kein Hain gelichtet, ohne daß man vorher in einer bestimmten, von Cato r. r. 139 vgl. Plin. H. N. XVII, 28 beschriebenen Weise geopfert und gebetet hätte.