Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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4. Faunus und Fauna.

Dennoch ist Picus, da er wesentlich nur Symbol des Mars war, niemals eigentlicher und selbständiger Cultusgott gewesen, wie sein naher Verwandter Faunus: einer der ältesten und volksthümlichsten Götter Italiens, dessen Eigenthümlichkeit und große Wichtigkeit für den Volksglauben man sich oft deswegen hat entgehen lassen, weil er in Rom sehr bald mit dem griechischen Pan identificirt und wie sein historischer Doppelgänger Evander aus Arkadien hergeleitet wurde. Und doch ist schon der Name ganz italisch, denn Faunus ist der Gute, der Holde, von faveo, wie Faustus und Faustulus und der befruchtende Frühlingswind Favonius (S. 291). In umbrischen Sprachdenkmälern findet sich das Wort fons in der verwandten Bedeutung von gnädig und hülfreichAufrecht und Kirchhoff 2, 139, vgl. Bugge in der Zeitschr. f. vgl. Sprachf. 3, 41. Mart. Cap. II, 167, Glossa Isidori: Fones, dei silvestres., und wirklich hießen die oft im Plural gedachten Faune in der Volkssprache auch Fones. Auch zeugt eben jene alte griechische Uebersetzung des italischen Namens durch Evander für die Richtigkeit der Erklärung, die den Alten nicht entgehen konnteServ. Georg. 1, 10 quidam Faunos putant dictos ab eo quod frugibus faveant. A. VIII, 314 quidam Faunum appellatum volunt eum quem nos propitium dicimus.. Also ein guter Geist der Berge, der Triften, der Fluren, orakelnd und den Acker, das Vieh und die Menschen befruchtend, ein Stifter milder und frommer Sitte, alter König und Urheber vieler alter Geschlechter: das sind etwa die Grundzüge eines Glaubens, der durch ganz Italien galt und den auch Varro bei Serv. V. A. VIII, 275 als einen alten italischen und römischen bezeichnet. Im Volke war der Glaube an diese guten Geister der Flur und des Waldes so lebendig und eingewurzelt, daß die Bauern in der Umgegend von Rom fort und fort behaupteten, man sähe sie oft auf den FeldernProb. z. Virg. Ge. 1, 10 plures autem existimantur esse et praesentes. Idcirco rusticis persuasum est incolentibus eam partem Italiae, quae suburbana est, saepe eos in agris conspici..

336 Den gewöhnlichen Volksglauben schildert am besten Horaz Od. III, 18, zu welchem Gedichte die ländlichen Faunalien, wie sie an den Nonen des December gefeiert wurden, Veranlassung gegeben habenPorphyrion bemerkt zu diesem Gedichte: Nonis Decembribus Faunalia sunt h. e. dies festus Fauni, in cuius honorem pecudes lasciviunt. Vgl. Acron ib.. »Faunus, sagt der Dichter, wenn du die flüchtigen Nymphen haschest, gehe mir gnädig über meine Grenzen und sonnigen FlurenOvid F. IV, 761 nec Dryadas nec nos videamus labra Dianae, nec Faunum medio cum premit arva die. und lasse mir die junge Zucht der Trift ungeschoren. Schlachte ich dir doch jährlich, wenn deine Zeit kommt, ein zartes Böcklein, fülle dir die Becher reichlich mit Wein, dem Gesellen der Liebesgöttin, auch duftet der Väter Altar von reichlichem Weihrauch. Alles Vieh hüpft auf der Weide, wenn deine Nonen wiederkehren, das ganze Dorf, mit ihm der Pflugstier feiert dich auf den Wiesen, kein Lamm fürchtet sich vor dem Wolfe. Der Wald streut dir seine Blätter und der Bauer trampelt mit lustigem Tanzschritt auf der Erde, die sonst seine Plage ist«. Verliebt ist Faunus wie alle Befruchtungsgötter; die junge Heerde soll er verschonen, weil er wie alle Dämonen, wenn man sie vernachlässigt, tückisch wird. Daß er sonst die Heerde mehrt und vor dem Wolfe schützt, deutet das Gedicht selbst an, und Faunus wurde deshalb bei den Hirten allgemein als Inuus verehrt und als Lupercus. Inuus ist der Bespringer, ab ineundoPaul. p. 110 init ponitur interdum pro concubitu., zunächst im Sinne der thierischen Begattung, Lupercus der Wolfsabwehrer, in der nächsten Bedeutung als Beschützer der HeerdePaul. p. 15 arcere prohibere est. Similiter abarcet prohibet. Porcet quoque dictum ab antiquis quasiporro arcet. Ib. p. 25 abercet prohibet., in der entfernteren als Austreiber des Winters durch die Erneuerung des Jahres im Frühlinge. Wir werden beide Eigenschaften bei den römischen Lupercalien wieder zusammenfinden. Einstweilen mag das Castrum Inui an der Küste von Ardea, wahrscheinlich eine alte latinische Hirtenstation (Virg. Aen. VI, 775), die populäre Geltung dieses Namens beweisen.

In andern Ueberlieferungen des Volksglaubens erscheint Faunus oder als Collectivbegriff das Geschlecht der Faune mehr 337 nach Art des nahe verwandten Silvanus als Waldgeist, der im tiefen Walde haust, in verborgenen Höhlen oder an rauschenden Quellen, wo er weissagt oder die Vögel fängt und die Nymphen jagt. Den Menschen tritt er in solchen Erzählungen meist nur geisterhaft, mahnend und schreckend entgegen, mit gewaltiger Stimme aus dem Walde rufend, so daß alle Herzen erbeben, oder mit allerlei dämonischer Plage des Schlafes und Traumes, wie die alten Gallier sie von ihren Dusiern, die Deutschen von ihren Schraten erzähltenGrimm D. M. 448.. Namentlich ist bei den Römern oft von den Stimmen und Rufen des Faunus die Rede, welcher dadurch mehr als eine Schlacht entschieden haben soll, indem er die Brust der Feinde mit panischem Schrecken erfüllteCic. d. Divin. 1, 45, 101 saepe etiam in proeliis Fauni auditi. Vgl. N. D. II, 2, 6, III, 6, 15 und die Erzählungen von der Schlacht mit den Etruskern in der Nähe der silva Arsia, wo Einige den Silvanus, Andre den Faunus nannten, Liv. II, 7, Dionys V, 16, Val. Max. 1, 8, 5.. Oder man dachte sich dieselben Wesen wie Geister umherschleichend, daher die Hunde in Italien dem Faunus und der Mutter aller guten Geister gesellt wurden, wie in Griechenland der Hekate, weil die Hunde Geister sehen, namentlich glaubte man die jungen Hündinnen vom ersten Wurfe der Mutter. Daher auch der Glaube an allerlei Neckereien der Faune im Schlaf, so daß sie bisweilen ganz als Plagegeister erscheinen wie bei uns der Alp; gegen welche Anfechtungen man sich mit allerlei Wurzeln und Quacksalbereien zu schützen suchte, besonders mit der Wurzel der Waldpäonie, welche man aber nur bei Nacht ausgraben durfte, weil der Marsspecht, wenn er es bemerkte, dem Gräber die Augen aushacktePlin. VIII, 40, 62, XXV, 4, 10, XXX, 10, 24. Ueber das Geistersehen der Hunde s. Grimm D. M. 632.. Vorzüglich hatten sich die Frauen vor den Faunen und Silvanen in Acht zu nehmen, da diese lüsternen Waldgeister sie leicht im Bette beschlichen; daher der volksthümliche Name Incubus für solche nächtliche Geister und KoboldeAugustin C. D. XV, 23, Isidor Orig. VIII, 103, Serv. V. A. VII, 776, Macrob. S. Scip. 1, 3, 7 u. A. Der Incubus oder Incubo, ab incumbendo dictus, entspricht dem griechischen ἐπιάλτης. Wegen ihrer geilen Productionskraft nannte man sie auch Fauni ficarii, Hieron. in Isai. V, 13, 21 vel Incubones vel Satyros vel silvestres quosdam homines, quos nonnulli Faunos ficarios vocant, vgl. Isidor. Orig. VIII, 11. Nach einer gothischen Sage war das Volk der Hunnen aus der Vermischung solcher Fauni ficarii mit Alraunen d. h. zaubernden Nymphen, Hexen entsprungen, Iornandes d. reb. Get. 24.. 338 Dahingegen die Dichter meist nur von dem nächtlichen Spiele und Tanze der Faune und Nymphen in den Schluchten des Waldes erzählen, wo das Echo wiederhallt und die lärmenden Laute oder süße Musik weithin durch die stille Nacht zu den Ohren des Landmanns trägt. Oder sie dichten von dem Jagen und Vogelstellen des Faunus, der darum auch mit der Diana nahe befreundet istLucret. IV, 570 ff., Virg. Georg. I, 10, Aen. VIII, 314, Prop. IV, 2, 33, Grat. Fal. Cyneg. 16 ff. u. A.. Immer gehören die Faune und die Nymphen des Waldes zur Lust und ländlichen Staffage des Gebirges, wie es die Arbeit und das Leben der Menschen im Thale mit ahndungsvollem Hintergrunde umgiebt und in dasselbe wie Rübezahl mit allerlei dämonischem Spuk, aber doch eigentlich wohlwollenden und gutmüthigen Geistes hinübergreift.

Der eine Faunus dagegen erscheint in latinischen und römischen Ueberlieferungen zunächst und vorzüglich als ein Gott der Weissagung und Offenbarung, sowohl der unmittelbaren aller erregten und bewegten Natur als der durch Traum oder Verzückung. Faunus hieß in dieser Eigenschaft Fatuus oder FatuelusServ. V. A. VI, 776, VII, 47, VIII, 314, Fest. p. 325 versus quibus Faunus fata cecinisse hominibus videtur. Auch der Deus Vaticanus, von welchem der Vaticanische Hügel seinen Namen bekommen hatte, wird am besten abgeleitet a vaticiniis, quae vi atque instinctu eius dei in eo agro fieri solita essent, Gell. V. A. XVI, 17. Also wohl auch ein alter Dienst des Faunus. von fari und fatuari, also der Sprecher in dem Sinne wie unser Wahrsager und der griechische προφήτης. Nimmt doch selbst Numa, der Liebling der Egeria, in solchen Fällen wo es die Geheimnisse der Götterwelt zu erfahren gilt, zum Picus und Faunus seine Zuflucht, welche nach dieser Sage von dem Könige und seinen zwölf Begleitern erst berauscht und dann gebunden und zur Offenbarung des furchtbaren Zaubers gezwungen werdenOvid F. III, 291 ff., Arnob. V, 1, Plut. Numa 15, oben S. 170.. In einer andern Erzählung, bei Ovid F. IV, 644 ff., wird ein Traumorakel des Faunus mit sehr alterthümlichen Zügen beschrieben. Wieder wird Numa vom Faunus belehrt, diesmal wie in einem unfruchtbaren Jahre die Erde durch ein Opfer von zwei Kühen versöhnt werden müsse. In einem alten dem Faunus geheiligten Walde, wo der gute Geist sich in der Nacht den Träumenden zu offenbaren pflegte, schlachtet Numa zwei Schaafe, eins dem Faunus das andre dem Schlafe. Beide Felle werden auf der bloßen Erde ausgebreitet, der König besprengt 339 sein Haupt zweimal mit dem Wasser der Quelle, flicht zwei Kränze von Buchenlaub um sein Haupt und legt sich, durch keusche Enthaltung, Fastenspeise und Entfernung des Ringes von seinem Finger vorbereitet, nachdem er gebetet auf die Felle zum Schlafe nieder. Nun kommt die Nacht und mit ihr Faunus, der die Felle betritt und dem Könige das Gebot jenes Opfers ins Ohr flüstert. Eine dritte Erzählung von den Offenbarungen des Faunus ist die bei Virgil Aen. VII, 79–95, und zwar wird auch hier ein bestimmtes Faunus-Orakel der Latiner beschrieben, in der Hauptsache wie bei Ovid. Seine Stätte war der Hain der Albunea, wahrscheinlich der bei den Wasserfällen von TiburNach Servius der bei Tibur, nach Probus z. V. Georg. I, 10 in Laurentinorum silva, daher Bormann altlatin. Chorogr. S. 49 ff. das von Virgil beschriebene Orakel an die Solfatara d'Altieri in der Gegend von Ardea verlegt; doch weist der Ausdruck sub alta Albunea und der große Ruhm des Ortes mehr nach Tibur. Vermuthlich waren beide Stätten dem Faunus und der Fauna heilig. Auch Vitruv. VIII, 3 nennt beide Solfataren als gleichartige Erscheinungen zusammen.. Der König Latinus, von bösen Zeichen erschreckt, begiebt sich in jenen durch alten Glauben der Latiner und aller umwohnenden Völker geheiligten Hain. Dahin, sagt der der Vorzeit kundige Dichter, ging der Priester um fromme Gaben darzubringen, Schaafe zu schlachten und sich auf ihre Felle zum Schlafe zu legen, worauf er viele wunderbare Gesichte sah und viele seltsame Stimmen im Gespräche mit den Göttern hörte. Dahin also ging damals auch Latinus, that wie Alle zu thun pflegten und hörte eine Stimme aus dem Gipfel der Bäume, welche ihm seine Tochter nicht dem Turnus zu geben, sondern für den Fremdling aus weiter Ferne aufzubewahren befahl. Ein andrer Dichter, Calpurnius Ecl. I, 8 ff., weiß von einem Buchenhain des Faunus mit einer Höhle, in welche nur Enthaltsame gehn durften und in deren Nähe die Hirten die Orakel des Faunus in die Stämme der Buchen eingeschnitten fanden, während Fronto de eloq. p. 85 die Faune im Allgemeinen vaticinantium incitatores nennt. Daher die bekannte Ableitung alles ältesten Gesanges, welcher immer religiösen und oraculösen Inhaltes oder Zaubergesang ist und in Italien dieses sehr lange blieb, von Faunus oder den Faunen; aus welchem Grunde auch das Versmaaß solcher Gesänge und überhaupt der alten und nationalen Dichtung das Faunische hieß oder das SaturnischeEnnius Ann. v. 221 scripsere alii rem versibus quos olim Fauni vatesque canebant etc., wozu Varro l. l. VII, 36 bemerkt: hos (Faunos) versibus quos vocant Saturnios in silvestribus locis traditum est solitos fari futura, a quo fando Faunos dictos, eine beliebte, aber falsche Etymologie. Vgl. Fest. p. 325 Saturno, Mar. Victorin A. Gramm. III, 18, Placid. Gl. p. 463. Alte Propheten, welche Apollinis operta d. h. dunkle Sprüche der Weissagung, in solchen Versen gesungen hatten, waren Marcius und Publicius, s. Cic. de Divin. I, 50, 115, II, 55, 113., denn Saturnus gehörte in Italien eben so 340 wesentlich zu dem Bilde der mythischen Vorzeit als Faunus. Wie eben dieser Faunus als Geist der Inspiration in verschiedenen Ueberlieferungen als ältester Religionsstifter von Latium erscheint und als solcher sogar neben Numa genannt wurde, haben wir oben S. 92 gesehen.

Nächst dieser weissagenden Natur wird auch in den römischen Gebräuchen und Legenden am meisten hervorgehoben die Kraft der Befruchtung, so namentlich in der Mythe vom Faunus und der Fauna d. h. der Guten, der Holden, der deutschen Frau Hulda, der römischen Bona Dea, welche bald die Tochter bald die Frau des Faunus heißt und von ihm in Gestalt einer Schlange befruchtet wird, aber auch Fatua genannt wurdeIustin. XLIII, 1 Fauno fuit uxor nomine Fatua, quae assidue divino spiritu impleta velut per furorem futura praemonebat; unde adhuc qui inspirari solent fatuari dicuntur. Vgl. Serv. V. A. VII, 47 u. A. weil sie wie Faunus zugleich für weissagerisch galt, für eine sibyllenartige Göttin der ekstatischen Begeisterung und Wahrsagung, auch des Gesanges und Zaubers. Wir werden auf den Cult dieser alten, in Italien unter verschiedenen Formen und Namen verbreiteten Göttin zurückkommen, indem wir hier nur noch auf die alterthümliche, der griechischen Natursymbolik nahe verwandte Bildersprache hinweisen, in welcher die oft erzählte Legende vom Faunus und der Fauna oder Bona Dea (s. dort) sich ausdrückt. Nehmlich die Myrtenzweige, mit welcher Faunus die Fauna streicht, waren sicher ursprünglich nur ein Bild der Befruchtung, welche im Frühlinge von dem schöpferischen und zaubernden Geiste der Berge und Wälder ausgeht und in der jungfräulichen Erde einen neuen Trieb zu allem Wachsthum erweckt. Eben so der Genuß des Weins, mit welchem er sie trunken macht, denn nun beginnen die Quellen wieder zu strömen und die Blätter zu rauschen und die ganze Natur wird von jenem trunknen Taumel der Liebe ergriffen, welcher auch der ekstatischen Gemüthsverzückung, die man beiden, sowohl dem Faunus als der Fauna zuschrieb, ganz nahe verwandt ist. Endlich die Schlange, in deren Gestalt Faunus der Fauna beiwohnt, wie in den griechischen und phrygischen Mythen Zeus der Proserpina 341 oder der Rhea, kann nach der Analogie der gewöhnlichen italischen Symbolik (S. 76) nichts Anderes sein als ein Bild des schaffenden Genius und der ewigen Verjüngung und Erneuerung des Jahres, wie das Gefühl für dieselbe denn grade in den römischen Culten der Lupercalien und des Opfers der Bona Dea mit fast auffallender Lebendigkeit sich ausdrückt.

Endlich wurden Faunus oder die Fauna auch sehr häufig in den mythischen Ueberlieferungen von der ältesten Vorzeit genannt und zwar in zwiefacher Weise, entweder so daß Faunus als König der ältesten Landesbevölkerung und als Stammvater seiner Könige und Edlen selbst Bildung und Ordnung stiftet, oder daß die Faune und Nymphen nur die Staffage einer mythischen Vorzeit sind, welche im Allgemeinen der griechischen Tradition von eichelessenden Pelasgern entspricht. Doch finden sich in solchen Erzählungen zugleich gewisse Vorstellungen von dem Ursprunge des menschlichen Geschlechts aus dem Walde und aus Bäumen angedeutetVirg. Aen. VIII, 314 Haec nemora indigenae Fauni Nymphaeque tenebant gensque virum truncis et duro robore nata etc. Iuvenal Sat. VI, 11 Quippe aliter tunc orbe novo coeloque recenti vivebant homines, qui rupto robore nati compositive luto nullos habuere parentes. Vgl. Griech. Myth. 1, 57., welche wie in andern Ländern, so auch in Italien wirklich volksthümlich gewesen sein müssen. Auch werden sie durch alterthümliche Geschlechtssagen z. B. die der Albanischen Silvier bestätigt, während andre Genealogieen und Stammsagen direct auf Faunus zurückgehn, der in den alten italischen Ueberlieferungen überhaupt sehr oft die Rolle eines ersten Erzeugers gespielt zu haben scheintVgl. Virg. Aen. X, 550, Sueton Vitell. 1 und die Sage vom umbrischen oder etruscischen Ocnus b. Silius It. V, 7 vgl. Virg. A. X, 197 und Müller Etr. I, 132, II, 274.. Noch andre Ueberlieferungen nannten die Faune und die Aboriginer d. h. die italischen Autochthonen als so nahe Verwandte, daß beide darüber zu einem herkömmlichen Bilde für die rohe und naturwüchsige Urzeit geworden sindGell. N. A. V, 21, XIII, 9.. Dahingegen sich in Latium solche Sagen zu der Tradition von jenem Aboriginerkönige Faunus, dem Sohne des Picus verdichtet hatten, welcher für einen sehr weisen und verdienten König galt, der nach seinem Tode zum Schutzgott des Landes nach Art der Indigeten geworden war und als solcher durch Opfer und Gesänge verherrlicht wurdeDionys 1, 31, vgl. Prob. z. Virg. Ge. I, 10, Iustin XLIII, 1, Aurel. Vict. 4 u. A.. Wenn 342 man ihn in Lavinium den Gemahl der für identisch mit der Circe gehaltnen Nymphe Marica nannte, so waren diese Nymphen und Göttinnen wohl nur verschiedene Localformen der einen Fauna oder Bona Dea.

Auch der Cultus des Faunus war meist ein sehr alterthümlicher geblieben, da er mit seltnen Ausnahmen im freien Felde verehrt wurde, entweder in Höhlen oder in Hainen und durch heilige Bäume, z. B. den wilden Oelbaum an der laurentischen Küste, an welchem nach Virgil Aen. XII, 766 die Schiffer nach glücklicher Rückkehr ihre Kleider dem guten Schutzgeiste der Heimath zu weihen pflegten. Auf dem Lande scheint man ihm monatlich ein Opfer dargebracht zu habenProbus l. c. Eundem Pana, eundem Inuum, eundem Faunum quidam interpretantur, quod ei in Italia quidam annuum sacrum celebrant, quidam menstruum., obwohl ihm speciell die Nonen des December heilig waren, ein ländliches Fest beim Eintritt des Winters, worüber bereits nach Horaz berichtet ist. In Rom dagegen war das alte und alterthümliche Fest der Lupercalia am 15. Februar, also bei der Annäherung des Frühlings, der Verherrlichung des sühnenden und befruchtenden Lupercus gewidmet, dessen Heiligthum in der bekannten Höhle am Palatinischen Hügel, das sogenannte Lupercal, für das älteste aller Heiligthümer auf städtischem Grund und Boden gehalten wurde. Es war eine Höhle nach Art der griechischen Panshöhlen, dieselbe in welcher der Sage nach die Wölfin des Mars die Zwillinge stillte. Einst hatte sie, von mehr als einer Quelle tropfend, in einem dichten Gebüsch alter und heiliger Bäume gelegen, später war sie in einem der belebtesten und glänzendsten Quartiere der großen Stadt nur noch das alterthümliche Merkmal und Wahrzeichen einer Zeit, wo Hirten und Räuber, wilde Thiere und die Fluthen des Tiber sich um die Wiege der künftigen Weltstadt strittenDionys I, 79; II, 32, vgl. meine Regionen der St. R. S. 187 ff. Bei Virg. Aen. VIII, 630 fecerat et viridi fetam Mavortis in antro procubuisse lupam, geminos huic ubera circum ludere pendentis pueros etc. ist zu verbinden Mavortis lupam. Faunus ist in der Geschichte der Zwillinge Faustulus, die Wölfin Acca Larentia, welche auch Lupa genannt wird, oder Fauna d. i. in diesem Culte Luperca, s. Arnob. IV, 3 quod abiectis infantibus pepercit lupa non mitis Luperca Dea est auctore appellata Varrone. Lactant. 1, 20, 1 Romuli nutrix Lupa honoribus est affecta divinis.. Die gewöhnliche Ueberlieferung war daß unter jenem Aboriginerkönige Faunus der arkadische Evander an die latinische Küste verschlagen wurde und vom Faunus freundlich 343 aufgenommen auf dem Palatinischen Hügel das sogenannte Palatium gestiftet, an seinem Abhange jene Höhle dem lykäischen Pan seiner Heimath geheiligt habe, demselben welchen die Römer später Lupercus und Inuus nanntenLiv. I, 5, vgl. Ovid F. V, 99, Serv. Georg. I, 10, Schwegler R. G. 1, 351 ff.. Indessen ist schon von Andern bemerkt worden daß dieser Evander nur eine griechische Maske des alten latinischen Nationalgottes Faunus ist, der hier seine Heiligthümer selbst stiftet so gut wie der römische Hercules selbst den Dienst seiner ganz in der Nähe gelegenen Ara Maxima und in andern Cultusüberlieferungen andre Götter. Dem Lupercal entspricht die Feier der LupercaliaDionys 1, 32, Ovid F. II, 265 ff., Plut. Rom. 21, Kal. Maff. und Farnes. z. 15. Febr., dessen alterthümliche, in Rom immer mit großer Lust und Liebe gepflegte Gebräuche auf Befruchtung und Sühnung des Landes, der Stadt, ihrer Einwohner und ihrer Heerden deuten. Als Tag der Sühnung hieß dieser Festtag dies februatus von februare in der Bedeutung reinigen und sühnen, daher der ganze Monat Februarius seinen Namen bekommen hatteVarro l. l. VI, 13. 34. Rex (Sacrorum) quom ferias menstruas Nonis Februariis edicit (S. 140), hunc diem februatum appellat. Februum Sabini purgamentum, et id in sacris nostris verbum, nam et Lupercalia februatio, ut in Antiquitatum libris demonstravi. Vgl. Ovid F. II, 19 ff.. Für die Festfeier d. h. für die Tradition und Verrichtung der herkömmlichen Gebräuche bestanden seit unvordenklicher Zeit zwei Collegien oder Sodalitäten sogenannter Luperci, der Fabiani und Quintiliani, welche diese Namen nach ihren mythischen Stiftern und Anführern angenommen hatten und meist junge Leute waren; vermuthlich bestand jedes Collegium aus 12 MitgliedernIch folgere dieses aus Arnob. V, 1, wo die zwölf casti iuvenes, die den Picus und Faunus an der Quelle greifen, höchst wahrscheinlich die Luperci sind. Ueber die Fabiani und Quintiliani s. Paul. p. 87, Orelli n. 2253 ff. und Marquardt Handb. IV, 400 ff. Die Fabiani entsprechen der gens Fabia, die Quintiliani der Albanischen gens Quintilia. Auf gewisse Vorzüge der Fabii oder Fabiani beim Opfer deutet Ovid F. II, 371 ff., vermuthlich waren die Quintiliani von späterer Stiftung. In der populären Tradition galten Romulus und Remus für die Stifter der beiden Haufen.. Die Feier begann mit einem Bocksopfer im Lupercal, bei welchem der Flamen Dialis zugegen warVarro l. l. V, 85, VI, 13 Luperci quod Lupercalibus in Lupercali sacra faciunt. Ovid F. II, 280 und Serv. V. A. VIII, 341 sub monte Palatino est quaedam spelunca, in qua de capro luebatur i. e. sacrificabatur unde et Lupercal dictum nonnulli putant: eine falsche Etymologie, deren auch Quintil. 1, 5, 66 gedenkt. und auf welches wie gewöhnlich ein 344 Opfermahl folgte. Bei dem Opfer beobachtete man den bedeutungsvollen Gebrauch, daß zwei Jünglinge vornehmer Abkunft herbeigeführt und von den Opferern mit blutigem Messer an der Stirne berührt wurden, worauf Andre das Blut mit in Milch getränkter Wolle gleich wieder abwischten, die Jünglinge selbst aber lachen mußten: entweder ein sinnbildlicher Act der Sühnung durch das Blut des Opfers oder eine Erinnerung an ältere Menschenopfer. Nach dem Mahle umgürteten sich die Luperci mit den Fellen der geopferten Böcke, zerschnitten andre in Riemen und liefen so zunächst um die Palatinische Altstadt, namentlich auf der heiligen Straße auf und ab, dann über das Forum und überhaupt durch die Stadt, bis auf jene Umgürtung völlig nackend, in welcher Weise auch das Bild des im Lupercal verehrten Faunus costümirt warIustin XLIII, 1, Ipsum dei simulacrum nudum caprina pelle amictum est, quo habitu nunc Romae Lupercalibus decurritur.. Das römische Volk nannte die Luperci wegen dieser Bekleidung creppi d. i. Böcke, mit einer noch jetzt in Rom und Neapel gewöhnlichen Lautverschiebung für capriPaul. p. 57. So sagten die Bauern fibra für herba, Nigid. Fig. p. 22 Hertz, und nach Placid. gl. sagte man dracumis für lacrimis, frestram für fenestram.. Das Herumlaufen der Luperci und ihr Costüm erklärte man sich auf verschiedne Weise; der wahre Grund liegt auch hier in den Ideen der Reinigung und Befruchtung, welche durch den Umlauf der mit den Fellen der geopferten Röcke Bekleideten und die Berührung der Begegnenden mit den daraus geschnittenen Riemen durch die ganze Stadt getragen werden sollteOvid F. II, 31 Mensis ab his dictus, secta quia pelle luperci Omne solum lustrant idque piamen habent. Vgl. ib. v. 281 ff., Plut. Rom. 21, Varro b. Augustin C. D. XVIII, 12 und 17, welcher in dem Auf- und Ablaufen der luperci auf der Sacra Via eine Beziehung auf die Deucalionische Fluth zu finden glaubte.: wobei sowohl die verwandte Bekleidung und die ähnlichen Gebräuche der Iuno Sospita von Lanuvium (S. 247) als die Gebräuche der Griechen bei der Sühnungsfeier des Zeus mit dem sogenannten Zeus-Vließe (Διὸς κώδιον), endlich jene Anwendung der Felle beim Traumorakel des Faunus verglichen werden können. Auch wird in einer leider nicht in allen Punkten verständlichen Stelle bei Varro l. l. VI, 34 ausdrücklich gesagt, daß an dem dies februatus das Volk durch einen sühnenden Umlauf der luperci um die Palatinische Altstadt 345 gereinigt seiQuod tum februatur populus i. e. lupercis nudis lustratur antiquom oppidum Palatinum gregibus humanis cinctum, wo die greges humani wohl nach Analogie des sacrificium humanum Paul. p. 103 von Sühnopfern und das cingere wie circuire, also der ganze Ausdruck von lustrirenden Umzügen zu verstehen ist. Vgl. Dionys 1, 80 ἡνίκα ἐχρῆν τοὺς περὶ τὸ Παλάντιον οἰκοῦντας τῶν νέων ἐκ τοῦ Λυκαίου τεϑυκότας περιελϑεῖν δρόμω τὴν κώμην γυμνούς, ὑπεζωσμένους τὴν αἰδῶ ταῖς δοραῖς τῶν νεοϑύτων. τοῦτο δὲ καϑαρμόν τινα τῶν κωμητῶν πάτριον ἐδύνατο, ὡς καὶ νῦν ἔτι δρᾶται., so daß also nach dem Opfer im Lupercal zunächst der Umlauf um diesen Theil der Stadt und darauf erst der discursus durch die übrigen Theile erfolgte: bei welcher Gelegenheit von den Frauen der bekannte Gebrauch beobachtet wurde, sich den lupercis in den Weg zu stellen und sich von ihnen mit den Riemen der dem Faunus geopferten Böcke in die flache Hand schlagen zu lassenIuvenal Sat. II, 142 nec prodest agili palmas praebere tuperco. Vgl. Plut. Rom. 21, Caes. 61, Serv. V. A. VIII, 343, Paul. p. 85 Februarius.. Immer galt der Bock und Widder ganz vorzugsweise für das Thier des befruchtenden Triebes, bei den Griechen im Culte des Hermes und der Aphrodite, bei den Römern in dem des Faunus und der Iuno Lucina (S. 243); daher die Lupercalien bisweilen ausschließlich auf die Verehrung des Inuus und auf Befruchtung bezogen wurden. Außer den Böcken wurden auch Hunde geopfertPlut. Rom. 21, Qu. Ro. 68., welches Thier wie bemerkt wegen seiner feinen Witterung dem dämonischen Wesen des Faunus zu entsprechen schien. Endlich war mit diesen alten sinnbildlichen Gebräuchen allerlei volksthümliche Lust und Kurzweil verbunden, wie sie sich bei einem solchen Aufzuge der meist jungen Männer, wenn sie halb nackend und halb thierisch, von Salben triefend und aufgeregt von Wein und ausgelassener Festlust durch die Stadt liefen und die Frauen ungestraft necken durften, natürlich und von selbst einstellteLiv. I, 5 ut nudi iuvenes – per ludum et lasciviam currerent. Vgl. Cic. Philipp. XIII, 15, Plut. Anton. 12.. Im J. 45 nach der Rückkehr Cäsars aus Spanien wurde ihm zu Ehren ein drittes Collegium der Luperci Iulii gestiftet, und diese waren es welche ihm bei der Lupercalienfeier des nächsten Frühlings durch ihren Vorstand Antonius, der damals Consul war, auf offnem Markte das Diadem anbotenDio Cass. XLIV, 6, Sueton Caes. 76. 79, Plut. Caes. 61, Anton. 12.: eine verhängnißvolle Auszeichnung, denn vier Wochen darauf fiel Cäsar unter den Dolchen seiner Mörder. Um den Ausartungen der letzten Vergangenheit zu steuern, stellte 346 August das sacrum Lupercale und das alte Heiligthum wieder her, indem unbärtigen Jünglingen für die Zukunft die Theilnahme an dem Umlaufe verboten wurdeSueton. 31, Mon. Ancyr. IV, 2.. Das volksthümliche Fest und die Collegien der Luperci haben sich bis in die letzten Zeiten des römischen Heidenthums behauptet.

Außer dem Heiligthume des Faunus im Lupercal gab es wahrscheinlich noch ein andres sehr altes in jener Gegend am Aventin, wo Numa mit seinen Jünglingen den Picus und Faunus beschlichen hatte. Endlich hatte man im J. 558 d. St. (196 v. Chr.) von Strafgeldern dem Faunus auf der Tiberinsel einen Tempel erbaut, welcher zwei Jahre darauf eingeweiht wurdeLiv. XXXIII, 42, XXXIV, 53. Das Opfer wurde an den Idus des Februar gebracht, zwei Tage vor den Lupercalien, Ovid F. II, 193. Vitruv. III, 2 spricht von einer aedes Iovis et Fauni.. Derselbe lag auf der obern Spitze der Insel, von wo der alte Wald- und Weidegott denn wenigstens den frischen Duft der raschen Strömung des Flusses einathmen und sich nach seinem Ursprunge in den blauen Bergen der Ferne aus der geräuschvollen Stadt hinaus sehnen konnte. Die Bildung des Faunus wurde gewöhnlich wie die des griechischen Pan, die des Geschlechts der Faune wie die der Panisken gedacht, oder auch wohl wie die des Silenos und Marsyas. Wenigstens ist zu vermuthen, daß die Maske oder das Bild des Silenos auf den Münzen verschiedner Städte Italiens, namentlich auf denen von Hatria, die auf dem Reverse den schlafenden Hund zeigen, den einheimischen Faunus bedeutet. Auch die Erzählungen von dem phrygischen Könige Marsyas am Fuciner See, von welchem die Marser ihren Namen und die Kunst der Weissagung ableitetenPlin. H. N. III, 12, 17, Solin. 2, 6, Sil. Pun. VIII, 503, Serv. V. A. III, 359., sind wohl nur ein späterer Ausdruck für den einheimischen Faunusdienst.


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