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Silvanus entspricht in allen wesentlichen Punkten dem Faunus, nur daß seine Thätigkeit mehr auf das eigentliche Waldleben beschränkt bleibtAurel. Victor. Or. G. Ro. 4 Hunc Faunum plerique eundem Silvanum a silvis, [quidam] Inuum deum, quidam etiam Pana esse diacerunt., dafür aber auch das älteste Ansiedler- und Dorfleben im Walde und die durch den Wald gezogenen 347 Grenzen mit umfaßt und behütet; was diesem Gottesdienste in culturgeschichtlicher Hinsicht ein besondres Interesse verleiht. Wie Faunus ist er ein guter Geist, gelegentlich aber auch ein Spukgeist des Waldes, der in diesem haust, gelegentlich aus demselben wie Faunus einen markerschütternden Ruf ertönen läßt, bei nächtlicher Weile die Kindbetterin im benachbarten Gehöfte beschleicht u. s. w. Auch ist er wie Faunus ein Gott der Fluren und des Viehstandes und Wolfsabwehrerluporum exactor, Lucilius b. Non. Marc. p. 110, vgl. Virg. Aen. VIII, 600 arvorum pecorisque deo., obwohl er nicht wie dieser als mächtiger Naturgott auch auf die befruchtenden Kräfte überhaupt und auf die Gemüthserregung wirkt, sondern immer nur um das eigentliche Wald- und Baumleben und um das menschliche Treiben nur soweit es davon berührt wird sich bekümmert. So war auch sein gewöhnliches Bild das eines struppigen Alten, der im Dickicht wohnt, wo er mit den Faunen die Fichten und Steineichen behütet und von Bauern und Hirten an einem ländlich einfachen Altare mit dem Opfer eines Schaafbocks oder eines Schweines verehrt wirdHorat. Od. III, 29, 22 horridi dumeta Silvani. Martial. X, 92, 5 semidocta villici manu structas tonantis aras horridique Silvani, wo tonans sein schallendes Rufen im Walde ausdrückt, s. Liv. II, 7. Vgl. Iuven. VI, 447., oder das eines rüstigen Alten, welcher mit einem derben Knittel in der Hand erscheint, gleich dem wilden Mann mit dem entwurzelten Tannenbaum auf dem Wappen mehrerer Fürsten Niederdeutschlands, das Haupt mit Waldblumen bekränztVirg. Ecl. X, 24, Georg. II, 494, Grat. Falisc. Cyneg. 20.: ein Freund der Heerden und der Hirten und selbst hin und wieder als weidender Hirte gedachtVgl. die Inschrift aus der Gegend von Capistrano in den Abruzzen b. Henzen n. 5751 Magne Deus Silvane potens, sanctissime pastor., auch ein Freund der Jäger, deren einer ihm in England ein bleibendes Andenken gestiftet hatS. die Inschr. aus Stanhope bei Or. n. 1603 Silvano Invicto Sacrum – ob aprum eximiae formae captum, quem multi antecessores praedari non potuerunt.. Oder man dachte sich ihn als sorglichen Pflanzer und Forstmann, welcher einen zarten Setzling an der Wurzel tragend durch den Wald geht und auf alle jungen Stämme Acht hatVirg. Ge. I, 20 und dazu Servius., ein Gott der Bäume, der Haine, auch der menschlichen Anpflanzungen und Gärten, daher sein Bild auch in den Hainen der Götter und in den Gärten der Menschen gewöhnlich zu finden war, meist in der allereinfachsten und 348 primitiven Form, wie sie sich aus dem Baumcultus unmittelbar entwickelt hatteDie Inschr. b. Or. n. 1613 Silvane sacra semicluse fraxino Et huius alti summe custos hortuli. Vgl. das simulacrum Silvani unter dem alten Feigenbaum vor dem T. des Saturnus in Rom, Plin. XV, 18, 20 und Lucilius b. Non. Marc. p. 110, wo Silvanus luporum exactor et fulguritarum arborum genannt wird, weil jede Beschädigung der Bäume eines Waldes oder eines Hains für ein böses Zeichen angesehn wurde und solche Bäume namentlich aus den Hainen der Götter aufs sorgfältigste entfernt wurden.. Alle derartige Pflanzungen auf dem Felde oder die Lichtungen im Walde, wo ein kühles Laubdach, eine schattige Grotte, eine murmelnde Quelle in der Mittagshitze den Hirten lockteProp. IV, 4, 3 ff. oder am Abend die Dorfjugend versammelte oder bei ländlichen Festen die Umzüge zur Ruhe einlud, wurden von selbst zu geweiheten Stätten des Silvanus, der eben dadurch, als stiller Theilnehmer so vieler menschlicher und ländlicher Leiden und Freuden, allen Land- und Dorfbewohnern nicht weniger nahe stand als die Laren, Ceres, Liber Pater, Pales und andre Götter. Daher Silvanus überall zu den Göttern des ländlichen Gottesdienstes gehörte und namentlich bei den Erndtefeierlichkeiten immer mit bedacht wurde, sowohl von dem Ackersmann als von dem Winzer und dem BaumzüchterVgl. Virg. Ge. I, 20, Horat. Epod. 2, 17 ff., Ep. II, 1, 139 ff., Or. n. 1612, wo Liber, Silvanus und Hercules, auch ein Gott des ländlichen Segens, zusammen genannt werden.. Eben dieses gemüthliche Verhältniß des Silvanus zur menschlichen Ansiedlung und die große Ausdehnung der Wälder im alten Italien machten ihn zugleich zu einem Gotte der Grenzen und des Grundeigenthums, sowohl in öffentlichen als in privaten Besitzungen, was diesem Gotte vollends eine große Popularität verliehen hat, so daß namentlich die Inschriften und örtlichen Denkmäler seiner außerordentlich oft gedenken. Die Waldgrenzen sind überall die ältestenVgl. über die Waldgrenzen im deutschen Alterthum J. Grimm in den Abh. d. Berl. Akad. 1843 S. 111 und 116 ff. Ein Waldgeist baut die Grenze zwischen Schweden und Rußland, Ders. D. Myth. S. 455 ff., daher die Waldgötter nothwendig zu den Grenzgöttern gehören, vor allen Silvanus, dem man also im alten Italien auf der Grenze eine Lichtung (lucum) zu weihen und damit die Grenze selbst unter seinen Schutz zu stellen pflegte; vgl. die schöne Schilderung Virgils Aen. VIII, 596 ff. von einem solchen Heiligthume des Silvanus bei Caere, welches die ersten Ansiedler dieser auf der Grenze von Latium und Etrurien gelegenen Gegend geweiht hatten, 349 am kühlen Strome einen weiten, durch alten Glauben geheiligten Hain, der von ausgeschweiften Hügeln und einem dichten Tannengehölz umkränzt war. Im Walde d. h. auf ausgerodeten Plätzen siedelten sich aber auch die einzelnen Gehöfte zuerst an, denn auch in Italien hat die Axt des Hinterwäldlers lange der Cultur der Dörfer und Städte vorarbeiten müssen; ja das Andenken und die Ueberlieferungen aus diesen entlegenen Zeiten scheinen sich grade im alten Italien, wo die Kernvölker im Gebirge so lange als möglich in Dörfern und selbst die Römer am liebsten auf dem Lande lebten, besonders lebbaft erhalten zu haben. Daher der Cultus des Silvanus auf jedem italischen Bauernhofe, worüber eine merkwürdige Stelle in den Schriften der römischen Feldmesser (Grom. vet. p. 302) näheren Aufschluß giebt. Seine allgemeine Bedeutung war auch hier die des Grenzgottes, welcher gleichsam von seinem Gebiete, dem Walde, zuerst das Stück zur Rodung hergegeben und auf derselben den ersten Grenzstein des neugewonnenen Grundstücks aufgerichtet hatte. Doch pflegten auf jedem Grundstücke (possessio) drei verschiedene Silvane unter verschiedenen Benennungen verehrt zu werden: 1) der domesticus, welcher für Haus und Hof Sorge trug, 2) der agrestis, welchem die Heerden und die Hirten anempfohlen wurden, und 3) der orientalis d. i. der Silvanus der Grenze im engeren Sinne, der tutor finium, wie Horaz Ep. 2, 22 ihn nennt, dem auf der Grenze verschiedener Grundstücke, deren Marken von dort ausgingen (oriebantur) ein eigner Hain geweiht zu werden pflegteOrientalis, cui est in confinio lucus positus, wobei zur Erklärung hinzugesetzt wird: a quo inter duos pluresve (zwischen 2 oder 3 Nachbarn) fines oriuntur. Ideoque inter duo pluresve est et lucus finis.. So vielseitig hatte sich also das Wesen dieses einfachen und alterthümlichen Waldgeistes mit der Zeit gestaltet; daher ihm auch die Inschriften sehr verschiedene Beinamen geben, meistens um ihn im Interesse des ländlichen Eigenthums um seinen Segen und um seinen Schutz zu bitten. So nennen auch sie ihn domesticus, aber auch casanicus oder vilicus, oder auch als den Schutzgott eines bestimmten Grundstückes mit dem Namen desselben oder seines EigenthümersSo wird genannt ein Silvanus Staianus, Sinquas, Pegasianus, Caeserianensis und Caminensis u. s. w., vgl. die Inschriften b. Orelli n. 1587 ff., Henzen n. 5740 ff. und Mommsen Unterital. Dial. S. 132.. Oder sie nennen ihn conservator und custos d. h. Bewahrer und Mehrer des Gutes; ja noch mehr, er ist auch Behüter aller zum Hofe gehöriger Leute, vor allen des 350 Herrn, daher salutaris und ein guter Schutz auf der Reise, indem er für eine fröhliche Heimkehr zum heimischen Heerde sorgt und insofern selbst den Laren und Penaten nahe verwandt ist, ja selbst als lar agrestis verehrt wurdeOr. n. 1604, vgl. 1587–89, 1595. 96, Henzen n. 5750.. Vorzüglich legen zwei größere Gedichte ein beredtes Zeugniß ab von der Frömmigkeit der Alten und ihrem Sinne für Heimath und stille Ländlichkeit, das eine von einem kaiserlichen Verwalter, welcher auf einer Reise über die Alpen in einem Haine des Silvanus Schutz gefunden hatte und dort um glückliche Rückkehr in seine schöne Heimath bittet, wo er unter des Waldgottes Obhut sein Feld dankbar bauen und ihm tausend hohe und schöne Bäume weihen wolle (Or. n. 1613), das andre aus einem Thale der Abruzzen und das Denkmal der bescheidenen Fürbitte eines Verwalters für das Wohl der guten Antonine und seiner eignen Angehörigen (Henzen n. 5751). Sehr gewöhnlich ist in solchen Inschriften auch das Beiwort Sanctus, ohne Zweifel auch wegen seiner Fürsorge für Eigenthum und Begrenzung. Selbst in der großen Hauptstadt Rom scheint Silvanus in den zahlreichen Parks und Gärten der Kaiserzeit oft nach ländlicher Weise verehrt worden zu seinVgl. die aedes Silvani in colle Viminali einer Inschrift vom J. 111 n. Chr. b. Or. n. 4956., hin und wieder auch als Schutzgeist (Sanctus Salutaris), als welcher er namentlich auf einer Besitzung des Kaisers Trajan auf dem Aventin durch Tempel und Bilder verherrlicht wurdeOr. n. 1596. 2518. Trajan wohnte auf dem Aventin, ehe er Kaiser wurde, und machte auch später dort verschiedene Anlagen, s. meine Regionen S. 200 ff. Sehr gewöhnlich ist der Silvanus Augustus als Schutzgeist des Kaisers und des kaiserlichen Hauses; daher die Abkürzung S. A. S. d. i. Silvano Augusto Sacrum, Marini Atti p. 542.. Die wiederholt erwähnten collegia Silvani waren vermuthlich Leichencommune, da Silvanus mit der Fichte oder Cypresse in der Hand abgebildet zu werden pflegte und beide Bäume eine specielle Beziehung auf Tod und Leichenbegängniß hattenDaher Silvanus Dendrophorus Or. n. 1602 und die oft erwähnten Collegia Dendrophororum. Vgl. Virg. Ge. I, 20 und die Script. rer. mythic. lat. 1, 6 und 178.. Auf den erhaltenen Votivbildern ist seine Darstellung seltner die des struppigen Waldgottes als die des Pflanzers und Gärtners, wie er in den zahlreichen Gärten in und um Rom von den Aufsehern vielfach verehrt sein mag. Die Griechen identificirten auch ihn und sein Geschlecht mit Pan und den Panisken; 351 daher das Mährchen vom Krathis bei Probus z. Virg. Ge. I, 20, wo dieser Flußgott mit einer Ziege den Silvanus erzeugt, der hier als gutmüthiger, aber halbthierischer Panisk geschildert wird. Der Eigenthümer der Heerde erzieht ihn und Silvanus lohnt die Pflege durch Vermehrung seines Vermögens. Als er aber herangewachsen ist, offenbart sich die ächte Waldteufelnatur, daher der Herr ihn in den Wald trägt und dort laufen läßt. Auch der Fichtenkranz, die Pansflöte und das Mährchen von der EchoVgl. das mehrfach wiederholte Relief mit der Inschrift: Silvano littorali et Musae Laetus, wo Wieseler unter der Muse die Nymphe Echo versteht. Auch in den Versen des Attius b. Cic. N. D. II, 35 Silvani melo consimilem adaures cantum et auditum refert liegt eine Uebertragung aus dem Griechischen zu Grunde. Vgl. Bötticher Baumcultus fig. 6. 16–18 und 32. wurde von dem griechischen Gotte auf diesen italischen übertragen.
Das Geschlecht der Waldfrauen wird von den römischen Dichtern gewöhnlich mit den griechischen Namen der Nymphen und Dryaden benannt, während das höhere italische Alterthum und die volksthümliche Tradition dafür den Namen der Virae, Vires, Virgines und Viragines gebrauchte, s. oben S. 88. Die hin und wieder auf alten Denkmälern (Or. n. 2099–2105) erwähnten Silvanae oder Suleviae und Silviae, welche auf Feldern und in den Wäldern, namentlich auf Kreuzwegen zu Hause sind, gehören mehr dem deutschen, celtischen und slavischen Volksglauben an als dem italischen.