Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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c. Die Weihe der Taurobolien und Kriobolien.

Auch diese blutige Weihe ist eine Ausgeburt des Phrygischen Gottesdienstes, obgleich sich nach Art der damaligen Zeit andre Elemente damit vermischt hatten. Der Name bezieht sich auf das characteristische Opfer eines Stieres und eines Widders, dem man eine sühnende Wirkung zuschriebΤαυροβόλος ist der opfernde Priester, welcher den Stier mit dem Messer abfängt, Ταυροβόλιον, Κριοβόλιον das Opfer selbst und der damit verbundne Sühngebrauch der Bluttaufe. Weil es dabei besonders auf das Blut ankam, heißt das Opfer gelegentlich auch Αἱμοβόλιον (aemobolium). Vgl. über die Taurobolien überhaupt und die dahin gehörigen Altäre und Inschriften Van Dale Dissertatt. IX Antiquitatibus illustr. inserv. Amst. 1702, Or. n. 1899 ff., 2319 ff., Henzen n. 6031 ff., Zoëga Bassiril. t. XIII. XIV, Boissieu Inscr. de Lyon p. 22–38.; daher die noch vorhandenen Altäre, welche sich auf die Vollziehung einer solchen Weihe beziehn und immer sehr genau datirt sind, gewöhnlich den Kopf eines Stiers, eines Widders und ein Opfermesser in der Gestalt der orientalischen Harpe zeigen. Auch wissen wir aus verschiedenen Schriftstellern, daß blutige Stieropfer von 739 symbolischer Bedeutung im Culte der lydischen und phrygischen Kybele immer herkömmlich gewesenSophocl. Philoct. 394 ἰὼ μάκαιρα ταυροκτόνων λεόντων ἐφέδρε von den Löwen der Rhea Kybele, vgl. Orph. H. XIV, 2 ἧ λῖς ταυροφόνος ἱερότροχον ἅρμα τιταίνει. XXVII, 3 ταυροφόνων ζεύξασα ταχύδρομον ἅρμα λεόντων: was an den alten symbolischen, durch so viele Bildwerke des orientalischen und griechischen Alterthums vergegenwärtigten Kampf des Löwen mit dem Stier erinnert. Vgl. Steph. B. v. Μάσταυρα, eine Stadt in Lydien, deren Name abzuleiten sei von Μᾶ d. i. Rhea und ταῦρος, denn es seien ihr in Lydien Stiere geopfert worden; daher auf den M. dieser Stadt ein Stier, s. Eckhel D. N. III p. 71., wie andrerseits das Opfer des Widders speciell den Attis angeht, welcher auch in den Inschriften jener Altäre gewöhnlich neben der Göttermutter genannt wird. Nur daß auch diese Weihe ihre Götterbegriffe im Sinne des Synkretismus zu kosmischen Wesen von so allgemeiner Bedeutung umgebildet hatte, daß man sie kaum noch zu fassen vermag. Die Große Mutter, die alte in den Bergen thronende Mutter Erde, ist zur Mutter aller Dinge und aller Götter geworden, welche selbst ungeboren und »eine Jungfrau ohne Mutter« neben dem Zeus throntΠαρϑένος ἀμήτωρ καὶ Διὸς σύνϑωκος Iulian Or. V p. 166 ed. Spanh., vgl. Or. n. 2328–2330, Mommsen I. N. n. 1398. 1399., daher man sie mit der Virgo Caelestis der syrischen und afrikanischen Religion und mit der Minerva und Diana identificiren konnte, wie sie denn in einigen Inschriften des südlichen Italiens ausdrücklich Minerva Berecintia nach dem bekannten Berge in Phrygien genannt wird. Neben ihr ist Attis der schöne Liebling, dem die Große Mutter Alles, selbst »den gestirnten Hut« (τὸν ἀστερωτὸν πῖλον) geschenkt hat und der nach kurzer Untreue, nachdem er das Glied seiner Begierden geopfert hat, als verklärter Halbgott zu ihr zurückkehrt und nun auf ewig mit ihr verbunden ist, der König der Ehren, durch den die Große Mutter Alles wirkt und Alles schafftIulian l. c. p. 161 sq., Sallust de diis 4, vgl. Or. n. 2336 und Zoëga Bassiril. 1 p. 99. 103. Das griechische Epigramm eines Taurobolienaltars aus Rom vom J. 370 v. Chr. im C. I. Gr. III n. 6012 b, bei Henzen zu Or. n. 6040 drückt sich so aus: Μητέρι τῆ πάντων Ῥείῃ τεκέων τε γενέϑλῳ, Ἄττει ϑ’ ὑψίστῳ καὶ συνιέντι τὸ πᾶν, τῷ πᾶσιν καιροῖς ϑεμερώτερα πάντα φύοντι etc.: nach seiner Naturbedeutung der Sonnengott, daher er auf den Dedicationstiteln der Taurobolienaltäre nicht selten Menotyrannus (μηνοτύραννος) d. i. der Herr der Monate und Jahreszeiten, einmal Pantelius d. i. Πανϑήλιος, der Sonnengott als Allgott genannt wird. Bei diesen Göttern also suchten die Theilnehmer der Weihe Reinigung und Sühnung von den Befleckungen des Lebens, 740 vermitttelst eines stellvertretenden Sühnopfers, bei welchem der Glaube an die reinigende Kraft des Blutes ins Barbarische und Ekelhafte ausgeartet ist. Der kirchliche Dichter Prudentius hat eine genaue und anschauliche Beschreibung des seltsamen Gebrauchs hinterlassen. Der Einzuweihende wurde in eine Grube gesteckt, welche oben mit siebartig durchlöcherten Brettern zugedeckt wurde. Auf diese Bedeckung wurde der festlich geschmückte Opferstier geführt und mit jenem Opfermesser vorn in der Brust durchbohrt, so daß das Blut aus der Wunde in einem breiten Strome hervorquoll und sich noch als warmes Lebensblut durch die Löcher über den in der Grube Befindlichen ergoß, welcher ganz davon durchnäßt und durchdrungen wurde; ja die Gläubigen pflegten das Blut mit dem Munde aufzufangen und sich das ganze Gesicht damit zu waschen, die mit demselben gesättigten Kleider aber sorgfältig aufzuhebenPrudentius Peristeph. X, 1011–1050 p. 147 ed. G. Fabric. Vgl. das von Salmasius z. Lamprid. Heliog. 7 T. I p. 804 mitgetheilte Bruchstück eines Gedichtes, Anthol. lat. n. 605 ed. H. Meyer.. Man schrieb dieser Bluttaufe die sühnende und reinigende Kraft einer »Wiedergeburt« zu, wie sich die Inschriften wiederholt mit diesem, vermuthlich schon dem Christenthum entlehnten Worte ausdrückenOr. n. 2352 taurobolio criobolioque in aeternum renatus. Henzen n. 6041 qui et arcanis perfusionibus in aeternum renatus taurobolium crioboliumque fecit. Doch scheint man die Weihe wo möglich alle 20 Jahre wiederholt zu haben. Bei Or. n. 1900 weiht ein Praef. Urb. Romae der Großen Mutter und dem Attis Menotyranno Invicto einen solchen Altar als den diis animae suae mentisque custodibus.. Außer dem Blute der Opferthiere wurde auch den Testikeln eine besondre Kraft zugeschrieben; wenigstens reden die Inschriften wiederholt von einem Hinnehmen, einer Weihung, einer Beisetzung der vires, welche nicht wohl etwas Anderes bedeuten könnenVires excepit, Vires tauri – consecravit u. a. Es sind die Organe und Symbole der männlichen Kraft, das Schaffende, Schöpferische, wie das Blut das Belebende, Beseelende ist, daher auch Attis sich erst castrirt, dann durchbohrt.. Die Einweihung selbst wurde bald von Einzelnen für ihr eignes Heil und Wohl, bald von mehreren Personen, auch wohl von ganzen Communen, Städten und Provinzen und in diesem Falle an einem Stellvertreter vollzogen, gewöhnlich pro salute des Kaisers oder pro statu coloniae z. B. von LyonNach Prudentius scheint es daß gewöhnlich der Oberpriester (summus sacerdos, pontifex) die blutige Weihe stellvertretend an sich vollziehen ließ, pro salute des Kaisers oder der Gemeinde, die sich jedesmal betheiligen wollte. Die Inschriften und andre Umstände beweisen aber daß sich nicht selten auch einzelne Personen, sowohl Männer als Frauen, einweihen ließen; in welchem Falle es heißt: tauroboliatus est oder taurobolium excepit. Nach jenem Gedichte der Anthol. lat. n. 605 wurde der Einzuweihende mit einem ärmlichen Gewande bekleidet, um so recht eigentlich als »armer Sünder« die reinigende Bluttaufe über sich ergehen zu lassen.. Die Geschichte dieser eigenthümlichen Weihe ist noch 741 sehr unklar. Ohne Zweifel entstand sie im hellenistischen Orient, vermuthlich in Kleinasien. In Italien ist das älteste der bis jetzt bekannt gewordenen Denkmäler aus der Gegend von Neapel und vom J. 133 n. Chr. d. i. aus den letzten Jahren HadriansMarini Atti Arv. p. 358, Or. n. 2336, Bullet. Nap. III p. 98; Mommsen I. N. n. 2602., so daß also auch hier der orientalische Verkehr in Puteoli die Uebertragung in den Occident vermittelt haben mag. Andre Denkmäler haben sich in Benevent, Venafrum, Teate, Formiä u. a. m. gefundenMommsen I. N. n. 1398–1401, 2602–2604, 4078, 4735, 5307, 5308.. In Rom hatte sie seit der Zeit der Antonine Eingang gefunden und sich von dort weiter, namentlich nach der Gallia Narbonensis und nach Lyon verbreitet. Die Stätte der blutigen Sühnungsopfer war in Rom der Vatican, merkwürdiger Weise grade da wo sich mit dem Christenthum die Peterskirche über dem Grabe des Apostels erhob, beim Circus des Nero oder dem Caianum, wie dieser Circus in Rom gewöhnlich genannt wurdeDaher das Gaianum et Frigianum der Regionen, s. meine Ausgabe S. 59.. Die Einweihung erfolgte vermuthlich gleich nach dem vorhin beschriebenen Feste der Großen Mutter und des Attis im MärzWenigstens bemerkt das Kal. Constantii nach dem Tage des Bades am 27. März, also am 28. Initium Caiani, welches vermuthlich von der Eröffnung der Sühnungsstätte zu verstehen ist.. Die in der unmittelbaren Nähe der Peterskirche gefundenen Denkmäler sind aus den Jahren 305, 350, 374, 377, 383 und 390 v. Chr., so lange hat sich auch dieser düstre Gebrauch in dem hartnäckig am Heidenthum hängenden Rom behauptet. Unter den Altären in Lyon ist der älteste vom J. 160, und zwar wurde das Taurobolium, welchem zu Ehren dieser Altar errichtet wurde, noch auf dem Vatican zu Rom vollzogenEs heißt dort von einem pro salute Imp. Caes. T. Aeli Hadriani Antonini Aug. Pii P. P. liberorumque eius et status Coloniae Lugudun (ensis) vorgenommenen Taurobolium, der Veranstalter desselben habe vires excepit et a Vaticano transtulit, so daß also hier die Weihe selbst auf dem Vatican vollzogen und nur die Testikeln nach Lyon gebracht und dort auch der übliche Taurobolienaltar als Denkmal der Weihe errichtet wurde.. Andre Altäre 742 in Lyon sind von den J. 184, 190, 194, 197, andre Denkmäler desselben Dienstes finden sich in Narbonne. In Rom hatte sich u. a. der Kaiser Heliogabal in diese Weihe der Großen Mutter einweihen lassenAel. Lamprid. Heliog. 7 Matris etiam Deum sacra accepit et tauroboliatus est, ut typum eriperet et alia sacra quae penitus habentur condita. Man sieht daraus daß die Eingeweihten wie in andern Mysterien einen priesterlichen Character und unmittelbaren Zutritt zum Allerheiligsten bekamen.. Unter den christlichen Schriftstellern ist Julius Firmicus Maternus unter Constantius und Constans der erste welcher derselben gedenkt. Nur das Blut Christi, sagt er, habe eine erlösende Kraft, alles im Götzendienste vergossene Blut könne nur beflecken, nicht reinigen, auch nicht die garstige Ueberschüttung der Taurobolien und KriobolienIul. Firm. de err. prof. relig. 27 p. 41 ed. Bursian..


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