Ludwig Preller
Römische Mythologie
Ludwig Preller

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1. Die Unterwelt und ihre Götter.

Auch hier glaubte man an männliche und weibliche Götter, von denen die männlichen, Orcus und Dis Pater, mehr als 453 vollziehende Mächte des Todes und Könige des unterirdischen Reiches erscheinen, die weiblichen dagegen, Lara, Larunda, Mater Larum, Mania u. s. w. als mütterliche Pflegerinnen. Dabei ist die populäre Vorstellung natürlich eine düstere, beängstigte, die Farbe dieser Götter die der dunklen Nacht, das ihnen Geheiligte an Laub und Thieren von gleicher Farbe und unfruchtbarVgl. Paul. p. 93 furvum bovem, die Erklärung des Begriffs der arbores infelices bei Macrob. S. III, 20, 2 und oben S. 47. Selbst die Bedeutung der Zeichen war bei diesen Göttern die umgekehrte, s. Sueton Otho 8 et victima Diti Patri litavit, quum tali sacrificio contraria exta potiora sint., der Glaube an Geisterspuk und allerlei schreckliche Erscheinung hier am meisten ausgebildet. Indessen beweisen manche vereinzelte Reste alten Glaubens, z. B. die Gestalt der Acca Larentia und des Consus, auch die der Tellus und Ceres, sofern sie zugleich Acker- und Unterweltsgottheiten waren, daß auch hier die düstre Seite der Unterwelt keineswegs die einzige war, daß auch hier die Brust des Landmanns, wenn er seine Saaten bestellte, zugleich von banger Furcht und von tröstender Hoffnung bewegt wurde.

Von den beiden männlichen Todesgöttern scheint Orcus den populären Glauben am meisten beschäftigt zu haben; wenigstens wird er bei Dichtern und populären Veranlassungen weit häufiger genannt als Dis PaterVgl. die Orcini liberti d. h. solche, die durch das Testament ihres Herrn die Freiheit bekommen und die Orcini Senatores bei Suet. Octav. 35, auch die Orci nuptiae S. 439, 1100, vgl. Cic. Verr. II, 4, 50, 111 ut Verres alter Orcus venisse Ennam et non Proserpinam asportasse, sed ipsam abripuisse Cererem videretur. So ist Orcus auch bei Plautus und in den Fragmenten der Komiker der gewöhnliche Name für den Todesgott., auch schließen sich die verschiedenen bildlichen Anschauungen, die man mit dem Gedanken an den Tod und die Macht des Todes zu verbinden pflegte, gewöhnlich an seinen Namen an. Derselbe soll früher Uragus gelautet haben, daher Verrius Flaccus den Namen von urgere ableiteteFest. p. 202 Orcum quem dicimus ait Verrius ab antiquis dictum Uragum, quod et ū litterae sonum per ō efferebant et per ē litterae formam nihilominus g usurpabant. Die Form Uragus ist vielmehr nach der Analogie von Aesculapius, Hercules, Tecumesa, Alcumena als Dehnung zu erklären, durch ein eingeschobenes ā., dagegen die neuere Etymologie bei Orcus gewöhnlich an das griechische ἕρκος in der Bedeutung eines Verschlusses denkt. Und allerdings dachte man sich auch in Rom das Reich des Todes wie einen solchen, und die berühmte »Pforte des 454 Todes« ist wie bei den Griechen und auf so vielen Kunstdenkmälern, so auch oft genug im Munde der römischen Dichter und SchriftstellerPlaut. Bacch. III, 1, 1 Pandite atque aperite propere ianuam hanc Orci. Lucret. III, 67 leti portae, V, 373 leti ianua. Laberius p. 249 Ribb. Tollat bona fide vos Orcus nudas in catonium, wo zu schreiben ist catomium d. i. ergastulum.. Indessen findet sich daneben die Vorstellung von einer Schatzkammer des Orcus, in die er wie ein Schnitter seine Erndte einheimstL. Attius p. 124 Ribb. Orci messis. Vgl. die Grabschrift des Naevius für sich selbst bei Gell. N. A. 1, 24 postquam est Orci traditus thesauro. Ennius Iphig. p. 124 Vahlen: Acherontem nunc obibo, ubi Mortis thesauri obiacent., und es scheint wohl als ob diese Anschauung, wie sie dem Bilderkreise der agrarischen Götter und der ländlichen Bevölkerung näher lag, so auch die ältere gewesen sei. Auch wird Orcus gleich dem griechischen Aïdes durchweg als der persönliche Todesgott gedacht, bald unter sanfteren bald unter schrecklicheren Bildern. Bald erscheint er wie ein bewaffneter Streiter, der dem Sterbenden die tödtliche Wunde beigebracht hat oder ihn schnellen Laufes von hinten ereilt und lähmtEnnius Ann. 540 me gravis impetus Orci pertudit in latus. Horat. Od. III, 2, 14 Mors et fugacem persequitur virum nec parcit poplitibus. Petron. S. 62 erat autem miles fortis tanquam Orcus apoculanius (Pacuvianus?)., bald wie einer der in der Stille seinen Umgang hält und zuletzt überall eintrittHorat. Od. I, 4, 13 pallida Mors aequo pulsat pede pauperum tabernas regumque turres. Ovid Her. 21, 46 Persephone nostras pulsat acerba fores., dann wieder wie einer der dem Leichenzuge vorangehtDer Atellanendichter bei Suet. Ner. 39 Orcus vobis ducit pedes. Vgl. Plin. H. N. VII, 8 ritu naturae hominem capite gigni mos est, pedibus efferri., oder wie ein nächtlicher Dämon mit seinen dunklen Fittigen dahinrauschendHorat. S. II, 1, 57 seu Mors atris circumvolat atris. Od. II, 17, 22 te Iovis impio tutela Saturno refulgens eripuit volucrisque Fati tardavit alas. Grat. Fal. Cyneg. 347 Stat Fatum supra totumque avidissimus Orcus pascitur et nigris orbem circumsonat alis. Vgl. Eurip. Alc. 262 πτερωτὸς Ἅιδας., oder wie der allgemeine Beruhiger, der alle Menschen endlich zur Ruhe bringt, indem er sie in sein Reich der »Stillen« oder der »Schweigenden« einführt, wie man die Verstorbenen im populären Sprachgebrauche nicht selten nannteFest. p. 257 Quie talis ab antiquis dicebatur Orcus. Vgl. taciti Manes bei Ovid F. V, 422 Animae silentum ib. vs. 483. Virg. Aen. VI, 264 Umbrae silentes. Lucan. III, 29 regesque silentum permisere sequi. Claudian in Rufin. 1 v. 125 ubi fertur Ulixes sanguine libato populum movisse silentem.. Mithin scheint Orcus für den eigentlichen 455 vollziehenden Gott des Todes gegolten zu haben, Dis Pater oder Ditis PaterAuch diese Form ist nicht selten, s. Muncker z. Hygin. XLI p. 735, Intpp. z. Petron. 120, Oehler z. Tertull. ad Nat. 1, 10 p. 331. dagegen für den Fürsten der Unterwelt im Sinne der griechischen Vorstellung, also auch für den Gemahl der Proserpina, die in den Grabschriften meist neben ihm genannt wirdVgl. die Inschriften bei Or. n. 1467 ff. Auch Plutoni et Proserpinae kommt vor, desgleichen Plutoni et Cereri bei Henzen z. Or. n. 5711. Vgl. Lucan. 1, 455 tacitas Erebi sedes Ditisque profundi pallida regna.; ja bis in die Anfänge des Christenthums ziehen sich diese bald rührenden bald schreckenden Bilder der griechischen Unterwelt hinüber, so sehr hatte sich die gemeine Vorstellung in sie eingelebtSehr merkwürdig sind in dieser Hinsicht die beiden Bilder aus den Katakomben in Rom bei Perret Catacombes de Rome Vol. I pl. LXXII. LXXIII. Auf dem einen ist die abreptio Vibies et descensio wie der Raub der Proserpina vorgestellt, auf dem andern das Urtheil über die verstorbene Vibia vor dem Throne des Dis Pater und der Abra Cura d. i. ἁβρὰ κούρα, welchem zur R. die Fata Divina stehen d. h. die drei Parcen, ganz verhüllte Gestalten, zur L. Vibia geführt von der Alcestis, der Heroine der Gattenliebe, und dem Mercurius Nuntius, welcher für sie zu dem thronenden Paare spricht.. Der Name Dis Pater wird gewöhnlich erklärt wie Dives, so daß er dem griechischen Πλούτων entsprechen würdeCic. N. D. II, 26, 66. Anders Varro l. l. V, 66..

Die Verstorbnen selbst heißen gewöhnlich Manes d. h. die Reinen, die Lichten, die GutenS. Paul. p. 122. 125, Fest. p. 146, Non. Marc. p. 66, Serv. V. A. II, 268, III, 63, oben S. 73. Die Griechen übersetzen daher Manes durch χρηστοί. Ueber Dii Manes s. Cic. de Leg. II, 9, 22, Plin. H. N. VII, 55, 56, Fabretti Inscr. p. 79 und 86.. Sie werden gedacht als Geister d. h. des irdischen Leibes entkleidet und unsterblich wie die Götter, daher der sehr alte und auf den Grabinschriften so oft wiederholte Ausdruck Divi und Dii Manes. Der eigentliche Wohnsitz dieser Manen ist die tiefe ErdePlin. XXXIII, 1 imus in viscera terrae et in sede Manium opes quaerimus. Vgl. die Sammlung von allerlei Stellen und Ansichten über die Manen bei Serv. V. A. III, 63., aus welcher sie nur zu gewissen Jahreszeiten und bei nächtlicher Weile hervorkommen, um auf der Erde, immer im sublunarischen Kreise umherzuschweifen. Nicht selten wird der Ausdruck Dii Manes auch für die Unterwelt und das Reich der Geister überhaupt gebraucht, deren »Mutter« d. h. die Erde deshalb unter andern Namen auch 456 den der Mania führte. Ja in dem Sprachgebrauche der Augurn hießen Manes überhaupt die GötterPaul. p. 156 Manes dii ab auguribus vocabantur, quod eos per omnia manare credebant, eosque deos superos atque inferos dicebant. Vielmehr sind auch hier Manes das Gegentheil von Immanes, die Lichten, die Reinen , vgl. den Cerus manus und manui i. e. boni im Liede der Salier bei Paul. p. 122, Fest. p. 146. Dagegen in der Inschr. bei Or. n. 1480 I. O. M. Dis Manibus pro salute u. s. w. der höchste Gott des Himmels und die Unterwelt gemeint sind., wie die Grundbedeutung beider Wörter, Manes und Divi, in der That in dem Sinne der lichten Reinheit und der Güte übereinkommt.

Sehr bezeichnend ist für das Weitere die Vorstellung von dem sogenannten mundus, wie er namentlich bei der Anlage von neuen Städten auf einem öffentlichen Platze ausgegraben wurde, angeblich nach etruskischem RitusVarro l. l. V, 143 oppida condebant in Latio Etrusco ritu. Vgl. Fest. p. 285 Rituales libri und Plut. Rom. 10.. Es ist eine tiefe Grube in der Form eines umgekehrten Himmels, deren unterer Theil den Dis Manibus d. h. den Geistern der Verstorbenen und den Göttern der Unterwelt, dem Orcus, der Ceres, der Tellus u. s. w. heilig war und durch einen eignen Stein, den sogenannten lapis manalis, welcher für die Pforte der Unterwelt galt, verschlossen wurdeFest. p. 154 Mundus. – Quid ita dicatur sic refert Cato in commentariis iuris civilis: »Mundo nomen impositum est ab eo mundo qui supra nos est, forma enim eius est, ut ex his qui intravere cognoscere potui, adsimilis illi«. Eius inferiorem partem veluti consecratam Dis Manibus clausam omni tempore nisi his diebus – maiores censuerunt habendam etc. Paul. p. 128 Manalem lapidem putabant esse ostium Orci, per quod animae inferorum ad superos manarent, qui dicuntur Manes. Nach Fest. p. 142, 22 hieß er Cereris mundus, nach Macrob. I, 16, 17 war er dem Dis Pater und der Proserpina heilig und jener Verschluß die faux Plutonis. Vgl. den Dillestein der Deutschen Mythologie b. Grimm 766.. Bei der Anlage von Städten wurde zuerst diese Grube gegraben und die Erstlinge von allerlei Feldfrüchten, auch von jedem Anwesenden eine Handvoll heimathlicher Erde hineingeworfenNach Ovid F. IV, 820 wurde die Grube mit Erde zugeschüttet und darüber ein Altar errichtet, auf welchem alsbald Feuer angemacht wurde, vermuthlich um die Superi nicht weniger als die Inferi zu ehren. Nach Plut. Rom. 10 befand sich der Mundus in Rom auf dem Comitium. Vgl. Io Lyd. de Mens. IV, 50., offenbar um sich der Gunst dieser mächtigen Götter der Tiefe im Leben und im Tode zu versichern und sich auf diesem Boden ein für allemal festzusetzen. Dann wurden die Grenzen der Stadt wie im Kreise um diesen Mittelpunkt beschrieben d. h. mit einer ehernen Pflugschaar, vor welcher ein Stier und 457 eine Kuh, beide von weißer Farbe, die Kuh nach innen, der Stier nach außen gespannt wurden, der sogenannte primigenius sulcus gezogen, wobei die hinter dem Pfluge gehenden Personen Sorge trugen daß alle Schollen einwärts von der Furche zu liegen kamen. Diese so gezogene Ackerfurche ist das Pomoerium; wo ein Thor sein soll, wird die Pflugschaar ausgenommen und der Pflug aufgehoben, daher die ganze Stadtgrenze, auch die Mauer, für heilig galt, nur nicht die Oeffnung der Thore, durch welche so manches Unheilige und Unreine aus- und eingehtDaher über diesen das fascinum als Amulet. Vgl. Becker Handb. 1, 94 ff. Die Heiligkeit der Mauern bezeugt Cic. N. D. III, 40, 94 proque Urbis muris, quos vos Pontifices sanctos esse dicitis diligentiusque Urbem religione quam ipsis moenibus cingitis. Plut. Qu. Ro. 27 πᾶν τεῖχος ἀβέβηλον καὶ ἱερὸν νομίζουσι.. Mithin ist das ganze Geschäft wesentlich das eines Ackerbauers und die Göttin Erde, welche man dabei versöhnt, zugleich die Saaten emporsendende und die Todten bergende; daher auch die Tage, an denen der Mundus geöffnet wurde, nicht ohne Grund in die Zeit der Erndte und der neuen Aussaat fielen. Es geschah dieses nehmlich dreimal im Jahre, am 24. August d. h. in der Zeit der Erndte, da am 25. der Ops Consivia geopfert wurde, und am 5. October und 8. November. Natürlich wurden diese Tage, wo das Geisterreich offen stand, so daß die Schaaren der Schweigenden ungehindert aus- und einfahren konnten, für religiös gehalten: daher man sich an ihnen aller wichtigeren Geschäfte und Unternehmungen sowohl im Staate als in der Familie ängstlich enthielt, also keine Schlacht lieferte, kein Heer ausschrieb, nicht mit dem Heere ausrückte, keine Gemeindeversammlung hielt, nicht in die See stach, nicht sein Weib heimführte u. s. w.Fest. p. 142, 23 und 154, Paul. p. 156, Varro bei Macrob. S. I, 16, 16..

Die weiblichen Göttinnen der Unterwelt dürfen, obwohl sie unter verschiedenen Namen und Bildern vorkommen , doch sämmtlich für Personificationen der guten Mutter Erde gehalten werden. Namentlich gehört dahin die mit der Zeit zu einem Popanz der Volkskomödie gewordene Mania, deren ursprüngliche Bedeutung man daran erkennt, daß die Compitalien eigentlich ihr und den Laren gegolten haben und in ältester Zeit mit Menschenopfern gefeiert sein sollen, anstatt deren man später allerlei Puppen und Popanze vor den Thüren des Hauses aufhing, die 458 nun auch maniae oder maniolae genannt wurdenMacrob. 1, 7, 14, wo u. a. idque aliquamdiu observatum ut pro familiarium sospitate pueri mactarentur Maniae Deae Matri Larum. Varro l. l. IX, 61 videmus enim Maniam Matrem Larum dici. Vgl. Arnob. III, 41.. Andre nannten Mania die Mutter oder Großmutter der Laren oder der Larven, welche letztere für ein böses Gespenst galt, mit welcher die Kindermädchen den Kindern drohten, denn gute Menschen, so glaubte man später, wurden zu Laren, böse aber zu bösartigen und in der Nacht rastlos umherschweifenden Larven und Manien d. h. GespensternPaul. p. 128, Fest. p. 129 Manias, vgl. Arnob. VI, 26, Martian. Cap. II, 162, Munck de fab. Atellan. p. 43 sqq. So wurden die Kinder bei uns mit der Frau Holle und Berhta bedroht, Grimm D. M. 481.. Andre wissen von dunklen und schwarzen, der Mania verwandten GöttinnenMartian. Cap. II, 164 In his etiam locis Submanes eorumque praestites Mana atque Manuana, dii etiam quos aquilos dicunt (S. 47), item Fura Furinaque et Mater Mania., welche Furinae oder Furrinae hießen und früher gleichfalls zu den angeseheneren Cultusgöttern gehört hatten, später aber meist verschollen waren. So gab es in Rom jenseits des Tiber gleich über der Holzbrücke einen Hain der Furina oder der Furinae, der in der Geschichte vom Tode des C. Gracchus genannt zu werden pflegtAppian B. C. 1, 26, Oros. V, 12, Plut. C. Gracch. 17, Aurel. Vict. de vir. ill. 65, vgl. Becker Handb. 1, 144. In einer Inschr. aus Rom b. Or. n. 2551, Mommsen I. N. 6892 wird eine ara Forinarum genannt.; auch gab es einen eignen flamen Furinalis und noch später in den Kalendern einen eignen Tag der Furrinalia oder feriae Furrinae am 25. Juli. Doch wußten damals Wenige von diesen auch auf dem Lande hin und wieder verehrten Göttinnen, die Cicero mit den Furien vergleicht, deren Name allerdings mit demselben Stamme fus und fur zusammenhängt, also eigentlich die Dunklen, die Finstern bedeuteteVarro l. l. V, 84; VI, 19. VII, 45, vgl. die Kal. Maff. Pinc. Allif. z. 25. Juli und Cic. ad Quint. fr. III, 2, 4 ab eo ponticulo qui est ad Furinae Satricum versus, N. D. III, 18, 46. Es ist derselbe Stamm, der in fur, fuscus, furvus u. a. zu Grunde liegt, s. Paul. p. 84. 93.: der grade Gegensatz zur Dea Dia d. h. der Lichten, welche aber gleichfalls die Laren und die Mutter der Laren in ihrer Umgebung hat, so dicht drängten sich in diesem Kreise der Erdgottheiten auch im alten Italien die Gegensätze des Lichten und des Finstern, des Holden und des Unholden, des Geheuren und des Ungeheuren. Die Diebe d. h. die im Dunkel Schleichenden (fures, auch laverniones genannt) verehrten in Rom eine eigne Schutzgöttin, die Laverna, welche an der Via Salaria gleichfalls einen eignen Hain hatte, ja es führte nach ihr 459 sogar ein Thor den Namen der p. LavernalisVarro l. l. V, 163, Paul. p. 117 laverniones, vgl. Novius bei Non. Marc. p. 483, 20 und Horat. Ep. I, 16, 57 ff. und dazu der Comm. Cruq.: Laverna in via Salaria lucum habet. Est autem dea furum et simulacrum eius fures colunt et qui consilia sua volunt tacita, nam preces eius cum silentio exercentur. Auch Arnob. IV, 24 gedenkt ihrer.: höchst wahrscheinlich dieselbe Göttin in einer andern Gestalt, da der Name wohl mit dem der Laren und der Larven zusammenhängt, ihre Bedeutung aber als Göttin des Schweigens und der Verborgenheit genau dem Wesen der Dea Muta oder Tacita entspricht, welche ausdrücklich mit der Lara oder Larunda identificirt wird. Der Sabinerkönig T. Tatius soll die Römer diese Göttin verehren gelehrt habenVarro l. l. V, 74, Lactant. 1, 20, 35 Quis quum audiat Deam Mutam tenere risum queat? Hanc esse dicunt ex qua sint nati Lares et ipsam Laram nominant vel Larundam. Auson. Technop. de diis v. 9 Larunda progenitus Lar. Vgl. Ovid F. II, 581 ff. und Placid. gl. p. 478 Larundam quam quidam viam (aviam?) dicunt.; als Mater Larum galt sie speciell für die Mutter des an allen Kreuzwegen verehrten Paars der Lares compitales; als »Stumme« und »Schweigende« wurde sie noch zur Zeit des Ovid von abergläubischen Frauen und Mädchen bei der Todtenfeier der Feralien angerufen. Natürlich heißt sie so in demselben Sinne wie die Manen taciti und silentes genannt wurden; doch suchte man ihren Namen später nach griechischer Weise durch eine Liebesgeschichte des Jupiter zu rechtfertigen. Sie sei eine Quellnymphe des römischen Tiberthals gewesen, eine Tochter des Almo, ihr ursprünglicher Name LalaLala ist Lara vermöge der gewöhnlichen Vertauschung von l und r. Nach Plut. Numa 8 wurde Tacita (vgl. Ovid F. II, 570) als Muse d. h. als Nymphe im Hain der Camenen verehrt, in dessen Nahe sich auch der Almo befand.. Als Jupiter die Juturna liebte und ihr nachstellte, warnt Lala die schöne Nymphe, obgleich Jupiter und der eigne Vater es ihr verboten hatten; ja sie geht zur Juno um dort zu klatschen. Darum hat Jupiter ihr die Sprache genommen und sie durch Mercur zu den Manen führen lassen, da sei fortan ihre Stelle. Mercur aber gewann sie lieb und so ist sie von ihm die Mutter der Lares compitales geworden. Dahingegen andre Gestalten dieser alten Erd- und Manengöttin wieder recht deutlich ihr eigentliches Wesen ausdrücken, so namentlich die Genita Mana, welcher der auch den Laren heilige Hund geopfert wurde, mit einem Gebete worin man dieser Göttin den Wunsch ans Herz legte, daß Niemand aus der Familie »ein Guter« werden d. h. sterben mögePlut. Qu. Ro. 52, welcher dabei aus Aristoteles den merkwürdigen Passus einer Bundesurkunde zwischen den Arkadern und Lakedämoniern anführt: μηδὲν χρηστὸν ποιεῖν (in dem Sinne von ἀποκτιννύναι) βοηϑείας χάριν τοῖς λακωνίζουσι τῶν Τεγεατῶν.. Denn 460 offenbar ist »der Gute« hier zu verstehen wie manus, ein guter Geist, ein Seliger. Also eine Göttin über Leben und Tod, Geburt und Sterben, welche sehr an die Venus Libitina erinnert.

Manches Eigenthümliche hatte auch in dieser Beziehung der Glaube der Etrusker, obwohl er sich nicht wesentlich von dem bisher geschilderten Glauben des alten Italiens unterschieden zu haben scheint. Auch hier muß, da jener Ritus der Städtegründung so bestimmt von den Etruskern abgeleitet wird, der Cultus der Erdgötter die allgemeine Wurzel der Vorstellungen von der Unterwelt gewesen sein. So scheint es auch zwei männliche Todesgötter gegeben zu haben, einen welcher dem römischen Dis Pater entsprach und bei den Etruskern Mantus hieß, welchem die Stadt Mantua und andre etruskische Städte geweiht warenServ. V. A. X, 198 alii a Tarchone Tyrrheni fratre conditam dicunt, Mantuam autem ideo nominatam, quod Etrusca lingua Mantum Ditem Patrem appellant, cui etiam cum ceteris urbibus et hanc consecravit. Vgl. die Schol. Veron. p. 103 ed. Keil., was also wieder auf den mundus und jene Gebräuche der Städtegründung zurückführt. Der andre entspricht als furchtbarer Todesgott dem lateinischen Orcus, nur daß dieser bei den Etruskern gewöhnlich mit dem griechischen Namen Charun genannt wurde, nachdem Χάρων in der Praxis des attischen Theaters aus dem bekannten Fuhrmann zu einer populären Schreckgestalt des Todes überhaupt geworden warAmbrosch de Charonte Etrusco, Vratisl. 1837.. Auch dieser in den etruskischen Gräbern und auf ihren Grabkisten sehr gewöhnliche Charun scheint indessen nicht blos ein Dämon des Todes, sondern auch des schaffenden Lebens gewesen zu seinSo erscheint er ithyphallisch auf einer von Braun erwähnten Vase Annal. d. Inst. Arch. IX p. 272 und einer Bacchantin gegenüber gestellt auf einer Vase des Berliner Museums bei Ambrosch T. 1., obwohl für gewöhnlich allerdings die Idee des furchtbaren Todesgottes überwiegt, des gewaltsamen, alle Bande des Blutes und der Liebe zerreißenden, keine Jugend, keine Schönheit schonenden, Alles gewaltsam niederschlagenden Todes, wie sich diesen die Phantasie des Volkes auch sonst am liebsten vorstellt. Es ist eine gräuliche, wilde Gestalt von halbthierischem Aussehn, immer mit einem gewaltigen Hammer bewaffnet, mit dem er seine Beute trifft, bisweilen auch noch mit einem Schwerdt. Bald sieht man ihn vor der Pforte der Unterwelt sitzen, bald aus derselben hervortreten, 461 oder er ist mit andern Genien des Todes beschäftigt liebende Paare, die sich zum letztenmal die Hände reichen, zu trennen. Auf andern Denkmälern führt er den Todten zur Unterwelt, wobei der Todte gewöhnlich beritten ist, auf andern sieht man ihn mit andern Dämonen des blutigen Todes mitten unter den Streitenden eines Schlachtfeldes oder einer Mordthat. Oder er ist einer der höllischen Plagegeister in der Unterwelt, wie die Phantasie der Etrusker überhaupt an solchen Bildern infernalischer Plage reich war, obwohl auch in Rom daran kein Mangel warPlaut. Capt. V, 4, 1 Vidi ego multa saepe picta quae Acherunti fierent cruciamenta. Lucret. III, 1014 carcer et horribilis de saxo iactu' deorsum, verbera, carnifices, robur, pix, lammina, taedae. Vgl. Cic. pr. Cluent. 61, 171, Tusc. 1, 6, N. D. II, 1, 5, Iuven. II, 149.. Ueberhaupt lehren uns die etruskischen Grabgemälde und die Sculpturen ihrer Todtenkisten außer dem Charun noch verschiedene andere Genien des Todes, männliche und weibliche kennen, bald in der Gestalt der griechischen Erinyen, bald in der geflügelter Schicksalsgottheiten, bald sind es lichte und schöne, bald finstre und häßliche GestaltenVersehiedene Bilder aus der etruskischen Unterwelt bei Gerhard Gotth. d. Etr. t. VI. Mehr bei G. Dennis die Städte und Begräbnißplätze der Etrusker S. 289. 490. 498 ff.. Der Todesgott mit dem Hammer pflegte später zu Rom unter den Masken und mimenartigen Zwischenspielen der blutigen Arena des Amphitheaters aufzutretenTertull. ad Nat 1, 10 Risimus et meridiani ludi de deis lusum, quod Ditis Pater, Iovis frater, gladiatorum exsequias cum malleo deducit etc..

Sehr bedeutend war auch hier der Einfluß der griechischen Mythologie sowohl auf die Etrusker als auf die Römer. So ist der Acheron auch in Italien in solchem Umfange zu einem Symbole für alle Ahndungen und Schrecknisse der Unterwelt geworden, daß die Etrusker sogar ihre priesterliche Litteratur, so weit sie sich auf die Seelen der Verstorbnen und allen dahin gehörigen Gottesdienst und Zauber bezog, einen eignen Abschnitt der von dem Wunderknaben Tages inspirirten Aufzeichnungen, nach dem Acheron benanntenS. die sacra Acherontia, quae Tages composuisse dicitur, b. Serv. V. A. VIII, 398 und die libri Acherontici b. Arnob. II, 62, vgl. O. Müller Etrusk. 2, 27. Auch in Rom und bei den römischen Dichtern, Ennius, Lucrez, den älteren Tragikern sind der Acheron und die Acherusia templa das gewöhnliche Bild für die Unterwelt, z. B. b. Ennius p. 102 Vahlen: Acherunsia templa alta Orci salvete infera, pallida leti, obnubila tenebris loca.. Ohne Zweifel hat auch hier außer 462 dem Epos vorzüglich der Gottesdienst von Cumae eingewirkt, dessen alter, durch die Sage vom Odysseus bekannte Todtendienst und das damit verbundne Todtenorakel am 1. Avernus durch ganz Italien berühmt war und trotz der Lichtungen, welche Agrippa in dem umgebenden Walde vorgenommen hatteStrabo V p. 244, vgl. Philolog. 1847 p. 485. Dabei passirten allerlei Zeichen und Wunder, s. Serv. u. Philargyr. z. Virg. Ge. II, 162. Unter den Mimen des Laberius gab es einen betitelt: Lacus Avernus und Necyomantia. Auch Lucrez beschäftigt sich mit diesen Ueberlieferungen VI, 740 ff., 762 ff., desgleichen Petronius c. 120. Noch das feriale Capuanum bemerkt z. 27. Juli: PROFECTIO AD IFER AVERNI, wo Mommsen liest inferias, ich möchte lieber lesen ad Inferos d. h. zu dem Heiligthume der Inferi am Avernus. Es ist der Rest eines alten Sommerfestes der Unterirdischen., bis zu den letzten Zeiten des Heidenthums ausdauerte. Von den römischen Dichtern hatte zuerst Ennius zugleich von der Seelenwanderung und in der Weise Homers von den Verstorbnen und der Unterwelt gedichtet (Lucret. I, 115 ff.). Später hat Virgil seiner Aeneis nach dem Vorbilde älterer Nekyien und nach Anleitung des Cumanischen Todtendienstes jenes schöne und sinnige Gemählde einverleibt, welches sowohl wegen seiner Eigenthümlichkeit als wegen seines die spätere Vorstellung bis Dante beherrschenden Einflusses vorzüglich zu beachten ist. Aeneas ist in Cumae, um die dortige Sibylle, eine Dienerin des Apollo und der Artemis, welche in dieser Zeit allgemein mit der Hekate identificirt wurde, wegen seiner Zukunft zu befragen. Er bittet, da der Eingang in die Unterwelt in der Nähe sei, noch einmal seinen Vater sehn zu dürfen, und die Sibylle unterrichtet ihn willig wie er dahin gelangen könne. In dem Haine der stygischen Juno d. h. in der den Averner See umgebenden, der Proserpina geheiligten Waldung stehe tief verborgen ein Baum mit einem goldnen Zweige, der erst gebrochen sein will (ist er gebrochen, so treibt der Baum alsbald einen gleichen Zweig), ehe der Weg in das Reich der Schatten sich öffnetAuch Ovid Met. XIV, 113 ff. weiß von diesem Zweige. Serv. V. A. VI, 136 erinnert an einen Gebrauch im Haine der Diana von Aricia, welche später auch wie alle Dianen für identisch mit der Trivia und Hecate galt, doch will der Gebrauch sonst nicht passen. Da der Zweig später in der Unterwelt an der Schwelle der Proserpina niedergelegt wird, so dachte ihn Virgil sich als Bittzweig. Uebrigens scheint der weit verbreitete Glaube an die magische Kraft des Mistels zu Grunde zu liegen, s. Grimm D. M. 1156 ff.. Auch müsse Aeneas zuvor für die Bestattung seines jüngst verunglückten Gefährten Misenus sorgen. Als die Trojaner beschäftigt sind im nahen Walde das 463 Holz zum Scheiterhaufen zu fällen, kommen zwei Tauben geflogen, die Boten seiner Mutter Venus. Sie führen ihn durch den Wald bis an den Avernus, wo sie sich auf jenem Wunderbaume niederlassen. Aeneas bricht den Zweig und reicht ihn seiner Führerin, der Sibylle, worauf beide in einer finstern Höhle am See der Hekate und den Unterirdischen ein Opfer bringen, derselben Höhle aus welcher die für alle über den See hinfliegenden Vögel tödtlichen Dünste hervordrangen und welche nach dem Glauben des Volks für einen Eingang in die Unterwelt galt. Kaum ist das Opfer gebracht, es war gegen Sonnenuntergang, da dröhnt es in der Tiefe, rauscht es im Walde, heulen die Hunde, denn Hekate naht: worauf die Sibylle sich mit dem Zweige in die Höhle stürzt, Aeneas ihr nach mit gezücktem SchwerdteSo wehrt UIysses bei Homer den Geistern mit gezücktem Schwerdte. Vgl. Petron. 62 gladium strinxi et – umbras occidi donec ad villam amicae meae pervenirem.. Zuerst führt sie der Weg wie durch einen dunklen Wald, durch den der Mond bei bewölktem Himmel ein unsichres Zwielicht wirft. Dann kommen sie an die Schwelle des Orcus, wo die Trauer und die Sorge wohnt, Krankheiten und Alter, Furcht und Hunger, Schlaf und Tod, auch der Krieg und die Zwietracht und die Furien haben dort ihre Kammern, und die Träume hocken auf einer uralten Ulme; auch lagern hier alle mythischen Ungethüme, Centauren und Scyllen, der schreckliche Briareus und die lernäische Schlange, die feuerspeiende Chimäre, die Gorgonen und Harpyien und Geryon mit seinen drei Leibern. Darauf gelangen sie an den Acheron, der in den Cocytus fließt, wo Charon mit seinem Nachen schaltet, schrecklich und gräulich anzusehn, mit dickem Barte und stechenden Glutaugen. Zu ihm strömen alle Schatten, wie wenn die Blätter des Waldes beim ersten Frost von den Bäumen fallen, oder wie sich die Zugvögel sammeln, wenn sie vor dem Winter in den wänneren Süden eilen. Alle bitten um die Ueberfahrt, doch können nur die hinüber und damit zur Ruhe gelangen, welche wie es die Religion verlangt bestattet und begraben sind. Die Armen, welchen dieser letzte Dienst nicht geworden: hundert Jahre schweben sie umher an dem Ufer, bis sie endlich zugelassen werden! Sobald die Charon beiden übergesetzt hat, treffen sie zunächst auf den Cerberus; dann begegnen ihnen die wimmernden Seelen der in der ersten Lebensknospe gestorbnen Kinder, darauf die durch ungerechten Spruch Verurtheilten, dann die Selbstmörder, die sich nun vergeblich in das 464 Leben zurücksehnen. Nicht weit davon dehnen sich die »traurigen Felder«, wo die in unglücklicher Liebe Verstorbnen auf heimlichen Pfaden unter Myrtengebüsch umherirren, immer noch den Pfeil der Liebe im Herzen. Endlich kommen sie an die Grenzen dieses Bezirks, wo die im Kriege gefallnen Helden weilen, die des thebanischen und des troischen Kriegs. Die Sibylle treibt zur Eile, denn schon meldet Aurora das kommende Licht des neuen Morgens. Da gelangen sie an den Scheideweg von Hölle und Elysium. Rechts liegt die alte Wohnung des Pluton und der Proserpina, bei denen die Seligen wohnen, links geht es hinab zur Hölle und zu dem tiefen Weltabgrunde des Tartarus. Einen Blick hinab wirft Aeneas und er sieht in der Tiefe eine mit dreifacher Mauer umgebene, von dem glühenden und kochenden Strom des Phlegethon umkreiste, am Thor von der Tisiphone bewachte Burg, aus welcher ewiges Heulen und schallendes Gerassel von Ketten und Geißeln hinauftönt. Die Sibylle weiß es von ihrer Herrin, daß Rhadamanthus dort gebietet. Der foltert die schuldigen Seelen so lange bis sie gestehen; dann werden sie eine Beute der Furien und es öffnen sich die Pforten der Hölle, aus welchen kein Entkommen möglich ist. Drinnen haust Scylla mit funfzig Schlünden; nach unten dehnt sich der Abgrund zweimal so tief wie der Himmel nach oben. Da wälzen sich auf dem tiefsten Grunde der ewigen Finsterniß die Titanen; auch die Aloiden büßen dort ihren Frevelmuth und der freche Salmoneus und die beiden Lapithen, Ixion und Peirithoos: mit ihnen die welche ihre Brüder gehaßt, ihren Vater geschlagen, gegen ihre Clienten falsch Zeugniß abgelegt haben, auch die Geizigen, welche nur für sich gesammelt haben, die im Ehebruch Gestorbnen und alle Verräther am Vaterlande und an der heiligen Treue. Schaudernd eilt Aeneas mit seiner Führerin weiter, einen schattigen Weg durch den Hain der Proserpina, bis sie an die Götterburg der Unterirdischen gelangen. Aeneas betritt die Schwelle, besprengt sie mit frischem Wasser, heftet den goldnen Zweig an den Thürpfosten und folgt der Sibylle weiter in die Gefilde der Seligen. Welche himmlische Schönheit und Anmuth empfängt sie dort, welch liebliches Grün, ein im reinsten Lichte strahlender Himmel, ewiger Sonnenschein und unvergänglicher Frühling. Einige üben ihre Glieder, Andre tanzen im Reigen, Orpheus, der thrakische Priester, spielt auf seiner Laute und singt die süßesten Lieder. Aeneas trifft dort die Heroen seines Stammes, den Ilus, Assaracus und Dardanus. Er bewundert das Geschirr der Helden, ihre Waffen, ihre Rosse: lauter Schattengebilde, aber 465 dieselbe Lust, die sie früher im Leben gewährten. Andre lagern im Grase und schmausen und singen den Päan im duftenden Lorbeerhaine, an der Quelle des silbernen Bachs, der so schön dureh den Wald rauscht: ein herrliches Land mit üppigen Thälern, schimmernden Strömen, duftenden Hainen, ragenden Bergen, die ihre Scheitel in eine ewig heitre Luft empor strecken. Hier weilen die welche fürs Vaterland gefallen sind, die reinen Priester und Sänger, die welche sich durch ihre Erfindungen, ihre Thaten um die Menschheit verdient gemacht haben. Sie sammeln sich um die Angekommenen, Musäus unter ihnen, eines Hauptes länger als alle übrigenPlato d. Rep. II p. 363 C. gedenkt eines Gedichtes über das Leben der Seligen, welches unter dem Namen des Musäos ging. Auf dasselbe deutet Virgil.. Dieser führt sie über eine Höhe in einen blühenden Thalgrund, wo Anchises den Schaaren der Seelen zusieht, welche vom Quell der Lethe trinken und dann von neuem auf die Oberwelt zurückkehren. Als Vater und Sohn sich am Entzücken des Wiedersehns gesättigt hatten, erklärt Anchises dem Sohne die Wiedergeburt der Seelen. Derselbe Weltgeist, welcher Himmel und Erde und die Gestirne und alle Materie beseelt, ist auch die Ursache des Lebens für Menschen und Vieh, Vögel und Fische. Ein feurige Kraft von himmlischem Ursprung, welche aber durch den Stoff des Leibes gedämpft und geschwächt wird: daher die Begierden, die Furcht, die Sorge, die Lust, das blinde Verlangen der verhafteten und verfinsterten Seele. Auch mit dem Tode löst sich dieses verhängnißvolle Band nicht völlig, sondern es ist eine dauernde Reinigung nach dem Tode nöthig, damit der eingewurzelte Schaden gehoben werde. Daher werden Einige für ihre Sünden gepeinigt, Andre durch scharfe Luft, jähen Sturz des Wassers oder durch Feuer gereinigt, worauf sie geläutert ins Elysium geschickt werden: bis der Geist seine volle Reinheit und Klarheit wiedergewonnen hat und nach dem Trunk der Lethe von neuem in das körperliche Leben zurückkehren kann. Noch zeigt Anchises dem Sohne die glorreiche Reihe der Aeneaden und Roms Zukunft bis August, und endlich kehren die Lebenden durch eins der beiden Thore des Traums wieder in das Leben zurück.

Bei den späteren römischen Dichtern ist hier wie in allen Stücken der Einfluß Virgils wohl zu bemerken, aber mehr in der äußerlichen Einkleidung der Bilder als in dem tieferen Zuge der Ahndung und des Gemüths, welcher jene Dichtung beseelt. Auch 466 haben diese jüngern Dichter zu viel Lust an dem Gräßlichen und Abenteuerlichen; das mehr und mehr in finsterm Aberglauben erstarrende Heidenthum brachte es so mit sichVgl. Lucan. Pharsal. VI, 662 ff. und 695 ff, Stat. Theb. IV, 472 ff, Silius Ital. Pun. XIII, 522 ff.. Merkwürdig ist bei Lucan und Statius die Hinweisung auf einen Obersten der Teufel, der im tiefsten Abgrunde des Tartarus hausend alle übrigen Mächte der Unterwelt beherrscht: wahrscheinlich ein Bild des Orients, wenigstens glauben die Ausleger darin den aus der Bibel bekannten Beelsebub zu erkennenLucan. VI, 742 Paretis? an ille compellendus erit, quo numquam terra vocato non concussa tremit etc. Stat. Theb. IV, 514 ni te Thymbraee vererer et triplicis mundi summum, quem scire nefastum est. IIlum sed taceo etc..


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