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Immer hat Numa für den eigentlichen Begründer des römischen Gottesdienstes und insofern für den ersten Gesetzgeber Roms gegolten, da dessen Verfassung vor den Tarquiniern wesentlich auf religiösen und theokratischen Principien beruhte.
Da die alte Ueberlieferung ihn einen angesehenen Sabiner aus dem benachbarten Cures, der zweiten Metropole Roms nennt, so werden wir den nationalen Kern seiner Gesetzgebung bei diesem altitalischen Volke suchen müssen, zumal da die Sabiner auch sonst als ein sehr ernstes, gottesfürchtiges und sittenstrenges Volk geschildert werden und ihre Gottesdienste in Rom gleichfalls den Eindruck einer sowohl in religiöser als in sittlicher Hinsicht weit gediehenen Entwicklung machen (S. 18). Indessen ist auf der andern Seite nicht zu verkennen, daß auch das alte Herkommen und die sacralen Satzungen der Latiner auf Numas Verordnungen einen bedeutenden Einfluß ausüben mußten, da es ohnehin sein Hauptzweck war aus den bisher getrennt gebliebenen Römern und Quiriten d. h. der palatinischen Latiner und quirinalischen Sabiner ein durch gemeinsame Religion gebundenes Ganzes zu bilden. Auch wissen wir daß viele von Numa in sein Werk aufgenommene Institute, z. B. das der palatinischen Salier und ihr Dienst des Mars, die Luperci und ihr Dienst des Faunus, die Arvalischen Brüder und ihr Dienst der Dea Dia latinischen Ursprungs waren, während viele andre z. B. die Culte des Saturnus und der Ops, des Jupiter und des Veiovis, der Diana und Lucina, der Laren und der Mutter 106 der Laren, des Vulcanus und der Vesta sowohl latinisch als sabinisch waren: endlich daß auch der geistliche Stand und das Priesterthum bei den Latinern weit gediehen war. So gab es Flamines, Vestalische Jungfrauen, Pontifices und Augurn, auch Fetialen so gut bei den Latinern als in Rom oder bei den Sabinern. Ja es scheint in Gabii, einer Colonie von Alba Longa (S. 9), eine eigne Priesterschule gegeben zu haben, zunächst für das Auguralwesen, worauf auch die Sage führt daß Romulus und Remus, die ersten Augurn in Rom, ihre Bildung zu Gabii empfangen hatten, Dionys H. I, 84, Plutarch Rom. 6. Wenigstens wissen wir aus Varro l. l. V, 3 daß die Auspicien auf Römischem und auf Gabinischem Stadtgebiete in gleicher Weise angestellt wurden. Auch war der sogenannte cinctus Gabinus, eine eigne Art die Toga aufzuschürzen, welche die freiere körperliche Bewegung begünstigte und deshalb bei den Römern vorzüglich im Lager herkömmlich blieb, nach sichrer Ueberlieferung ursprünglich vielmehr bei verschiedenen gottesdienstlichen Verrichtungen üblich gewesen, namentlich wie es scheint bei solchen, welche mit Umzügen verbunden, also schreitend auszuführen warenS. die Stellen bei Müller Etrusker, I, 265. Auch die Laren wurden wohl deshalb cinctu Gabino bekleidet gedacht, weil sie für allezeit expedite und hülfreiche, rastlos allgegenwärtige Genien gehalten wurden..
Die Verschmelzung der getrennten Römer und Quiriten erreichte Numa theils durch die Curienverfassung, theils durch gewisse centrale Institute des neuen Staatscultus und der religiösen Oberaufsicht des Königs, namentlich die Regia und den Gemeindeheerd der Vesta in der Nähe derselben, endlich durch eine solche Einrichtung der Priesterthümer und des öffentlichen Cultus d. h. seiner Gebräuche, Opfer und Gebete. daß dieselben fortan für die gesammte Bürgerschaft der Römer und Quiriten, nachmals auch für den dritten Stamm der Luceres verbindlich waren. Vermöge der Curienverfassung wurden sämmtliche Familien des Patriciats d. h. der ältesten Bürgerschaft in dreißig Curien eingetheilt, welche zugleich eine politische und eine religiöse Bedeutung hatten und insofern mit den Kirchspielen mancher deutscher Städteverfassungen verglichen werden können. Jede Curie hatte ihr besonderes Local zu ihren corporativen und gottesdienstlichen Versammlungen und zu demselben Behuf ihren eignen Curio und Flamen, alle zusammen aber standen unter der geistlichen Oberaufsicht eines sogenannten Curio Maximus, welcher zu dem Gottesdienste der Curien und zu ihren Vorstehern 107 und Priestern ein ähnliches Verhältniß gehabt zu haben scheint wie der König, später der Pontifex Maximus zu dem römischen Gottesdienste und zu den Geistlichen überhaupt. Die Regia war ursprünglich, wie dieses schon der Name sagt, der centrale Sitz des Königs, sofern dieser zugleich das Haupt und der oberste Priester und geistliche Repräsentant des Staates war und als solcher zugleich eine Oberaufsicht über alle gottesdienstliche Uebungen desselben ausübte, sowohl die des öffentlichen als die des Familienlebens. In der Regia, welche am Fuße des palatinischen Hügels an der sogenannten Via Sacra lag, wo diese in das Forum mündete, wurde solange es einen König gab von diesem und der Königin, später von den dazu verordneten Priestern und Priesterinnen den höchsten Göttern des Staats, namentlich dem Janus, Jupiter, der Juno, dem Mars, der Ops im Namen der ganzen Bürgerschaft geopfert. In der Nähe dieser Regia aber lag auch das Heiligthum der Vesta mit dem Gemeindeheerde, auf welchem gleichfalls unter der unmittelbaren Aufsicht des Königs, später des Pontifex Maximus, von den reinen Händen der Vestalischen Jungfrauen die heilige Flamme unterhalten wurde, in welcher sich die unsichtbare Lebensflamme des Staates und der Gemeinschaft seiner Bürger bildlich darstellte, grade so wie jede der dreißig Curien und jede einzelne Familie auf ihrem Heerde ein ähnliches Feuer unterhielt und dabei der schützenden und erhaltenden Götter und Genien gedachte, von denen sie ihre besondere Existenz und ihr eignes Gedeihen ableiteteAmbrosch Studien und Andeutungen S. 1–40..
In der Verfassung der Geistlichkeit lassen sich drei verschiedene Systeme unterscheiden, deren erstes die Priester und den regelmäßigen Dienst der höchsten Staatsgötter, des Janus, Jupiter, und der Juno, des Mars, Quirinus und der Vesta umfaßt. Hatte hier früher der König an der Spitze gestanden, so scheinen dessen Rechte, namentlich die Aufsicht über den gesammten Cultus nach Anleitung der Gesetze des Numa, schon unter den Königen zum Theil auf den Pontifex Maximus übergegangen zu seinWenigstens müssen wir dieses nach Liv. 1, 20 und 32 vermuthen, dahingegen später unter den Kaisern die Sache gerne so dargestellt wurde, als ob die Könige wie diese die Würde des Pontifex Max. niemals von der ihrigen getrennt hatten, s. Serv. V. A. III, 81, Plutarch Numa 9, Zosim. IV, 36., und vollends veränderte sich die alte Ordnung der Dinge, als das Königthum abgeschafft und nur noch ein Schatten seines Namens geduldet 108 wurde. Seitdem gab es nur noch einen Opferkönig, Rex Sacrorum oder Rex Sacrificulus genannt, der Erbe der priesterlichen Functionen, welche dem Könige bis zuletzt geblieben waren, namentlich der Opfer an den Janus (S. 58). Auf ihn folgten dem geistlichen Range nach die drei sogenannten Flamines Maiores, welchen Beinamen sie den zwölf Flamines Minores niederer Ordnung verdankten, die durch die Einführung anderer Culte mit der Zeit nöthig wurden und auch den Plebejern zugänglich warenPaul. p. 150 Maiores flamines, Fest. p. 154 Maximae dignationis, vgl. Gai. 1, 112. Ennius scheint dem Numa auch die Einsetzung dieser geringeren Flamines zugeschrieben haben, Varro l. l. VII, 45, und jedenfalls waren die meisten von ihnen alt, wie die Gottesdienste denen sie entsprachen. Nur neun sind bekannt, der fl. Volcanalis, Volturnalis, Palatualis, Furrinalis, Floralis, Carmentalis, Portunalis, Falacer, Pomonalis.. Unter den Flamines der höhern Ordnung blieb der Flamen Dialis immer der angesehenste, als Repräsentant des höchsten Gottes im lichten Himmel, dessen Heiligkeit und Reinheit sich in vielen und schwierigen Beobachtungen ausdrückte, die ihm für sein persönliches Verhalten vorgeschrieben waren. An seiner Seite war seine Gemahlin, die Flaminica schlechthin, dem Dienste der Juno gewidmet, wie sich denn bei den meisten dieser höheren römischen Priesterthümer die Erscheinung wiederholt, daß ihre Inhaber in erster und einziger Ehe verheirathet sein mußten und daß ihre Frauen den Dienst bei der weiblichen Gottheit zu versehen hatten, welche der männlichen ihres Gemahls am nächsten stand. Die beiden andern Flamines, der Martialis und Quirinalis, entsprachen, wie bereits früher bemerkt wurde, den beiden alten Stammgöttern der palatinischen Römer und der quirinalischen SabinerWeil Quirinus später allgemein mit dem Divus Romulus identificirt wurde, läßt Dionys II, 63 schon Numa den Cultus des Romulus stiften.. Endlich folgte dem Range nach als der letzte der Pontifex Maximus, obwohl er vermöge seiner geistlichen Macht wenigstens im Laufe der Republik bei weitem der erste war und für den persönlichen Mittelpunkt des gesammten römischen Staatsgottesdienstes gelten konnte. Von ihm ging die Besetzung aller bisher genannten priesterlichen Würden aus, des Rex Sacrorum, der Flamines Maiores und der Vestalischen Jungfrauen, ja er übte auch eine Disciplinargewalt über diese Priester und Priesterinnen, welche insofern alle seiner Oberaufsicht untergeben warenDaher der Pontifex auch für den Fl. Dialis fungirte, sobald dieser durch Krankheit oder sonst verhindert war. Auch wahrend der 75 Jahre, wo die Stelle des Fl. Dialis gar nicht besetzt wurde, sorgte der Pontifex für den Dienst, s. Tacit. A. III, 58.. Ferner war er in allen 109 laufenden Fragen des Gottesdienstes und des geistlichen Rechtes, sowohl in öffentlichen Angelegenheiten als im Familienleben, die letzte Instanz, so daß er auch in das Staats- und Beamtenwesen und in das civile Recht, z. B. wo es über die Legitimität einer Ehe und über die von der Religion vorgeschriebenen Pflichten gegen die Verstorbenen zu entscheiden galt, oft hinübergriff und dadurch Veranlassung bekam sich nicht allein um die geistlichen, sondern auch um die weltlichen Angelegenheiten zu bekümmern, welche bei diesem Amte sogar je länger desto mehr zur Hauptsache wurden. Außerdem hatte er die Aufsicht über die von Numa überlieferten, im Laufe der Zeit vielfach erweiterten und überarbeiteten Urkunden des geistlichen Rechts und des öffentlichen Gottesdienstes, also auch über den Kalender und die von demselben abhängigen Bestimmungen der Fest- und Geschäftstage, sowie über die jährlichen Aufzeichnungen außerordentlicher Ereignisse von religiöser Bedeutung, aus welcher die sogenannten Annales Maximi hervorgingen. Lauter Geschäfte die ein zahlreiches Beamtenpersonal und ein bedeutendes Archiv von selbst mit sich brachten und unter seiner Leitung von einem eignen Collegium der Pontifices besorgt wurden, welches zuerst aus 4, seit der 1. Ogulnia v. J. 454 d. St. 300 v. Chr., durch welche die Plebejer den Zugang zu diesem wichtigen Amte erlangten, aus 8, seit Sulla aus 15 und noch mehr Mitgliedern bestand und sich durch Cooptation ergänzte, während der Pontifex Maximus durch Volkswahl unter den Mitgliedern des Collegiums bestimmt wurdeMercklin, die Cooptation der Römer S. 91 ff., 131 ff.. Auch der Opferkönig und die drei höheren Flamines gehörten zu diesem Collegium, welches in allen Religionssachen, bis auf die Zulassung neuer Gottesdienste, in Rom und durch ganz Italien die höchste consultative Behörde bildete.
Ein zweites System dieser Geistlichkeit vom ältesten Datum bildete das Collegium der Augurn, deren es bis zur 1. Ogulnia gleichfalls 4, seitdem 9, seit Sulla 15 und mehr gab. Ihre geistliche Aufgabe war die Beobachtung des Willens der Götter aus den conventionellen Zeichen (S. 103) und die Anwendung dieser Beobachtungen auf alle wichtigeren Vorgänge des öffentlichen Lebens, wobei sie indessen niemals unmittelbar und persönlich einschritten, sondern immer nur den vollziehenden Behörden 110 zurathend oder abmahnend zur Seite standen. Die Beobachtungen selbst wurden nach einer altherkömmlichen Technik und sorgfältig fortgepflanzten Lehre (disciplina) angestellt, wobei es sich besonders darum handelte auf der Erde den rechten Standpunkt zu nehmen, den Himmel in gewisse Felder einzutheilen, und demgemäß über die gute oder schlimme, ein Unternehmen, die Wahl eines Beamten u. s. w. billigende oder mißbilligende Bedeutung der göttlichen Zeichen zu entscheiden. Ferner waren die Augurn bei allen Weihungen betheiligt, sowohl den vielen persönlichen der Priester, welche erst nach vorgenommener Einweihung (inauguratio) ihr Amt antreten und nicht ohne eine förmliche Aufhebung dieser Weihe (exauguratio) von demselben wieder entfernt werden durften, als bei den örtlichen Einweihungen der Stadt und des Stadtgebiets, der Tempel und Heiligthümer, auch der Aecker, Weinberge und Obstgärten, welche dann durch gewisse Umzüge, Opfer und Gebete zu bestimmten Zeiten oder auf außerordentliche Veranlassung zugleich von aller Befleckung gesühnt und zu neuer Weihe eingesegnet wurden, bei welchen Gelegenheiten die Augurn gewöhnlich mit den Pontifices und andern Priestern zusammenwirkten. Endlich hatten sie bei außerordentlichen Gelegenheiten, namentlich bei drohenden Erscheinungen des Himmels den Zorn der Götter zu sühnen, Blitze zu beschwören, und wieder unter andern Umständen gewisse Verfluchungen auszusprechen, welche für alle Bürger der Stadt galten. Die Grenze ihrer Beobachtungen in der Stadt war das sogenannte Pomoerium, das Local derselben und das ihrer amtlichen Versammlungen und Verhandlungen das sogenannte auguraculum auf der Capitolinischen Burg (in arce), wo sie zu gewisser Zeit ein sehr heiliges und heimliches Opfer darbrachtenPaul. p. 16 Arcani, p. 18 Auguraculum.. Auch gehörte es zu ihren amtlichen Rechten und Verpflichtungen darauf zu achten, daß sie von dort aus den ganzen Horizont der Stadt ungehindert übersehen konnten. Seinen ersten Ursprung leitete dieses Collegium nach alter Ueberlieferung vom Romulus ab, dessen lituus, mit dem er das bekannte Glückszeichen der Gründung gewonnen hatte, als eine heilige Reliquie bewahrt wurde. Aber erst seit dem sabinischen Könige T. Tatius war die Stätte der Beobachtungen auf der Burg aufgeschlagen worden, und erst Numa galt mit gutem Grunde für den Stifter des Collegiums. Uebrigens gab es auch außer diesem Collegium viele Augurn in Rom, wie sie zu Privatzwecken oder 111 sonst befragt wurden, vollends in älterer Zeit, wo z. B. der berühmte Sabiner Attus Navius nicht eigentlich zum Collegium der öffentlichen Augurn gehörte. Es ist derselbe welcher Tarquinius dem Aelteren mit seinen Zeichen und Wundern so imponirend entgegentrat, daß der mächtige König von seinen Neuerungen ablassen mußte, ein Vorgang auf welchen die Tradition der Augurn ein solches Gewicht legte, daß das Collegium seinen außerordentlichen Einfluß auf den Gang aller öffentlichen Angelegenheiten erst von da an datirteLiv. II, 36 ut nihil belli domique postea nisi auspicato gereretur, concilia populi, exercitus vocati, summa rerum, ubi aves non admisissent, dirimerentur.. Ihre religiöse Bedeutung besteht ganz wesentlich darin daß sie im Sinne der Vorzeit für die Dollmetscher des unsichtbaren Willens der Götter, vor allen des Jupiter galtenCic. de Leg. II, 8, 21 interpretes autem Iovis Opt. Max. publici Augures signis et auspiciis providento (für postea vidento). Vgl. Rubino Untersuchungen über rö. Verf. und Gesch. I, 37 ff.. Sobald man nicht mehr an die Theilnahme dieser Götter an allen irdischen und weltlichen Angelegenheiten und an die Bedeutung der Zeichen glaubte, sank das ganze Institut natürlich zur politischen Farce herab.
Eine dritte Gruppe ist die der Sodalitäten und Brüderschaften, namentlich der Luperci, der Salii, der Sodales Titii und der Fratres Arvales: ältere Verbrüderungen zu gewissen Cultuszwecken, welche Numa in seine Verfassung aufnahm oder durch dieselbe neu organisirte und dadurch zu öffentlichen Instituten machte. Ihr Unterschied von den gewöhnlichen priesterlichen Collegien besteht theils in ihrem Ursprunge und der Enge ihrer Verbrüderung theils in der Art ihres öffentlichen Hervortretens. Dem Ursprunge nach deuten sie entweder auf gentilicische Vereine oder sonst die elementaren Zustände des Gemeindeverbands, wie dieses auch von den Alten ausdrücklich anerkannt wird und z. B. in dem Namen der Luperci Fabiani und Quinctiliani sich deutlich darstellt. Ihre Verbrüderung aber war besonders deswegen so enge, weil sich mit ihrer Gesellung das religiöse Element aufs innigste verband, indem sie sich eben zunächst zur gemeinschaftlichen Feier eines Opfers und Opfermahles verbunden hatten, dadurch aber überhaupt zur innigsten Befreundung in Noth und Tod angehalten wurden, wie dieses ja auch der Name Sodales und Fratres und Germani ausdrücktCic. pr. Cael. 11, 26 Fera quaedam sodalitas et pastoricia atque agrestis Germanorum Lupercorum, quorum coitio illa silvestris ante est instituta quam humanitas atque leges, si quidem non modo nomina inter se deferunt Sodales, sed etiam commemorant sodalitatem in accusando, ut ne si quis forte nesciat timere videretur. Bei Macrob. 1, 16, 32 gelten die sacrificia, sodalitates und nundinae für Stiftungen des Romulus und T. Tatius. Paul. p. 296 erklärt Sodales dicti quod una sederent et essent, vel quod ex suo datis vesci soliti sint, vel quod inter se invicem suaderent quod utile esset. Bei den Griechen waren die Ὀργεῶνες und Θιασῶται etwas Aehnliches.. Der Zahl nach 112 scheinen diese Vereine gewöhnlich aus zwölf Mitgliedern bestanden zu haben, die sich durch Cooptation ergänzten. Ihr religiöser Dienst unterscheidet sich von dem des gewöhnlichen Priesters dadurch, daß sie immer nur bei gewissen festlichen Veranlassungen hervortreten, im Uebrigen aber nur als religiöse Corporationen von öffentlicher Geltung existirten. So traten die Luperci öffentlich nur im Februar hervor, wo sie im Dienste des palatinischen Faunus, eines sehr alten Cultus, gewisse sinnbildliche Gebräuche der Sühnung und Befruchtung verrichteten, die Salier im März, wo sie zu Ehren des alten palatinischen Stammgottes Mars, seit Tullus Hostilius auch zu Ehren des sabinischen Quirinus mit eigenthümlichen Liedern und Tänzen durch die Stadt zogen, die Titier bei einer nicht näher bekannten Veranlassung zur Erinnerung an den Sabinerkönig T. Tatius, endlich die fratres Arvales im Mai, wo sie zu Ehren der Dea Dia in ihrem vor der Stadt gelegenen Haine die vorgeschriebenen Gebräuche verrichteten und gemeinschaftliche Opfermahlzeiten hielten.
Der Cultus des Numa wird im Allgemeinen dadurch characterisirt daß zugleich seine große Einfachheit und seine außerordentliche Mühsamkeit d. h. die große Zahl seiner Gebräuche und Beobachtungen, welche namentlich den Dienst der Priester sehr schwierig machten, hervorgehoben wird. In diesem Sinne äußert sich CiceroCic. de Rep. II, 14 Sacrorum ipsorum diligentiam difficilem, apparatum perfacilem esse voluit. Nam quae perdiscenda quaeque observanda essent multa constituit, sed ea sine impensa. und unter den Kirchenvätern Tertullian, welcher letztere wiederholt auf diesen Punkt zurückkommt und wegen der vielen Gebräuche, Gelübde und Observanzen das Gesetz des Numa sogar mit dem des Moses vergleichtTertullian Apolog. 21 Pompilius Numa, qui Romanos operosissimis superstitionibus oneravit. De Praescript. Haeret. 40 Si Numae Pompilii superstitiones revolvamus, si sacerdotalia officia et insignia et privilegia, si sacrificalia ministeria et instrumenta et vasa ipsorum sacrificiorum ac piaculorum et votorum curiositates consideremus, nonne manifeste diabolus morositatem illam Iudaicae legis imitatus est? Vgl. Apolog. 25., dabei aber gleichfalls die große Einfalt und 113 Nüchternheit der Ausstattung des Dienstes rühmt. Gewiß ist daß dieser Character in den engeren Kreisen des alten römischen Staatsgottesdienstes sich trotz der später hinzugekommenen Tempel und Bilder, der prächtigen Processionen, der rauschenden Spiele immer als fester Kern alter Sitte und Frömmigkeit erhalten hat, daher auch die Patrioten immer wieder darauf zurückwiesen und namentlich auch dieses vor Augen haben, wenn sie auf die vielgerühmte Religiosität der Vorfahren zu sprechen kommen, welche einer der wirksamsten Hebel des römischen Staates und der römischen Macht gewesen seiCic. N. D. II, 3, 8 Si conferre volumus nostra cum externis, ceteris rebus aut pares aut etiam inferiores reperiemur, religione i. e. cultu deorum multo superiores. Sallust Catil. 12 nostri maiores religiosissimi mortales. Vgl. unter den Griechen Polybias oben S. 22 und Posidonius bei Athen. VI, 107 p. 264, unter den Kirchenvätern Tertull. Apolog. 25 illa praesumptio dicentium Romanos pro merito religiositatis diligentissimae in tantum sublimitatis elatos ut orbem occuparint, et adeo deos esse ut praeter ceteros floreant qui illis officium praeter ceteros faciant.. Denn ein religiöser Mensch ist im Sinne des römischen Sprachgebrauchs nur der gesetzlich fromme und gewissenhafte, welcher sich streng an die vom Staate vorgeschriebenen Normen des Götterglaubens und des Gottesdienstes hält und darin weder zu viel noch zu wenig thutFest. p. 289 Religiosi dicuntur qui faciendarum praetermittendarumque rerum divinarum secundum morem civitatis delectum habent nec se superstitionibus (d. h. vom Staate nicht recipirten Sacris) implicant. In demselben Sinne sagt Cotta bei Cic. N. D. III, 2 Sed cum de religione agitur Ti. Coruncanium, P. Scipionem, P. Scaevolam pontifices maximos, non Zenonem aut Cleanthem aut Chrysippum sequor. Diese Religion verstand auch Varro unter seinem genus civile (S. 31), obwohl er das Wort religiosus in dem Sinne eines Uebermaaßes von Frömmigkeit erklärte, wie superstitiosus, s. Gellius N. A. IV, 9. Etwas Andres ist religiosum im objectiven Sinne des Wortes, von Tagen, Stätten u. s. w., wo es von sacrum und sanctum unterschieden wurde, s. Fest. p. 289, Macrob. S. III, 3, Serv. V. A. II, 686, Gellius l. c., wobei also freilich nur von einer Gesetzlichkeit im pharisäischen Sinne des Wortes die Rede sein konnte, nicht von der Religion und dem Glauben im Sinne des Neuen Testaments. Obwohl sich auf der andern Seite nicht läugnen läßt daß diese peinliche Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit der gottesdienstlichen Uebungen und der hohenpriesterlichen Oberaufsicht das ganze römische Staats- und Rechtswesen der guten alten Zeit wie im Keime in sich enthielt und daß Numa als Urheber des pontificalen Grundgesetzes mit gutem Fuge für den Urheber des alten römischen Staates gelten konnte, welcher trotz 114 aller politischen Neubildungen der spätern Könige und der Republik doch im Stillen noch immer sehr mächtig nachwirkte.
Versuchen wir uns diese Eigenthümlichkeit des römischen Cultus, seine Simplicität auf der einen Seite und die Ueberladung mit religiösen Observanzen auf der andern näher zu vergegenwärtigen, so bestand jene zunächst in der noch immer dauernden Enthaltung von aller äußern Vergegenwärtigung der Götter durch Tempel und BilderTertullian Apolog. 25 Nam etsi a Numa concepta est curiositas superstitiosa, nondum tamen aut simulacris aut templis res divina apud Romanos constabat. Frugi religio et pauperes ritus et nulla Capitolia certantia ad caelum, sed temeraria de cespite altaria et vasa adhuc Samia et nidor ex illis et deus ipse nusquam. Nondum enim tunc ingenia Graecorum atque Tuscorum fingendis similacris urbem inundaverant. Vgl. Plut. Numa 8.. Denn Tempel im architectonischen Sinne des Wortes gab es auch unter Numa nicht, sondern nur geweihte Räume zu gemeinschaftlichen Opfern und Gebeten, sogenannte Curien und Atrien (z. B. das atrium Regium, das atrium Vestae), wodurch gewisse alte und einfache Symbole und Unterpfänder des göttlichen Schutzes und der göttlichen Gegenwart nicht ausgeschlossen sind, z. B. die Lanzen und die Ancilien des Mars, der Bogen des Janus, das Feuer der Vesta und andre mehr, welche entweder aus dem höheren Alterthum beibehalten oder von Numa neu geschaffen wurden. Auch fragt es sich ob es nicht auch damals schon sogenannte pulvinaria gegeben habe, eine eigenthümliche Weise die Gottheit für das Gebet, namentlich die supplicatio zu vergegenwärtigen, auf welche ich gelegentlich zurückkommen werde. In jenen Bet- und Opfersälen standen Opfertische von einfachem Holz, auf welchen die frommen Gaben in Körben oder auf thönernen Platten dargebracht wurden; die Altäre, welche im Freien standen, waren meist von natürlichem Rasen, wie auch später in den alterthümlichen Culten solche viel zu finden waren. Ferner war die alterthümliche Einfachheit aller nach dem Gesetze Numas zum Gottesdienste erforderlichen Geräthe und Gefäße mit der Zeit zum Sprichworte gewordenPersius II, 59 Aurum vasa Numae Saturniaque impulit aera, Vestalesque urnas. Cic. N. D. III, 17 docebo meliora me didicisse de colendis diis immortalibus iure pontificio et maiorum more capedunculis iis, quas Numa nobis reliquit, de quibus in illa aureola oratiuncula dicit Laelius (S. 24), quam rationibus Stoicorum. Dionys H., II, 23 ἐγὼ γοῦν ἐϑεασάμην ἐν ἱεραῖς οἰκίαις δεῖπνα προκείμενα ϑεοῖς ἐν τραπέζαις ξυλίνοις ἀρχαϊκαῖς, ἐν κανοῖς καὶ πινακίσκοις κεραμίοις ἀλφίτων μάζας καὶ πόπανα καὶ ζέας καὶ καρπῶν τινων ἀπαρχὰς καὶ ἄλλα τοιαῦτα λιτὰ καὶ εὐδάπανα καὶ πάσης ἀπειροκαλίας ἀπηλλαγμένα· καὶ σπονδὰς εἶδον ἐγκεκραμένας οὐκ ἐν ἀργυροῖς καὶ χρυσοῖς ἄγγεσιν, ἀλλ’ ἐν ὀστρακίναις κυλίσκαις καὶ πρόχοις, καὶ πάνυ ἠγάσϑην τῶν ἀνδρῶν ὅτι διαμένουσιν ἐν τοῖς πατρίοις ἔϑεσιν, οὐδὲν ἐξαλλάττοντες τῶν ἀρχαίων ἱερῶν εἰς τὴν ἀλαζόνα πολυτέλειαν., namentlich die der Form und ihrer Bestimmung nach 115 mannichfaltigen, aber dem Stoffe nach gleichfalls sehr kunstlosen Gußgefäße, Schalen, Töpfe Numas, in denen die Spenden dargebracht oder die Opferstücke gekocht oder die Erstlinge des Kornfeldes, der Weinberge und andre Naturgaben geweiht wurden, wie davon wieder die Urkunden der Arvalischen Brüder manche Andeutung geben. Die Opfer selbst waren theils blutige d. h. Thieropfer, welche von dem Gesetze Numas keineswegs ausgeschlossen, aber gleichfalls durch sehr ins Einzelne eingehende Vorschriften geregelt waren, größtentheils aber unblutigeVon Thieropfern ist ausdrücklich die Rede bei Liv. I, 20, auch wissen wir daß in der Regia und bei andern Gelegenheiten Widder und Lämmer geschlachtet wurden. Ueberdies enthielt das Ritualgesetz auch über solche Opfer genaue Vorschriften, s. Varro l. l. V, 98, Serv. A. XII, 170 u. a. Also geht Plutarch Numa 8 zu weit, wenn er im Vergleiche Numas und der Pythagoreer keine blutigen Opfer anerkennen will: ἀναίμακτοι γὰρ ἦσαν αἵ τε πολλαὶ δι’ ἀλφίτου καὶ σπονδῆς καὶ τῶν εὐτελεστάτων πεποιημέναι., darunter besonders die bei jedem Opfer unvermeidliche mola salsa, welche gewöhnlich auch von Numa abgeleitet wurde, aber gewiß älter ist als er. Ferner gab es sehr viele Spenden, meist ohne WeinPlin. H. N. XVIII, 2 Numa instituit deos fruge colere et mola salsa supplicare. Nach Dems. XIV, 12, 14 wurden die von Romulus eingesetzten Opfer ohne Wein dargebracht, die von Numa nur von dem Wein beschnittener Reben., endlich sehr viele Opferkuchen, liba, die in sehr verschiedenen Formen gebacken wurden, zu welchem Behufe es unter dem dienenden Personal der verschiedenen Priesterthümer eigne geistliche Kuchenbäcker, sogenannte fictores gabEnnius b. Varro l. l. VII, 43 von Numa: mensas constituit idemque ancilia . . . libaque, fictores, Argeos et tutulatos. Ib. 44 fictores dicti a fingendis libis. Vgl. die Nachweisungen b. Marquardt IV, 198.. Das allgemeine Material dieser Spenden und Opfer war, soweit Mehl dazu erforderlich war, das alte nationale Getreide far oder ador d. i. Dinkel, Spelt, welcher daher auch sonst auf Veranlassung vieler alterthümlicher Gebräuche genannt wird und namentlich den ältesten religiösen Gebräuchen der ehelichen Verbindung oder Trennung den Namen confarreatio und 116 diffarreatio gegeben hatDionys II, 25, Plin. H. N. XVIII, 8, 19. Vgl. ib. 7,11 Populum Romanum farre tantum e frumento CCC annis usum Verrius tradit, und 3, 3 gloriam denique ipsam a farris honore adoream appellabant. Non. Marc. p. 52 ador frumenti genus quod epulis et immolationibus sacris pium putatur. Ib. p. 114 Varro de vita populi Ro. lib. 1. In eorum sacris tiba quum sunt facta, iniicere solent farris semina et dicere se ea februare i. e. pura facere.. Mit welcher peinlichen Sorgfalt übrigens z. B. die mola salsa für den öffentlichen Cultus zubereitet wurde, davon geben die darauf bezüglichen Gebräuche der Vestalischen Jungfrauen eine deutliche Vorstellung. Die Menschenopfer scheinen, soweit sie überhaupt noch bestanden, durch Numa gänzlich entfernt und durch sinnbildliche Gebräuche ersetzt zu sein, worauf namentlich die Legende von Numa und dem Jupiter Elicius deutet. Ja die Aengstlichkeit vor allem Blutigen und was daran erinnern konnte war in dem römischen Gottesdienste so groß, daß der Gebrauch des Eisens von allen heiligen Handlungen streng ausgeschlossen war und auch der Leib der Priester nicht von einem Eisen berührt werden durfte, eine Rücksicht welche sich übrigens auch in andern alten Religionen findet und in Italien auch von den Etruskern und Sabinern beobachtet sein sollMacrob. V, 19, 13 Prius itaque et Tuscos aeneo vomere uti, cum conderentur urbes, solitos in Tageticis eorum sacris invenio, et in Sabinis ex aere cultros quibus sacerdotes tonderentur. Serv. V. A. 1, 448 flamen Dialis aereis cultris tondebatur. Auch bei dem Bau der alten Holzbrücke durfte kein Eisen gebraucht und in die Haine und Heiligthümer der Götter ohne vorgängige Sühnungen kein Eisen gebracht werden. Vgl. Lobeck Aglaoph. p. 686. 896 und Lasaulx Studien des class. Alterthums S. 117.. Endlich wird auch der Gebrauch der später bei Opfern und andern heiligen Handlungen allgemein herkömmlichen Flötenmusik immer so bestimmt von den Etruskern abgeleitet, daß eine solche oder überhaupt irgend eine Musik beim Gottesdienste des Numa nicht wohl denkbar ist.
Drückt sich in diesen Thatsachen eine strenge Nüchternheit und eine ebenso große Gewissenhaftigkeit des religiösen Gedankens aus, so ist die Seele einer andern Reihe von Gebräuchen die castitas d. h. der Sinn für Reinheit, welche sowohl von allen Betenden und OpferndenDie allgemeine Vorschrift bei Cicero de Leg. II, 8, 19 Ad divos adeunto caste, pietatem adhibento, opes amovento : qui secus faxit, deus ipse vindex erit. als von dem Opfer selbst, vor allem aber von dem ganzen priesterlichen Personal gefordert wurde und wieder eine Menge von einzelnen ritualen Vorschriften und Bestimmungen zur Folge hatte. Daher die vielen 117 Waschungen, Besprengungen und Räucherungen, wie sie bei allen religiösen Handlungen erforderlich waren; daher die äußerste Reinlichkeit und Sauberkeit namentlich beim Culte der Vesta, deren Heerd als Gemeindeheerd zugleich ein Symbol des öffentlichen Gottesdienstes überhaupt war: daher ferner die vielen und häufig wiederholten Lustrationen der Stadt, des Stadtgebietes, der Bürgerschaft, des Heeres, ja selbst des Viehstandes, wie sie in den verschiedensten Culten, namentlich aber in dem der alten Nationalgötter Mars und Faunus vorkommen, alle mit der zu Grunde liegenden Vorstellung, daß nur das den Göttern lieb und angenehm sein könne, was von dem Makel und der Befleckung der irdischen Natur und des irdischen Gebrauchs immer von neuem gereinigt werde. Daher ferner die strenge Feierlichkeit in der Anwendung der einmal hergebrachten und consecrirten Formel des Gebets oder frommen Gebrauchs, weil durch die bei jeder Weihe vorgenommenen Auspicien die Gottheit selbst diese Formel genehmigt, also ein für allemal geheiligt hatte, so daß die kleinste Abweichung ein Verstoß gegen ihren Willen war: eine neue Quelle vieler Verschuldungen und dadurch veranlaßten Sühnungen. Das ist das Gebiet der sogenannten piacula, von denen in den sacralen Vorschriften der Pontifices gleichfalls sehr ausführlich die Rede war. Piaculum commissum oder piacularis commissio hieß nehmlich eine jede Versündigung der Art, welche durch einen eignen Act der Sühnung, expiatio, wieder gut gemacht werden mußte; piaculum dann aber auch das Sühnopfer, welches als Mittel der Sühne dargebracht werden mußte; außer welchen bestimmt vorliegenden Fällen aber auch für eine eventuelle Versündigung z. B. beim Dienste der Todten vor der Erndte die porca praecidanea geschlachtet, oder in solchen Fällen, wo aus bestimmten Zeichen der Götter auf eine nicht näher nachweisbare Versündigung geschlossen wurde, sogenannte postiliones oder postulationes als von den Göttern geforderte Sühnopfer dargebracht wurdenArnob. IV, 31 Si in cerimoniis vestris rebusque divinis postilionibus locus est et piacularis dicitur contracta esse commissio, si per imprudentiae lapsum aut in verbo quispiam aut simpuvio deerrarit, aut si rursus in sollemnibus ludis curriculisque divinis commissum omnes statim in religiones clamatis sacras, si ludius constitit aut tibicen rcpente conticuit, aut si patrimus ille qui vocitatur puer omiserit per ignorantiam lorum aut tensam tenere non potuit. Vgl. Cic. de Harusp. resp. 11, 23 und Plut. Coriolan 25. In demselben Sinne sagt Virg. Aen. VI, 569 commissa piacula und Cic. de Leg. II, 9 sacrum commissum, quod neque expiari poterit, impie commissum est; quod expiari poterit, publici sacerdotes expianto. Doch sind piacula auch die victimae, quibus facinus expiabatur admissum, Schol. Horat. Od. 1, 28.. Und zwar war bei den Opfern, den 118 Gebeten, den Processionen der geringste Verstoß schon wichtig genug, um solche Sühnungen oder auch eine Wiederholung der ganzen heiligen Handlung oder wenigstens des besondern Acts, in welchem das Versehn vorgefallen war, nothwendig zu machen: irgend ein Versehn oder eine Auslassung beim Vortrage des Gebets, eine falsche Bewegung der Hand beim Gußopfer, eine plötzliche Stockung der Tanzbewegung oder der begleitenden Flöte oder der Procession, indem etwa eins der Pferde, welche die Processionswagen der Götter zogen, scheu wurde oder der Knabe, welcher den Wagen führte, die Zügel mit der linken Hand ergriff oder fallen ließ. Es soll vorgekommen sein daß um solcher Versehen willen ein und dasselbe Opfer wohl dreißig mal wiederholt worden war. Ferner mag hier der in Rom und ganz Italien zu allen Zeiten außerordentlich zahlreichen Gelübde (vota) erwähnt werden, eine Art von Religiosität die man in so häufiger Anwendung auch nicht leicht in einer andern Religion des Alterthums wird nachweisen können. Gleich in den ältesten Zeiten der Nation kündigt sich dieser Trieb in den häufigen Gelübden des heiligen Frühlings an (S. 104), und bis zu den letzten Zeiten der Kaiser beurkundet er sich in zahllosen Dedicationstiteln und in den häufigen Gelübden für das Wohl des Kaisers und des kaiserlichen Hauses, wie sie namentlich am dritten Januar, welcher Tag danach der der Vota hieß, von Staatswegen concipirt wurden. Zu Grunde liegt, von dem Mißbrauche abgesehen, gewiß auch hier ein tiefes Gefühl der Verpflichtung für alles Gute und alles Heil, welches man von den Göttern durch fromme Stiftungen zu erlangen hofft; die häufige Uebung hatte frühzeitig die Form eines förmlichen Contractes angenommen, vermöge dessen der Gelobende für den gesetzten Fall einer Erhörung seines Gebetes reus wird d. h. verpflichtet zu der angelobten Gabe, Stiftung oder Heiligung seiner eignen Person, wie er nach erfolgter Erhörung als damnatus, also als gleichsam Verurtheilter sein Gelübde erfüllen mußMacrob. S. III, 2, 6 Haec vox propria sacrorum est, ut reus vocetur qui suscepto voto se numinibus obligat, damnatus autem qui promissa vota iam solvit. In diesem Sinne konnte auch eine Vestalin rea heißen, und ich glaube daß dieses der Grund der Benennung der Rea Silvia ist.. Endlich die vielen Ahndungen, Träume, omina, ostenta, portenta, lauter 119 Andeutungen, Prüfungen und Merkmale des göttlichen Willens, ein Aufmerken auf jedes Zeichen der göttlichen Vorsehung, wo es sich irgend zeigen mochte und konnte, am Himmel oder auf Erden, im Bauche des Opferthiers oder durch allerlei Abnormitäten des natürlichen Verlaufs der Dinge: diese merkwürdige Superstition des Lebens und der Naturempfindung, welche die Römer den Griechen gegenüber allerdings weit abergläubischer und schwerfälliger zu jeder Wissenschaft erscheinen läßt, aber doch auch eins von den vielen Merkmalen ihrer tiefinnerlichen Furcht der Götter ist.
Eine besondre Beachtung verdienen schließlich die vielen öffentlichen Gebete und Gebetsformeln (precationes, carmina), welche für uns um so wichtiger sind, weil grade in dieser Hinsicht die pontificale Gesetzgebung des Numa offenbar einen sehr bedeutenden Einfluß auf das Göttersystem und den Götterglauben, d. h. auf die Namen und Anrufungen der Götter gehabt hat. Namentlich sind hier die Indigitamenta wichtig, ein eigner Abschnitt der heiligen Urkunden, welcher in seiner ersten Abfassung auch auf Numa zurückgeführt wird, aber mit der Zeit gleichfalls erweitert und vielfach überarbeitet sein mag. Die Kirchenväter und andre Schriftsteller, welche sie aber nur aus dem großen Werke Varros kannten, pflegen sie wie ein Repertorium alter Götternamen zu benutzen und besonders bei ihren Klagen über den ausgearteten Polytheismus der Römer darauf zurückzugehn, obwohl Cicero seinerseits von einer übergroßen Menge der Götter in den pontificalen Urkunden nichts wissen willArnob. II, 73 Non doctorum in litteris continetur, Apollinis nomen Pompiliana Indigitamenta nescire? wo aber wohl nur der älteste Theil der Sammlung zu verstehen ist, denn die Vestalinnen nannten in ihren Gebeten auch den Apoll. Serv. V. Ge. 1, 21 in Indigitamentis i. e. in libris pontificalibus, qui et nomina deorum et rationes ipsorum nominum continent. Auch Cic. N. D. 1, 30, 84 meinte gewiß diese Bücher: Deinde nominum non magnus numerus, ne in pontificiis quidem nostris, deorum autem (d. h. der wirklich existirenden und in aller Welt verehrten) innumerabilis.. So hat man auch neuerdings in diesen Indigitamenten meist Verzeichnisse, eine Art von officieller Protokolle der ältesten Götternamen gesehenJ. A. Ambrosch über die Religionsbücher der Römer, Bonn 1843. 8., ich glaube mit Unrecht, da man sie vielmehr für eine Sammlung der alten Gebetsformeln des öffentlichen, von den Pontifices überwachten Gottesdienstes hätte halten sollen, in denen die Reihen und Namen der Götter nach 120 eigenthümlichen liturgischen Principien zusammengestellt waren. Der Titel indigitamentum wird wohl am besten als Frequentativ von index zu verstehen seinWenn der Name nicht vielleicht gleichbedeutend mit axamenta ist, s. weiter unten S. 126., so daß diese Bücher insofern allerdings Verzeichnisse waren, aber nicht von bloßen Götternamen, sondern von solchen Gebeten, in denen nach alterthümlicher Weise bei den verschiedensten Veranlassungen des Lebens, Geburten, Hochzeiten, Todesfällen, für die Aecker, für das Vieh u. s. w. zu den Göttern gebetet wurdeCensorin d. d. n. 3 alii sunt praeterea dei complures hominum vitam pro sua quisque portione adminiculantes, quos volentem cognoscere Indigitamentorum libri satis edocebunt.. Daher das Wort indigitare auch in derselben Bedeutung wie Beten und Anrufen gebraucht wird, namentlich von dem priesterlichen, mit religiöser Weihe und bei einer feierlichen Gelegenheit vorgetragenen Gebete der Pontifices, der Vestalischen Jungfrauen und der FlaminesVarro b. Non. Marc. p. 352 Numeriam, quam deam solent indigitare etiam Pontifices. Serv. V. A. VIII, 330 Tiberinus – a Pontificibus indigitari solet. Macrob. 1, 12, 21 von der Maia: Auctor est Cornelius Labeo, – hanc eandem Bonam Faunamque et Opem et Fatuam Pontificum libris indigitari. Ib. 17, 5 Virgines Vestales ita indigitant: Apollo Medice, Apollo Paean. Daher Serv. V. A. XII, 794 indigeto durch precor et invoco erklärt. Vgl. Paul p. 114 indigitanto imprecanto. Gloss. Labb. Indigitamenta ἱερατικά.; ja auch wohl, weil man dem Gebete überhaupt und vollends dem Gebete der höchsten geistlichen Würdenträger eine magische Kraft zuschrieb, in dem Sinne einer magischen Beschwörung durch Gebet und AnrufungPaul. p. 114 Indigitamenta incantamenta vel indicia. Tertull. de Ieiunio 16 Cum stupet coelum et aret annus, nudipedalia denuntiantur, magistratus purpuras ponunt, fasces retro avertunt, preces indigitant, hostiam instaurant.. Ja es ist gelegentlich ausdrücklich von einer in den Händen der Pontifices befindlichen Sammlung der öffentlichen Gebete des römischen Staatscultus die RedeGell. N. A. XIII, 2, 23 (22) Comprecationes deum immortalium, quae ritu Romano fiunt, expositae sunt in libris Sacerdotum Populi Romani. Darunter sind die Pontifices zu verstehen., so daß man eben die Indigitamenta dafür wird halten dürfen d. h. für einen authentischen Originalcodex sämmtlicher in der Praxis des römischen Staatsgottesdienstes bei dieser oder jener Gelegenheit vorgetragenen Gebete, nach welchem die Pontifices als Oberaufseher des öffentlichen Cultus auch diese Praxis überwachten. Der Form nach wird man sich 121 diese Gebete nach Art der alten Liturgieen oder Hymnen zu denken haben, etwa der Orphischen Hymnen und der ältesten Gesänge und Liturgieen der christlichen Kirche, wo auch häufig der Text nur aus einer Zusammenstellung vieler einzelnen Namen und Beinamen bestehtLobeck Aglaoph. p. 400 sq.. Ohne Zweifel waren auch diese Texte, noch viel mehr als die Fasten und der Kalender, ursprünglich geheim d. h. nur für die geweihten Kreise der Priester bestimmt und der Oeffentlichkeit sorgfältig entzogen; bis später bei der allgemeinen Verweltlichung des Priesterthums und der priesterlichen Bildung auch sie zugänglich und ein Gegenstand der gelehrten Forschung wurden, in welchem Sinne z. B. ein gewisser Granius Flaccus ein eignes Buch de Indigitamentis an den Cäsar gerichtet hatte, wahrscheinlich als dieser Pontifex Maximus geworden war, s. Censorin d. d. n. 3. Vorzüglich aber war Varro auch in diesen wichtigen Urkunden sehr zu Hause; namentlich scheint er sie in dem Abschnitte seines Werks de diis certis (S. 63) durchgängig excerpirt und auf eigenthümliche Weise überarbeitet zu haben, aus welcher Quelle dann wieder die späteren Schriftsteller schöpften. Auf die in mehr als einer Hinsicht höchst interessanten Götternamen der Indigitamenta, so weit wir deren Reihen aus diesen späteren Schriftstellern wiederherstellen können, werde ich in dem zehnten Abschnitt zurückkommen. Hier sei nur soviel bemerkt, daß ich die große Mehrzahl dieser Götter keineswegs für Cultusgötter im eigentlichen Sinne des Worts halten kann, wie sie denn auch Varro nicht als solche behandelt hatte. Vielmehr können sie neben den wenigen Cultusgöttern, welche schon zur Zeit Numas galten (S. 57), nur für numina und eine eigenthümliche Art von männlichen und weiblichen Genien gelten, welche ich zum Unterschiede von den Orts- und Personalgenien (S. 68) Gelegenheitsgenien nennen möchte, d. h. für geistige Kräfte und Wirkungen der allwaltenden Gottheit, welche nach Art des ältesten Göttercultus eben nur fürs Gebet und durchs Gebet um Schutz und Hülfe nach Maßgabe der einzelnen Gelegenheiten, für welche man sie anrief, personificirt wurden. Auch werden diese Götter bei den Kirchenvätern sowohl von den mythologischen als von den Cultusgöttern ausdrücklich unterschiedenTertull. ad Nat. II, 11 Nec contenti eos deos asseverare, qui visi retro, auditi contrectatique sunt, quorum effigies descriptae, negotia digesta, memoria propagata, umbras nescio quas incorporales inanimales et nomina de rebus efflagitant deosque sanciunt. Augustin C. D. IV, 8 Quando autem possint uno loco libri huius commemorari omnia nomina deorum aut dearum, quae illi grandibus voluminibus vix comprehendere potuerunt, singulis rebus propria dispertientes officia numinum? Vgl. IV, 24 und Serv. Georg. 1, 21 Nam, ut supra diximus, nomina numinibus ex officiis constat imposita. und von Tertullian gelegentlich sogar recht passend 122 mit den biblischen Engeln verglichenDe anima 37 nos officia divina angelis credimus., obwohl sie sich an andern Stellen wieder geflissentlich über diesen unberufenen und ganz überflüssigen Götterpöbel, wie sie sich ausdrücken, ärgern und lustig machenAugustin C. D. IV, 9 turba minutorum deorum. IV, 11 turba quasi plebeiorum deorum. Vgl. oben S. 54 und VII, 4, wo er diese Götter tanquam minusculanos vectigalium conductores nennt.; wozu ein gegründeter Anlaß zu ihrer Zeit um so weniger vorhanden war, da die große Mehrzahl dieser Namen schon zur Zeit Varros so gut wie verschollen war. Hatten sie ja hin und wieder einen eignen Cultus im Volke gehabt und einzeln sich sogar auf die Dauer in demselben behauptet, so darf man daraus keineswegs auf den einfachen und bilderlosen Gottesdienst des Numa zurückschließen. Es liegt in der Natur solcher Personificationen von geistigen Kräften, auch die der Tugenden bei Griechen und Römern können als Beispiel dienen, daß sie mit der Zeit an Consistenz gewinnen und darüber selbst zuletzt zu Cultusgöttern werden, vollends wenn der Trieb nach Bildern und andrer sinnlicher Vergegenwärtigung einmal erwacht ist.
Wie viel in Rom gebetet wurde und wie ängstlich und gewissenhaft man auch in dieser Hinsicht war, erfährt man aus einer wichtigen Stelle bei Plinius H. N. XXVIII, 2, 3, wo er über die magische Wirkung von Gebets- und Beschwörungsformeln spricht und bei dieser Gelegenheit verschiedener noch zu seiner Zeit gebrauchter Formeln der Art gedenkt. Der Glaube an die Kraft des Gebets sei so allgemein, daß kein Blut eines Opferthiers, keine Beobachtung des göttlichen Willens ohne Gebet für wirksam gelte. Gewisse Formeln werden gesprochen wenn man göttliche Zeichen zu haben wünscht, andre wenn ein Uebel abgewendet werden soll, wieder andre wenn den Göttern ein Wunsch vorgetragen wird. Auch sind die Götter von den höchsten Magistratspersonen immer mit bestimmten herkömmlichen Worten beschworen worden, und damit ja kein Wort des Textes ausgelassen oder nicht in der rechten Folge gesprochen werde, liest eine dazu angestellte Person die Formel nach dem 123 geschriebenen Texte vor, während eine andre zur Controle dabei steht, eine dritte vor beiden steht um jedes störende Wort zu verbieten und endlich der Flötenbläser dazu bläst, damit ja nichts Störendes gehört werde: da berühmte Beispiele vorliegen daß entweder ein Fluch geschadet hat oder das Gebet durch eine falsche Wendung seines Ziels verfehlte, in welchen Fällen z. B. die Merkmale der Eingeweide oder das Herz des dastehenden Opferthieres entweder ganz verschwinden oder sich verdoppeln. Noch ist die alte Formel vorhanden, fährt er fort, mit welcher sich die beiden Decier, Vater und Sohn, devovirt haben, auch die Reinigungsformel der Vestalin Tuccia, als sie der Unkeuschheit angeklagt das Wasser im Siebe trug. Noch in unsrer Zeit hat man gesehen, wie auf dem Forum Boarium ein Grieche und eine Griechin oder ein Paar aus einer andern Nation, mit welcher wir eben zu thun hatten, lebendig begraben wurde, wozu von dem Vorsteher des Collegiums der Funfzehn eine Formel gesprochen wird, so grausig und mächtig, daß man schon beim bloßen Lesen ihre Gewalt zu empfinden glaubt: lauter Thatsachen welche die Erfahrung von 830 Jahren für sich haben. Ja wir glauben noch heute daß unsre Vestalischen Jungfrauen flüchtige Sklaven, wenn sie die Stadt noch nicht verlassen haben, durch ihr Gebet festzuhalten vermögen, da man ohnehin, wenn einmal im Princip zugegeben wird daß die Götter das Gebet erhören und durch Worte bestimmt werden, diesen ganzen Glauben auch zugeben muß. Unsre Altvordern wenigstens haben immer daran geglaubt, selbst an das Seltsamste, daß Blitze durch Worte vom Himmel herunter beschworen werden können. Ja man hielt, setzen wir hinzu, eine Beschwörung bei dem Namen der Götter unter allen Umständen für so unwiderstehlich, daß Verbrecher, sobald sie in öffentlicher Volksversammlung eine solche Beschwörung ausgesprochen hatten, dieselbe feierlich zurücknehmen (resecrare) mußten, s. Paul. p. 280. Von einzelnen herkömmlichen Fällen aber, in denen sonst von derartigen Gebets- und Beschwörungsformeln ein öffentlicher Gebrauch gemacht wurde, setzen wir noch folgende hinzu: die meisten sind solche, wo die Pontifices überhaupt, namentlich der Pontifex Maximus als Priester oder als Oberaufseher des Gottesdienstes die Formel vorsprach. Zunächst viele feierliche Opferhandlungen, welche im Namen des römischen Volkes vollzogen wurden und zwar so daß sehr oft auch die Pontifices dabei als Priester fungirtenS. die Nachweisungen b. Marquardt Handb. IV, I97 ff.. Ferner die feierlichen 124 Beschwörungen der Götter (obsecrationes) in besondern Unglück verheißenden Fällen, wo entweder die Sibyllinischen Funfzehner oder der Pontifex Maximus die Formel vorsprach, verba praeibat, vgl. Sueton Claud. 22; desgleichen die vielen Einweihungen (consecrationes), wo der Pontifex in derselben Weise thätig warLiv. IX, 46, Plin. H. N. XI, 37, 65. Immer wurde bei solchen Gelegenheiten die einzuweihende Stätte zuerst von den Augurn von dem profanen Gebrauche losgesprochen und darauf von einem weltlichen Magistrate unter dem Beistande der Pontifices die Consecration vorgenommen. Und zwar wurden mit dem Tempel auch alle darin befindlichen oder zu ihm gehörigen Geräthe, der Opfertisch, der Altar u. s. w. geweiht, s. Serv. V. A. 1, 446; VIII, 279. Mehr bei Marquardt Handb. IV S. 223 ff.. Derselbe mußte ferner bei den vielen im Namen des Staates ausgesprochenen Gelübden den Behörden die Formel vorsagenLiv. IV, 27; XXXVI, 2 u. a., auch bei den in älterer Zeit nicht seltenen Devotionen, vollends wo ein höherer Magistrat oder gar der Feldherr seine Seele für das Wohl des ganzen Volks den Unterirdischen verschwor, z. B. nach der Niederlage an der Allia, wo die in den Würden der letzten Generationen ergrauten Senatoren sich für das Vaterland und ihre Mitbürger als Sühnopfer dargeboten haben sollen, und bei den bekannten Devotionen der DecierLiv. V, 41; VIII, 9; X, 28.. Ferner waren sie in gleicher Weise thätig bei den Evocationen der Götter einer belagerten Stadt (Plin. H. N. XXVIII, 2, 4), auch bei dem Sühnopfer der Argeer, wo die Pontifices und die Vestalischen Jungfrauen wie in andern Fällen zusammenwirkten (Dionys. 1, 38, Varro l. l. VII, 44), endlich bei den Opfern und Gebeten des sogenannten Amburbium d. h. eines sühnenden Umzugs um die Grenzen des Stadtgebiets (Strabo V p. 230), vermuthlich auch bei den ehelichen Trauungen nach dem alten Ritus der Confarreatio, wo der Pontifex Maximus und der Flamen Dialis zugegen waren und nicht blos symbolische Gebräuche verrichtet, sondern auch bestimmte Formeln gesprochen wurdenServ. V. Ge. 1, 31 Nuptiae fiebant – farre, si per Pontificem Max. et Dialem Flaminem per fruges et molam salsam coniungebantur, unde confarreatio appellabatur. Vgl. die Inschrift b. Or. n. 2648, Plutarch Qu. Ro. 50 und Gai. 1, 112 nach welchem die Handlung vorgenommen wurde cum certis et sollemnibus verbis, praesentibus decem testibus.. Ja es wurde selbst vor den öffentlichen Verhandlungen und Reden auf dem Markte in älterer Zeit, sogar bis zu der des Cato und der Gracchen, ein religiöser Act vorgenommen, namentlich ein feierliches Gebet zu den alten Göttern des Staats 125 gesprochen, bei welchem vermuthlich wieder der Pontifex Maximus die dirigirende Person war d. h. dem Consul oder der sonst präsidirenden Magistratsperson das solemne carmen precationis vorsagteGellius N. A. XIII, 23 (22) vgl. V, 12, wo zu schreiben ist in antiquis precationibus. Von den Exordien der alten Redner Serv. V. A. XI, 301 nam maiores nullam orationem nisi invocatis numinibus inchoabant, sicut sunt omnes orationes Catonis et Gracchi, vgl. Symmach. Ep. III, 44 Iovem deosque ceteros Catonis lege praefabimur. Daß bei feierlichen Gelegenheiten der Pontifex die solennen Worte des Gebetes vorsprach, darf man nach Liv. XXXIX, 15 voraussetzen: concione advocata cum sollemne carmen precationis, quod praefari priusquam populum adloquantur magistratus solent, peregisset consul, ita coepit. Gleich der Eingang seiner Rede beweist daß es eine Aufzählung und Anrufung der Götter gewesen, quos colere, venerari precarique maiores instituerunt.. Nur in den einzelnen Gottesdiensten z. B. der Vesta, des Jupiter, der Ackergöttinnen Tellus und Ceres und in ähnlichen Fällen sprachen die Priester und Priesterinnen dieser Götter selbst das GebetServ. V. Ge. 1, 21, Macrob. S. 1, 17, 15., auch dann natürlich in der hergebrachten und consecrirten Formel, welche wie vorhin bemerkt wurde ohne Zweifel gleichfalls in den Urkunden der Pontifices, vermuthlich den Indigitamenten verzeichnet war.
So hatten auch die Augurn bei ihren Beobachtungen, ihren Umzügen und Weihungen ihre bestimmten Formeln der Anrufung und des Gebets, von denen leider nur wenige Bruchstücke erhalten sind.Cic. N. D. III, 20, 52 in Augurum precatione Tiberinum, Spinonem, Almonem, Nodinum, alia propinquorum fluminum nomina videmus, vgl. Serv. V. A. VIII, 95. Fest. p. 351 Bene sponsis beneque volucris in precatione augurali. Serv. V. A. XII, 175 per speciem augurii, quae precatio maxima appellatur, – cum plures deos quam in ceteris partibus auguriorum precatur Ib. VI, 167 proprie effata sunt Augurum preces., endlich die verschiedenen Brüderschaften und Sodalitäten gleichfalls ihre alten Gesänge und Formeln, welche in alten Urkunden bei ihnen bewahrt und nach diesen eingeübt wurdenIul. Capitolin. M. Antonin. Philos. 4, dieser Kaiser sei in der Sodalität der Salier sowohl praesul als vates und magister gewesen, et multos inauguravit atque exauguravit nemine praeeunte, quod ipse carmina cuncta didicisset.. Und zwar waren alle diese Formeln und Gesänge consecrirt, so daß nichts daran verändert werden durfte.Quintil. 1, 11 Saliorum carmina vix sacerdotibus suis satis intellecta mutari vetat religio et consecratis utendum est., und wenn sie vorgetragen wurden, so wurden sie de scripto vorgetragen, wie wir dieses aus den Urkunden der Arvalen sehen, 126 welche uns ein altes Lied dieser Brüderschaft erhalten haben und zugleich über die Art des Vortrags belehren. Die berühmtesten unter diesen Liedern waren bekanntlich die der Salier, welche axamenta genannt wurden und als eine Reihe von Versen beschrieben werden, von denen jeder einzelne einem bestimmten Gotte galt, daher sie nach ihnen Ianui, Iovii, Iunonii, Minervii u. s. f. genannt wurdenPaul. p. 3 Axamenta dicebantur carmina Saliaria, quae a Saliis sacerdotibus canebantur in universos daemonas compositi. Nam in deos singulos versus facti a nominibus eorum appellabantur, ut Ianui, Iovii, Iunonii, Minervii. Für daemonas giebt der gewöhnliche Text homines, wofür Müller deos wollte, Hartung Rel. d. St. 1, 42 Semones. Für Ianui, Iovii giebt derselbe Text Ianuli.. Der Name axamenta ist entweder ab axibus abzuleiten, weil die älteste Urkunde auf ähnlichen Holzpyramiden wie die Solonischen Gesetze geschrieben waren, oder von axare, einem alten Frequentativ von agere in dem Sinne von opfern, weil sie zu den Opfern der Salier vorgetragen wurdenVgl. Scaliger zu Paul. p. 301 ed. Lindem., Marini Atti p. 595 und Corssen Orig. Po. Ro. p. 45 sq. vgl. Paul. p. 8 axare nominare, Gloss. Labb. anaxant ὀνομάζουσιν, axamenta στίχοι ἐπὶ ϑυσιῶν Ἡρακλέους (eine Verwechslung mit Mars).. Der Ursprung des Concepts wurde bei diesen Liedern ausdrücklich auf Numa zurückgeführt, daher sie allgemein für das älteste Denkmal der römischen Poesie und der römischen Sprache galten, s. Varro l. l. VII, 3, Cic. de Orat. III, 51, Horat. Ep. 1, 2, 85.
Also überall eine Neigung zum opus operatum und zum Formelwesen und Buchstabendienste, welche in der That sehr an Mosaismus und Pharisäismus erinnert. Es ist nicht zu verkennen, daß ein solches Wesen, von den ältesten Zeiten her in den Schulen der Priester und den einzelnen Collegien überliefert, dem römischen Rechte und dem strengen Formelwesen der Römer mit ihrem starren Festhalten am Herkömmlichen sehr zum Frommen gereichen mochte. Aber eben so einleuchtend ist es, daß eine freiere Auffassung der Religion und des göttlichen Wesens dabei nicht aufkommen konnte, am wenigsten eine Mythologie und ein Cultus wie der griechische. Um so merkwürdiger ist die Revolution, welche von den hellenisch gebildeten Tarquiniern und dem zu ihnen gehörigen Servius Tullius wie überhaupt in der Geschichte des römischen Staats und der römischen Sitte, so ganz vorzüglich auf diesem Gebiete herbeigeführt wurde. 127