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»Grundgütiger Himmel, Anton, was hast du begangen? Wo kommst du her? Wo hast du diese Nacht zugebracht? Welch Unheil ist geschehen? Wessen Blut klebt an deinen Kleidern, an deinen Händen?«
Mit diesem Schreckensruf empfing Mutter Goksch ihren Enkel. Dieser erfuhr erst durch sie, daß er einem Mörder ähnlich ins Haus trat. Er bebte vor sich selbst zurück. Während er Wäsche wechselte und ganze Ströme lauwarmen Wassers über sich goß, die Spuren seines traurigen Totenwärter-Amtes zu verwischen, teilte er durch die Kammertür und bruchstückweise der alten Frau das Wichtigste mit, wobei jedoch schamhafte Scheu ihn abhielt, jener Botin Erwähnung zu tun, die ihn nach dem Fuchswinkel beschieden. Sein Bericht kam ungefähr so heraus, daß die Großmutter annehmen konnte, Anton habe von Landleuten, die Waldbeeren gesucht, sagen hören, es liege ein Kranker im Gebüsch, der nach ihm frage. Sie stellte sich damit auch zufrieden, wie sie nur erst keine Blutflecken mehr an ihm sah. Er begab sich in seinen Werktagskleidern aufs Schloß, sobald er etwa vermuten durfte, daß die von der Ballnacht ermüdeten Insassen desselben Tag gemacht haben würden, feierlichen Bericht abzustatten über den im Walde verstorbenen Vagabunden, und die gnädige Herrschaft um ein Begräbnis für selbigen anzusprechen.
»Der Kadaver mag draußen verfaulen im Fuchswinkel, oder die Füchse mögen ihre Jungen damit mästen, wenn ihnen das Luder des verfluchten Landstreichers nicht auch zu schlecht ist!« So ungefähr lautete des Onkel Nasus freundschaftliche Resolution.
Linz und Miez rümpften ihre Nasen, als welche sich der nunmehr Vollendete dereinst zum Ziele seiner Steinwürfe ausersehen, und meinten nicht ohne Grund, es gäbe Arme genug in Liebenau, für fremde Umhertreiber reiche ihr Taschengeld nicht aus. Ottilie sagte halblaut: »Hast du Freundschaft mit dem gehalten? das macht dir viel Ehre!«
Rubs und Puschel samt ihren acht Genossen stellten sich an, wie wenn sie pantomimisch zu verstehen geben wollten, es würde, wende man sie einen nach dem anderen um und um, nicht so viel Geld aus ihren Taschen fallen, daß eine Ratte nur einigermaßen anständig beerdigt werden könne.
Theodor, der eben erst vom schönsten Gastbett aufgestanden – (die übrigen waren auf gemeinschaftlicher Streu im Biwak gewesen!) – verschlafen und gähnend unter sie trat und die letzten Worte, die man wechselte, noch vernahm, zog seine Börse und reichte Anton einige Goldstücke hin. Dieser winkte ihn beiseite, flüsterte ihm etwas ins Ohr, gab das Geld zurück, verbeugte sich und ging.
Jeder der Anwesenden legte diesen stummen Auftritt auf seine Weise aus, keiner jedoch erriet das Richtige. Am wenigsten Ottilie, die Antons Abneigung gegen Theodor mit sich und ihren eigenen Empfindungen im Zusammenhang wähnte. Theodor aber, purpurrot im Gesicht und über alle Maßen verlegen, trieb in dieser Verlegenheit den Baron, die Stalleute zu treiben, daß er bald in seiner Gesellschaft den projektierten Ritt in Wald und Feld beginnen könne, auf welchem er die ihm zugedachte Domäne besichtigen wollte.
Anton war zum Pastor gegangen, den er, wie immer, bereitwillig, gutmütig, aufopfernd fand. Dann eilte er zum alten Dorftischler, dem Sarglieferanten von Liebenau, seit fünfzig Jahren schon und länger; der Mann war hoch in den Siebzigen.
Wieviel Liebenauer hatte der schon angekleidet in den letzten hölzernen Rock!
Als Anton, diesem sein Anliegen mitteilend, zugleich erklärte, er wolle von seinen kleinen Ersparnissen den Sarg bezahlen, blickte Meister Fiebig ihn von der Seite an und murmelte fragend: »Halt ein Nasenquetschel?« (Du mußt wissen, lieber Leser, so benennt man dortzulande jene viereckigen Särge, deren Deckel platt und fest auf dem Körper liegt und wirklich das Gesicht oft zusammendrückt.)
Anton fuhr auf: »Was denkt Ihr, Fiebig? Wenn ich einen Menschen begraben lasse, soll er nicht wie ein Hund verscharrt werden. Keine Nasenquetsche! Einen ordentlichen Sarg mit hohem Deckel, wie sich's gehört.«
»Nu, nu, Korbmacherjunge«, nahm Fiebig das Wort, »nicht so heftig. Meint' ich's doch gut mit dir; du hast ja selber nichts! Die Nasenquetsche käme aufs halbe Geld zu stehen. Soll ich etwa auch Eichenholz nehmen?«
»Warum nicht gar. Haltet mich nicht für Narren, Fiebig. Nehmt leichtes, dünnes Tannenholz. Wird ja doch alles wieder Staub, Mensch wie Sarg. Streicht ihn schwarz an – nicht gelb, hört Ihr? – schwarz. Das schickt sich für den schwarzen Wolfgang. Und malt keine Totenköpfe darauf, keine Knochen und solche Dinge. Wozu?«
»Na, schon recht, Anton, werd's besorgen. Geh' gleich drüber her, daß Ihr ihn heute abend holen könnt, sonst holen ihn Euch die Raben fort, ein Galgenvogel den andern.«
Antons menschenfreundlicher Fürsorge blieb jetzt noch der schwerste Gang: zum Totengräber. Das war ein roher Kerl. Mit guten Worten mochte der nicht gewonnen werden; den lockte nur Geld. Das war bekannt in ganz Liebenau.
Anton zeigte ihm einen harten Taler, bevor er noch zu ihm sprach. Dann sagte er: »Draußen im Fuchswinkel, Totengräber, liegt eine Leiche. Wir haben noch sehr heißes Wetter, sie muß bald unter die Erde. Um fünf Uhr wird Meister Fiebig den Sarg fertig haben. Laßt bis dahin auch das Grab fertig sein; nehmt einen Arbeiter zu Hilfe; der Herr Pastor weiß schon, er wird Euch ein Plätzchen an der Mauerecke zeigen, wo er hinkommt. Dann nehmt eine Bahre, geht mit Eurem Gehilfen zum Tischler, holt den Sarg und tragt ihn hinaus; ich gehe mit. Draußen sargen wir den Toten ein und tragen ihn zu Grabe. Wenn Ihr alles ordentlich besorgt, ist dieser Taler Euer Biergeld. Was Ihr sonst zu fordern habt, berechnet der Herr Pastor.«
»Hat nichts zu sagen, Korbmacher«, entgegnete der Totengräber, »für einen blanken Taler hole ich meinetwegen auch den Teufel aus dem Fuchswinkel. Und das Grab ist so gut wie fertig. Hab's gegraben auf Vorrat, für meine Alte, justement in die Mauerecke, weil ich dachte, ich würde das Weib los. Sie hat sich aber wieder besonnen und zusammengeflickt und kann noch länger halten als mir lieb ist. Glock fünf gehe ich um den Sarg. Nur beim harten Taler muß es bleiben, sonst keinen Schritt nicht.« –
»Sie sagen immer, nichts auf Erden sei umsonst, außer der Tod!« brummte Anton, wie er zur Großmutter zurückkehrte, »doch das ist auch eine Lüge. Der Tod kostet genug.«
»Jawohl«, erwiderte Mutter Goksch, »nur mit dem Unterschiede, daß der Tote die Unkosten nicht zu tragen hat, sondern seine Hinterbliebenen. Diesmal trifft es uns, und an einer Erbschaft werden wir uns nicht entschädigen.«
»Doch, Großmutter. Mir hat er viel hinterlassen, der schwarze Wolfgang. So lange ich lebe, werde ich ihn vor Augen haben als Leiche. Und sobald mich Übermut oder Torheit verlocken will zu dummen Streichen, werde ich denken: Was hilft's, junges Blut! Du bist auch einmal solch ein starres, langes, blasses, lebloses Stück Leichnam! – Das ist eine tüchtige Lehre!« –
Bis gegen fünf Uhr arbeitete Anton unverdrossen. Dann ging er ins kleine Gärtchen, flocht einen Strauß von Rosmarin und Nelken, wandte sich zu des Tischlers Wohnung, der Wort gehalten, und wartete dort auf den Totengräber, welcher sich auch pünktlich samt Gehilfen und der schwarzen Tragbahre einstellte. Dann zogen sie zum Fuchswinkel hinaus.
Als Anton, voraneilend, durchs Gebüsch lugte, rief der Totengräber ihm zu: »Sei ohne Sorge, Korbmacher, wir finden ihn noch, der läuft nicht mehr weg, wenn er ordentlich tot ist, wie sich's für einen rechtschaffenen Toten gehört.«
Sie legten ihn in den Sarg auf eine Unterlage von weichen Hobelspänen, über ihn streute Anton die Nelken und Rosmarinzweige, die er mitgenommen.
Dann schlossen sie den Sarg, und der Schall des Hammers, der die Nägel eintrieb, hallte weit im Walde wider und erschreckte alle Vögel.
Die zwei Männer trugen die Bahre.
Anton ging ernst und still hinter ihnen her. Sie brauchten zwei volle Stunden bis ins Dorf. Beim Kirchhofe empfing sie Pastor Karich im Amtskleide. Anton küßte ihm die Hand für seine Güte im Namen des Toten. Die Magd leuchtete mit einer großen Stallaterne voran bis zum offenen Grabe. Als der Sarg an dicken Seilen hinabgelassen war, sprach der ehrliche Pastor:
»Du hattest keine Heimat, Unglücklicher, dessen sterbliche Überreste wir bestatten; du suchtest sie, untergetrieben und verirrt, durch Nebel, Schmutz und Kot; versunken in Sünde und Laster fandest du keine Ruhe auf der Erde. Finde sie jetzt in der Erde und gönne Gottes Huld dir selige Auferstehung zum Licht und zur Wahrheit. Amen.«
Das war die schönste und zugleich kürzeste Rede, die Anton jemals vom Pastor gehört zu haben sich erinnerte. Sie gingen auseinander, nachdem sie still gebetet.
Die Magd, die ihrem Herrn voranleuchtete, machte eine Wendung mit der Laterne, und bei deren Schein glaubte Anton das Antlitz der braunen Bärbel zu gewahren, welches über die Mauer in den Kirchhof starrte.