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Fünfundvierzigstes Kapitel

In einen kostbaren Pelzmantel gehüllt, einen Samthut mit Reiherfedern auf dem dunklen Haar, empfing »Madame Barbe« eine halbe Stunde vor Mitternacht ihren Liebenauer Freund, vollkommen wie eine Dame von Welt einen Bekannten aus der Heimat empfängt.

»Sie haben mich nicht erkannt«, – so begann sie in nicht korrektem, doch leicht fließendem Französisch, – »und das ist mir begreiflich: denn erstens habe ich mich verändert, und, wie ich fürchte, nicht zu meinem Vorteil, weil die Bildung viel Mühe macht und mir die Nerven angreift; zweitens kennt man nur wieder, was man einmal erkannt hat, – und ich bin Ihnen von jeher ziemlich gleichgültig gewesen! Dagegen erkannte ich Sie augenblicklich. Und das ist auch leicht zu begreifen. Sie haben sich wenig verändert oder gar nicht – außer daß Sie ein Mann geworden sind. Und was man liebt, vergißt man nicht.

Ich verzehre mich in Neugier, zu erfahren, was sich mit Ihnen begab, seitdem wir uns trennten; nicht minder was Sie hier treiben. Damit ich Ihnen nun eine Verbindlichkeit auferlege, mir Ihre Geschichte zu erzählen, hören Sie zuerst die meinige. Ein Vertrauen ist dann des anderen wert. Ich will aufrichtig sein und erwarte von Ihnen dasselbe.

Gleich nachdem ich, Theodors Mätresse geworden, in meinen vier Pfählen saß, begriff ich, daß mir not tue zu gewinnen, was man äußeren Anstrich nennt. Für die Haut war bald gesorgt; diese streicht man wirklich an, wie sie heute vormittag an der meinigen bemerkt haben werden. Doch auch den sogenannten Anstrich von Erziehung mußte ich erringen, wollte ich mich auf meinem Platze behaupten. Eure deutsche Sprache ist mir zu schwierig, noch aus meiner Genovevazeit hatte ich davon genug. Theodor mußte mir einen französischen Lehrer halten. Dieser unterrichtete mich fleißig, und ich lernte noch fleißiger. Aber war das ein Jahr! Eingeschlossen in einer halbversteckten Wohnung vor dem Tore, ohne fröhlichen Umgang, ohne Freiheit, den ganzen langweiligen Tag wie ein Kind in der Schule! Es war fürchterlich. Aber ich wollte, – und der Wille vermag alles. Hätte ich für jene toten Tage lebendige Nächte gehabt, dann wäre mir's leichter gewesen. Doch die Nacht führte mir ihn zu, den ich nicht liebe, wie Sie wissen; den ich zu lieben vorgab, weil – weil er reich ist. Noch heute bin ich nicht imstande zu bestimmen, was mir unerträglicher schien: ob die Verstellung gegen Theodor, ob die Pein des Lernens und der Zwang, den euer Anstand mir auferlegte.

Unser Verhältnis wurde so geheim gehalten; Theodor führte alles mit der ihm angeborenen Heuchelei so schlau und pfiffig durch, daß der Alte keine Ahnung davon bekam. Mit zwanzig Jahren wurde mein junger Herr wegen seines musterhaften Wohlverhaltens für großjährig erklärt und Liebenau ihm förmlich übergeben. –

Weil ich jetzt einmal Liebenau erwähnt, will ich meinen Bericht über mich unterbrechen und Ihnen geschwind sagen, wie es jetzt dort steht. Ich empfinde in meiner Brust, wie heftig Ihre Sehnsucht sein muß, zu erfahren, was aus den Genossen Ihrer Kindheit wurde. Also in zwei Worten: des Pastors ältester Sohn, Julius, der seit kurzer Zeit von der Universität heimgekehrt ist, wird seinem alten, ganz hinfälligen Vater zur Seite gesetzt und auf Wunsch der Gemeinde, die mit seiner Probepredigt zufrieden war, dereinst Pastor werden. Er steht im Begriff, die älteste Tochter des vormaligen, Besitzers, Karoline, zu heiraten. Der zweite Sohn, Robert, ist im Examen durchgefallen. Theodor hat ihm versprochen, ihm die Stelle eines zweiten Verwalters zu geben, weil der alte Vater sich dafür verbürgt, daß der dumme Junge immer mehr Neigung zu Pferden und Ochsen als zu den Büchern gezeigt habe. Er ist verlobt mit Emilie. Ich habe meinen ganzen Einfluß aufgeboten, diese höchst bescheidenen Wünsche zur Erfüllung zu bringen. Warum? – Je nun, weil ich meinte, es würde einem gewissen, bei Nacht und Nebel davongelaufenen Korbmacherjungen vielleicht Freude machen, in weiter Ferne von der Heimat, Gott weiß wo, davon zu vernehmen. Für meine Nebenbuhlerin, für Ottilie oder, wie Ihr sie immer nanntet, ›Tieletunke‹ blieb nichts zu tun, denn sie begehrte nichts. Das einzige Ziel ihres Lebens, wie es scheint, hat sie erreicht; sie bewohnt das kleine Häuschen, in dem Toni Körbe flocht, verkehrt mit niemand, auch nicht mit ihren Schwestern, die sich bald nach des Barons Tode beim Schulmeister eingemietet haben; besucht allwöchentlich den Kirchhof, wo sie das Grabkreuz der alten Großmutter Hahn mit Kränzen schmückt; geht nur schwarz gekleidet; lebt sozusagen von nichts und trocknet geduldig zur alten Jungfer zusammen.

Nun wieder zu mir. Kurze Zeit nachdem Herr Theodor van der Helfft selbständig gemacht war, starb sein Vater. Wir zogen nach Liebenau. Der edle Jüngling zeigte anfänglich nicht übel Lust, ohne mich den Gutsherrn zu spielen, und versuchte in ohnmächtigem Hochmut mir deutlich zu machen, daß unser Zusammenwohnen seinem Rufe als Tugendmuster schaden müsse. Doch blieb es beim Versuche. Ich bin nicht darauf eingerichtet, zu gehorchen, mich zu fügen, ich setzte natürlich meinen Willen durch, und bald war er völlig unterjocht. Was ihn wünschen ließ, unsere Verbindung möge wenigstens den Anschein des Geheimnisses erhalten, ließ mich eben verlangen, sie sollte öffentlich werden. Mein Sieg wurde so vollständig, daß er mir in seiner Angst den Antrag machte, mich zu heiraten. Doch diesen Vorschlag wies ich auch entschieden zurück. Was wäre mir das? Gesetzlich an ihn gebunden? Er nach Recht und Herkommen mein Gatte, das heißt: mein Herr? Nein! Ich will frei bleiben, und er muß gebunden sein. Gebunden durch seine unbesiegbare Leidenschaft! Ich frei, weil ich nichts für ihn empfinde; weil seine Glut ihn zum Spielball meiner kalten Besonnenheit macht. So stehen die Sachen.

Weiblichen Besuch haben wir natürlich auf unserem Schlosse in Liebenau nicht empfangen. Junge Herren in Masse. Diese brauchte ich, um meinen Anbeter fortdauernd in Atem zu erhalten. Eigentlich eifersüchtig zu werden erlaubt ihm seine seligmachende Eitelkeit nicht; doch gibt er sich Mühe, stets zu gefallen, damit kein anderer auch nur einen freundlichen Blick von mir gewinne. Und so will ich's haben! Außerdem habe ich ihn zum Spieler werden lassen. Etwas muß er doch sein. Die Leerheit seiner Gesellschaft fand kein anderes Mittel, ihre Zeit zu töten. Da sind nun einige dieser Kumpane nach Paris gereist. Ich, vom ersten Augenblick meines öffentlichen Auftretens als maitresse en titre für eine Französin aus den Kolonien geltend, gab den Anlaß dazu. Ich wünschte mir eine große Stadt; in Deutschland gibt es streng genommen keine solche. Er eilte hierher, um zu spielen, – en gros! Ich, um – ich wußte selbst nicht recht warum. Wußte es noch nicht, als ich hier meinen Einzug hielt! Jetzt weiß ich's! Und nun ist mein Bericht zu Ende.«

Anton hatte schon bei Erwähnung dessen, was sie für seine Gespielen in Liebenau Günstiges erwirkt, dankbar ihre Hand ergreifen wollen, die sie aber rasch zurückzog. Jetzt sprach er seine Erkenntlichkeit in Worten aus und fügte hinzu: »Wenn ich nur wüßte, wie ich Ihnen genugsam danken könnte für diesen Beweis von Herzensgute und freundlicher Erinnerung an mich.«

»Das ist sehr leicht«, erwiderte ›Madame Barbe‹; »Sie dürfen mir nur, ohne Rückhalt, ohne Verschweigung irgend eines Details, in nackter, unverhüllter Aufrichtigkeit erzählen, was Sie erlebt haben, seitdem Sie mich von Ihrem keuschen Nachtlager auf so unliebenswürdige Art verscheuchten. Es muß viel mit Ihnen vorgegangen sein. Das spricht aus Ihren Augen, aus Ihrer Haltung, Ihrem ganzen Benehmen. Wir haben uns binnen drei Jahren beide ein wenig formiert, – bei Ihnen wird das wahrscheinlich tiefer gedrungen sein als bei mir, wo nur die Hülle verändert ward. Inwendig bin ich noch ... davon nachher. Jetzt will ich hören.«

Anton ließ sich nicht bitten. Er erzählte mit lebhafter Beredsamkeit. Unter den verschiedenartigen Anregungen, die ihn freudig durchströmten, und in denen Gefühle zartester, reinster Gattung mit sehr irdischen Bildern sich vermischten, war der Wunsch, seiner Zuhörerin beifällige Teilnahme abzugewinnen, wahrlich die geringste nicht. Er begann vom Aufbruch aus Liebenau, führte die wichtigsten Ereignisse seiner drei Wanderjahre an ihr vorüber, glitt nur über seine sentimentale Sehnsucht nach Adele schamhaft und verschämt hinweg, verweilte dagegen desto kecker bei Käthchen und malte das Leben mit Laura so bunt und hervortretend wie möglich aus.

Die Hörerin folgte ihm mit fieberhafter Lebendigkeit; sie hing an seinen Lippen, lauschte auf jedes Wort, und wie sie vernahm, daß er jetzt verlassen, hilflos, einsam in der großen Stadt stehe, sprang sie jauchzend von ihrem Sessel empor und rief aus voller Brust: »Welch ein Glück!«

»Wie meinen Sie das?« wollte Anton, welcher ganz entgegengesetzter Ansicht sein zu dürfen vermeinte, sie mit Staunen fragen ... Doch schon hatte sie den prachtvollen Samthut vom Kopfe geschleudert; der weite Pelzmantel glitt von ihren Schultern; – und vor ihm stand im weißen, kurzen Kleidchen die braune Bärbel!

»Siehst du, Toni«, sprach sie, »ich bin, die ich war. Diesen Abend liegt keine Schminke auf meinen Wangen, auf meiner Stirn; es ist die wilde Zigeunerin, der du zitternd in die Arme liefst, da sie dich zurückstoßen mußte, weil sie vom sterbenden Wolfgang kam als Todesbotin. Er ist vermodert. Wir leben noch. Eines anderen Buhlerin war ich, nachdem du mich von dir gewiesen. Aber dein bin ich dennoch geblieben, mit Seele und Leib. Und häßlich wurde ich auch nicht, sollte ich meinen! Fürchtest du dich noch vor dem schwarzen Wolfgang?«

»In diesem Augenblicke nicht vor der ganzen Hölle!« sagte Anton.


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