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Am nächsten Morgen verspürte Anton nicht die geringste Lust, nach der Manege zu gehen, um sich zu üben, was er doch sonst niemals unterließ. Er blieb in seinem Stübchen und las.
Da pochte es kaum hörbar an die Tür. Er wähnte, das sei Laura, die ihn zu versöhnen komme, worüber er eigentlich Freude empfand. Doch tat er sich Gewalt an und gab sein: »entrez!« so mürrisch als möglich.
Er ging ihr freundlich entgegen, indem er sich zuvörderst entschuldigte, daß er gestern abend versäumt habe, sich nach ihrem Befinden zu erkundigen.
Ihr Befinden, erklärte sie, wäre recht gut. Dann verstummte sie wieder. Zitternd, wie eine verschämte Bettlerin, stand sie vor ihm, ohne ihn anzublicken. Er nötigte sie zum Sitzen. Sie schüttelte verneinend den Kopf – und schwieg. Anton war sehr verlegen, denn er wußte durchaus nicht, was er mit diesem sprachlosen Gaste beginnen sollte. In seiner Verlegenheit fragte er hin und her, ob sie heute auftreten werde, was der Schimmel mache, wie sich Madame Adelaide gestern noch benommen, was der Direktor sage, nur um zu sprechen. Doch vergebens: sie blieb stumm.
Nun geriet er förmlich in Angst. Zwar wußte er, daß sie nur gekommen sei, ihm zu danken, daß sie dafür keine Worte finde, weil sie sich sehr bedrückt fühle, ihn bis jetzt so unfreundlich behandelt zu haben; und schon wollte er, diese peinliche Empfindung in ihre Seele hinein mitfühlend, so unzart sein, diesen Punkt zur Sprache zu bringen, bloß damit auch sie endlich die Sprache finden möge; ... da vernahm er die Treppe herauf Fußtritte, Sporengeklirr, Säbelgerassel. Aufhorchend deutete er mit der Hand nach der Tür. Aber in dem nämlichen Augenblick fühlte er, noch ehe er sie zurückziehen konnte, seine Hand an ihren Lippen, von heißen Tränen benetzt. »Pardon, Antoine!« flüsterte sie entfliehend. – Die Tür ging auf. Ein junger Offizier stand ihr gegenüber.
Nun gab es eine Szene, deren stummes Spiel vielsagend genannt werden darf.
Der erste Blick des Eintretenden richtete sich nicht ohne ironisches Lächeln auf Anton, der denselben ernsthaft erwiderte, und von dessen finsterer Stirn er nach Adele glitt, als wollte er sagen: »Deshalb also, Demoiselle, kämpft dieser Ritter für Sie?«
Adele aber, vor einer Minute noch sprachlos, verworren, niedergeschlagen, vor Anton bebend wie ein Kind vor dem zürnenden Lehrer, stand jetzt fest und sicher vor dem Fremden. Sie gab ihm seine fragenden Blicke mutig zurück, und darin lag eine Antwort, eine entschiedene, unzweifelhafte Antwort, daß der Spott im Angesichte des Leutnants ungeheucheltem Erstaunen wich, um so rascher wich, weil die Spuren innigster Tränen noch sichtbar blieben auf des Mädchens Wangen.
So verging ein ganzes Weilchen, bis der Fremde die im freundlichsten Tone gesprochenen Worte fand: »Wenn ich störe –«
»Keineswegs«, unterbrach ihn die Jartour. »Ich kam, zu danken. Dies ist geschehen. Doch kann ich mich nicht entfernen, ohne Sie, mein Herr, zu versichern, daß dieses Wort des Dankes das erste gewesen, welches zwischen ihm und mir gewechselt wurde. Verzeihen Sie, Antoine, daß ich es sage, ich tue es nur um Ihretwillen. Denn was liegt an mir? –«
»Und nun, Herr Leutnant«, fuhr Anton fort, nachdem Adele sie verlassen, »was steht zu Ihrem Befehle? Doch sprechen wir in unserer Sprache, bitte ich; Sie hören, ich bin ein Deutscher.«
»Ihre Erklärung«, erwiderte der Offizier, »gibt mir einen erwünschten Übergang, gleichsam zur Einleitung für das unangenehme Geschäft, welches mich hierher führt. Sie sind kein Franzose, obgleich Sie dafür gelten? So wäre denn vielleicht auch wahr, was als Gerücht zu unseren Ohren gelangte: daß Sie, von höherem Stande, Ihren gegenwärtigen nur in jugendlich übermütiger Laune erwählt hätten, daß Sie von Geburt wären, daß Sie des Scherzes oder jener erotischen Beweggründe, die Sie zu solcher Verkleidung brachten, müde sind, Ihren Namen wieder tragen und die Jugendtorheit belächeln dürften?«
»Und in welcher Absicht, mein Herr, stellen Sie mir diese Gewissensfragen?«
»In der redlichsten von der Welt. Sie haben gestern den jungen Grafen Louis gröblich insultiert. Welche Motive Sie dafür hatten, will ich nicht untersuchen, ebensowenig als ich den verzogenen Schlingel rechtfertigen mag. Ich will Ihnen sogar zugestehen, daß ich an Ihrer Stelle vielleicht noch heftiger gehandelt hätte! – mehr können Sie von mir nicht verlangen. Aber wie die Sachen nun einmal liegen, bleibt dem Beleidigten keine Wahl, als sich mit Ihnen zu schießen auf Leben und Tod – (für den Fall, daß Sie Satisfaktion stellen könnten!) – – oder Sie bei nächster bester Gelegenheit über den Haufen zu stechen wie einen tollen Hund. Es ist übel, doch läßt sich's nicht ändern. Der Junge sollte in unser Regiment eintreten. Ich bin seinem Vater Verpflichtungen schuldig. Nach der gestrigen Geschichte ist nichts weiter zu tun, als so oder so!«
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Leutnant, muß aber gleichwohl bekennen, das Gerücht war diesmal wieder zu voreilig. Ein Schleier liegt auf meiner Vergangenheit, das ist richtig. Auch möchte wohl von Ihrem sogenannten edlen Blute in meinen Adern wallen; doch ist es auf nichts weniger als legitimem Wege dahin gelangt, und da wir keinen Monarchen zu unserer Disposition haben, der meine Geburt sanktionieren und meine Mutter samt dazu gehörigen Vorfahren in ihren Gräbern nachadeln könnte, so wird ihrem Gräfchen nichts übrig bleiben, als ein Bastard – oder der tolle Hund. Den ersteren anlangend, steht er jederzeit zu Diensten, sobald Sie und andere Ehrenmänner der Meinung sind, daß ein Schimpf, den sich der junge Herr selbst zugefügt, dadurch getilgt werden könne. Den letzteren betreffend – den tollen Hund nämlich – muß dieser freilich auf alles gefaßt sein. Doch würde ich seinem Gegner anraten, sich auf alles gefaßt zu machen; denn mit tollen Hunden, Sie begreifen wohl, ist nicht zu spaßen.«
»Nehmen Sie mir dies schlecht gewählte Gleichnis nicht übel, Antoine«, fuhr jetzt der Leutnant fort. »Es paßt wahrlich am wenigsten auf Sie, der Sie so ruhig und anständig verhandeln. Ihren Spott gegen unsere Vorurteile verstehe ich recht wohl und finde ihn von Ihrem Standpunkte aus ebenso natürlich, als Sie dieselben Vorurteile natürlich und begreiflich finden dürften, wenn Sie sich auf unseren Standpunkt versetzen wollten oder könnten. Auch soll nichts mich hindern, mir Mühe zu geben, daß ich ein Arrangement zwischen Louis und Ihnen, allen Vorurteilen zum Trotz, herbeiführe. Ich bin im voraus überzeugt, es wird Ihnen an Mut nicht fehlen.«
»Das kann ich wahrlich vorher nicht versprechen, mein Herr Leutnant«, entgegnete Anton. »Ich habe noch keinen recht klaren Begriff von der Empfindung, die es hervorbringt, wenn man genötigt wird, umzubringen oder sich umbringen zu lassen. Aber ich zweifle nicht, daß es eine artige, allerliebste Sache sei, weil sie so lange in der Mode bleibt und so anhaltenden Beifall findet, wenn Ihre Fürsorge mir Gelegenheit gönnen will, auch durch diese Erfahrung meinen Lebenslauf zu bereichern.«
»Sie sind ein Schalk, mein Lieber«, sagte der Offizier, »doch wirkt Ihr Wesen und Benehmen so versöhnend freundlich, so beruhigend, daß ich jetzt schon den verdrießlichen Skandal minder schwarz betrachte, als vor zehn Minuten, wo ich bei Ihnen eintrat. Ich werde den vorteilhaften Eindruck, den Sie auf mich hervorgebracht, meinen Kameraden bestens schildern. Vielleicht gelingt es unserer mehreren, die Form zu retten, ohne das Äußerste herbeizuführen, vielleicht läßt sich ein Knabenstreich – der obenein, wie ich fürchte, durch ein böses Weib provoziert wurde – als solcher behandeln, und wir bedürfen, wenn Sie zu einem ausgleichenden Worte sich verstehen wollen, wodurch Sie Ihre unüberlegte Tat als eine bewußtlos im Zorn vollbrachte erklären, gar keiner Pistolen?«
»Tun Sie, was Ihnen passend scheint; ich zweifle nicht an Ihren guten Absichten und füge mich im voraus jeder Entscheidung, die Sie zweckmäßig finden können, indem ich alles in Ihre Hand lege.«
»Dann«, rief der Leutnant aus, »legen Sie zuvörderst Ihre eigene Hand in die meinige! Sie sind ein braver Bursche; ich freue mich Ihrer Bekanntschaft und hoffe, Sie bald wiederzusehen.«
Sie schüttelten sich recht herzlich die Hände wie ein paar alte Freunde, und schon hatte der Leutnant, zum Gehen bereit, mit seiner Linken die Tür ergriffen, als diese sich öffnete – und Laura hereintrat.
Das stumme Spiel von vorhin wiederholte sich, doch allerdings in ganz anderer Art.
Madame Amelot hielt den fragenden, forschenden Blick des Offiziers auch aus, ja, noch sicherer, noch kecker als ihre Vorgängerin; aber aus ihren Augen sprach, wie sie ihn erwiderte, nicht jene tränenumschleierte Reinheit, wodurch Adele jeden spöttischen Argwohn besiegte. Laura zeigte sich und gab sich, wie sie war; deshalb konnte – obgleich sie wirklich diese Schwelle zum erstenmal betrat – kein Zweifel obwalten, sie komme als Herrin!
»Diesmal«, sprach der Leutnant mit einem vertraulichen Kopfnicken zu Anton, »würde ich wirklich stören, wie mir scheint! Adieu, Antoine, auf Wiedersehen! Madame, Ihr Diener!«
Anton war guter Laune. Die Liebenswürdigkeit des gegnerischen Vermittlers hatte ihn erheitert. Er baute Lauras Entgegenkommen goldene Brücken; die Versöhnung bot keine Schwierigkeiten, und erst nachdem sie abgeschlossen und besiegelt war, fiel der Schönen aufs Herz, daß sie nicht zu Anton hätte kommen, sondern vielmehr daheim harrend hätte schmollen und maulen müssen, bis er bittend zu ihr gekommen wäre. Diese tadelnswerte Avance durch eiligen Rückzug gutzumachen, stand sie schon im Begriff, da klirrte es abermals die Treppen herauf, und des Leutnants Stimme ließ sich von außen vernehmen, wenn er ungelegen sei, wolle er später wiederkehren. Daß er eintrete, nur um ein Ende zu machen, rief Laura ärgerlich und riß die Tür weit auf. Der Gute war noch nicht sichtbar, da schickte er schon eine Entschuldigung voran, indem er sagte: »Ich komme mir vor wie ein außerordentlicher Botschafter, der, entsendet, um Unterhandlungen anzuknüpfen, zu früh abreiste; gleich nachdem er fort war, hat zu Hause eine Staatsumwälzung stattgefunden, die alle seine diplomatischen Feinheiten unnütz macht. Während ich vor einigen Stunden und seit ich bei ihnen war, Bester, ist soviel geschehen, daß ich gar nicht weiß, womit ich erzählend beginnen soll. Ihr Duell kann nicht zustande kommen, auch dann nicht, wenn Sie vom reinsten und ältesten Adel wären, denn ihr Gegner ist auf und davon! Es klingt unglaublich, doch leider muß ich's glauben. Denken Sie: wir beraten gestern abend alles Ernstes untereinander, was etwa geschehen könnte, den Schimpf des Fahnenschwenkens von des Gelbschnabels Kopf zu waschen – und unterdessen schleicht er zu einer bewußten Dame, um bei ihr und von ihr versprochenen Lohn zu empfangen für die an Demoiselle Adele verübte Büberei. Eine gewisse lustige Person Eurer Truppe bekommt Wind, wird darüber zur traurigen, vielmehr zornigen Person, glaubt sich in eigenen Rechten gekränkt, sprengt eine verschlossene Tür, dringt ein und trennt das ungleiche Paar – wodurch? Durch den zwischen beider Zärtlichkeit geworfenen Leichnam selbiger Katze! so daß man das alte Sprichwort passend anbringen könnte: womit du sündigst, sollst du gestraft werden. Aus dem gestörten Duett entsteht ein Terzett, in welchem, wie die Nachbarn behaupten, Bajazzos lederne Reitgerte taktiert haben soll. Der Rest ist Schweigen. Unser frühreifer Louis hat begriffen, daß eines Hanswursten Peitsche tiefere Wunden schlage, als der Jartour blutige Fahne und ist, nicht ohne seinen Gläubigern heftigen Schreck zu bereiten, in aller Frühe nach Hause gereist, allwo er seine Eltern fürchterlich anzulügen nicht ermangeln und auch an seinem überzärtlichen Papa einen gläubigen Hörer finden wird. Ich jedoch habe bereits an die Mutter geschrieben und dieser verehrungswürdigen Frau die Wahrheit mitgeteilt, damit das verdorbene Söhnchen durch ihren Einfluß wenigstens etwas strenger gehalten werden möge. Der alte Graf – zwar an Jahren ist er noch ein junger Graf – nimmt mir diese Einmischung gewiß hübsch übel, doch das ist gleichviel. Ich besuche sein Haus ohnedies nicht mehr, so lange der Schlingel von Sohn vorhanden ist. Nun, mein guter Antoine, wissen Sie, was Sie wissen mußten, zur Ergänzung unseres ersten Zwiegesprächs. Ich wiederhole Ihnen, daß wir uns freuen werden, Sie unter uns zu sehen, und empfehle mich der schönen Dame zum zweitenmal, diesmal, um fürs erste nicht wieder zu belästigen.«
Laura besaß schon genügende Kenntnis der deutschen Sprache, um den Hauptinhalt dieses Berichtes zu fassen, woran sie sich nicht wenig ergötzte. Auch Anton fühlte sich glücklich, so leichten Kaufs aus einer so kitzligen Klemme befreit zu sein.
Für sein Verhältnis bei der Truppe schien die Begebenheit nützlich. Madame Adelaide war – fürs erste wenigstens – von ihren Prätensionen zurückgekommen, sie schwieg beschämt zu der beifälligen Teilnahme, die sich jetzt neu erregt auf Adele und deren kühnen Ritter richtete. Ihre Anbeter verloren sich. Das Gerücht von der toten Katze hatte sie zerstreut.
Doch sollte diese Ruhe und Selbstzufriedenheit, in welcher Antons Ehrgefühl noch einmal eingeschläfert ward, nur eine scheinbare, sie sollte nur von kurzer Dauer sein.
Wenige Tage nach den soeben geschilderten Vorfällen verbreitete sich bei der Gesellschaft plötzlich die Kunde, Herr Amelot sei eingetroffen, habe auch bereits dem Direktor eine Antrittsvisite abgestattet, um sich und seine Künste zu offerieren.
Wir haben weiter oben Herrn Amelot, den von Laura getrennt lebenden Gatten, Seiltänzer genannt. Das war er eigentlich nicht. Im Beginn seiner Laufbahn soll er sich wohl auch in jener Richtung versucht haben, doch ohne vorzüglichen Erfolg, weshalb er sich später ausschließlich zum Springer bildete und als solcher die höchstmögliche Wirkung erreichte. Seine Körperkraft und Gewandtheit konnte nur mit seinem Mute, der jede Gefahr gering schätzte, verglichen werden. Er trotzte dem Tode, wie wenn er ihn aufsuchen wollte; man sah seine Hauptstücke nicht ohne Schauder an. Doch in diesem Schauder gerade besteht für viele Zuschauer, ja unglaublicherweise für viele Zuschauerinnen, ein eigentümlicher Reiz. Dieser war es denn auch zunächst, der ihm – abgesehen von seiner allerliebsten Figur, welche auch das ihre getan – Lauras Neigung gewonnen. Sie nannte ihn zwar jetzt, sobald von ihm die Rede war, nicht anders als »Ungeheuer«, wie wenn das sein Taufname gewesen wäre. Doch daß er ihr noch nicht gleichgültig sei, und daß sie öfter, als Anton notwendig erachtete, über ihn klagte, ließ letzteren nicht mit Unrecht vermuten, das Ungeheuer sei noch nicht gänzlich aus ihrer Gunst verbannt. Deshalb empfand er, vorzüglich in den Rosenmonden seiner Liebe zu ihr, nicht selten jene rückwirkende Eifersucht, die um so peinigender quält, wenn sie einem Unbekannten gilt und folglich einer geschäftigen Phantasie desto weiteren Spielraum darbietet.
Jetzt war nun dieser unbekannte Gegenstand seiner Unruhe anwesend, er sollte ihn persönlich kennen, sollte zugleich erfahren lernen, wie Madame Amelot sich Herrn Amelot und ihm gegenüber benehmen werde. Eine gefährliche Probe für beide Teile!
Laura empfand dies nur allzusehr und suchte sich zuvörderst den Rücken zu decken durch die Erklärung, sie werde nicht dulden, daß der Direktor das Ungeheuer engagiere, wenn es aber wider ihren Willen geschehe, werde sie ohne Aufschub abreisen.
»Und ich?« fragte Anton, »was wird mit mir? Bindet nicht mein Kontrakt mich für noch länger als zwei Jahre an Guillaume?«
»So brich ihn und folge mir.«
»Niemals, Laura, niemals. Es wäre feige von uns beiden. Deine Flucht müßte den Menschen, der dich unwürdig behandelte, der dich schlug, wie du behauptest – (ich begreife das nicht!) – argwöhnen lassen, er sei dir noch gefährlich. Und ich will nicht zum Betrüger an einem guten Manne werden, der mir wohlwollend entgegenkam. Zeige jetzt, wie eine Frau von Geist und Bildung ihre Stellung zu behaupten versteht, halte den groben Luftspringer durch kalte Höflichkeit fern, und wenn er sich vertrauliche Anreden erlaubt, so weise ihn mit der Bemerkung zurück, daß er jedes Recht auf dich längst verscherzt habe.«
»Und wenn du mir Szenen machst? Wenn du mich mit Eifersucht plagst, Gott, welche Existenz!«
»Fürchte nichts. Ich werde dich nicht plagen. Du sollst mit mir zufrieden sein.« So beschloß Anton die Unterhaltung.
Aber Laura war nichts weniger als zufrieden. Antons besonnene Kälte mißfiel ihr. »Wenn er wenigstens gedroht hätte, meinen Gemahl zu töten«, murmelte sie, »das wäre doch etwas!«
Ich habe durchaus nicht darüber klar werden können, warum Herr Amelot, Lauras Bitten und Schmeicheleien beim Direktor entgegen, Adelaides Einwendungen zum Trotz – denn letztere fürchtete in ihm einen drohenden Rivalen des wiederum mit ihr versöhnten, ein ähnliches Kunstgebiet bearbeitenden Bajazzo – dennoch engagiert werden sollte, und entdecke keinen anderen Grund, als den stürmischen Beifall, den er bei einigen Gastvorstellungen fand, und der Herrn Guillaume für die Kasse das Beste folgern ließ.
Anfänglich ging alles gut. Amelot bekümmerte sich dem Anscheine nach ebensowenig um Laura, als Laura um ihn, vielmehr machte er aus Leibeskräften seine Cour an Madame Adelaide, wodurch Bajazzo, der sich die Palme des Salto mortale ohnehin durch ihn entrissen sah, melancholisch wurde. (Ein melancholischer Bajazzo gehörte seinerzeit überhaupt nicht unter die Seltenheiten, so wenig, als ein hypochondrischer Harlekin. Und wenn ein solcher sonst nur Humor und Witz besaß, wirkte er, Hypochonder und melancholisch, wie er war, durch den Kontrast um so mehr: – als es überhaupt noch Bajazzos gab! Die jetzigen Kunstreiter geben es vornehmer, verachten den Bajazzo, titulieren ihre Spaßmacher »clown«, und letztere verfertigen so anständige und vornehme Späße, daß ein armer, ehrlicher Mensch meines Schlages nicht mehr imstande ist, je darüber zu lachen, und sich nach dem alten, verwiesenen Bajazzo vergeblich sehnt.)
Anton fand nicht die geringste Ursache zur Klage, mußte Lauras Benehmen loben und würde auch vollkommen beruhigt gewesen sein, hätte nicht das Verfahren der Jartour ihn stutzig gemacht. Diese nämlich, noch ebensowenig mit ihm redend, ihm noch ebenso ängstlich ausweichend wie sonst, schien sich die Aufgabe gestellt zu haben, Madame Laura Amelot in ihrer Beziehung auf Herrn Amelot zu überwachen. Es stellte sich beinahe dar, wie wenn sie den Mann innig liebe, jedem seiner Blicke auflauern, auskundschaften wolle, ob die von ihm getrennte Frau sich auch nur verstohlen nach ihm wende. Wo eine Möglichkeit sich ergab, daß die beiden aneinander vorübergehen, daß sie, sich begegnend, eine Silbe wechseln könnten, lauschte Adele gewiß in irgend einem Versteck. Wie dies allen auffiel, entging es auch Anton nicht. Der Argwohn flüsterte ihm mit schneidender Stimme ins Herz: nicht um ihrer selbst willen übt jene das beschwerliche Wächteramt, sie tut es für dich! Und die natürliche Folge davon war, daß auch er mißtrauisch wurde; dies Mißtrauen trug sich auf seinen Umgang mit Laura über, verstimmte auch sie. Die unbefangene Freude des Zusammenlebens ging verloren. Anton empfand, daß er im Herzen längst geschieden sei von ihr, die er zu lieben gewähnt. Aber eingestehen mochte sein Eigensinn sich's nicht. Er war dennoch eifersüchtig. Vielleicht nur aus Eitelkeit!
Eines Abends in die Garderobe tretend, um sich rasch anzukleiden, findet er im Schube seines Toilettenspiegels ein zum Knoten zusammengekniffenes Zettelchen, worauf ihm in schlechtgeschriebenen Zeilen der Rat erteilt wird, heute noch eine Unpäßlichkeit zu erheucheln und seiner Dame zu sagen, er müsse nach vollbrachter Arbeit heimgehen, die Ruhe zu suchen. Dann aber solle er bei Nacht weiter verfahren, wie sein Gefühl ihn am besten belehren werde. Unterzeichnet war dies französische Gekritzel: »Von einem Freunde, der nicht will, daß ein edles Herz unwürdig betrogen sei.«
Noch im Kampfe mit sich selbst, ob er solch lügenhaften Kunstgriff nicht verschmähen müsse, kam ihm ein heftiger Herzkrampf zu Hilfe, der ihn plötzlich überfiel und ihn um so mehr erschreckte, als er ihm etwas völlig Fremdes war. Die Beängstigung wurde so stark, daß er seine Kameraden ansprach. Diese riefen nach einem Arzte, und der Arzt, zufällig als Zuschauer bei der Hand, erklärte dem herbeigeholten Direktor, Herr Antoine sei fieberhaft aufgeregt, es scheine wünschenswert, daß man ihn vom Reiten freilasse. Das Programm des Abends wurde schnell geändert, eine andere Nummer eingeschoben. Laura erbot sich, Anton zu geleiten, was dieser entschieden abwies, mit der unwahren Versicherung, er kenne ähnliche Anfälle schon von früher, brauche nichts als Ruhe und werde morgen frisch und munter sein. Man besorgte ihm einen Wagen, und er verließ den Zirkus.
Der Anfall dauerte wirklich gar nicht lange. Die Tropfen, die der Arzt ihm verschrieben, wirkten zauberhaft. Nach Verlauf einer Stunde fühlte sich der Kranke gesund – bis auf jenes Leiden, welches kein Arzt zu heilen versteht. Wie körperlich erleichtert, so fand er sich geistig unter desto schwererem Drucke. Die Eifersucht führt, ihrem höllischen Ursprunge gemäß, den Greuel mit sich, daß sie bereits erkaltete, gleichgültig gewordene Herzen mit Flammenqualen martert, welche der Leidende für neu auflodernde Liebe hält, während sie doch nur vom Neide angefacht werden, von Mißgunst, Selbstsucht, Eitelkeit, von den niedrigsten Mächten, die mit uns Sterblichen ihr Spiel treiben.
Länger als bis gegen Mitternacht hielt es Anton nicht aus. Er verließ die Stadt und begab sich durch das prachtvolle Tor hinaus nach Lauras Gartenwohnung. Auf dem einsamen Fußpfade dahin, den er seit ihrem Aufenthalte in B. so oft mit entgegengesetzten Gefühlen und Erwartungen zurückgelegt, hatte sich erst seit gestern, wo er ihn zuletzt betreten, eine solche Menge herbstlich abgewetzter dürrer Blätter gesammelt, daß er beim Rauschen derselben vor seinen eigenen Tritten scheu wurde. Er blieb einen Augenblick stehen, aufhorchend, ob sonst in der Nähe ein Geräusch zu vernehmen sei. Ihn wollte bedünken, vor sich her Schritte im Laube zu hören. Dieser schmale, selten begangene Seitenweg führte nur nach dem einen Hause, dessen oberes Stockwerk Laura innehatte; niemand sonst wohnte darin, außer den Leuten, die es über Sommer zu vermieten und die Bedienung zu übernehmen pflegten. Die Schritte des vor ihm Gehenden konnten folglich nur dahin gerichtet sein, wohin seine eigene Unruhe ihn zog. Er empfand wiederum die Beängstigung des Anfalles, den er im Ankleidezimmer gehabt, und mußte sich, bis sie einigermaßen vorüberging, an einen Baum lehnen. Dadurch gewann der vor ihm Gehende so viel Vorsprung, daß Anton, nachdem er sich leidlich erholt, nichts mehr von ihm hörte. Er beschleunigte nun seinen Gang und eilte, was er konnte, bis er das Haus erreicht. Im Erdgeschoß waren die Laden geschlossen. Es herrschte nächtliche Ruhe. Oben schimmerte Licht aus einem halbgeöffneten Fensterflügel, den man, wie es schien, nicht fest zugewirbelt, und mit welchem der Luftzug leise spielte. Anton wußte durchaus nicht, wie er am klügsten verfahren sollte. Gerade darum tat er ohne Vorbedacht das Zweckmäßigste: er unterließ jedes Zeichen, wodurch seine Gegenwart hätte kundwerden können und erkletterte eine Pappel, die zwanzig Schritt vom Hause entfernt, dem halboffenen Fenster gegenüber sich erhob. Erst als er hoch genug war, das Lager des Feindes übersehen zu können, wendete er sich ihm zu. Seine Vorgefühle hatten ihn nicht getäuscht: Herr Amelot war zugegen.
Wenn nun dieser oder jener von meinen Lesern vermutet, die Entdeckung habe dem Betrogenen wehe getan, so ist er – was den Moment betrifft wenigstens – im Irrtum. Das erste, was Anton empfand, war Freude. Er umarmte die schlanke Pappel mit beiden Händen, drückte sie gleichsam an sein Herz, als ob er ihr Dank sagen wollte, daß sie ihm Klarheit gegeben. »Ich bin frei!« so sprach sich seine Empfindung aus: »Frei, ohne Undankbarkeit, ohne Treulosigkeit von meiner Seite! Frei, weil sie mich betrügt! Frei von einem schmählichen Zwange, dem ich mich als unerfahrener Knabe verkaufte! In welchem ich untergegangen wäre, hätte mich dieser gesegnete Luftspringer nicht erlöst! Lebe wohl, Laura!«
Dann ließ er sich langsam herabgleiten.
Schon auf dem Heimwege entwarf er im Kopfe den Brief, den er, sowie nur der Tag da wäre, an Madame Amelot senden wollte. In diesen Brief schichtete sein beleidigter Stolz alles zusammen, was ihn seither bedrängt hatte. Kaum daß er sich Zeit genommen, wenige Stunden zu schlafen, saß er am Tische, schreibend und die schönsten französischen Floskeln für seine scharenweise herabströmenden sehr deutschen Gedanken zu suchen.
So lange man in ähnlichen Lagen das Wort führen und kräftige Ausdrücke für gerechten Groll anwenden darf, spürt man den verletzenden Schmerz, ohne welchen der Bruch eines so lange bestandenen Verhältnisses ein für allemal nie bleiben wird, ungleich weniger; man tröstet sich durch zornige Aufwallungen. Ganz anders jedoch gestaltet sich der inwendige Zustand, sobald eine tückische Wendung unseres Geschickes uns diesen Trost »des ersten Wortes« raubt; sobald wir hören oder lesen müssen, was wir selbst auszusprechen vor Ungeduld brannten. Dies geschah dem armen Anton. Während er noch an seinem Absageschreiben drechselte, brachte der Zettelträger mit dem Anschlagezettel des Tages, der Herrn Antoine als wiederhergestellt pomphaft verkündete, ein zierliches, seidenpapiernes Epistelchen, dessen Inhalt wir so gut und schlecht als möglich zu verdeutschen wagen:
»Sie sind ein zu braver Junge, Antoine, und waren mir zu teuer, als daß ich Sie betrügen oder täuschen möchte. Deshalb sage ich Ihnen ohne lange Vorrede: ich habe mich mit meinem Gemahl versöhnt. Herr Amelot verläßt das noch nicht fest abgeschlossene hiesige Engagement. Der Direktor ist nicht böse darüber – aus mehrfachen Gründen, und ich verlange es aus den begreiflichsten von der Welt. Wir reisen morgen oder übermorgen.
Sie werden sich leicht trösten, denn mehr oder weniger sind Sie meiner überdrüssig. Ihnen und Ihrer Jugend nehme ich das nicht übel. Ich bin zu alt für Sie, und wenn ich auch immer noch eine schöne Frau bleibe, sind Sie doch viel zu jung für mich. Was wollen Sie? Es war ein Irrtum von beiden Seiten. Doch war er manchmal erträglich, nicht wahr?
Ihnen blüht noch genug Glück auf Erden, wenn Sie es nur zu benützen verstehen. Sie können noch eine schöne Zukunft haben.
Die meinige wird nicht glänzend sein, ich weiß es. Dennoch folge ich ihr ohne Zagen.
Mein Gemahl hat sich nicht geändert. Er wird mich behandeln wie früher. Ja, wenn er erst wieder ganz sicher in seinen Rechten ist, wird er mich schlagen, mich betrügen – wie sonst.
Und Sie fragen, warum ich ihm dennoch folge? Ich könnte antworten, weil er sich hinter meinen Beichtvater gesteckt, und dieser mir eine Wiedervereinigung als religiöse Pflicht auferlegt hat. Ich würde darin die Wahrheit sagen – doch auch eine Lüge. Und für Sie habe ich nur Wahrheit.
Mein armer Antoine, Sie sind ein gutes, unerfahrenes Kind. Sie wissen nicht – (und woher sollten Sie es wissen?) – daß Gott Weiber schuf, die gemißhandelt sein wollen, die keine Ruhe finden, kein dauerndes Glück an der Seite eines treuen, ergebenen, untergebenen Liebhabers, die des Tyrannen Faust fühlen müssen, gerade wie unser großer Tiger, der nur gegen Pierre nachgiebig war, weil dieser ihn oft halb tot schlug mit einer eisernen Stange.
Apropos vom Tiger! Denken Sie noch an ihn – an den Apfel – an den Bradipus Ursinius – an meinen zerbrochenen Sonnenschirm? ... Mein hübscher, kleiner Antoine; waren Sie damals dumm!? Gott der Götter, war er dumm! Nun, etwas klüger ist er jetzt; aber das kam mir teuer zu stehen – oder vielmehr meiner Mutter. Die schöne Menagerie!
Jetzt adieu, Antoine! Halte mich nicht für schlecht. Ich bin ein Weib – voilà tout!
Laura A.
Koko grüßt und dankt noch einmal seinem Retter aus den Schnäbeln der Krähen.«
*
Da saß er nun, hielt dies Blatt in Händen, zerriß das seinige und weinte; denn von allen bitter kränkenden Vorwürfen, die er der Verräterin machen wollte, schien jetzt keiner mehr zu passen.