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Vierundfünfzigstes Kapitel

Mit dem Felleisen auf dem Buckel, staubig, matt, des Laufens überdrüssig, hatte unser Held in Pisa einzuziehen gemeint. Jetzt saß er in sanft schaukelnder Kutsche, die am besten Hotel vorfuhr, und die er nach glücklich zurückgelegter Fahrt mit einem hohen, vornehm eingerichteten Wohnzimmer vertauschte, das man ihm auf Theodors Befehl angewiesen. »Morgen«, sprach dieser, da sie sich trennten, »morgen früh werde ich meinen letzten Willen aufsetzen und die hiesige Magistratsbehörde ersuchen, den Akt mit ihrem Zeugnisse zu beglaubigen. Wir haben noch weit bis zur Heimat, und wer weiß, was geschieht! Jetzt freue ich mich des Abends, der Ruhe, meines Lagers. Seit Paris, seit Bärbels Tode, seit meiner Krankheit habe ich noch keinen so erträglichen Tag gehabt, wie diesen letzten mit dir, Anton. Deine Nähe wirkt wohltätig auf mich. Schon hat sie mir leichteren Sinn gegeben, vielleicht gibt sie mir auch ruhigen Schlaf! Gute Nacht! Und das übrige morgen, beim Erwachen!«

Seitdem sie sich in Nizza gefunden, während der Reise bisher hatten sie jede Minute im Wagen oder im Gasthofe miteinander zugebracht. Jetzt in Pisa erst trennten sie sich, jeder sein Nachtlager suchend, und da erst fand Anton Gelegenheit, allein und ungestört diese neue Richtung seines Lebenslaufes ins Auge zu fassen und des weiteren darüber nachzudenken. Allerdings hob sich seine Brust, von banger Freude bestürmt, hoch empor, als er durchdachte, was Theodor ihm verheißen. Habsucht und Eigennutz mögen dem Menschen noch so fernliegen, unmöglich doch kann es ohne Wirkung bleiben auf einen verwaisten Jüngling von lebhaftem Geiste, wenn man ihm zuruft: »Du warst ein Bettler ohne Hoffnung, ich mache dich zum wohlhabenden Manne!« Nehmen wir an, – was ich in seine Seele und sein Gemüt hinein anzunehmen berechtigt bin – es würde ihn für den Augenblick mehr geschmerzt als beglückt haben, Theodor zu beerben, zu dem er sich jetzt hingezogen fühlte, so dürfen wir doch daneben annehmen, daß die Aussicht, in seinem unvergeßlichen Liebenau als Freund und Adoptivbruder des Gutsherrn einzuziehen, zu wohnen, wirken zu helfen, ihn beseligen mußte. »Meine lieben Wälder werde ich begrüßen, das Grab meiner Alten, unser Häuschen ...« dachte er. O Gott woran dachte Anton nicht, da er an die Heimat dachte? »Mag Theodor genesen! Mag ich erst nach vielen Jahren die heimatlichen Fluren ererben, die er mir bestimmt; mag er mich meinetwegen überleben! Liebenau gehört ja schon mir, ist schon mein Eigentum, wenn ich nur vorwurfsfrei und ohne Sorgen dort atmen darf.«

Lange stritten diese freundlichen Bilder mit seiner Müdigkeit, und spät erst schlief er ein, um freundlich fort zu träumen und spät zu erwachen.

Wiederholte heftige Schläge gegen seine Tür weckten ihn aus behaglichem Halbschlummer, dem er noch willig sich überlassen hatte. Unwillig sprang er in die Höhe, zu öffnen; der Kameriere stand mit ängstlichem Gesicht vor ihm:

»Befindet sich der Diener des Kavaliers, in dessen Begleitung Sie anlangten, vielleicht bei Ihnen, mein Herr?«

»Ich bin allein, wie Sie sehen, und der Diener muß bei seinem Herrn zu finden sein.«

»Das ist es eben, was mich besorgt macht. Vor Tagesanbruch weckte dieser Mensch unsere Leute und begehrte, daß man ihm das Haustor öffne, weil sein Herr, der plötzlich kränker geworden sei, ärztlicher Hilfe bedürfe. Man ließ ihn hinaus, ohne erst zu fragen, ob er, fremd in dieser Stadt, einen Arzt zu finden wisse. Nach Verlauf einer halben Stunde ist er zurückgekehrt mit einem Menschen von verdächtigem Aussehen, den unser Portier nicht kannte, der sich aber für einen Arzt ausgab. Mit diesem ist er nach dem Schlafgemach seines Herrn gegangen. Eine Stunde später sind beide herausgekommen, beide in Mäntel gehüllt, und der schlaftrunkene Portier, der mir dafür büßen soll, hat sie ungehindert wieder aus dem Hause gelassen, obwohl er jetzt selbst eingestehen muß, er meine bemerkt zu haben, daß beide unter den Mänteln Schatullen und Portefeuilles trugen. Die Zimmer des gnädigen Herrn sind verschlossen, der Diener nirgend zu finden, und auf unser stärkstes Pochen antwortet niemand. Deshalb hielt ich's für angemessen, bei Ihnen Rat einzuholen.«

Anton kleidete sich schleunigst an und folgte dem Kameriere über einen Vorsaal nach Theodors Zimmern. Es wurden Nachschlüssel geholt, man öffnete die Tür leicht, da innen weder ein Schlüssel steckte, noch ein Riegel vorgeschoben war.

Im Vorzimmer sah es unordentlich aus; die Koffer geöffnet, Wäsche, Kleider, andere Gegenstände lagen durcheinander am Boden.

Sie traten ins Schlafgemach.

Theodor lag tot in seinem Bette, in der rechten Hand eine Schreibfeder, in der Linken einen Bogen Papier festhaltend. Offenbar hatte der Tod ihn übermannt, während er noch zu schreiben sich bemühte.

Seine Kassette und vielerlei Kleinigkeiten, die Anton auf der Reise bei ihm gesehen zu haben sich erinnerte, fehlten.

Es wurde nach Polizeibeamten gesandt.

Unterdessen näherte sich Anton in aufrichtiger Betrübnis der Leiche. Er war weit entfernt, da er ihr wehmütig ins gebrochene Auge blickte, an sich selbst und daran zu denken, wie dieser schnelle Tod so viele jungkeimende Hoffnungen mit kalter Hand erstickt habe. Doch wurde er, ohne es zu wollen, daran erinnert, als er sich übers Bett neigte, um die Schriftzüge zu lesen, die das Blatt in Theodors Hand enthielt. Er las:

»Noch bei klarem Bewußtsein und Herr meiner Gedanken, fühle ich den Tod mir nahen. Ich setze daher meinen letzten Willen fest und ernenne zum Universalerben meines Vermögens, namentlich der Herrschaft Liebenau, meinen Pfleger, Freund und Herzensbruder Ant...«

Hier hatte die Kraft des Sterbenden nicht mehr ausgereicht.

Anton zog das Blatt leise aus den starren Fingern, drückte es an seine Lippen und legte es dann in seine Brieftasche neben die ihm von Carino hinterlassenen Zeilen.

»Das zweite Testament in kurzer Zeit«, sprach er. »Gebe Gott, daß meine Erbschaft durch das erste glücklicher ausfallen möge!«


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