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Vierundzwanzigstes Kapitel

Aus Antons Tagebuch.

D., den 3. Juni 18..

»Sie ist viel schöner, als Tieletunke, viel, viel! beaucoup! wenngleich um einige Frühlinge älter. Sie ist auch sehr gut, wohlwollend, mitleidig, tugendhaft. O, sehr. Um so erstaunlicher, weil sie die Frau eines ruchlosen Mannes war und eine Menagerietochter ist, weshalb sie von Kindheit auf unter reißenden Tieren lebte.

Ich gebe mir alle nur ersinnliche Mühe, an Ottilie zu denken, wie früher. Seitdem Madame Laura meiner linken Hand zu Ehren in Ohnmacht zu sinken so gütig gewesen, muß ich immer an Madame Laura denken. Es fällt mir jetzt erst ein, daß Ottilie von Kannabich auffallend mager war. Laura hat eine Figur wie die braune Bärbel, doch ganz in Weiß und Rot. Ihre Haut ist Samt, sie hat auch etwas von Pfirsich-Pflaum. Das weiß Madame sehr wohl. Sie weiß überhaupt, daß sie schön ist. Sie müßte auch taub sein, wollte sie es nicht wissen, denn die faden Laffen sagen es ihr von früh bis Abend. Neulich, als sie mich im Französischreden übte, wobei sie auch versuchte, deutsch zu lernen, was sie durchaus nicht zustande bringt, fragte sie mich, wie »peau« auf deutsch genannt werde. Ich dachte, sie bezöge diese Frage auf den Eisbären, vor dessen Käfig wir just standen, und antwortete: »Fell – Pelz.« Wie konnte ich anders? Nachher, als wir aus der Bude zum Essen gehen wollten, rief sie mir zu: »Antoine, Sie mir geb' der Parasol, ohne das der Sonn' mich verbrenn' mein Fell-Pelz!« Da war sie so schön, wie sie das sagte, daß ich ihr am liebsten auf offener Straße zu Füßen gestürzt wär'! Aber ich hütete mich wohl.«

 

Den 11. Juni.

»Gestern sind wir abends in der Vorstellung des Herrn Michaletto Sanchez gewesen. Madame Simonelli, Madame Laura und ich. Beinahe wäre ich zurückgeblieben. Ich war in meiner gewöhnlichen Tracht und wollte die Frauen als Diener begleiten. Das war auch der Frau Mutter ganz recht. Laura jedoch bestand darauf, daß ich die hohen Stiefeln und kurze Jacke ablegen und den braunen Tuchrock anziehen mußte, den ich mir für die Kirche habe machen lassen. Ich mußte mich auch neben ihnen hinsetzen. So lange die drei Sanchezschen Mädchen arbeiteten, ließ mich Madame Amelot nicht aus den Augen. Ich mag wohl sehr kuriose Gesichter gemacht haben vor Erstaunen.

Der Leuchtertanz ist wirklich wunderhübsch. Das heißt, die Leuchter tanzen nicht, und die Mädchen tanzen eigentlich auch nicht. Wie man's nehmen will. Die eine steht mit dem linken, die andere mit dem rechten Fuß, jede auf einem großen vergoldeten Leuchter. Ihre beiden anderen Beine schweben in der Luft. Mit dem einen Arme halten sie sich umschlungen, der andere hilft balancieren. Sie sind angekleidet wie Pagen, oder so etwas. Beide sehr gut gewachsen, es sieht also allerliebst aus, doch finde ich es nicht recht schicksam. Die oberen Kreise der Leuchter sind eingerichtet, daß sie sich leicht drehen, und nun fangen die beiden Frauenzimmer sich zu wenden an und wechseln Seiten und Arme, biegen sich vor und zurück und verfertigen die kunstvollsten Stellungen. Einigemal meinte ich, sie müßten herunterpurzeln. Aber nichts da. Gleich sind sie wieder aufgerichtet und stehen so fest und gerade, wie wenn sie wirklich ein paar bemalte Wachskerzen wären.

Die Rosalie, die sich auf dem schlaffen Seile schwingt, ist die hübscheste; das heißt, Madame Amelot reicht sie nicht das Wasser. Doch hat ihr Papa die Wahrheit von ihr gesagt, sie ist wirklich ein Satan. Nicht nur auf dem Seile, auch so. Höchstens vierzehn Jahre kann sie haben, und doch liebäugelt sie mit allen Herren im ganzen Saale. Sogar mit den Alten. Einigemal warf sie mir recht kecke Blicke zu, und jedesmal, wenn sie das tat, zuckte Madame Amelot mit den Ellbogen, als wollte sie mich anstoßen und mich aufmerksam machen, daß ich hernach schon gar nicht mehr wußte, wohin ich gucken sollte.

Morgen oder übermorgen treffen Guillaumes ein. Ihr Zirkus ist fast fertig. Da haben sich die Zimmerleute gesputet.«

 

Vom 17. Juni.

»Gestern gab Herr Guillaume seine erste Vorstellung. Prachtvoll! Diese Kleidungen; dieser Reichtum an Dienern und Musikern; die vortrefflichen Reiter und Voltigeurs! Ach, und die Pferde! Immer eins herrlicher als das andere! Habe ich wunder gemeint, was unseres seligen gnädigen Barons Leibschecke für ein Roß wäre. Na, gute Nacht! Müßte das ein Glück sein, auch so herumzujagen und das Jubelgeschrei der Menschheit um sich her zu hören. Die Reiter wurden wie berauscht davon, sie schrien zuletzt mit aus voller Kehle, wenn sie vorbeisausten, daß mir vom Zuhören und Zusehen der Atem ausging. Solch ein Mensch möchte ich sein wie der Furioso. Wie der unbeweglich auf seinem nackten Rosse stand, und das flog unter ihm fort, und er stand immer fest. Madame Adelaide ist recht schön, doch mir könnte Demoiselle Jartour besser gefallen, sie hat einen melancholischen Zug um die Augen, als ob sie unglücklich wäre.

Ich konnte mir's nicht versagen, diese Personen, die mir wie übernatürliche Wesen erschienen waren, in der Nähe anzuschauen. Da meine Damen geschlossene Sitze hatten und ich unter den stehenden Herren mich befand, wurde es mir leicht, nach den Räumen zu dringen, wo die Reiter und die Rosse Toilette machten. Herr Michaletto Sanchez war auch dort, wie wenn er bei sich zu Hause wäre, und stellte mich dem Herrn Direktor Guillaume vor. Nein, aber was die Menschen unzuverlässig und falsch sind! Das ist zum Erschrecken! Der nämliche Sanchez, der neulich bei uns auf Herrn Guillaume geschimpft, was er nur herausbrachte, war jetzt, wie wir Franzosen sagen, frère et cochon mit ihm, wie mit seinem intimsten Freunde. Da verlasse sich einer auf die Leute!

Herr Guillaume »arbeitet« jetzt nicht mehr; er macht es sich bequem, dirigiert das Ganze, streicht das Geld ein und führt unterweilen die Peitsche, die er nicht schont, wie mir vorkommt. Er wäre ein stattlicher Mann, wenn er nicht einen so dicken Bauch hätte.

Sanchez erzählte mir, daß dieser Guillaume zu den jungen Eleven gehört hat, die vor so und so viel Jahren ein Herr Majeur oder Mahier, als der Erste in dieser Art mit nach Deutschland brachte. Weil dieser sich Stallmeister des Königs von Spanien titulierte, heißen alle Kunstreiter in vielen Gegenden Norddeutschlands noch heutzutage »Spanische Reiter«, und wenn sie auch aus Buxtehude kämen. Dieser Herr Mahier drang mit seiner Schar bis nach der Türkei vor und brachte es dahin, im Serail des Großherrn eine Vorstellung geben zu dürfen. Die meisten der Schüler, die er bei sich gehabt, sind späterhin Direktoren von eigenen Truppen geworden, denen es gut gehen soll, als: Kleinschneck, Kolter, de Bach, Tourniaire und wie Michaletto sie nannte. Herrn Guillaume, na, dem geht es gewiß gut. Woher hätte er sonst sein Fett?

Seine Gattin, die unter dem Namen Adelaide aufgeführt wird, scheint sich aber verzweifelt wenig aus ihm zu machen. Sie ist viel jünger als er. Sanchez behauptet, der Hanswurst der Gesellschaft wäre jetzt ihr begünstigter Liebhaber. Das wird wohl aber eine Verleumdung sein. Ich kann mir nicht denken, wie solch eine vornehm aussehende Dame ihrem Gemahl treulos werden oder gar einen Hanswurst lieben sollte, der sich im schmutzigen Sande umherwälzt und auf dem Kopfe steht, wie unsere Affen.

Herr Guillaume war sehr freundlich gegen mich. Madame auch. Sie musterten mich und meine ganze Figur von oben bis unten, wie wenn sie mich kaufen wollten, und fragten mich dann, ob ich nicht Lust hätte, das »Metier« zu ergreifen. Ich erwiderte, ich würde mich wahrscheinlich sehr ungeschickt anstellen, denn ich hätte zeitlebens noch auf keinem Pferde gesessen. Nichtsdestoweniger, setzte ich hinzu, liebte ich die Pferde leidenschaftlich und wäre wie bezaubert von dem, was ich hier gesehen, so daß ich mich wie im Fieber befände! Sie luden mich ein, des Morgens manchmal in die Proben zu kommen. Ich könnte es ja, sagten sie, scherzweise versuchen. Warum nicht, das kann ich wohl tun!«

 

Den 18. Juni.

»Ich werde nicht einschlafen, ehe ich nicht die Eindrücke des heutigen Tages niedergeschrieben. Doch bin ich kaum imstande, die Feder zu führen, weil mir die Hand zittert. Meine Aufregung ist fürchterlich.

Schon seit vorgestern abend, seitdem ich aus der Guillaumeschen Garderobe kam, ist Madame Amelot von der übelsten Laune gewesen. Ich schob das auf ihre Verstimmung wegen des großen Sukzesses, den die Reiter hatten, der uns die Einnahmen unserer letzten Tage notwendig schmälern mußte, und dachte nur an den lieben Brotneid, um so mehr, weil sich Madame Simonelli ehrlich darüber aussprach.

Gestern begab ich mich in den Zirkus während der Morgenstunden, wo bei uns keine Seele anwesend war, und ich leicht abkommen konnte. Herr Guillaume empfing mich wie einen willkommenen Gast und ließ mir ein Pferd vorführen, um zu sehen, wie ich mich benehmen würde. Mir schlug wohl ein bißchen das Herz, aber weil Madame Adelaide und Demoiselle Adele Jartour zugegen waren, schämte ich mich, nein zu sagen und dachte: jetzt ist schon alles eins, und sollte es an den Kragen gehen, geritten muß sein. Kaum saß ich im Sattel, wurde mir zu Sinne, als ob ich darauf geboren wäre. Gott weiß, wie das zugeht, aber alle riefen es aus, und ich muß es selbst sagen, ein geübter Reiter könnte sich kaum besser halten. Niemand wollte mir glauben, daß ich noch nie zu Pferde gesessen. Ich tummelte das wilde Tier mit leichter Hand länger als eine Stunde hindurch in der Bahn, zum Ergötzen der Truppe. Ich wollte mich gar nicht von ihm trennen, und wäre nicht die Speisestunde herangerückt, ich säße, scheint mir, noch darauf. Herr Guillaume entließ mich nur, nachdem ich fest gelobt, wiederzukommen. Der Stallmeister versicherte mir, solches Talent sei ihm noch nicht begegnet, und ich müsse von Vorfahren abstammen, die mehr auf dem Pferde als auf dem Erdboden gelebt hätten. Meines Vaters, des Kavallerieoffiziers gedenkend, wollte ich schon zustimmend erklären, wie das zusammenhänge, aber ich gedachte meiner armen Mutter und verstummte wieder.

Bei Tische erzählte ich den Vorfall. Madame Simonelli warnte mich, auf die Avancen, die man mir dort gemacht, nichts zu geben. »Sie möchten mir«, äußerte sie, »einen netten Burschen abspenstig machen, und du, mein Sohn, hättest, wenn du dich verführen ließest, auch nichts davon, als Reitknecht zu weiden, mit viel Plage und wenig Geld.«

Madame Amelot, die schon vorher über Kopfschmerz geklagt, verließ die Tafel, ohne zu essen. Ich sah sie nicht mehr den ganzen Tag.

Heute vormittag, eben dieweil ich mich zurechtmachte, um wieder in die Manege zu gehen, trat sie in unsere Bude; Pierre und der Rotbart reinigten die Käfige; ich hatte die Vögel besorgt und bürstete über meinem Gehrock. Da kam sie dicht an mich heran und sagte mir leise ins Ohr! »Wenn Sie noch einmal Madame Adelaide sehen, sehen Sie mich nie mehr. Sie haben die Wahl.« Dabei war sie fast so bleich, als da sie am Tiger ihren Sonnenschirm zerschlug, meine Hand zu retten. Ich fürchtete, sie werde wieder umsinken.

Doch ehe ich noch antworten konnte, war sie verschwunden. Natürlich blieb ich, wo ich war, legte meinen Gehrock wieder in den Kasten, band eine Schürze vor und half den Knechten, um nur etwas zu beginnen. Aber ich wußte nicht, wie mir geschehen, noch was ich tat. Ich wußte auch nicht, sollte ich wütend sein, weil mir das Vergnügen zu reiten untersagt wurde, oder sollte ich entzückt sein über Lauras Eifersucht? Denn daß es Eifersucht ist, was sie zornig macht, darüber bleibt mir jetzt kein Zweifel mehr.

Also Laura interessiert sich für mich? Die schöne, stolze Frau, meiner Herrschaft Tochter, für mich, den Korbmacherjungen? Nein, wenn sie das in Liebenau wüßten!

Eine Stunde später kam Madame Simonelli auch in einer Art von Zorn oder Ärger oder Wut, – ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, wie halt jemand ist, der sich eben heftig gezankt hat, – und befahl uns, die eiligsten Anstalten zur Abreise zu treffen. Morgen früh geht es schon fort. So geschwind? Wir haben noch nicht einmal die Affichen aus der Druckerei, auf denen die letzte Hauptfütterung angezeigt wurde.

Gern wäre ich wenigstens heute abend in den Zirkus gegangen, die Reiterei noch einmal mit anzusehen. Doch wer dürfte so etwas wagen? Auch gab es bei uns schrecklich viel zu tun. Jetzt sind wir in Ordnung. Mit Tagesanbruch geht es ab. Fürs erste werde ich weder Zeit noch Raum zu schreiben finden. O! mein Himmel, was werde ich auf diese Blätter zu schreiben haben, wenn ich sie wieder zur Hand nehme?« –

Soweit für diesmal die Auszüge aus Antons Tagebuchs.


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