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»Madame, weiter geht es nicht mit diesen Pferden; frische sind hier nicht aufzutreiben; dort ist eine Schenke – und ich dächte, wir machen Halt!« Mit diesen Worten schnitt Pierre gegen Abend den Faden der noch weiter projektierten Tagereise mitten durch. Sämtliche Fourgons wurden, dicht gedrängt, in den engen Hofraum gezogen, der sich in Stallungen und hölzernen Räumen voll Stroh und Heu um das Wohnhaus bildete, außerdem noch durch große Haufen voll Reisig und gedörrtem Seegras verengt wurde. Die Vorspannbauern mit ihren faulen Pferden ritten augenblicklich heim, den Reisenden die Sorge überlassend, wie sie aus der Nachbarschaft morgen andere Pferde auftreiben würden. Im Gasthause sah es nicht besonders aus; nur ein erträgliches Wohnzimmer für Fremde, worin zwei Betten standen. Dieses nahm Madame Simonelli für sich und ihre Tochter in Beschlag, hieß ihre Leute nach den Tieren sehen, schickte auch Anton fort, mit dem Bedeuten, sie und Laura bedürften der Ruhe und brauchten nichts mehr. Als die Mutter hinter ihm die Stubentür ins Schloß warf, durch welche er sich nun von der Tochter getrennt mußte, überkam ihn eine Art von Raserei. Wütend rannte er hinab, suchte sich einen abgelegenen Winkel in irgend einem Heuschuppen und warf sich, vor Begier und Ärger heulend, hin, ohne weiter nach den Tieren zu fragen. Pierre und Jean vermißten ihn wohl, beruhigten sich jedoch mit dem Gedanken, er sei bei den Damen, und da beide schon längst zu wissen wähnten, wie sie mit »ihm und ihr« daran waren, ja ihn beinahe schon als Herrn betrachteten, so fragten sie weiter nicht und machten ihre Arbeit ohne ihn.
Der Heuschuppen, in dem Anton sich selbst – Madame Simonelli – diese Nacht – die ganze Welt! verwünschte, wurde durch eine Bretterwand von einem Behältnis getrennt, in welchem Stroh aufgespeichert lag, zur Streu für die Gastställe. Die Bretterwand erhob sich nur einige Ellen über gewöhnliche Manneshöhe: der obere Raum war offen. Anton lag mit dem Rücken gegen diese Wand und starrte hinauf in die dunkle Leere. Durch das schadhafte mit hölzernen Schindeln und Schilf gedeckte Dach blitzte hin und wieder ein Stern. Im Hofe wurde es nach und nach ruhig. Die Hunde hörten auf, zu bellen. Die wilden Tiere, nach so später Abendmahlzeit, ließen auch nichts von sich hören. Affen, Papageien, alles kleine Vieh dankten ihrem Gott, daß sie nicht mehr gerüttelt und geschüttelt wurden. Pierre und Jean hatten im bequemen Reisewagen ihrer Herrin das Biwak aufgeschlagen.
Alles schien zu schlafen, ... nur Anton schlief nicht.
Er wußte, ach nur allzu sicher, daß jede Möglichkeit eines Zusammentreffens zerstört war, er begriff ohne Schwierigkeit, daß Madame Simonelli ihre Tochter verhindern wollte, sich ferner zu kompromittieren, er sah deutlich ein, daß diese nicht kommen könnte – und dennoch erwartete er sie von einem Pulsschlage zum anderen!
Das klingt wie Unsinn und ist dennoch wahr, ist nicht nur wahr in diesem vereinzelten Falle, es ist auch wahr im allgemeinen. Gar mancher meiner Leser, will er aufrichtig sein, wird diese Wahrheit aus eigener Erfahrung bestätigen können.
»Haben wir denn Mondschein?« brummte der Gemarterte nach Verlauf einiger Stunden in das Heu hinein, worin er vergraben lag. »Ist's mir doch, als würde es oben unter dem Dache hell. Von den kleinen Sternen kann das nicht kommen.«
»Antoine!« hörte er, wie über sich, flüstern. Er erhob sich. Das Licht drang aus dem anstoßenden Gebäude herüber. Augenblicklich schwang er sich an einem Querbalken hinauf, und schon auf halbem Wege wurde er von Lauras Armen umschlungen. Sie blieb im Klettern hinter ihm nicht zurück.
»Wofür wäre ich denn die Frau des famosesten Tremplinspringers gewesen, wenn ich von ihm nicht gelernt haben sollte? Meine Frau Mutter hat die Tür geschlossen – ich hätte sie für so boshaft nicht gehalten –, aber zum Glück gibt es noch Kammern und gibt Fenster, die aus diesen Kammern in Höfe führen. Komm' herab, mein Engel, fort von diesem häßlichen alten Stroh' es riecht übel. Von hier duftet mir Heu entgegen. Ich liebe den Geruch des Heus. Man denkt an blühende Wiesen, an idyllische Hirten, an Frühling und zärtliche Vögel, die in den Zweigen nisten.«
»Ich wußte ja, daß du kommen müßtest«, sprach Anton, »ob es gleich unmöglich war.«
»Nichts ist unmöglich für die Liebe«, sagte Laura.
Weiter sprachen und sagten sie nichts mehr.
*
»O, der häßliche Tag! Sieh' nur, Antoine, da lehrt er schon wieder, unser Glück zu stören.«
»Unmöglich, meine Teure; du bist kaum seit einer Stunde bei mir.«
»Sehr galant. Du fängst an, dich auszubilden. Aber es kann doch nichts helfen; ich muß fort, sonst überraschen sie uns. Es ist ja ganz hell.«
»Das ist nicht die Helle des Morgens! Um Gottes willen, Laura, was hast du mit der Kerze gemacht, die dir hierher leuchtete?«
»Das kleine Endchen Wachslicht, das ich mir mitnahm? Ich habe es ausgeblasen.« –
»Und drüben ins Stroh geworfen?« –
»Weiß ich's? Ich hielt es noch, so lange ich dich suchte. Nachdem ich dich gefunden – – «
»Feuer! Feuer!« erscholl wildes Angstgeschrei vom Hofe herein. – –
Wie rasch es um sich griff! Wie die Flammen, als wären sie Zungen höllischer Mächte, mit heißhungriger Wut an allem leckten, was sie erreichen konnten, und wie sie alles im ganzen Gehöfte bald erreicht hatten! Wie Gebäude, Dächer, Schuppen, Holzstöße, Reisewagen, ja selbst die herbstlich entblätterten Bäume sich in ein Feuermeer vereinigt, bevor Anton für Laura und sich durch die Hinterwand des leicht gefügten Bretterbaues einen Rettungsweg erzwungen; – das wird nur der glauben und möglich finden, der ähnliche Wirkungen der Feuersgewalt mit erlebte und sah.
Es ist wirklich, als ob das Feuer einen Geist der Vernichtung, einen Willen, als ob es zuzeiten selbständige Absichten besäße! Bemüht man sich nicht oft, im eigenen Ofen, mit trockenstem Holze, beim besten Luftzuge ein tröstliches Feuerchen aufzubringen, und will es nicht geraten trotz der Förderung? Und dann wieder, wenn das Element bei Laune scheint, und wo man es eben am wenigsten wünschte, brennt ein dicker Balken wie zu seinem eigenen Vergnügen hell empor, etwa nur durch Berührung eines glimmenden Fünkchens, so daß es förmlich rätselhaft bleibt.
Hier freilich wurde des Rätsels Lösung nicht schwer. Eine halbe Wachskerze, kaum ausgeblasen und mit ungeduldiger Haft in ein Strohmagazin geschleudert, kann sehr leicht auf dem Wegs durch die Luft noch einmal Flammen fassen, und fällt sie dann so unglücklich, daß sie vom Stroh nicht erstickt wird, gibt sich das übrige von selbst.
Antons Zustand war fürchterlich. Er hörte das Jammergebrüll der eingekerkerten Tiere, ohne sich ihnen hilfreich nähern zu können. Nur der Gedanke daran wäre Wahnsinn gewesen. über den dicht im Hofraum zusammengedrängten Lastwagen schlug die funkensprühende Lohe von drei Seiten empor, daß sie ein glühendes Dach bildete. Wahrscheinlich hatte, während Wirtsleute und Reisende schliefen, während Anton mit Laura von Frühling und grünen Wiesen träumte, der Brand sich durch die Wagenburg selbst nach der anderen Seite des Hofes gewunden; und das war ihm leicht geworden, weil nicht nur alle Käfige dicht voll Stroh gestopft, sondern auch mit diesem überall umhergeworfen, so daß der ganze Erdboden davon bedeckt war.
Mitten in das Grausen, welches Anton erfüllte, bei den Martern so schöner Tiere, bei dem Unglück ihres Verlustes, trat ihm gleich einer Rachegöttin das Bild der Frau vor die Seele, die durch seine Schuld ihr Eigentum, ihr Vermögen einbüßen und vielleicht – während er und die Tochter das Leben gerettet, verbrennen mußte! Diese gräßliche Befürchtung schreckte ihn auf aus dem starren Stumpfsinn, womit er anfänglich dem Brande zugesehen. Er wendete sich nach Laura um, dieser zu sagen, daß er die Mutter aufsuchen wolle ... Laura war verschwunden. Wie bei energischen weiblichen Naturen häufig geschieht, hatte sie in dringendster Gefahr ihre besonnene Fassung nicht verloren.
Anton umkreiste den Schauplatz der Verwirrung, so schnell die bleischweren Füße ihn tragen mochten. Er kam vor jener Seite des Wirtshauses, wo der Eingang zu demselben nach dem Strande hinlag, mit Freuden an, weil er sah, daß des armseligen Gebäudes Vorderteil noch verschont blieb.
Pierre und Jean hatten die Reisekutsche samt dem darauf befindlichen Gepäck der Damen noch glücklich zu rechter Zeit aus dem Hofraum gerissen. Auch die Kasse war gerettet. Madame Simonelli saß auf ihr, den Seidenaffen im Schoß. Laura trug eine Schatulle unterm Arm, auf der Achsel saß ihr Koko, der wildes Hohngelächter ausstieß. Beide Frauenzimmer hatten sich dem Strande genähert, doch hielten sie sich fern voneinander. Die Mutter schaute stumm und ernst hinüber, wo bereits einzelne Glutströme aus dem Dache des nun auch ergriffenen Wohnhauses brachen. Die Tochter ging wie mit einem Entschlüsse kämpfend auf und ab.
Pierre und Jean erklärten Anton, daß nichts mehr zu retten sei. Wer sich in den Brand werfen wolle, müsse mit verbrennen und vorher von den halb gebratenen Bestien zerrissen werden. Die Klagetöne der letzteren aber waren schon verstummt. Einigemal nur sah man, wie im Wirbel der Flamme emporgetrieben, einen bunten Ara oder anderen Vogel hoch oben erscheinen, um auf der Spitze einer Feuersäule durch die Glut verzehrt zu werden. Die herrlichen Geschöpfe! Sie erinnerten an die Mythe vom Phönix – nur daß sie leider nicht wie dieser aus der Asche neu aufleben durften!
Wirtsleute mit Knecht und Magd hatten ihr bewegliches Eigentum ins Freie gerettet. Kühe und Schafe waren natürlich verbrannt, von Menschen keiner. Sie besprachen sich, seitab von der auf ihrer Kasse thronenden Tierführerin, in eine drohende Gruppe vereinigt, beratend, was sie zur Entschädigung fordern – oder was sie mit Gewalt nehmen würden.
Anton wagte nicht, weder an jene Leute, noch an seine Damen das Wort zu richten. Einem überwiesenen Verbrecher ähnlich stand er da. Er hielt sich selbst für den strafbarsten Mordbrenner, der jemals gestäupt und gebrandmarkt worden sei. Er staunte nur, daß man sich seiner nicht bemächtige, um ihn dem Feuertods, den er zwiefach verdiene, zu überantworten.