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Vierundvierzigstes Kapitel

Unserer Wanderer besaß – Dank sei dem geheimnisvollen Kabinett, dem er vorgestanden, und der Neigung der Menschen fürs Verbotene, Verhüllte – eine recht hübsche kleine Reisekasse. Sein abgelaufener Paß, von Paris ausgestellt, zwang ihn ohnedies dahin zurück; folglich fand er keine Schwierigkeiten, sich einer Diligence zu bedienen, und hielt in der lärmenden, schmutzigen Hauptstadt einen anständigen Einzug. Was er zuletzt erlebt, was ihn veranlaßt, die Flucht zu ergreifen, wogte zwar unterwegs noch auf und ab durch seine Sinne, und bisweilen rief er sich die Umarmung des schönen Käthchens allzu lebhaft ins Gedächtnis. Doch je näher das vierrädrige Ungetüm, in dessen Bauche er sich eingeschachtelt befand, dem Ziele der Fahrt kam, je heftiger das unerbittliche, mit jeder Post schlechter werdende Straßenpflaster ihn emporrüttelte aus weichen, weichlichen Phantasien, desto klarer stieg wieder Adeles Bild in ihm auf, desto lebhafter wuchs seine Hoffnung, die treue, teure Freundin doch wohl aufzufinden! Vielleicht als Belohnung, vom Geschick ihm zugedacht! Denn im ganzen meinte er, mit sich zufrieden sein zu dürfen. Einen Moment abgerechnet, wo er in leicht verzeihlicher Verblendung schwach genug gewesen, den Gatten neben der Gattin zu vergessen, hatte er doch die Stimme der Pflicht gehört und ihr nachgegeben, da es noch nicht zu spät war, sich zu ermannen. Er durfte ohne Reue und Scham an den biederen Mann zurückdenken, der ihm vertrauend wohlgewollt. Dies Bewußtsein verlieh ihm freudige Zuversicht. Daß er Adele wiedersehe, erbat er sich vom Geschick zum Lohne der Entsagung bei Käthchen.

Der Kondukteur der Diligence, womit er die Fahrt zurückgelegt, empfahl ihm eine Wohnung bei stillen, alten Leuten, die für einzelne Herren, wenn diese geringe Ansprüche machen wollten, gern die Hälfte ihrer aus zwei Kämmerchen bestehenden Wohnung einräumten. Antons Ansprüche stimmten mit solchem Anerbieten überein; er ergriff diesen Zufluchtsort um so eifriger, weil seine künftigen Hausleute in ihrer Abgeschiedenheit vom äußeren Leben ihn hoffen ließen, er werde ihnen gegenüber nicht nötig haben, durch Gespräche zu erweisen, wie der in Liebenau erwachsene Anton ein in Paris geborener Antoine sei. Des letzteren Paß wußte er freilich nicht ohne Besorgnis in den Händen der Behörde und entsandte manchen tiefgeatmeten Stoßseufzer zum Himmel, besagter Antoine möge in Diensten Seiner Kaiserlichen Majestät des Selbstherrschers aller Russen und Reußen bereits herrliche Progressen gemacht, jeden Gedanken an Heimkehr aufgegeben haben, vorzüglich aber in Paris keine Verwandte besitzen, die da etwa kamen, sich nach dem verlorenen Sohne zu erkundigen!

Was unser Freund Anton »seine Nachforschungen« zu nennen beliebte, begann am ersten Tage, wie er sich nur kaum häuslich eingerichtet, das heißt seine Bücher und Papiere ausgelegt und einen Schreibtisch aufgeschlagen. Er begab sich nach Franconis Theater, wo er sämtliche Mitglieder, von den ersten (die Unternehmer eingerechnet) bis zum letzten Statisten des eben in Gunst stehenden Schlachtenmelodramas herab, mit Fragen über Adele Jartour bestürmte. Als er nach unzähligen Versicherungen, daß man nichts von ihr vernommen, immer wieder aufs neue zu fragen anfing, hielten sie ihn für verrückt und ließen ihn stehen.

Weiteren Rat wußte der Gute nicht.

Einige der Wohlmeinenderen hatten ihm zwar vorgeschlagen, sich bei der Polizei nach ihr zu erkundigen. Doch diesen Rat ließ er unbenutzt. Einesteils, weil ihm vor Entdeckungen, seine eigene Person betreffend, bangte; dann aber und hauptsächlich, weil er sich sagte, wenn sie nicht bei Franconis war, wenn diese nichts von ihr wissen, befindet sie sich auch nicht hier. Denn was sollte sie aufgesucht haben in Paris, wenn nicht ihr Metier? Es wird schon sein, wie Herr Aubri meinte, sie ist nach England hinüber! Sie ist mir wirklich verloren! Ach, und ich fürchte, nun bin ich es mir auch.

Eine Mutlosigkeit kam über ihn, wie sie nur in einer solchen Weltstadt über den einsamen, völlig verlassenen Jüngling kommen kann, der gleich bei seinem Eintritt erfuhr, was ihn mit zauberischem Hoffnungsschimmer dahergelockt, sei ein Irrlicht gewesen, sei als solches verloschen ... verschwunden.

Hatte er kindisch gewähnt, Adele müsse ihm begegnen, sobald er nur einmal durch die Hauptstraßen der Stadt gehe und müsse ihm entgegenrufen: »Sieh da, mein Freund, Gott grüße dich; nun ist alles gut, weil du nur hier bist!«

Ach, es rief ihn niemand freudig an; er begegnete nur fremden Gesichtern, er verzehrte sich in deutschem Heimweh!

Doch je tiefer Heimweh, Sehnsucht, Wehmut ihm die Brust durchdrangen, desto trotziger suchte er sich anzustellen. Mit verbissener Wut ging er spottlächelnd einher, als wolle er dieser sündhaften Stadt entgelten lassen, daß sie einen Engel wie Adele nicht in ihren Mauern einschließe. Nur leider war er es allein, der dabei zu kurz kam; denn die Stadt machte sich nicht viel aus seinem Groll; sie bemerkte ihn gar nicht. Sie fuhr fort Paris zu sein.

Das von ihm geführte Tagebuch aus jener Zeit ist reich an Ergießungen seines Unwillens, die durch ihre Naivität komisch werden. Er meinte die Stadt zu strafen, daß er von ihren Merkwürdigkeiten keine Notiz nahm und sich einsiedlerisch in seine Zelle verbarg. Einmal doch fiel ihm bei, das Schauspiel zu besuchen. »Ihr großes, berühmtes Nationaltheater will ich sehen; will doch sehen, ob sie einen Ludwig Devrient besitzen?«

Einige demselben mindestens nicht unähnliche oder doch der Vergleichung mit ihm würdige Darsteller hätte Anton vielleicht auf kleineren Bühnen gefunden. Er aber, ohne Kenntnis der Sache, allen Verhältnissen fremd, dachte gleich vom reinsten, besten Weine kosten zu müssen, der seiner Ansicht nach einzig und allein in der Straße Richelieu geschenkt werden konnte, wo ein théátre français, die erste Bühne des Landes und daneben die erste aller Länder, florieren sollte. Er traf es unglücklich, Talma spielte nicht. Die übrigen in ihrem tragischen Pathos, wie er es nie vernommen, schienen ihm unnatürlich, unwahr, lächerlich, fratzenhaft. Dieser üble Eindruck tat ihm gut. Es lag für ihn ein neuer Grund darin, Paris geringzuschätzen. Vielleicht, wenn er das heitere Nachspiel abgewartet und in diesem die Mars gesehen und gehört hätte, würde ihm anders zumute geworden sein. Diese Wonne war ihm nicht beschieden. Wodurch sie ihm geraubt wurde, eignet sich zum Gegenstand einer ausführlichen Schilderung.

Die ganze Tragödie hindurch hatte Anton, mochte er nun wollen oder nicht, an Liebenau und dessen Bewohner, Umgebungen, an alles denken müssen, was er dort erlebt und empfunden; so lebhaft, daß er kaum Aufmerksamkeit genug sammeln konnte, dem Laufe des dramatischen Gedichtes zu folgen. Dies erschien ihm selbst auffallend. Er forschte nach äußerlichen Ursachen, weil er eine innere nicht zu entdecken vermochte. Zuerst meinte er, vornehm lächelnd, es seien die tragischen Schauspieler mit ihrem Gekrächz, die ihn – um so mehr, weil sie ein Drama von »Corneille« darstellten – an die Krähen des Eichberges mahnten, von dessen Gipfel er zuletzt die Kirchturmspitze des heimatlichen Dorfes gesehen. Er wandte sich also zeitweise von der Bühne ab und suchte sich in Betrachtung des versammelten, aufmerksamen Publikums einige Aufmerksamkeit und Sammlung zu verschaffen. Doch das half ihm nichts, verschlimmerte im Gegenteil die Sache. Je öfter seine Augen über die mit schön geputzten Damen angefüllten Balkons glitten, desto deutlicher stieg das Liebenauer Herrenhaus samt Wilderweinlaube vor ihm auf. Durch angestrengte Prüfung dessen, was bei dieser Vision in ihm vorging, geriet er endlich auf die wunderliche Mutmaßung, sie sei entschieden an einen bestimmten Platz des großen Schauspielsaales geknüpft. Gerade wenn sein Blick an diesem hing, regten die heimatlichen Erinnerungen sich am unverkennbarsten. Es dauerte lange, bis ihm der Einfall kam, die Personen zu mustern, die sich an jenem Platze befanden. Er sah einen Herrn mit Brillengläsern, der ihm völlig fremd schien; an dessen Seite eine Frau, von der, wie man sich bisweilen ausdrückt, er durchaus nicht wußte, wohin er sie bringen sollte. Daß ihm diese Dame bekannt vorkomme, war keine Frage. Doch wo konnte er sie kennen gelernt haben? Hier in Paris gewiß nicht. Und sonst? Die Zahl seiner weiblichen Bekanntschaften war unendlich gering, Name für Name im Augenblick genannt.

»Nein, es ist ein Irrtum. Ich kenne sie nicht! Und dennoch ist sie es, sie ganz allein, deren Anblick, noch ehe und bevor ich mir seiner klar bewußt wurde, diesen ahnungsschweren Eindruck auf mich hervorgebracht! – Und jetzt fixiert sie mich! – Sie richtet ihren Operngucker, – sie reibt die Gläser mit dem Tuche, mich deutlicher zu erkennen, – sie versucht mir anzudeuten, daß sie mich begrüßen möchte, wenn die Nähe ihres Begleiters sie nicht daran verhindere ... Bin ich denn ein Narr? – Träume ich das? – Ist es Ottilie? Ist es Laura? Ist es Adele? Ist es Käthchen? – – Nein, keine von allen! Ja, mein Gott, wer ist das Weib?«

Das rätselhafte Paar erhob sich nach Beendigung der Tragödie. Anton konnte den Wink, der ihn ebenfalls gehen hieß, wie vorsichtig man ihn auch zu geben genötigt war, doch nicht verkennen. Auch befolgte er ihn gehorsam, in neugieriger Ungeduld brennend. Unbekannt aber mit den verschiedenen Ausgängen und Türen des Hauses, zögerte er hin und her laufend so lange, daß die beabsichtigte nähere Begegnung versäumt wurde. Er mußte, ohne eine Entdeckung gemacht zu haben, das Lager suchen, auf dem der Schlaf ihn nicht suchte. Dennoch stand er am nächsten Morgen rüstiger, lebenslustiger auf als seither. Der Wunsch, zu erfahren, wer und was die Unbekannte sei, welchen Teil sie an ihm nehme, woher sie von ihm wisse, und die mögliche Wahrscheinlichkeit, dieses Wunsches Erfüllung zu erreichen, zeigten ihm Paris, weil er nun irgend einen Endzweck seines Aufenthaltes gefunden zu haben dachte, auf einmal in günstigerem Lichte, machten ihm seine Existenz erträglicher. Jede Stunde günstigen Wetters benutzend, trieb er sich auf Promenaden, in Gassen und Theatern umher, wurde zum »Flaneur« im weitesten Sinne des Wortes, ohne des Wortes Bedeutung und Anwendung zu kennen. Die Boulevards von einem Ende ihrer Ausdehnung bis zum anderen schienen ihm besonders geeignet für die Erreichung seiner Absicht. Der stete Wechsel, den ihr bewegtes Treiben, ihr unermüdlicher Verkehr darbietet, unterhielt ihn zugleich und half ihm viele Stunden langweilig vergebenen Trachtens und Harrens abkürzen. Deshalb verging ein Tag um den anderen, ohne daß ihm die Hoffnung ausging. Was neben ihm her lärmte, tobte, scherzte, fluchte, gaukelte, zog ihn, ohne daß er es selbst bemerkte, von der eigentlichen Ursache seines Umhertreibens ab. Während er einem Ziele zuzueilen wähnte, rückte dieses ihm täglich ferner; im Verlaufe einiger Wochen war es fast vergessen; Anton jedoch schon so sehr daran gewöhnt, Straßenpflaster zu treten, daß sein kleines Stübchen ihn nur bei Nacht empfing, und daß von Beschäftigung bei Büchern, mit der Feder oder auf der Violine gar nicht mehr die Rede war. Die natürliche, unausbleibliche Folge des Müßigganges stellte sich auch hier bei ihm ein, der bisher ein mehr innerliches Dasein geführt und in seinem Bestreben nach geistiger Entwicklung Schutz gefunden vor unzähligen Verirrungen, denen ein junger Mann sonst nirgend entgeht. Die Neigung dafür fand sich bereits. Noch fehlte nur schlechte Gesellschaft, verführerischer Umgang, und Anton stand am Rande des Sumpfes, worin gar manche edle Natur untergegangen. Fürs erste hielt ihn noch die Dürftigkeit seiner Lage zurück, die Sparsamkeit, wozu der kleine Geldvorrat, den er überraschend schnell sich erschöpfen sah, ihn verpflichtete; der gänzliche Mangel an Aussichten für irgend einen künftigen Erwerb. Jeden Abend sagte er sich's mit eindringlicher Mahnung, daß notwendig etwas versucht, ergriffen werden müsse. Jeden Vormittag scheuchte ihn die Befürchtung zurück, daß an den ersten Schritt, den er für den Zweck der Selbsterhaltung wagen wolle, gar zu leicht Nachfragen sich drängen könnten, die zur Enthüllung seiner bedenklichen Paßgeschichte führten. Dann tröstete er sich mit dem leidigen: Morgen, morgen, nur nicht heute! Das war denn immer die Losung zu abermaligem Nichtstun und Verschleudern eines kostbaren Tages.

Bei seinen Spaziergängen war ihm unter anderen ein alter Geiger aufgefallen, der täglich, an der nämlichen Stelle sitzend, auf einer besseren Geige, als derlei Bettelmusikanten zu besitzen pflegen, von früh bis in die Nacht ununterbrochen ein und dasselbe Stückchen aufspielte. Neben ihm stand ein Hut, für milde Gaben bereit, doch selten lagen mehrere kleine Münzen darin. Und doch war der Greis ehrwürdig anzuschauen. Anton verfehlte niemals, ihn zu beschenken, wenn er an ihm vorüberging, sah aber jedesmal mit Bedauern, daß er fast der einzige sei, der sich um den weißlockigen Unglücklichen bekümmerte. Desto mehr erstaunte er, als er eines schönen Tages bei hellem Wetter einen großen, dicht gedrängten Kreis von Menschen aller Stände um seinen Schützling versammelt fand und schon von weitem laute Zeichen beifälligen Anteils vernahm, die doch unmöglich dem unreinen Spiele des Bettlers gelten konnten. Er drängte sich auch hinzu und vernahm von den Umstehenden, vor einigen Minuten sei ein eleganter Herr mit einer schön gekleideten Dame des Weges gekommen, habe erst mit dem Greise geredet, sodann dessen Violine ergriffen und spiele nun auf dieser wunderschöne Sachen, so daß sich bald ein zahlreiches Publikum gesammelt. Die schöne Dame gehe mit dem Hute des Alten herum und erbitte Gaben für ihn.

Voll Teilnahme für diese geniale Idee eines Künstlers suchte Anton sich letzterem zu nähern, machte sich mühsam Raum, und als er den Spielenden ins Auge fassen konnte, schrie er laut auf, denn Carino stand vor ihm. Dieser, den Ausruf und seinen Namen hörend, blickte, ohne das Spiel zu unterbrechen, den jungen Fremden staunend an, in dem er augenblicklich den Liebenauer Korbmacherjungen unmöglich erraten konnte! Vielmehr verriet sein Gesicht deutlich, daß er nachsinne, und er schüttelte sodann den Kopf, um anzuzeigen, er wisse wirklich nicht, wer ihn angerufen! Anton wollte nur den Schluß des Musikstückes abwarten, um dann weiter vorzudringen und sich zu erkennen zu geben. Doch ehe dies noch erfolgte, war die einsammelnde Dame mit dem Hute des Bettlers in seine Nähe getreten. Sie vermochte kaum den von Kupfer- und Silbermünzen beschwerten Hut zu halten. Anton ließ auch seine bescheidene Gabe hineinfallen, wobei er die Dame anblickte und bemerkte, daß sie ihn schon vorher auf eine fast zudringliche Weise anstarrte, als ob sie ihn mit ihren Augen verschlingen wolle, so daß er beschämt die seinigen senkte und sich einen Schritt von ihr zurückzog, weshalb er die wenigen leise fragenden Worte, die sie an ihn zu richten suchte, nicht deutlich vernahm. Schon stand sie im Begriffe, das eben Gesagte noch einmal zu wiederholen, als über Antons Schulter hinweg eine Hand nach dem Hute langte und einige Goldstücke hineinfallen ließ. Zugleich fühlte er sich von einer anderen Hand am Rockschoß gezupft, wandte sich, einen ungeschickten Taschendieb argwöhnend, rasch um und erkannte ... die Dame, die er im Theater gesehen und seitdem vergeblich aufgesucht! Ihr Begleiter, der die Goldstücke gespendet, führte sie jetzt, – zog sie vielmehr an seinem Arme aus dem Gedränge fort! –

Keine Frage, daß sie es gewesen!

Und sie hatte ihm ihre Nähe heimlich kundgeben wollen?

Er gedachte nicht mehr der Frau, die so gern sich ihm verständlich gemacht hätte; er vergaß den fast bittenden Blick, womit sie ihn betrachtet hatte; er vergaß Carino, und daß er diesen hatte ansprechen, sich ihm entdecken, seinen Rat und Beistand erbitten wollen! Er vergaß alles und folgte der Fremden, die sich an ihres Begleiters Seite unaufhörlich nach ihm umdrehte, um sich zu überzeugen, ob er auch ihre Fährte nicht verliere.

In das Tor eines großen Hotels bogen die beiden ein.

Er blieb an der anderen Seite der Gasse stehen, wie wenn er nach einer Hausnummer suchte, versäumte dabei aber nicht, nach ihr zu schielen, und empfing ein mimisches Zeichen, das er sich so auslegte, daß er an Ort und Stelle harren möge.

So war es denn auch gemeint, denn nach Verlauf weniger Minuten flog ein Fünffrankenstück, in Papier gewickelt, zu seinen Füßen.

Ein Savoyarde, der sein Murmeltier (das wohl auch lieber den tanzlosen Winterschlaf abgehalten hätte) dicht nebenbei tanzen ließ, wähnte, die reiche Gabe gelte ihm, und stürzte so rasch darauf hin, daß sein Kopf mit Antons Kopf heftig gegeneinander schlug und beider Hände sich berührten.

»Wir teilen«, rief Anton; »der Inhalt für dich und der Umschlag für mich!«

»Das will ich gern«, sagte der Knabe und steckte den blanken Taler ein.

Der Umschlag enthielt nichts als die Bezeichnung einer Haus- und einer Türennummer in der Straße d'Enfer, mit der Angabe: »Heute abend zwischen elf und zwölf Uhr. Parole für die Portiere: ›le vannier.‹ – Vorausgesetzt, daß A. sich nicht mehr vor Gespenstern fürchtet!«

»Vor Gespenstern fürchtet?« wiederholte Anton, nachdem er die kleinen, mit Bleistift schnell geschriebenen Zeilen mehr erraten als gelesen. »Vor Gespenstern? – Habe ich mich denn je? ... Freilich, einmal! Nur einmal! Aber wer kann darum wissen? Wer kann im Fuchswinkel meine Torheit belauscht und das Gedächtnis daran länger als drei Jahre hindurch bewahrt haben? Das ist ja mehr wie wunderbar! Ich wähnte damals, den schwarzen Wolfgang zu erblicken, jagte aber mein Phantom in die Flucht ... Herr des Himmels, der schwarze Wolf! Da ist die braune Bärbel nicht weit. Ja, wahrhaftig, wo waren meine fünf Sinne! Sie ist es! So gewiß ich lebe, sie ist es! Blind muß ich gewesen sein, sie nicht zu erkennen. Weiße Schminke mag sie aufgelegt haben, ihre Haut zu bleichen; sonst trifft alles zu, alles! Sagte sie mir nicht, vor meinem Kammerfensterlein hängend wie eine Nachteule, daß sie eine vornehme Dame werden wolle? Sie ist es geworden. Sie ist nicht mehr die braune Bärbel, die zu meiden ich dem schwarzen Wolfgang versprechen mußte. Sie ist jetzt eine andere; sie ist eine Dame; mein Versprechen bindet nicht mehr.«

»O, ich komme! Zwischen elf und zwölf Uhr! Ich komme auf jeden Fall!«


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