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Vierzigstes Kapitel

»Dummes, italienisches, bigottes Volk, das!« brach Schkramprl unwillig aus, wie sie wieder in der hölzernen Stadt der Gaukler standen. »Warum auch konnten Sie ihnen nicht ein wenig um den Bart gehen mit einer unschuldigen Lüge? In Ihrem Reisepaß gelten Sie doch gewiß für katholisch?«

»Weil sie mir Achtung einflößen«, erwiderte Anton, »Achtung, ja Ehrfurcht. Mit einer Lüge für heute, wenn ich diese wirklich hätte über meine Lippen bringen können und wollen, wäre es nicht abgetan; ich hätte sie fortspinnen müssen auf die Dauer meines Zusammenlebens mit ihnen. Dafür bewahre mich Gott! Nun weiter, Schkramprl! Es sollte nicht sein. Dennoch tut es mir weh, daß es diese Wendung nahm. Ich wäre gern bei den Leuten geblieben. – Aber was gibt es hier zu sehen?«

»Schlangen, mein Bester; eine Boa Konstriktor und eine lebensmüde Klapperschlange, die das Klappern längst aufgab. Ich habe ihren Besitzer, Herr Advinent, im Verdacht, daß er unter jenem Tische, worauf sich der Käfig des unbeglückten Reptils befindet, einen Jungen verborgen hält, welcher mit einer einheimischen Kinderklapper wirken muß, sobald das Stichwort fällt. Man kann hier mit Recht sagen: klappern gehört zum Handwerk. Übrigens dürfen Sie nicht fürchten, daß die Nase, die meinem Freunde fehlt, – sehen Sie ihn dort an der Tür? Ja? sehen Sie ihn? Nun, seine Nase werden Sie nicht sehen, die ist dahin! – Ich versichere, Sie dürfen nicht glauben, daß diese Nase durch den Rachen eines jener Krokodile abhanden kam, deren Abbildungen, furchtbarlich anzuschauen, im Winde flattern. Nein, seine Nase ist anderweitig verloren gegangen, und seine drei Krokodile bleiben in natura ebenso weit hinter den sie anpreisenden Gemälden zurück, als jemals eine Eidechse hinter Krokodilen zurückblieb. Und doch, man sollte es kaum denken, doch verdankt er diesen armlangen, welken Kreaturen seinen Wohlstand. Es sind die ersten, die überhaupt lebend gezeigt wurden, – wenn man das »leben« nennen darf. Binnen vier Jahren haben sie ihm sein ausgelegtes Kapital, eine ganz beträchtliche Summe nebenbei, und außerdem die Sammlung anderer Tiere, die er zusammengekauft, eingetragen. Die Boa allein gilt ein kleines Kapital, und da sie seit einigen Monaten mehrmals Freßlust gezeigt, wird er sie wahrscheinlich konservieren. Ich wollte, sie wäre mein; ich wollte gern meine Zwerge an ihr füttern, um sie desto besser aufzupäppeln. Ehe wir weiter gehen, erweisen Sie mir die Gefälligkeit, Advinents Anschlagezettel einiger Beachtung zu würdigen. Sie finden desgleichen nie und nirgend. Bitte, gleich den ersten Artikel zu lesen: Krokodil!«

Anton las: »Dieses Amphium zu Wasser und zu Lande, Tiere so wie Menschen, deren schauerlichen Rachen der Nil und ganz Ägypten in diesem Klima, der große Büffon hungrig oder grausam im heißen Sande, ausgebrütet von der Sonne, die das Ichneumon als Wohltäter frißt und noch niemals in Europa keine Kosten gescheut um gütigen Zuspruch.«

»Bin ich verrückt oder steht das wirklich hier, schwarz auf weiß?« fragte Anton, nachdem er den Unsinn mehrmals durchgelesen, in der unerreichbaren Absicht, Sinn hineinzubringen.

»Es ist wirklich gedruckt, und ich will Ihnen auch erklären, wie es entstand. Ursprünglich besaß Herr Advinent nichts als seine drei Krokodilchen. Um die Neugier des französischen Publikums zu erregen, ließ er sich von einem Gelehrten einen langen, ausführlichen Aufsatz schreiben, der den großen Anschlagezettel ausfüllte. Dieser Aufsatz wurde alsdann ins Deutsche übersetzt und anfänglich in seiner ganzen Ausdehnung abgedruckt. Als nun späterhin des Mannes Finanzen sich besserten und er verschiedene andere Tiere, Schlangen, feine Affen und Vögel ankaufte, auch jedes der neu hinzukommenden Geschöpfe einen Platz auf der Affiche brauchte, wurde der Raum für den Krokodilartikel immer enger; ein Setzer nach dem anderen in dieser oder jener Stadt nahm nach Bedürfnis einige Zeilen davon, bis er endlich in diese wenigen, doch inhaltschweren Worte zusammengeschmolzen ist. Advinent versteht nicht Deutsch; bei jedem neuen Ankauf wiederholt sich die Operation in den Druckereien zur Belustigung der Lehrlinge.

Hier dieser Wagen ist ein wanderndes Wohnhaus; gar nicht übel; besser und bequemer eingerichtet wie mein Schweizerhäuschen, das den Nachteil hat, immer auseinandergelegt und wieder aufgebaut werden zu müssen. Sollte ich auf dieser Messe noch reüssieren, laß ich mir einen ähnlichen Wagen bauen. Vorn, wie Sie sehen, ist eine holländische Waffelbäckerei eingerichtet. Das pfiffige Mädchen mit der beblechten Haube bäckt Waffeln und verkauft selbige, warm wie sie vom Feuer kommen. Ein guter Handel! um so einträglicher, weil sie nicht mit Waffeln allein handelt. Die hintere Hälfte wird von einer camera obscura eingenommen; – ich meine die hintere Hälfte des Wagens. Die Schwester der Waffelbäckerin treibt ihr Wesen daselbst im Dunkeln, und nur dann läßt sie unerwartet und für den Beschauer zu zeitig das Tageslicht wieder zuströmen, wenn die anwesenden Herren nicht begreifen wollen, daß ihre Eintrittspreise sehr niedrig sind, und daß längerer Aufenthalt in einer obskuren Kammer durch Extrageschenke erkauft werden müsse. Bei Kunstverwandten wird es nicht so genau genommen. Wollen wir eintreten? hier die kleine Treppe ...«

»Nein, Schkramprl! Ich glaube nicht, daß die Waffelbäckerin mich zum Gehilfen gebrauchen kann. Und jene Schwester im Dunkel ... was sollen mir die Kinder der Finsternis? Ich suche Licht, das meine Zukunft erhelle.«

»Bei Madame Mollia wird es nicht zu finden sein. Gleichwohl müssen Sie mit mir eingehen durch diese Pforten, Sie werden etwas sehen, was man nicht alle Tage ...«

»Eine Menagerie? Löwen? Ob ich eintrete? Cela va sans dire! Wär' es auch nur, um ...«

»Reißen Sie Ihrer Phrase nicht die Blüte ab. Wär' es auch nur der Erinnerung wegen an Simonelli und Kompagnie wollten Sie sagen? Nun, eine Laura finden wir nicht, aber dennoch ein Weib, dem kein anderes auf Erden zu vergleichen ist.«

»Reden Sie ernsthaft?«

»Sie sollen sich überzeugen. Nur voran! Da sitzt sie in eigener Person!«

Anton gehorchte seinem Führer, prallte jedoch, wie er vorgedrungen war, augenblicklich und so schnell zurück, daß Schkramprl, der als Nachhut hinter ihm stand, ihn gewaltsam festhalten mußte.

»Was ist Ihnen denn? Was erschreckt Sie? Haben Sie einen Drachen gesehen?«

»Schlimmer als das, Schkramprl! Vor einem Drachen würde ich, wie mir scheint, bessere Kontenance halten. Sagen Sie mir um alles in der Welt, was ist das? Das da – das feuerrote Kleid –«

»Das? das da? das ist Madame Mollia.«

»Ein menschliches Wesen?«

»Ein zum schönen Geschlecht gehöriges obenein.«

»Dieser Fleischklumpen mit dem alten, verbissenen, bärtigen Männergesicht? Mit den Wülsten von Haaren und Shawls um den Kopf? Mit dem safrangelben Busen, der keine Grenzen kennt? Mit den Brillantringen auf zehn kleinen, fetten Knackwürsten, die ihr als Finger dienen? Denn sie hält Eintrittskarten mit diesen Würsten fest; ich sehe es ...«

»Nur vorwärts, Antoine. Es beißt nicht. Es ist die Besitzerin dieser Menagerie.«

»Madame Mollia, Ihr Serviteur! Ich stelle Ihnen Herrn Antoine vor, erstes Sujet von Guillaume, berühmt durch seine unbändige Wildheit. Er hat sich vor kurzem in B. bei einem bewunderungswürdigen Sturze den Hirnschädel morsch entzweigeschlagen; hat aber nicht nachgegeben, und ehe er sich sterbend hinaustragen ließ, sein Solo ausgegeigt. Denn er ist ein vortrefflicher Geiger.«

Die Erwiderung auf diese an sie gerichtete Rede bestand, ihren rhetorischen Teil anlangend, in einem unverständlichen Grunzen, das nur Schmeichler für Sprache halten konnten; es stand ihnen frei. Der mimische Teil war deutlicher, denn der Fleischklumpen regte sich; die Fettmassen des Gesichtes schoben sich auseinander, um ein faunenhaftes Lächeln zur Anschauung bringen, und zwei kleine stechende Augen sprühten in unheimlichem Glanze daraus hervor, als ob sie wie zwei Feuerfunken auf Anton fliegen wollten.

Schkramprl, dem dies nicht entging, war unfähig, seinen riesenhaften Hang für Schelmerei zu unterdrücken. Er gab zu verstehen, sein Freund Antoine wolle sich verändern, suche eine minder gefahrvolle Laufbahn, die ihm überall offenstehe, weil er durchweg gebildet sei und sich für die Stelle eines Geschäftsführers, Reisenden, Sekretärs vorzüglich eigne. Die Wirkung dieser schlau berechneten Andeutung zeigte sich sogleich. Die Fleischmasse wurde unruhig; ihre Bemühung, sich, anderen Menschen ähnlich, durch Gebrauch der Zunge mitzuteilen, nahm sichtbar alle zu diesem Experimente gehörigen, in Fett vergrabenen Muskeln in Anspruch. Schon wurden einzelne Silben wie das Echo eines Taubstummeninstituts hörbar ... da erschien, wie aus dem Boden gewachsen, ein mit buntgetigertem Seehundfell bekleideter wildbärtiger, weindunstender Mensch, ein Mensch, der offenbar ebenso berechtigt war, den Riesen zu spielen als Schkramprl es je gewesen, letzterem außerdem noch an kräftiger Fülle weit überlegen. Bei seinem Anblick verstummte jeder fernere Sprachversuch im Munde der Dame. Die Fettwogen flossen in ihr Bett zurück, das Gesicht stellte sein Lächeln ein, die Feuerfunken darin erloschen wieder.

Beide Riesen standen einander gegenüber und maßen sich wie zwei alte, erprobte Feinde.

»Ich dachte nicht, daß der so nahe sei«, flüsterte Schkramprl Anton auf deutsch zu.

»Will der Herr unsere Tiere sehen?« fragte der getigerte Seehund mit einer Baßstimme, deren Tiefe einen furchtbaren Gegensatz zu Schkramprls gebrochenem Falsett bildete.

»Ich danke, nein!« erwiderte Anton, und nicht ohne Beziehung auf Herrin und Diener setzte er hinzu: »Ich habe genug gesehen.«

»Aber zum Teufel, was fällt Ihnen ein, Schkramprl?« rief er fast ärgerlich, wie sie nur erst wieder im Freien sich befanden, »wie können Sie mich in solcher Art bloßstellen? Der verdammte Schuft muß ja wirklich glauben, ich wollte mich zwischen ihn und seine – Gebieterin drängen.«

»Dacht' ich denn an ihn? Ich sah ihn nicht und meinte, er läge im Wirtshause, wo er den größten Teil seines Lebens versäuft. O, ich hasse ihn, souverainement! Er war auch Riese

»Man merkt es ihm an, und, es muß Sie nicht beleidigen, aber ich denke, wenn er sich zusammennehmen will, er kann einen gefährlichen Nebenbuhler für Sie abgeben!«

»Ah, bah! Hab' ich doch den Riesen längst beiseite gelegt! Furchtbar ist er mir nicht mehr. Ich hasse ihn aus allgemein menschlichen, moralischen Prinzipien. Es ist ein Untier. Dieses arme, alte, tolle Weib –«

»Toll?«

»Mannstoll, ja! Wird von ihm gemißhandelt und beraubt. Ohne ihn müßte sie reich sein, denn sie hat enormes Glück. Einigemal schon gänzlich auf dem Hunde (jedesmal durch sklavische Abhängigkeit von ihren Knechten, aus denen sie Günstlinge, folglich Herren macht), hat sie sich ebensooft wieder herausgerissen. Jetzt noch, auf ihre alten Tage ... stellen Sie sich vor, was ihr vor mehreren Jahren widerfährt: Sie war, Dank sei es dem unerschöpflichen Durste ihres jetzigen Gebieters, heruntergekommen bis auf einen räudigen Wolf, eine blinde Hyäne, einen Aasgeier, drei Stachelschweine und eine Meerkatze, gestehen Sie, man kann nicht tiefer sinken. Nur noch zwei Löwen besaß sie, eigentlich einen Löwen und eine Löwin, schöne Exemplare. Philipp braucht Geld. Das dumme Weib hat nichts mehr und willigt ein, die Löwen zu verkaufen. Philipp will das Paar dem seither verstorbenen König von *** zuführen, dem wilde Tiere die teuersten Untertanen waren. Zu diesem Endzweck läßt der Ochse einen Kasten bauen – einen für beide; diese Dummheit! – um sie leichter zu transportieren. Die verliebte alte Närrin hätte ihn nie wiedergesehen, so wenig wie ihre Löwen, wenn er einmal mit ihnen fort war; ihn so wenig, wie das Geld für die Löwen! Nun also, der Kasten ist fertig, man läßt die Löwen zusammen – und jetzt geben Sie Achtung auf dieses Glück: Wenn ein anderer ehrlicher Mensch so etwas gewagt hätte, würden sich die Katzen zerrissen haben. Nein, diese beiden werden zärtlich, – Philipp, trotz seiner Dummheit, wird stutzig, man gibt die Reise auf – man trennt das Paar wieder, damit kein Unheil geschehe ... was soll ich lange zögern: nach vier Monaten wirft die Löwin drei gesunde Junge, und Madame Mollia ist die erste Selbsterzeugerin lebendiger Löwen auf dem Kontinent.«

»Das hätte ich der Frau nicht zugetraut; auf Affen würde ich eher geraten haben.«

»Sie können denken, welche Einnahmen ihr das brachte! Jeder Mensch wollte die säugende Löwin mit ihren saugenden Kleinen gesehen haben! Seitdem hat sich das Ding wiederholt, sie haben schon wieder Junge von Jungen; sie versorgt alle Reisenden mit Löwen; sie setzt das Land unter Löwen, und all das versauft Philipp. Ihre Brillanten abgerechnet, die sie ihm noch so lange als möglich aus den Klauen zu halten sucht, ist sie arm, ist stets in Geldverlegenheiten, lebt vom Tage zum Tage. Aber mir ist gar nicht bange um sie. Sobald die Brillanten auch fort sind, wird die Natur irgend etwas Unerhörtes für sie tun. Der Geier wird sich mit der Hyäne paaren, und Madame Mollia wird den Vogel Greif besitzen, wird einen Dukaten Legegeld fordern; wird diesen Preis erhalten; wird Millionen einnehmen, und Philipp wird das Gold versaufen, wie er das Silber versoff; der Greif wird ihm durch den Schlund passieren wie die Löwen durchgingen. Ich sage, es gibt Menschen, die ihr Glück mit Füßen treten und es doch nicht vernichten können. Ich bin fest überzeugt, besäße die Mollia meine Zwerge, so wimmelte ihr Häuschen schon längst von Nachkommenschaft, und der kleine Däumling wäre kein Kindermärchen mehr –«

»Sehen Sie doch, Schkramprl, hier stehen wir an der Hütte des Elefanten! Ist es nicht eine Schande für ein ehemaliges Menageriemitglied, wie ich war, noch keinen Elefanten gesehen zu haben? Außer im orbis pictus, den unser Pastor besaß, der meine Kindheit mit fröhlichen Bildern schmückte, der auch einen Elefanten enthielt, – den ich damals, obwohl ich fünf Jahre zählte, nicht anders zu nennen vermochte als: ›der Elegant‹. Wie herzlich lachte dann meine Großmutter. Ich sehe das noch ...«

»Nicht sentimental, bester Antoine! In unserer Sphäre ist's nichts mit der Sentimentalität. Wenn Sie das Rüsseltier bewundern mögen, werde ich Sie an der Kasse präsentieren, damit Sie kein Geld auszugeben brauchen. Ich muß zu meiner Privatvorstellung; zwei Stunden sind herum. Les affaires avant tout


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