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Nicht die Zweifel am eigenen Talente, die durch des Meisters Äußerungen in ihm erregt worden, noch minder jene abschreckenden Warnungen gegen das Schauspielerleben im allgemeinen waren es, die Anton seinen kaum gefaßten Plan für einen schon wieder verworfenen, aufgegebenen betrachten ließen. Nein, des berühmten Schauspielers Persönlichkeit tat das meiste dazu. Diese hatte einen gewaltigen Eindruck auf ihn gemacht; er kam sich daneben klein, beschränkt, albern vor.
Man will behaupten, daß bevorzugte Naturen gerade beim Anblick des Größten die in ihnen liegenden Keime selbsteigener Größe am deutlichsten ahnen, und daß sie, weit entfernt, niedergeschlagen zu sein, dann erst recht mutig und zuversichtlich werden sollen. Des Coreggio stolzes: »anch' io!« gilt als Motto für diese Behauptung, die teilweise ihr Wahres haben mag; doch gewiß nur dann, wenn die bestimmt ausgesprochene Richtung für ein entschiedenes Talent sich schon so weit Bahn gemacht, daß diese mit einseitiger, ich will sagen, den ganzen Menschen in Anspruch nehmender Gewalt beherrscht und seinem offenkundigen Ziele zuführt. Wo das aber nicht der Fall ist, wo der Charakter über den Talenten steht, da wird sich gewiß das Gegenteil zeigen; da wird ein junger Mann, je tüchtiger sein Naturell organisiert ist, desto aufrichtiger an eigenen Fähigkeiten zweifelnd, das Außerordentliche anstaunen, ehrfurchtsvoll bewundern, ohne doch es zu beneiden. Ich gehe noch weiter. Ich spreche unumwunden den Glaubenssatz als den meinigen aus: Wer als junger Mann sich nicht willig, demütig, aus vollem Herzen vor Autorität zu beugen vermag, wer in Bewunderung derselben kein Glück empfindet, der –
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Die hier weggelassene, durch Striche angedeutete Stelle schien für unser aufgeklärtes Zeitalter gar nicht passend. Vielleicht fand sie Geltung in jenem finstern Jahrzehnt, wo dieser Roman sich bewegt! Anmerkung des Setzers.
Noch niemals, seitdem er vom zugeworfenen Grabe der Großmutter nach dem ausgestorbenen Häuschen heimgekehrt, hatte sich Anton so einsam und verlassen gefühlt wie jetzt. Und wo sollte er nun Trost suchen, an wessen gutem Rat und geistigem Beistand sich aufrichten? Ungeduldig zählte er die Stunden, ob nicht eine ihm seinen lieben Arzt bringen werde, damit er in dessen Busen ausschütten könne, was den seinigen erfülle. Vergebens. Der Arzt hielt ihn für gesund; – er blieb aus.
Gleichsam aus Trotz gegen seine eigene Torheit, die ihn durch eitle, nichtige Hoffnungen und Wünsche fürs Schauspielerleben getäuscht, begab er sich abends wiederum ins Theater, fest überzeugt, der Mann, der ihn so hart – und so liebevoll, beides, behandelt, werde in einer neuen Glorie vor ihm erscheinen. Es kann mir gar nicht schaden, meinte er, mir noch einmal zeigen zu lassen, wie tief die Kluft ist, die mich plumpen Handwerker vom großen Künstler trennt! Nur in flüchtigster Eile waren seine Augen über die Anschlagezettel geglitten, welche eine heroische Dichtung verkündigten. Gewiß wird er, sagte Anton zu sich, den ich als kleinen armen Juden verkannte, sich heut als königlicher Herr, als Held hervortun!
Das war ein Irrtum. Man führte eine große Oper auf, eine Oper mit Ballett, eines jener zusammengequälten erhabenen Werke, dem sein Erzeuger, nachdem er in der »Vestalin« und im »Cortez« sich ausgegeben und erschöpft, durch Glanz, äußerliche Pracht, betäubenden Lärm und alle möglichen wie unmöglichen Hilfsmittel zu verleihen suchte, was ihm doch fehlte.
Anton blieb kalt. Er konnte nicht einstimmen in die forcierte Bewunderung, die um ihn her laut wurde. Auch der Tanz langweilte ihn, weil die Tänzer und Tänzerinnen durch denselben nichts auszudrücken wußten, weil sie sich stets nur auf einem Beine drehten. Er verließ das Haus vor Beendigung des Spektakels. Da versteht es unsere Jartour besser, dachte er: ihre Pantomime ist ausdrucksvoller. Wenn sie auf ihrer winzig kleinen Bühne, denn ein Pferdesattel ist doch nicht groß zu nennen, irgend einen Charakter darstellt, wirkt sie deutlicher, spricht mehr durch ihre Gebärden aus wie jene Damen miteinander. Ja, die gute Jartour ...
Mit ihrem Bilde in der Seele betrat er sein Stübchen. Hier auf diesem Sessel hat sie Wache gehalten vor meinem Lager, hat für mich gesorgt, gedacht, gearbeitet, den Dienst einer Magd verrichtet; die liebevolle, unverdrossene Pflegerin. O, wie freue ich mich, sie wiederzusehen!
Eine wohltätige Wärme durchdrang sein Herz bei dem Gedanken an dieses Wiedersehen. Das Bewußtsein, von einem guten menschlichen Wesen geliebt zu werden, rein, uneigennützig, tat ihm so wohl.
Mag aus mir werden, was immer will, sagte er, eines kann mir niemand mehr nehmen: die Überzeugung, daß sie es redlich mit mir meint, daß ich also nicht ganz verlassen dastehe auf dieser Erde. Ich darf aber auch nicht unnütz zögern, mich wieder mit ihr zu vereinigen. Mein Herz braucht den Trost ihrer besänftigenden Gegenwart. Morgen erkläre ich's dem Arzte. Er muß mich ziehen lassen.
Der Arzt hatte nicht das geringste dagegen einzuwenden. »Sie hätten meinethalb schon mit ihr zugleich abreisen können. Sie sind vollkommen frisch und gesund. Daß ich Sie mit halben Worten zurückhielt, geschah, aufrichtig zu reden, nur um den Wünschen Ihrer Freundin zu begegnen, die mich bat, so zu reden, wie ich in den letzten Tagen geredet habe. Es war überhaupt reiner Unsinn, was ich von möglichen Rückfällen geschwatzt, wenn mich ein Kollega gehört, müßte er mich für verrückt gehalten haben. Wie gesagt, wir spielten falsches, wenn auch unschädliches Spiel gegen Sie. Und weil eine Frauensperson dies angab, die es so treu mit Ihnen meint, nahm ich keinen Anstand, mitzuspielen. Sie werden das begreiflich finden.«
»Sie wünschte, sie erbat das von Ihnen?« fragte Anton in bangem Erstaunen; »um Gottes willen, warum denn?«
»Wahrscheinlich zog sie vor, allein zu reisen. Warum? Ja, liebes Kind, wenn Sie das nicht besser wissen, als ich ... Vielleicht fand sie es unschicklich, mit Ihnen allein ... sie ist ein feines Mädchen, macht seltsamerweise einen Unterschied zwischen Kranken und Gesunden. Na, Ihr werdet schon ins klare kommen. Das sei Ihre Sorge.«
Der Arzt nahm Abschied und wollte gehen.
Anton entriß sich seinem düsteren Nachsinnen, worein die eben vernommene Äußerung ihn versetzt, und hielt seinen alten Gönner zurück, indem er ihm, dankend mit herzlichen Ausdrücken, das bereits zurechtgelegte Honorar in die Hand schob.
»Wie ist das gemeint?« fragte dieser. »Denken Sie, weil ich Ihnen entdeckt habe, daß ich zum Stamme Juda gehöre, Sie dürfen mich wie einen Juden behandeln? Sie, der nichts erwirbt, der Sie noch Eleve heißen – denn Adele hat mir vertraut, wie es um Sie steht – Sie wollen mir Gold zustecken? Herr, Ihnen soll ja das Donnerwetter ... Fort mit der Hand! Fort mit Ihren Füchsen in die eigene Tasche hinein! Werden das Zeug besser gebrauchen können! Ich bin ein alter Junggeselle, bin wohlhabend, praktiziere mehr aus Lust, und weil ich den Müßiggang hasse. Nehme nichts von Armen, nichts von Künstlern, die gewöhnlich arm sind, nichts von Landstreichern und solchem Vagabundengesindel. So, nun ist die Hand leer, nun gefällt sie mir besser, nun her damit! Nun glückliche Reise! Grüßen Sie mir das französische Mädel, die Adele! Halten Sie die treue Haut in Ehren: sie verdient es. Und schonen Sie, wo möglich, Ihre Knochen, Antoine! Schonen Sie sich und Ihre Kräfte! die Jugend währt nicht ewig! Gott mit Ihnen!« –
»Das ist dein Segen, Großmutter«, sagte Anton, als der Arzt ihn verlassen, »er ruht noch auf mir!«