Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunundfünfzigstes Kapitel

Ich werde meine Leser nicht belästigen durch Aufzählung größerer wie geringerer Orte, woselbst Kästners Rosse staunenden alten Jungfern durch graziöses Kopfnicken nahe bevorstehenden Hochzeitskuchen versprachen, oder durch Scharren ihrer Vorderfüße das Lebensalter jener Holden um etliche und zwanzig flüchtige Frühlinge zu niedrig taxierten; wo Kästners Hirsche als kühne Feuerwerker auftraten und Büchsen losbrannten, wie wenn sie Jäger wären, nicht Hirsche; wo seine Hasen sich selbst übertrafen vor der Trommel, dann durch Reifen sprangen und Schnupftücher apportierten, wie wenn sie Hunde wären, nicht Hasen; wo Anton in einer gleichfalls grünen Jagdpekesche die Tiere aus dem Stall in den Saal über die Stiegen hinauf und wieder hinab geleitete; ... es läßt sich weiter nichts Tröstliches sagen von diesem Sommer.

Daß jene aus Trümmern zusammengesetzte italienische Opernunternehmung, mit der die Carina nach Deutschland gezogen sein sollte, des Weges nicht gekommen, den Kästner mit seinen Tieren verfolgte, das bestätigte sich überall, wo Anton Nachfrage hielt; er ward endlich müde zu fragen wie zu hoffen. Er starb nach und nach für alles ab, worin ein Mensch in seinen Jahren etwa Freude sucht. Wie er bei Geronimo jenseit der Alpen ein sinnlich und erotisch wildes, doch nicht unpoetisches Leben geführt, so ging er jetzt als vollkommenstes Bild eines jungen Philisters neben seinem philisterhaftesten Urbilde einher. Zwei grüne Jagdpekeschen, eine dick und breit, die andere dünn und schlank; in der einen befand sich der Herr, in der anderen der Diener; aber Herr und Diener dienten nur einer Herrin, der lobenswertesten Prosa. Sie taten ihre Arbeit, nahmen mäßiges Geld ein, ließen Pferde, Hirsche, Hasen die alten Künste machen, erholten sich bei einem Glase Dünnbier, spielten unterweilen eine Partie langen Puff, gingen mit den Hühnern schlafen, und Anton Hahn lernte sogar aus einer langen, langen Tabakpfeife schmauchen.

O, wenn Laura ihn so gesehen! ...

Ja, wenn er sich nur selbst hätte sehen können, wie man einen dritten sieht! ... Welchen Effekt würde er auf sich selbst hervorgebracht haben!

Wohl sagte er bisweilen, wenn er die Gegenwart mit seiner Vergangenheit verglich: es kommt nur noch auf ein Jahr an, bis ich völlig verdumme; dann ist alles in Ordnung, und ich hege dann weiter keine Wünsche mehr und habe kein Bedürfnis; – höchstens etwa einen Hund. Es müßte aber ein solider Hund sein, wie ich.

Kästner zeigte sich um so zufriedener mit Anton, je ähnlicher sich dieser ihm zeigte. Sie führten ein friedfertiges, stilles, gähnendes Dasein miteinander. Auch bezahlte der Herr den Diener gut, – seinen Umständen gemäß. Weil aber die Umstände den Einnahmen gemäß gewöhnlich schlecht waren, so konnte auch die gute Bezahlung nur eine schlechte sein. Anton klagte nicht. Er hatte alles frei und erhielt bisweilen ein Stück Geld, wenn die Kasse erträglich gefüllt war. Dabei sparte er und legte einen Taler zum anderen.

Kästner sah das mit Vergnügen, belobte und ermunterte ihn, so fortzufahren, »Sie sind ein ordentlicher junger Mann«, sprach er oftmals zu ihm, »und wir passen zusammen, sehen Sie, und wer weiß was noch geschieht! Mit den Tieren wissen Sie gut umzugehen, haben Geduld dazu. Nächstens sollen Sie versuchen, selbst eine Vorstellung zu geben; ich kann mich auf Sie verlassen. Alt bin ich auch, vielleicht setze ich mich bald zur Ruhe. Ich habe ein kleines Haus mit Garten und Acker auf dem Lande, sehen Sie, nicht gar weit von E. Wir spielen uns jetzt immer näher darauf hin. Meine Tochter, mein einziges Kind, führt die Wirtschaft. Gefallen Sie ihr so gut, wie Sie dem Vater gefallen, – nu, sehen Sie, ich hätte nichts dagegen. Wie gesagt: wer weiß, was geschieht!«

Dieses »wer weiß, was geschieht!« ging durch häufige Wiederholung bei Anton in Fleisch und Blut über; es verwuchs mit ihm und seinem einförmigen Leben. Er gewöhnte sich an den Gedanken, ein derbes, einfaches Landmädchen wie seine Frau, sich wie den Besitzer eines freundlichen Hauses zu betrachten. Mit jeder Meile, die ihn den Kästnerschen Domänen zuführte, malte er sich die jugendliche Verwalterin hübscher und wünschenswerter aus. Daß sie Adelheid heiße, wie der Vater ihm vertraut, verlieh ihr aus der Ferne schon einen gewissen Zauber: wer hinderte ihn, eine Adelheid Adele zu nennen?

*

Wie beinahe für jeden Menschen gewisse Monate, ja Tage des Jahres in ihrer Wiederkehr niemals ohne Bedeutung bleiben, so scheint sich bei Anton der November hervorzutun, weil der Anfang desselben immer einen Wendepunkt seines Geschickes bezeichnet. In den ersten Tagen dieses Monats hatte unser Wanderer Liebenau verlassen; in den ersten Tagen des Novembers verbrannte die Menagerie der Simonelli; im November war es, wo Adele Jartour sich von ihm trennte; im November, wo Käthchens gefährliche Neigung ihn einsam und freudlos nach Paris trieb; im November, wo mit Theodor eine kühne Hoffnung für ihn begraben ward.

Und heute, da der verhängnisvolle Tag ihm seit der Trennung von Liebenau zum fünften Male wiederkehrt, heute hält er seinen Einzug in dem Gebirgsdörfchen, allwo sein Herr und Meister – vielleicht Schwiegervater – heimisch ist; wo Adelheid ihm entgegentreten soll; wo, wenn anders menschlichen Plänen und Voraussetzungen zu vertrauen wäre, sein ruhelos wandelbares Dasein nach und nach übergehen wird in friedfertige Einförmigkeit des auf kleiner Erdscholle vegetierenden Menschenlebens.

Ein solcher Übergang konnte nur durch Vermittlung der Tochter vom Hause stattfinden: nur wenn Kästners Wunsch in Erfüllung ging, wenn Anton Adelheids Gatte wurde, war ihm diese kleine Heimat beschieden. Darum auch dürfen wir ihn nicht schelten, daß er mit gespannter Ungeduld dem ersten Ersehen entgegenharrte. Über des »Kindes« Alter war der Vater bis jetzt ebenso stumm geblieben, als über ihre etwaigen persönlichen Vorzüge. Er hatte sich begnügt, ihre Wirtschaftsführung zu preisen, ihre Häuslichkeit zu schildern, die Strenge ihres Regiments in helles Licht zu stellen. Dadurch entstand in Antons Phantasie ein greller Umschlag. Aus dem derben, einfachen, doch hübschen und sanften Landmädchen, wie er sich's erst hatte träumen wollen, wuchs ihm durch des Vaters Schilderungen nach und nach ein robuster, besenschwingender Hausdrache auf, über die Jugendblüte weit hinaus; unerbittlich gegen Magd und Knecht, sparsam bis zum Geiz und mit einer Grenadierstimme versehen.

»Eine solche wird mich furchtbar pantoffeln«, dachte er.

Mag er nun für sich selbst weiter reden.

Einige Blätter aus Antons Tagebuch.

V. vom 3. November.

»Die Tiere sind glücklich untergebracht und wir auch. Der Herr hat sein großes Zimmer im Erdgeschoß bezogen, wo es von zahmen Waldvögeln wimmelt. Ich bewohne ein Giebelstübchen gegen Abend hinaus. Mein Fenster ist wie der Rahmen zu einem Gemälde, lauter Berge vor mir mit dunkelgrünen Tannen, wundervoll! Das andere Giebelstübchen, gegen Morgen gelegen, bewohnt die Adelheid.

Aber da hab' ich mich einmal geirrt, wie ich mir im voraus eine Idee von ihr gemacht. Nichts trifft zu, außer der gesunden Gesichtsfarbe. Sie ist mehr klein als groß; mehr schlank als dick; mehr zart als plump. Ein artiges, natürliches Ding und recht hübsch. Höchstens neunzehn Jahre. Es ist erstaunlich, wie ein solches Mädchen das ganze Wesen so gut in Ordnung erhält. Sie könnte mir wohl gefallen, wenn ich ihr zufällig irgendwo begegnete, ohne sonst von ihr zu wissen. Jetzt ist sie mir gleichgültig und wird es mir auch bleiben, fürchte ich, bloß weil ich weiß, daß ihr Vater sie mir zur Frau bestimmt. Der Gedanke, daß ich ihr Ehemann werden soll, stellt sich zwischen sie und mich wie der große Schornstein, der aus der Küche herauf durchs Dach fährt, zwischen unseren beiden Giebelstübchen steht.

Wenn sie mir nur nicht gar zu zärtlich entgegenkommt! Das könnte mich in schreckliche Verlegenheit setzen. Solch ein armes Mädel vom Lande, das doch einen Anflug von Bildung besitzt oder wenigstens eine Ahnung, wie es außer den Bengeln in ihrem Dorfe noch andere junge Männer auf Erden gibt, muß natürlich einen, der aus der Fremde kommt und einen anderen Zuschnitt hat, mit verliebten Augen ansehen.

Sie soll mir nur Zeit lassen. Es kann sich meinetwegen alles finden, wenn nun einmal über mich verhängt ist, hier mein Leben zu beschließen.

Erst muß ich mich akklimatisieren.«

 

Vom 6. November.

»Es ist fürchterlich langweilig hier in dem lieben V. Bei schlechtem Wetter wie heute ist's gar aus!

Papa Kästner will mich durchaus zum Abrichten der Tiere abrichten. Nicht zufrieden, daß ich bereits gelernt habe, seine Schüler bei öffentlichem Examen mit Glanz vorzuführen, verlangt er auch, ich soll begreifen, wie man die Langohren unterrichtet. Den drei jungen Hasen, die er als künftigen Ersatz zur Auswahl aufgenommen für jenen beim Umsturz im Walde von der Kiste erschlagenen, – welcher letztere, nebenbei gesagt, sich sehr zäh verspeiste, da wir ihn braten ließen, – diene ich gewissermaßen als Hauslehrer oder, wie man bei uns zu Lande sagt, ›Hofemeister‹. Es sind bornierte Köpfe.

Adelheid geht um mich herum wie die Katze um den heißen Brei. Bis jetzt wagte sie noch kaum, mich anzusprechen. Gott sei Dank!«

 

Vom 8. November.

»Endlich habe ich eine Geige aufgetrieben; sie ist zwar nicht viel wert, aber sie klingt doch.

Es regnet unaufhörlich. Jetzt wünschte ich den Waldweg zu passieren, wo ich Papa Kästner kennen lernte, aber zu Nachen.

Wenn nur erst Schnee kommen möchte. Die Berge mit ihren hohen Tannen müssen im Winterschmuck herrlich sein!

Heute früh ist ein Hirschkalb eingebracht worden, das den Studien gewidmet werden soll; stellt sich noch sehr ungebärdig an.«

 

Vom 13. November.

»Herr Kästner ist verdrießlich. Wenn ich frage, was ihm fehlt, so schiebt er alle Schuld auf das Hirschkalb, das nicht begreifen will. Im ganzen bin ich zufrieden mit seiner üblen Laune, denn sie verhindert ihn, zutraulich mit mir zu schwatzen und das gewisse Projekt in Anregung zu bringen. Je weiter sich die Sache hinausschiebt, desto angenehmer ist es mir.«

 

Vom 18. November.

»Nun hätten mir ja den lieben Winter: ellenhoch liegt der Schnee. Es sieht wunderhübsch aus. Doch mit dem Anblick muß ich mich auch zufriedenstellen. Von Spazierengehen ist keine Rede mehr. Man versinkt bis über die Hüften.

Wer jetzt seine Bücher noch hätte! Die Zeit wird mir mitunter sehr lang!«

 

Vom 19. November.

»Die Adelheid ist eigentlich ein recht hübsches Mädchen. Wenn sie nur nicht für mich bestimmt wäre und ich für sie; das raubt ihr in meinen Augen viel von ihren Reizen.

Und daß sie weiß, daß ich weiß, der Vater will sie mir geben, darin liegt die Prosa des Verhältnisses. Sie selbst, so sehr sie wünschen mag unter die Haube zu kommen, hält es gar nicht erst der Mühe wert, einen Liebeshandel anzuspinnen. Die Gewißheit, wie es werden wird, läßt auch sie ruhig erscheinen. Denn daß der Alte ihr seinen Plan eröffnet hat, leidet keinen Zweifel. Ich entnehme das aus einzelnen Worten, die beiden gelegentlich entschlüpfen, wenn sie sich unbeachtet glauben.

Die Ackerwirtschaft ist recht hübsch.

Am Ende, wenn Papa sich zur Ruhe setzt, künftig daheim bleibt und mich alljährlich mit den Tieren auf einen Ausflug entläßt, kann ich mir die Heirat gefallen lassen. Ich verbauere dann doch nicht ganz und gar, sehe immer wieder die große Welt, erlebe mancherlei und halte nachher wieder ein Weilchen bei meiner kleinen Frau Gemahlin aus.

Es ist halt ein Leben wie ein anderes. Aber Bücher muß ich mitbringen, wenn ich künftig zurückkehre.«

 

Vom 28. November.

»Ich bin, bei Lichte betrachtet, ein rechter Narr! Da langweile ich mich nun, wie sich nur meine Hasen in ihrem dunklen Verschlage langweilen können, und tue doch nichts dafür, etwas Leben in diese Einförmigkeit zu bringen, wozu ich doch die schönste Gelegenheit zur Hand hätte! Ein Mädel wie Adelheid geht stündlich um mich herum, wohnt mir gegenüber, Tür an Tür, – den alten Schornstein beiseite gesetzt – und ich weiche ihr aus. Warum? Weil ihr Vater mir gesagt hat, daß ich seiner Tochter Ehemann werden soll.

Ist das ein vernünftiger Grund? Werde ich nicht Zeit genug haben, mich gesetzlich zu langweilen, wenn ich in Wahrheit verheiratet bin? Und wäre es nicht gescheiter, die Gegenwart zu benutzen, ohne an die Zukunft zu denken? Eine Liebschaft hinter dem Rücken des Vaters anfangen, mich ihr nähern und sie vertraulich machen, ohne vom Ehestand zu reden; den Liebhaber spielen, wie wenn ich von meinen Berechtigungen keine Ahnung hätte, und so gewissermaßen wie mein eigener Nebenbuhler auftreten? – Das müßte doch eine kleine Unterhaltung gewähren. Das Mädchen verlangt es nicht besser; man sieht's ihr an. Sie wirft mir häufig verstohlene Blicke zu, die deutlich sagen: wenn mit dir nur zu sprechen wäre, ich möchte dir allerlei eröffnen.

Sie muß mich für einen rechten Stock halten, ohne Augen, ohne Gefühl.

Auch täusche ich mich gewiß nicht, wenn ich annehme, der Alte will nichts Entschiedenes tun, bis ich nicht durch die erste Reise, die er mich allein unternehmen läßt, meine Brauchbarkeit fürs Geschäft an den Tag gelegt habe. Eher wird er nicht Ernst machen mit der Verlobung, das sehe ich schon.

Nun, desto besser. So bleibt mir ja Zeit genug für einen kleinen Roman. Morgen fange ich an, ihn zu spielen.«

 

Vom 25. November.

»Sie hat's gemerkt! Ihre Augen wurden noch einmal so groß, da ich sie im Vorübergehen auf der Treppe ansprach und sie fragte, wann wir ein trauliches Viertelstündchen verplaudern könnten. Erwidert hat sie nichts. Mein Roman hat begonnen.«

 

Vom 26. November.

»Das ist seltsam. Sie weicht mir aus mit einer Gewandtheit, die der geübtesten Kokette jeder großen Stadt Ehre machen würde.

Wo das die Frauenzimmer lernen? Die Kunst muß mit ihnen geboren werden. Ich wollte, es wäre mit meinen Hasen auch so.

Übrigens hat sie recht. Wenn sie mich anspornen und in Feuer bringen will, schlägt sie den klügsten Weg ein. Jetzt interessiert sie mich schon ein wenig.«

 

Vom 27. November.

»Ah, par exemple, das ist zu stark! Heute beim Essen schiebe ich meinen Fuß in die Nähe des ihrigen und drücke ganz bescheiden und sanft dagegen; da ruft sie laut: »Ist der häßliche Kettenhund schon wieder im Zimmer? Will er gleich hinaus!«

In demselben Augenblicke heulte Karo draußen und rasselte mit der Kette an seiner Hütte. Papa Kästner sagte zu ihr: ›Du bist wohl gar unklug?‹

Solch eine Kröte!

Na warte, Mädel, du sollst mir's büßen!«

 

Vom 29. November.

»Ich habe sie glücklich allein erwischt, wo sie dem Geflügel Futter streute. Ich machte ihr einen spöttischen Vorwurf, daß sie mich mit dem Hunde habe verwechseln wollen. Sie hob den Blick bittend zu mir auf und seufzte: ›Ach, wenn ich reden dürfte!‹ Die dumme Magd störte uns.

Aber du sollst nicht vergebens geseufzt haben, kleine Adelheid. Du sollst reden dürfen, und ich will dich hören und erhören.«

 

Vom 30. November.

»Sie wehrt sich gegen die Liebe wie ein Sterbender gegen den Tod. Hilft doch nichts, mein Täubchen, zapple, wie du willst, der Aar wird dich bald in seinen Krallen halten. Und tröste dich, sie sind nicht rauh und scharf, diese Krallen, du sollst nur Gutes und Liebes von ihnen erdulden.

Ich bin entschlossen. Heute abend, wenn alles schläft, schleiche ich mich um den Schornstein herum und zu ihr hinüber.«

 

Vom 1. Dezember.

»Das konnte ich freilich nicht wissen, daß sie sich von innen verriegelt. Darauf wäre ich in hundert Jahren nicht gekommen.

Ob sie das schon zu tun pflegte, ehe Papa Kästner mich mitbrachte? Ich wette, nein. Warum hätte sie's tun, vor wem sich verwahren sollen? Nur meinetwegen kann es geschehen. Sie vermutete also meinen Besuch? Sie setzte folglich schon voraus, daß sie etwas von mir zu fürchten hat? Und diese Voraussetzung zeigt am deutlichsten, wie es mit ihr steht. Denn man sucht niemand hinter einer Tür, wenn man nicht Lust empfindet, sich selbst dahinter zu verstecken. Bei all dem war's nicht angenehm, wieder umkehren zu müssen. Laut zu pochen durft' ich doch nicht wagen. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen.«

 

Vom 2. Dezember.

»Nicht möglich, mit ihr zu sprechen ohne Zeugen. Beim Abendessen faßte ich mir ein Herz, in Vaters Gegenwart zu fragen, ob sie immer bei verschlossener Tür schlafe.

Der Alte tat, als hörte er's nicht.

Sie erwiderte, das wisse sie selbst nicht; manchmal riegle sie sich ein, manchmal nicht, wie's ihr nun gerade einfiele. Jetzt bin ich doch neugierig, was ihr heute beim Schlafengehen einfallen wird. Der Alte weiß nicht, woran er mit uns beiden ist. Er glaubt, ich mag das Mädchen nicht; das macht ihn ärgerlich.«

 

Vom 3. Dezember.

»Solche Nacht gönne ich keinem Spitzbuben! Adelheid hat sich abermals eingesperrt, und ich war so fest überzeugt, sie würde mich nun einlassen. So fest, daß es mich fast verdroß, wieder abziehen zu müssen. Ich klopfte sogar, fragte, ob sie schon schliefe, und erhielt keine Antwort. Da fuhr ich wütend zurück und quälte mich dann in meinem Bette ab, ohne eine Stunde zu schlafen. Das Mädel ist doch dumm. Wenn sie darauf ausgeht, mich um so sicherer zum Heiraten zu bringen, sollte sie sich nicht so spröde anstellen. Im Gegenteil, wollte sie sich gar nicht zieren und sich zeigen, wie's ihr ums Herz ist, hingebend, ohne alle Sperenzien, dann würde ich's vielleicht hernach für meine Pflicht halten, sie zum Altar zu führen. Jetzt mag sie sich eiserne Türen vor ihr Schlafgemach schmieden lassen und Schlösser daran legen, wie vor eine fürstliche Landeshauptkasse, ich belästige sie nicht mehr. Ich rede auch nicht mehr mit ihr und tue überhaupt gar nicht, als ob ich wüßte, daß sie ein Frauenzimmer ist.

Mag sie's haben!

Was verdirbt sie mir meinen Roman!«

 

Vom 6. Dezember.

»Sie möchte fürs Leben gern, daß ich wieder mit ihr spräche, mich ihr näherte. Man sieht's ihr an, sie lauert nur darauf. Aber da kann sie lange lauern. Nicht eine Silbe.

Der Alte tut auch den Mund nicht auf. Wir drei führen eine lebhafte Unterhaltung. Heute den ganzen Tag haben mir nichts gesprochen. Ich glaube, unsere Hasen reden mehr zusammen.«

 

Vom 7. Dezember.

»Jetzt eben hat sie ihre Tür ins Schloß fallen lassen, wie mit Absicht, daß ich's hören sollte.

Wahrscheinlich wünscht sie, ich möchte wieder anpochen und etwa um Einlaß flehen, wie ein kleiner Junge, den die Mama hinausgeworfen. Nichts da, Jungfer Adelheid, du Gans!«

 

Vom 8. Dezember.

»Wenn ich nur wüßte, was sie immer noch in ihrer Stube treibt, nachdem sie sich eingeriegelt, eingehäkelt, eingekettelt, eingeschlossen hat. Das dauert manchmal noch eine volle Stunde, wo ich bis herüber sie höre Stühle schieben, Tische rücken. Ich muß sie doch belauschen. Morgen früh, sobald sie hinabgegangen ist in ihre Wirtschaft, werde ich einen Bohrer nehmen und mir ein Guckloch einrichten. Nur daß die Zeit vergeht. Schlafen kann ich ohnedies nicht.«

 

Vom 9. Dezember.

»Das Observationsloch ist gut geraten; ich kann ihr Stübchen übersehen. Ich habe es mit einem Stückchen Holz verstopft von derselben Farbe wie die Tür. Heute abend wird's benutzt.«

 

Vom 10. Dezember.

»Das muß man ihr lassen, reinlich ist sie. Treibt die ein Waschen und Baden! Und bei der Kälte! Ganze Fluten schwemmt sie über sich.

Sie erinnerte mich an Zaras Seekalb, wie ihr die Augen funkelten und die Haare trieften. Nur daß jenes nicht so weiße Haut hat und nicht so schön gebaut ist.

Es gibt Frauenzimmer, die erst recht schön werden durch Putz und Kleidung; bei Adelheid ist das umgekehrt.

Es war ein reizender Anblick!

Hätte mich nicht so furchtbar an die Füße gefroren, wäre er mir noch schöner gewesen. Aber ich konnte doch nicht anders hinüberschleichen, als auf den Strümpfen, sonst hätte sie mich ja kommen hören.«

 

Vom 11. Dezember.

»Der Teufel selbst hat mir geraten, das Loch zu bohren. Nun habe ich gar keinen Schlaf mehr und keine Ruhe. Mag ich die Augen schließen wie ich will, – immer sehe ich sie, wenn ihr das Wasser über den Nacken rinnt ...«

 

Vom 18. Dezember.

»Liegt es an meinem schlechten Gewissen, – denn unrecht bleibt es, das muß ich selbst gestehen, ein Mädchen im Schlafgemach also zu belauschen, – oder liegt es daran, daß ihre körperlichen Vorzüge mir gefährlich zu werden anfangen – ich empfinde neben dem Groll, der mich bisher gegen sie schweigen ließ, jetzt auch einige Verlegenheit. Je mehr sie meine Phantasie des Abends und bei Nacht beschäftigt, desto mehr suche ich ihr den Tag über auszuweichen. Übrigens kann das nicht so fortdauern und ein Ende muß gemacht werden. Das einfachste und leichteste wäre allerdings, daß ich mich erklärte; daß ich dem Vater eröffnete: Ich will Ihren Wunsch erfüllen. Damit wäre auch der Adelheid geholfen, die nicht weiß, wie sie sich drehen und winden soll, um ihre Liebe zu beherrschen. Sie seufzt manchmal so aus dem Tiefsten heraus, daß ich förmlich erschrecke; dann wird sie's gewahr und erschrickt auch; und dann macht sie sich im Stalle oder sonstwo zu schaffen, daß sie mir nur aus den Augen kommt. Der Vater wartet nur auf mein erstes Wort; er ist zu zartfühlend, sie mir wiederholt anzutragen. Ich sehe deutlich, wie er oft gern reden möchte und es wieder hinunterschluckt.

Ja, was soll ich tun? Soll ich ... Nein, das wäre Feigheit, sich hinter einen Geistlichen und hinter den heiligen Ehestand zu verkriechen, weil man auf eigene Hand nicht gleich vom Fleck gekommen ist. Wegen eines Nachtriegels an einer Schlafkammertür werde ich mir doch nicht die Schmach antun, das bißchen Poesie, das mir noch blüht, ehe ich in die ewige Prosa hineintrete, spurlos verduften zu lassen! Zum Heiraten ist noch immer Zeit! Erst muß sie mir sagen, wie heiß ihre Liebe zu mir ist, ohne daß der Backofen geheizt wird für Hochzeitskuchen.

Haben mir's doch ganz andere gesagt?!

Solch ein albernes Dorfding!«

 

Vom 20. Dezember.

»Ich halte es nicht mehr aus! Wozu mich vor mir selbst verstellen? Auf diese Blätter habe ich alles geschrieben, was in und mit mir vorgegangen ist, seitdem ich denken kann. Wäre es doch kindisch, wenn ich mich diesmal verleugnen wollte.

So mag es denn hier stehen; ich bin in meinen eigenen Schlingen gefangen; ich bin verliebt in den kleinen Satan. Ich liebe sie nicht, aber ich bin wahnsinnig verliebt. Ich bebe vor dem Gedanken, daß ich ihr Ehemann sein werde – daß ich überhaupt ein Ehemann werden soll, – und doch denke ich nichts anderes, wie sie, und könnte die ganze Nacht vor ihrer Türe frösteln und klappern, – wenn sie nicht im Finstern zu Bett ginge.

Seit acht Tagen bin ich willens, mich vor Schlafenszeit in ihr Zimmer zu schleichen, damit sie mich schon darin finde, wenn sie die Pforte vor mir verschließen will, ... doch es ist, als erriete sie meine Absichten; denn sie verliert sich allabendlich so schlau und rasch aus Vaters Wohnzimmer, während ich noch bei ihm sitze, daß ich ohne Gewalt nicht vermag, ihr den Vorrang abzugewinnen. Eile ich dann hinauf, so höre ich sie – so lange ich noch auf der Treppe bin – oben den Riegel schon vorschieben. Der verfluchte Riegel! Der soll mich am längsten verdrossen haben.«

 

Vom 21. Dezember.

»Heute wird Nachtriegel und alles, was Eisenwerk an ihrer Tür heißt, vernichtet; so zwar, daß sie nicht mehr kapabel ist, sich einzusperren. Dem Schlüssel drehe ich im Schlosse den Bart ab. Mag sie dann Kasten und Tische vorschieben, – die müssen meiner Gewalt weichen.

Während sie das Abendbrot bereitet, gehe ich ans Werk. Geschehe dann, was wolle!

Ich schwöre mir's: Heute oder nie!«

 

Vom 22. Dezember.

»Pfui, der Schande! –

Damit die Schande vollkommen und mir zugleich eine Lehre sei fürs künftige Leben, will ich zur Strafe meiner dummen Jungeneitelkeit wörtlich niederschreiben, was mir widerfahren ist. Wahr und aufrichtig.

Nachdem ich gestern, während sie in der Küche schaffte, meinen Plan ausgeführt, den Stubenschlüssel im Schlosse zerbrochen, den Nachtriegel abgezwickt, das kleine Vorlegekettchen ausgerissen, begab ich mich zum Essen hinunter, doch ohne viel Appetit. So lange wir bei Tische saßen, verschlang ich nur sie – mit den Augen; mochte keinen anderen Bissen; dachte nur, wie ich bei ihr eindringen wollte.

Sie räumte ab, wie gewöhnlich; sagte dem Vater gute Nacht, wie gewöhnlich; ging zur Ruhe, wie gewöhnlich.

Kaum konnte sie nach meiner Berechnung in ihrem Zimmer sein, als ich desgleichen aufbrach.

Wie mir das Herz schlug in Erwartung die kleine Treppe hinauf.

Weil ich ihr Zeit lassen wollte, sich erst auszukleiden, schielte ich nur seitwärts nach ihrer Stubentür und trat in die meinige, um dort zu harren.

Wer saß da schon, lebendig und leibhaftig?

Sie! Sie selbst! Adelheid!

Ich wußte gar nicht, was das bedeute! Doch sie ließ mich nicht im Zweifel; sie sprach mich an:

›Ihr habt das Schloß an meiner Tür verdorben, wahrscheinlich, weil Ihr mehrere Male vergeblich daran gerüttelt habt, um einzudringen. Schade um das Schloß. Wenn Ihr unter vier Augen mit mir zu reden wünschtet, durftet Ihr's nur sagen; ich habe ja mit Euch zu reden. Eure Schuld allein, daß es nicht schon längst geschehen. Jetzt bin ich hier; nun könnt Ihr sprechen.‹

Die Seelenruhe des Mädchens machte mich irre. Ich stotterte etwas von getäuschter Hoffnung, von Überraschung in ihrem Gemach, von einsamem Lager, von zärtlichem Besuche und so dergleichen, brachte jedoch nichts Rechtes zustande, weil sie mich dabei ansah, wie Papa Kästner seinen jüngsten Hirsch, wenn der nicht Achtung gibt beim Leinen, und wenn die Reitpeitsche schon wackelt.

Sie ließ mich ausstottern und fing hierauf wieder an: ›Ich dachte mir's beinahe, daß Ihr eine solche Unverschämtheit im Sinne habt, darum bin ich lieber gleich herübergekommen, statt mich niederzulegen. Sagt mir nur, was Euch einfällt? Ehe ein junger Bursche ein Mädel bei Nacht besucht, muß er doch sicher sein, ob sie seinen Besuch haben will? Und daß ich Euch nicht will, wüßtet Ihr seit Eurem ersten Tritt ins Haus, wenn Ihr nicht ein eitler Geck wäret, wie sie wahrscheinlich draußen hundertweise umherlaufen. Bei uns werden sie ausgelacht. Der Vater hat mir's kundgegeben, daß er Euch meine Hand sozusagen versprochen. Ich habs dem Vater darauf erklärt, daß ich Euch nicht mag. Er wollte Euch das nicht selbst eröffnen, wollte sein Wort nicht zurücknehmen; wir haben uns fast erzürnt Euretwegen, er und ich, Ihr seid der Stein des Anstoßes im Hause. Zu Anfang dachte ich, Ihr werdet mit Euch reden lassen, bemühte mich, freundlich zu sein, die gute Stunde abzuwarten, – Ihr habt's falsch verstanden in Eurer hochmütigen Einbildung. Nun möchtet Ihr mir gar Gewalt antun? Ich will Euch etwas sagen: Könnt Ihr meinen Vater etwa noch beschwatzen mit Euren schönen Redensarten, daß er mich zwingt, Euch zu heiraten, und muß ich, – nun gut, so muß ich. In die Kirche mögt Ihr mich schleppen, das weiß ich nicht. Und ein Ja fährt mir vielleicht auch heraus, wenn mich der Vater ins Genick schlägt. Aber in mein Bett kommt Ihr nicht, Mosje Anton, weder nachher, noch vorher. Eher zerkratze ich Euch das glatte Gesicht mit den Nägeln und reiße Euch die frechen Augen aus dem Kopfe. Ich bin kein schwächliches Stadtfräulein; ich bin ein handfestes Weibsbild. Mich übertölpelt Ihr nicht; ich weiß, um was es sich handelt. Es wäre auch eben nicht das erstemal, daß ich zur Nacht Besuch gehabt; nur der Rechte muß es sein. Damit Ihr's wißt, des Försters ältester Sohn, der Wilhelm, ist mein Liebster und kommt zu mir in die Heirat, wenn der Vater verreist. Der ist mir der Rechte. Ein schmucker Bursche aus unseren Bergen, nicht ein Herumstreicher aus fremden Landen, der meinem leichtgläubigen Vater vorfaselt und fabelt. Also laßt Euch Euer Gelüsten vergehen. Denn der Wilhelm versteht auch keinen Spaß nicht. Und nun mögt Ihr's unten klatschen, das vom Wilhelm! 's ist mir auch nichts drum. Ich gehe schlafen. Laßt Ihr Euch bei meiner Tür spüren, so mache ich Lärm, und Gott sei Euch gnädig!‹

Darauf begab sie sich sonder Hast und Eile, auch ohne Zorn und Heftigkeit zu verraten, nach ihrem Schlafzimmer, und ich blieb in einem Zustande zurück, den Worte nicht schildern können. Wut, Beschämung, ... mir war, als hätte ich auf öffentlichem Markte die Rute bekommen. Stundenlang saß ich, ohne mich zu regen. Erst der Frost trieb mich ins Bett. Spät, mit dem späten klaren Wintertage suchte ich mich zu ermannen.

Ich wartete beim Frühmahl, bis Adelheid – die sich übrigens benahm, wie wenn zwischen uns nichts vorgefallen wäre, – des Vaters Wohnzimmer verlassen. Dann ergriff ich das Wort, nicht ohne Besorgnis, der Alte würde aufbrausen über mein Bestreben, vermitteln zu wollen. Denn dieses Amt hatte ich mir aufgebürdet, eine Buße für meine Schuld.

Doch da sollte ich, um gründlich geheilt zu werden, die zweite Beschämung erleben. Mit sichtbarer Freude nahm der Schwiegervater die Entsagung seines Eidams auf:

›Ich hatte mich voreiligerweise verpflichtet, sehen Sie, und wußte nicht, wie ich mich zurückziehen sollte. Darum war ich die Zeit über so mürrisch, sehen Sie. Denn das Mädel ist unterdessen einig geworden mit Försters Wilhelm, sehen Sie; also das paßte nicht. Jetzund geben Sie mir mein Wort gutwillig zurück, und eine größere Freude konnten Sie mir zum Feste nicht machen. Da werden wir den Wilhelm und seinen Vater gleich einladen, und kann zum heiligen Abend Verlobung sein, sehen Sie.‹

Ich billigte diese Entschließung. Zugleich sprach ich die meinige aus, morgen früh den Dienst des Herrn Kästner zu verlassen. Meine Kündigung wurde angenommen.

Jetzt will ich mein Ränzel packen und morgen ...«


 << zurück weiter >>