Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ich erlasse meinen Lesern großmütig das unvermeidliche Deklamatorium. Hat sich Anton doch auch die größere Hälfte desselben geschenkt und noch vor Tagesanbruch mit neugestärkten Kräften, aber nichtsdestoweniger vorsichtig und langsam gehend, seine letzte Tagereise nach der Heimat angetreten.
Er berührte jetzt bei der Wiederkehr die Grenzen des Liebenauer Forstes nicht von der Seite des Fuchswinkels, wo er ausgegangen, vielmehr bog er in jenen Fußpfad ein, der mit der Straße zur Hauptstadt in Verbindung steht. Dort hatte Onkel Nasus ein Jahr vor Antons Flucht kleine Birken anpflanzen lassen. Die jungen Stämmchen, die man zeitig abgeschnitten, waren bereits in dicke Gesträuche umgewandelt, die voll belaubt den großen Hau mit lächelndem Grün bedeckten. Unzählige Finken sangen dort ihr Morgenlied. Über die Schonung hinaus drehte bei sanftem Wind die alte, wohlbekannte Mühle ihre breiten Flügel. Der Müller steckte den weißbestaubten Kopf zum Guckloche heraus. Von dem Flecke, wo Anton dies sah, ist noch ein halbes Stündchen bis ans Dorf. Es war ihm unmöglich, dieses kurze Stück Weges jetzt gleich zurückzulegen. Seine innere Bewegung überwältigte ihn. Er setzte sich an den Rand des Grabens, der die Birkenschonung von einem Stück Brachfeld trennte. Über dieses kamen Schafe gezogen, hinter ihnen Schäfer und Hunde. Der Schäferknecht mit seinem langen, blassen Gesicht und den weißlich blonden Locken konnte kein anderer sein als des alten Schäfers jüngster Sohn Gottlieb, einst Gottliebel genannt, ein Gespiele aus der Kinderzeit. Er grüßte Anton wie einen Fremden und ging vorüber; die Hunde knurrten, und Gottlieb mußte sie beschwichtigen.
»Es wird mich niemand mehr erkennen, im ganzen Dorfe nicht«, seufzte Anton, »so wenig wie Schäfers Gottliebel. Meine Großmutter, die würde mich erkennen, aber die ist begraben. Es ist auch freilich bald sieben Jahre her, daß ich fortlief, – sieben Jahre! – Mir kommt's vor, als wenn es siebzig wären, so vielerlei ist mir begegnet, daß ich es gar nicht durchdenken kann, ohne schwindlig zu werden; wenigstens heute nicht. Und dann wieder, wenn ich nach dem Dorfe schaue, nach dem Kirchturm, da ist mir wieder, als wären's kaum sieben Jahre, daß ich abwesend war. Zuletzt läuft alles auf eins hinaus, und wenn der Mensch erst tot ist, machen siebzig Jahre nicht mehr aus wie siebzig Minuten, sechzig auf die Stunde gerechnet. Wie gesagt, zuletzt läuft alles auf eins hinaus und ist alles nur Einbildung: Freude und Schmerz, Glück und Elend, Trennung und Wiedersehen. Die ganze Geschichte ist nicht wert, daß man sich plagt, abängstigt, betrübt. Was war's nur, daß ich mir damals einbildete, hier könnte ich's nicht länger aushalten, ich müßte die Welt, müßte das Leben kennen lernen. Was war's anders als Einbildung? Jetzt habe ich die Welt gesehen, Menschen und Leben gesehen, und bin ich nun glücklicher? Da sitze ich wieder, von wo ich ausging, um nichts klüger ... ei ja, klüger doch! Wohl, wohl um vieles klüger. Oder ist es nicht schon ein Zeichen zunehmender Klugheit, daß in demselben Augenblicke, wo ich ›die Birken‹ betrat, eine Stimme in meinem Herzen wach wurde, die mir meiner Großmutter Worte ins Gedächtnis rief:
›Auf daß du friedlich lebest und dereinst in Frieden sterbest. Alles andere ist dummes Zeug.‹
Diese Worte, an denen ich zweifelte, deren Sinn ich nicht zu begreifen vermochte, wenn die alte Frau sie mir predigte, tönen mir heute an dieser Stelle wie ein Evangelium der Huld, des Trostes. Ich verstehe jetzt, was sie damit meinte, und dies Verständnis habe ich mir draußen erst errungen, folglich bin ich klüger geworden, es ist keine Frage, folglich wäre ich nicht vergebens gewandert; folglich werde ich und muß ich jetzt aushalten in der beschränkten, niedrigen Zukunft, die vor mir liegt. Und darum denn nicht lange getrödelt! Auf, Anton! Dort hinein, wo sich das Dorf wie in einen Zipfel nach dem Walde verliert; dort hinüber, am Ziegelofen vorbei, liegt dein Erbteil, dein Häuschen, dein Garten, vorwärts, und ohne Murren!«
Er erhob sich, den letzten schweren Gang zu tun. Da er sich dem Gartenzaun näherte, war es ihm, als schlüpfte jemand, vor ihm sich verbergend, durch die Stachelbeersträuche des Nachbars, und er glaubte Peterl zu erkennen, dem er die Ohren hatte abreißen wollen, was er aber jetzt vergaß und den Jungen laufen ließ.
Er stand vor seiner Großmutter Haus, vor der offenen Hintertür, die nach dem sauber gehaltenen Gärtchen führte. In diesem hatte sich gar nichts verändert, außer daß die jüngeren Bäume mächtig gewachsen waren. Er trat in den kleinen Hausflur, wo er jeden Nagel, jedes Brett wiedererkannte. Alles war still. Er schritt bis an die Stubentür, er klopfte schüchtern an ... es durchrieselte ihn so etwas wie eine Erinnerung, daß die braune Bärbel erzählt hatte, Fräulein Ottilie bewohnte sein Haus als Mieterin. Nun lauschte er auf ihr »Herein!«, doch ließ sich nichts vernehmen. Er öffnete in Gottes Namen. Da war keine Seele im Zimmer. Bett, Schränke, Stühle, Geschirr standen wie bei der Großmutter Tode. Er wagte sich bis in seine Kammer. Sein Handwerkszeug lag in schönster Ordnung, der letzte Korb, den er begonnen, stand unvollendet, wie er ihn gelassen. Auf einem kleinen Tischchen unter dem Fenster der Käfig, den er für seine Turteltaube geflochten, worin er das zahme Tierchen aufs Schloß getragen. Die Taube saß darin. Er öffnete den Käfig, um sie zu streicheln, sie war leblos, war tot, ausgestopft, auf ihre Stange festgenagelt. Oben am Käfig, von einem blauen Bändchen umschlungen, hing das Blatt mit seinen Abschiedsversen. Kein Zweifel, Ottilie bewohnte noch dieses Haus. Sie war ihm und seinem Andenken treu geblieben; diese Überzeugung sprach ihn aus jedem Winkelchen der niederen Räume an. Aber er ... hatte er wohl seit Lauras erstem Blicke ihrer nur gedacht?
Kaum, und wenn es geschah, mit täglich zunehmender Gleichgültigkeit.
Und heute sollte er sie wiedersehen!
Und wenn sie ihn fragte: »Wie ist es, Anton, bringst du mir die kindlichen Gefühle deines reinen Herzens rein und herzlich wieder mit? Ist Tieletunke noch, die sie dir war?«
Was konnte er dann erwidern?
Namenlose Angst bemächtigt sich seiner. Eiligst will er das Haus verlassen ... an der Vordertür tritt sie ihm entgegen. Kaum erkennt er sie, so auffallend ist sie gealtert, groß, mager, bleich, wie ein Gespenst steht sie vor ihm. Sein Anblick überfliegt ihr Antlitz mit einem Purpurschein der Freude; sie verjüngt sich wie durch Zauber. Doch verrät sonst kein Ausruf, keine übereilte Bewegung, was in ihr vorgeht. Lächelnd reicht sie ihm nur die Hand, und wie wenn sie sich gestern getrennt hätten, spricht sie freundlich:
»Nun, Anton Hahn, seid Ihr wieder in Liebenau?«
»Fräulein Ottilie – gnädige Baronesse – ich bin so erfreut ... und Sie in diesem Häuschen? Dieses Glück für mich ...«
»Schwatzt keinen Unsinn, Anton. Es war ein Glück für mich, in diesem Hause wohnen zu können; ich habe es gemietet, es ist passend für eine alte Jungfer. Nun kehrt Ihr zurück, wollt Euer Eigentum in Beschlag nehmen, – und ich werde es räumen. Darauf bin ich schon vorbereitet, denn ich dachte mir's, Ihr würdet über kurz oder lang wieder heimkehren. Laßt mir Zeit bis morgen. Ich ziehe aus Liebenau fort. Meine Anstalten sind getroffen.«
»Ich soll Sie vertreiben, Fräulein Ottilie? Nimmermehr.«
»Närrischer Mensch, kann es denn anders sein? Euer Häuschen steht leer, der Gerichtshalter will es vermieten, ich ziehe ein. Ihr kommt wieder, – ich ziehe aus und mache dem Besitzer Platz. Reden wir nicht weiter davon. Heute geht ins Wirtshaus, schlaft auf frischem Heu ... und morgen nehmt Eure Sachen in Empfang.«
»Ach, wenn ich nur nicht so arm wiederkäme, ärmer, als ich auszog, – und wenn ich mir's nur getraute ... ich möchte wohl ... aber, Fräulein Tieletunke ... ich weiß halt nicht ...«
»Anton, gib mir die Hand! Du bist ein gutes, ehrliches Herz! Damit genug! Geh' deiner Wege, bis morgen. Suche den Herrn Kurator auf. Morgen räume ich dein Haus! Kein Wort weiter. Geh'!«
»Sie hat mich verstanden«, murmelte Anton im Gehen. »Und ich verstand sie auch. Sie weist meinen Antrag zurück, im Häuschen zu bleiben und mich wieder ziehen zu lassen; sie will dies Opfer nicht von mir annehmen; ihr Stolz hat sie noch nicht verlassen, auch in ihrer Armut nicht. Da bleibt mir für jetzt nichts übrig als das Wirtshaus. Es war auch albern von mir, zu glauben, ich würde das Nest leer finden und mich gleich nur so hineinsetzen können. Es war eine indirekte Beleidigung gegen den Kurator meiner minorennen Erbschaftsmasse. Nein, solche Hotels läßt man nicht unbesetzt. Haha, ich muß lachen, da steht Anton Hahn mitten in der Hauptgasse, ›Unter den Linden‹, dem ›Graben‹, den Boulevards von Liebenau, vor seinem eigenen Palaste, und kein Hahn kräht nach Herrn Hahn, kein Hund begrüßt ihn, kein Mensch kennt ihn mehr! Kämpfte nicht Wehmut mit mir wie mit einem schwachen Mädchen und trieb mir heiße Tränen ins Auge, da ich die lange Dorfgasse betrat? Und jetzt ist's wie weggeblasen, das süße, weiche Gefühl der Heimkehr; jetzt kommt die Wirklichkeit und schickt mich ins Wirtshaus, wo die Flegel bei Bier und Schnaps sitzen, Karten spielen; wo sie mich anstarren werden wie die Kuh das neue Tor ... und gute Nacht: süße Wehmut, sanfter Tränentau, Wonne des Schmerzes; gute Nacht alles, was Poesie heißt. Ich bin überzeugt, wende ich mich nach dem Kirchhofe, um meiner Alten Grab zu sehen und auf diesem die wohltätige Stimmung wiederzufinden, die ich brauche und wünsche, dann haben die Schuljungen das Gittertor aufgelassen, und ein Schwein liegt am Grabe und wühlt den Hügel mit schmutzigem Rüssel auf. – Da macht Tieletunke die Fensterflügel zu; ich bin ihr mit meinem Anblick zur Last, wie es scheint. Wohlan, ich kann auch anderswo diese erbaulichen Selbstgespräche fortsetzen. Und darum will ich, um nur gleich das Schlimmste hinter mir zu haben, das Dorf entlang zum Herrn Kurator gehen, mich bei ihm anmelden, wie sich's gebührt. Bei dieser Gelegenheit werfe ich im Vorübergehen auch ein Blickchen nach dem alten, lieben Schloß. – Wer mag darin hausen? Hätte doch Fräulein Ottilie befragen sollen.«
Und Anton ging langsam durchs Dorf, voll Erwartung, wer von alten Bekannten ihm begegnen, wer der erste sein werde, der ihn erkenne, der sich seiner erinnern möge. Doch wie er seine Augen forschend rechts und links, hinüber und herüber nach Häusern und Hütten sandte ... nirgend kam ihm ein menschliches Wesen in den Wurf. Alles wie ausgestorben.
Endlich überholte er den völlig zusammengekrümmten, uralten Tischler Fiebig, denselben, der damals den Sarg für den schwarzen Wolfgang geliefert: der Greis schlich am Stabe so langsam fort, daß er sich kaum vom Flecke zu bewegen schien. Dabei war er fast erblindet. Anton sprach ihn an: »Wohin des Weges, Väterchen?«
»Aufs Schloß, Landsmann; aufs Schloß.«
»Und so allein, ohne Führer?«
»Sind alle vorauf; konnten's nicht erwarten.«
»Was denn? Gibt's was zu sehen?«
»Die neue Herrschaft halt!«
»Die neue Gutsherrschaft hält ihren Einzug? Also ist Liebenau wieder verkauft worden?«
»Der Herr van der Helfft ist verstorben, Landsmann, draußen, weit weg. Hat viele Prozesse hinterlassen! Sie haben Akten geschrieben, multum; multum viel, Landsmann. Vor acht Tagen war Verkaufstermin. Hoch fortgegangen: Hundertfufzigtausend. Viel Geld das, aber gleich deponiert, pure Pfandbriefe. Reicher Kerl, der Käufer!«
»Wie heißt er denn?«
»Weiß nicht! Weiß niemand nicht. Hat sich nicht benamset. Sein Affenkate ist mit Vollmacht gekommen, General-Spezial-Vollmacht. Heute wird er sich zeigen. Neugierig; alle neugierig im ganzen Dorfe. Sagen, es wäre ein Fremder, einer aus der neuen Welt. Kurios, ob er ein schwarzes Gesicht hat. He? Wollt Ihr mitkommen, Landsmann?«
»Meinetwegen, ich will Euch unterstützen, Väterchen, dann geht's rascher.« –
Sie eilten, so geschwind wie Antons Beihilfe den Urgroßvater Tischler fortschieben konnte, aufs Schloß. Am Einfahrtstore des Hofes, und diesmal vollkommen deutlich und sicher, daß er sich nicht täusche, erblickte Anton wiederum Schkramprls Peterl, der, sobald er ihn erblickte, wie ein Pfeil in den Hofraum hineinschoß.
Der alte Fiebig hatte die Wahrheit gesagt, die ganze Gemeinde schien versammelt. Dicht zusammengedrängt stand jung und alt, daß die wohlbekannte Wildeweinlaube, die als grünender Bogengang zum Schlosse führte, Kopf an Kopf bedeckte. Die beiden Flügel der großen Hauspforte standen weit auf. In derselben – damit alle Leute ihn sehen sollten – saß der Gerichtshalter an einer mit Teppichen behangenen Tafel, worauf vielerlei Aktenstücke, Dokumente und die Grund- wie Hypothekenbücher des Dorfes Liebenau lagen. Rechts vom Gerichtshalter saß eine schöne, ernste Dame von etwa vierzig Jahren in tiefer Trauer. Links von ihm saßen zwei Advokaten, deren einer die Verwaltung der van der Helfftschen Konkursmasse, der andere die Rechts des neuen Käufers zu vertreten hatte, welcher letztere noch nicht angelangt, und auf dessen Ankunft jeder männiglich erwartungsvoll gespannt war. Einen Schritt tiefer, doch immer noch hoch genug, um überall gesehen zu werden, befanden sich auf den zur Pforte führenden Stufen die Beamten des Gutes, Verwalter, Förster, auch Schulze und Gerichtsmänner, an ihrer Spitze der Herr Pastor, in dem Anton sogleich seinen Jugendgespielen, den sogenannten »Pastor-Puschel«, erkannte. Hoch über diese Köpfe ragte der graue Kopf des Riesen Schkramprl hervor. Und gleichwie ein graubemooster Kirchturm, höher als die höchsten Dächer neben ihm, aus seinem Glockenhaupte ein Zeichen ertönen läßt, wenn eine längst ersehnte Person ihren Einzug hält, so gab Schkramprl jetzt ein Zeichen, da er Anton am Eingang der Bogenlaube erscheinen sah. Er nickte jener Dame in Trauerkleidern ehrfurchtsvoll bejahend zu. Alsobald gab diese dem neben ihr sitzenden Gerichtshalter einen Wink. Dieser erhob sich, und augenblicks schwieg das Gesumme und Geplauder unter den Dorfbewohnern. Aller Augen richteten sich nach dem »Justitiarius«, den sie lieb hatten, weil er sie stets freundlich behandelte und gar manchen entstehenden Prozeß durch vermittelnde Ratschläge im Keime tötete. Dieser hob an:
»Ihr wißt schon, ihr guten Leute, daß Liebenau verkauft ist. Die Sequestration hat ein Ende. In diesem alten Hause wird wieder ein Besitzer wohnen, und, wie zu hoffen steht, einer, der sein Geld nicht auf Reisen und in großen Städten vergeuden, sondern hier bleiben, auf seinem Eigentum leben, die Wirtschaft verbessern, die Waldungen schonen, in eurer Mitte weilen, euch ein freundlich gesinnter Herr, in Tagen der Not ein Tröster und Helfer sein will. Er ist zwar ein reicher Mann, denn er hat, wie die vor uns liegenden Papiere nachweisen, die bedeutende Kaufsumme durch seinen Herrn Bevollmächtigten bar und richtig bei den Behörden deponiert, doch ist er zugleich ein Mann, der weder verwöhnt, noch hochmütig, keineswegs in Pracht und Überfluß aufgewachsen, vielmehr vom Schicksal geprüft, das Leben kennen lernte. Er weiß, was Armut und Elend sind. Er wird es nicht vergessen, jetzt, wo er reich und glücklich ist. Er wird ein Herz für euch haben. Er war ein guter Junge, das weiß ich. Er wird ein guter Mann sein, das hoffe ich. Ich kannte ihn vor beinahe sieben Jahren. Ihr kanntet ihn auch und hattet ihn lieb. Möge er eurer Liebe würdig bleiben. Die hiesige Gemeinde macht eine Ausnahme von den meisten ihrer Nachbarschaft. Unter euch hat sich noch am reinsten der ländlich fromme Sinn, die schlichte Einfalt und anhängliche Treue unserer Vorfahren aufrechterhalten. Möge er euch vertrauen, damit ihr ihm vertrauen könnt. Und somit übergebe ich ihm im Auftrag seiner edlen Wohltäterin, die eures Herrn Mutter sein und heißen will, das Dominium Liebenau nebst den dazugehörigen Vorwerken, Höfen und gesamtem Inventarium. Er trete vor und zeige sich der versammelten Gemeinde.«
Tiefes Schweigen – ahnungsvolle Erwartung unter allen Anwesenden.
Anton hörte, ohne zu fassen; er wußte nicht, was um ihn her sich begab; er vernahm den Aufruf, der nur ihm gelten konnte, aber er regte sich nicht. Plötzlich lief ein Geflüster durch die Reihen. Die Zunächststehenden waren durch Peterl aufmerksam gemacht worden auf den jungen Mann, der den alten Fiebig hierher geleitet, den einzigen Fremden in der ganzen Versammlung. Sie stießen ihre Nachbarn mit den Ellbogen an und deuteten auf ihn. Bald waren aller Augen auf ihn gerichtet. Einige Frauen erinnerten sich dunkel seiner Züge. Hier und da klang ein: »Anton, Anton, der Korbmacherjunge! der Enkel der Mutter Goksch!« aus dem Gedränge.
Ohne daß es ihnen geboten ward, drückten sie sich dichter zusammen und bildeten eine freie Gasse vom Eingang der Bogenlaube, wo Anton stand, bis zum Eingang ins Schloß.
Anton blieb regungslos.
Da erhob sich die Dame in Trauerkleidern, stieg die Stufen hinab und schritt, wie eine Überirdische, so stolz, so sanft, so weiblich, bis dahin, wo Anton stand. Freundlich löste sie seine Hand vom Arme des alten Tischlers Fiebig und führte ihn dann zurück bis an die Gerichtstafel.
Anton fühlte, wie die Frau zitterte.
Doch als sie die Stufen neben ihm hinanstieg, hatte sie sich bereits ermannt. Mit fester Stimme sprach sie, und laut, daß auch die Fernstehenden es deutlich vernahmen:
»Der Gemeinde von Liebenau stelle ich meinen Pflegesohn Anton Hahn vor als ihren neuen Gutsherrn. Gott segne seinen Einzug!«
»Gräfin Julia!«
»Deines Vaters Witwe!« erwiderte sie.
Die Dorfleute schrien fröhlich erstaunt durcheinander.
Der Riese Schkramprl weinte und jauchzte wie ein kleines Kind. Dann stieg er auf einen Stuhl, zeigte sich dem versammelten Volk, und indem er auf seine Brust mit beiden Fäusten schlug, brüllte er unaufhörlich: »Ipse feci!«