Poggio Fiorentino
Die Facezien des Poggio Fiorentino
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71.
Von einem Hirten, der nur halb beichtete.

Ein Schafhirt aus jener Gegend im Neapolitanischen, wo einst der Brigantaggio herrschte, kam einmal zu einem Beichtvater, um seine Sünden zu bekennen. Er fiel dem Priester zu Füßen und rief unter Tränen: »Vergib mir meine schwere Sünde, Vater!« Dieser forderte ihn auf, alles zu sagen, aber statt dessen wiederholte er mehrmals jene Worte, wie wenn es sich um eine unerhörte Sünde handle. Von dem Priester ermahnt, sagte er endlich, ihm seien, als er während der Fasten Käse machte, beim Schlagen der Milch einige Tropfen davon in den Mund gefallen, 74 und er habe sie nicht ausgespuckt. Da lächelte der Priester, der die Sitten der Heimat der Hirten kannte, daß dieser sich einer schweren Sünde anklagte, weil er die Fasten nicht innegehalten, und fragte ihn, ob er nicht noch andere Sünden auf dem Herzen habe. Und als der Hirt es leugnete, fragte er ihn, ob er niemals mit anderen Hirten, wie es in jener Gegend gang und gäbe sei, einen Reisenden ausgeraubt oder ermordet habe. »O ja,« antwortete der Beichtende, »beides habe ich mehrfach mit meinen Genossen getan, aber das ist bei uns etwas so Gewöhnliches, daß es das Gewissen gar nicht bedrückt.« Der Priester hatte gut reden, das seien schwere Verbrechen – der Hirt blieb bei seiner Meinung, daß Raub und Mord in seiner Heimat alltägliche Dinge seien, die gar nicht ins Gewicht fielen, und bat allein wegen der Milch um Absolution. Es ist ein schlimmes Ding um die Gewohnheit des Sündigens, die auch die schwersten Sünden als leichte Vergehen betrachten läßt.

 


 


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