Poggio Fiorentino
Die Facezien des Poggio Fiorentino
Poggio Fiorentino

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

239.
Toskanische und nachher offene Beichte.

Einer, der sogar die Scham seiner Schwester nicht geschont hatte, kam nach Rom, um sein Verbrechen zu beichten und suchte einen toskanischen Beichtvater. Man wies ihm einen, und er ging zu ihm und fragte ihn zunächst, ob er toskanisch verstände. Als jener bejaht hatte, sagte er, nachdem er andere Sünden aufgezählt hatte, als er einmal im Schlafzimmer mit seiner Schwester allein gewesen und den Bogen gespannt gehabt habe, habe er sie mit einem Pfeile angeschossen. »Welch ein Frevel!« rief der Beichtvater. »Hast du deine Schwester getötet?« »Durchaus nicht,« lautete die Antwort, »aber du verstehst ja gar nicht Toskanisch.« »Ich verstehe es sehr gut,« erwiderte der Priester; »denn ich bin dorther gebürtig; hast du nicht gesagt, du habest, nachdem du den Bogen gespannt, deine Schwester mit einem Pfeile getroffen?« »Ich verstehe es nicht so,« erwiderte der andere, »sondern ich sage, daß ich den Bogen gespannt, einen Pfeil daraufgelegt und auf meine Schwester abgedrückt habe.« »Hast du sie verwundet,« fragte der Beichtvater, »verletztest du sie im Gesicht oder an irgend einem Glied?« 238 »Oh,« antwortete der Beichtende, »du verstehst wirklich nicht Toskanisch!« Worauf der Priester: »Ich verstehe deine Worte recht wohl, aber es könnte sein, daß du nicht toskanisch reden kannst.« »Ich sage nicht,« entgegnete wiederum der Beichtende, »daß ich meine Schwester verwundet, sondern daß ich einen Pfeil vom gespannten Bogen abgedrückt habe.« Der Beichtvater sagte, er wisse wahrhaftig nicht, was er sagen wolle, und der Beichtende behauptete, er verstehe in der Tat kein Toskanisch und wiederholte die Geschichte mit dem Bogen und dem Pfeile. Endlich rief der Priester: »Wenn du dich nicht anders ausdrückst, kann ich nicht wissen, was du meinst.« Nachdem er lange aus Scham gezögert hatte, sagte der Beichtende schließlich offen und mit klaren Worten, daß er seine Schwester mißbraucht habe. »Jetzt sprichst du Toskanisch zu einem Toskaner,« rief da der Beichtvater aus, »und ich verstehe dich vorzüglich.« Und er verhängte eine Buße über ihn und ging fort. Es ist ein Zeichen schlechten Charakters, in Worten Scham zu zeigen, wenn man in seinen Taten schamlos und verbrecherisch war. 239

 


 


 << zurück weiter >>