Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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12

»Laß mir ein Butterbrot schneiden, Therese,« befahl Jason Philipp, »der Magen kracht mir.«

»Hast du denn im Wirtshaus nichts gegessen?« fragte Therese mißtrauisch.

»Ich war nicht im Wirtshaus.« Jason Philipps Augen blitzten, und er schüttelte den Kopf wie ein Löwe.

Da ging Therese, um das Butterbrot zu holen, und es war eigentümlich, wieviel Argwohn und Widerspruch sie in die Langsamkeit ihres Schrittes zu legen vermochte. Ihre Tochter Philippine kam aber schon mit dem Butterbrot über die Stiege herunter.

Jetzt erst gewahrte Jason Philipp seine Schwägerin. »Da bist du ja, wie klein du dich machst,« sagte er flüchtig überrascht und reichte ihr die rundliche Hand. »Therese soll dir die Kammer unterm Speicher geben, da hast du eine hübsche Aussicht auf die Pegnitz.«

Therese reichte ihm das Butterbrot. Er beroch es und runzelte die Stirn, weil es so dünn bestrichen war, hatte aber nicht den Mut, sich tadelnd darüber zu äußern. Er biß hinein, und mit vollen Backen wandte er sich neuerdings an die schweigende Marianne.

»Na, dein Filius ist also wieder abgängig. Schöne Geschichte das. Wird noch im Zuchthaus enden, der saubere Herr. Das beste wäre, ihn nach Amerika zu spedieren, aber wie wir seiner habhaft werden sollen, ist mir noch unklar. Polizeilich gemeldet ist er nicht, und ich weiß eigentlich gar nicht, wozu du da bist. War eine Übereilung von mir, dich kommen zu lassen.«

»Wenn ich nur wüßte, wovon er lebt,« flüsterte Marianne beklommen.

»Neulich hab ich irgendwo gelesen,« fuhr Jason Philipp erzählerbehaglich fort, »daß aus einem zoologischen Garten eine Giraffe durchgebrannt war. Von Giraffen hast du doch gehört? Es sind langhalsige Vierfüßler, die sehr albern und bockig sind. Das dumme Vieh war in einen Wald gelaufen und die Leute wußten nicht, wie sie es fangen sollten. Da hing ein Wärter die Stallaterne vor seine Brust und ein Bündel Heu auf den Rücken, und mit sinkender Nacht begab er sich in den Wald. Die Giraffe erblickt kaum den Laternenschein, als sie neugierig herzurennt. Der Mann dreht sich um, sie riecht das Heu, sie zupft und frißt, der Mann geht weiter, sie zupft und frißt weiter, und so bringt er die Bestie wieder in den Käfig. Was meinst du, könntest du nicht deinen Daniel, wenn ihn der Hunger piesakt, auch mit ein bißchen Heu wieder kirre machen? Denk mal drüber nach.«

Jason Philipp lachte vergnügt und Zwanziger grinste. Dieser besaß in seinem Prinzipal eine Quelle des Witzes, und wenn er am Abend im »Bärleinhuter« oder im »gläsernen Himmel« beim Bier saß, ergötzte er die Zechgenossen mit Schimmelweisschen Geistesblüten und fand vielen Beifall.

Ein magerer Greis, der Glacéhandschuhe und einen Zylinderhut trug, betrat den Laden. Es dämmerte, er hatte sich draußen vorsichtig umgesehen, nun ging er eilig auf Jason Philipp zu und sagte mit einer gebrochenen Fistelstimme: »Also, was ist's mit den Neuigkeiten? Was haben wir Schönes?« Er rieb sich die Hände und stierte unter dünnen, roten Lidern blöde vor sich hin. Es war der Graf Schlemm-Nottheim, ein Vetter des liberalen Parteihauptes, des Freiherrn von Auffenberg.

»Stehe ganz zu Diensten, Herr Graf,« sagte Jason Philipp, stramm wie ein Unteroffizier, wenn er vom Hauptmann angesprochen wird.

Er führte den Grafen in eine Ecke des Raums und sperrte einen schweren Eichenschrank auf. In diesem lagen die vom Staatsanwalt verbotenen erotischen Druckwerke, die nur unter der Hand und an verläßliche Personen verkauft werden konnten.

Jason Philipp tuschelte, und der alte Graf wühlte mit gierigen Fingern in einem Bücherhaufen.


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