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Beim Betreten des Boudoirs seiner Mutter fiel Eberhards erster Blick auf die Alabasteruhr, deren Zifferblatt von drei Figuren getragen wurde, welche die Töchter der Zeit darstellten. In seinen Knabenjahren hatte ihm die Uhr immer etwas höchst Poetisches bedeutet, etwas wie die Erfüllung sehnsüchtiger Wünsche.
Die Freifrau war von ihrer Schwester vorbereitet worden. Während Eberhard mit Sylvia im Erkerzimmer gewartet hatte, waren einige Leute von der Dienerschaft an der Tür gestanden und hatten scheu miteinander geflüstert.
Eberhard ging auf seine Mutter zu und küßte ihr die Hand. Das Gesicht der Freifrau hatte eine Färbung wie Blei. Ihre Augen waren weit aufgerissen, gleichwohl schien sie fast ohne Besinnung. Abseits stand Emilie; die Finger ihrer auf die Brust gedrückten Hände bewegten sich wie in Konvulsionen.
Frau Agathe suchte der Situation das Feierliche und Unnatürliche zu nehmen und begann in launigen Worten von Eberhards Asyl auf dem Burgberg zu erzählen. Baronin Clotilde schaute ihren Sohn gespannt und furchtsam an. »Ich erkenne ihn ja kaum,« sagte sie mit heiserer Stimme; »er hat sich so verändert.«
»Auch du, Mutter, hast dich verändert,« brachte Eberhard hervor, und das Drosselbartkinn verkroch sich in den Ausschnitt des Rocks. Er war stocksteif. Agathe musterte ihn voll Ärger und Befremdung. Er sah aus, als quäle ihn während des ganzen Vorgangs die unsäglichste Langeweile.
Aber es war nur eine Maske. Indem er die Mutter anschaute, das alte, verschwommene, müde, zaghafte Gesicht, wurde er sich seiner Verfehlung bewußt, spürte er, daß es nicht galt, das Wort: »Mütter sind auch Menschen.« Er hatte hier etwas gut zu machen, hier war eine Tat notwendig, und es schien ihm, daß schon sein nächster Schritt zu unabwendbarer Selbstverachtung führen müsse, wenn er die sittliche Tat der Reue unterließ.
Als er so mit sich rang und wie gelähmt in den Aufruhr seines Innern starrte, war der Blick eines Augenpaars hinter die scheinbare Unempfindlichkeit gedrungen. Über Sylvias Wangen schoß eine jähe Röte; sie schritt auf ihren Vetter zu und packte seine Hand. Er schrak sichtlich zusammen; sofort begriff er, daß sie ihn erraten hatte und seinen Kampf zur Entscheidung bringen wollte. Sie führte ihn aus dem Zimmer; er folgte ihr; sie führte ihn durch den Speisesaal, den Empfangsraum, das Rauchzimmer, die Bibliothek bis zu den Zimmern des Freiherrn. Agathe, Emilie und die Baronin hatten sich staunend einander angesehen. Sie waren zur Schwelle des Boudoirs gegangen und lauschten in atemlosem Schweigen.
Mutig öffnete Sylvia die Tür. Der alte Freiherr saß auf dem Ledersessel vor dem Ofen. Seine Beine waren in einen Schal gewickelt; der Ausdruck seines Gesichts war von einer geradezu steinernen Kälte.
Kaum hatte er die beiden gewahrt, so sprang er empor, als hätte der Blitz neben ihm gezündet. Er wankte; er tastete um sich; ein ersticktes Gurgeln kam aus seiner Kehle.
Da trat ihm Eberhard gegenüber und streckte die Hand aus.
Eine Sekunde lang schien es, als wolle der alte Mann niederbrechen. Eine letzte Flamme von Groll und Haß zuckte wild aus seinen blauen Augen, dann streckte auch er die Hand aus, und sein Arm zitterte, während sich auf den Backen dicke, bebende Muskelknoten bildeten. Sylvia hatte die Türe leise zugemacht und war verschwunden.
Bange Minuten verflossen, und nichts geschah, als daß jeder des andern Hand in der seinen hielt und seinen Blick in das Auge des andern bohrte. Nur das Knistern des Ofenfeuers unterbrach die Stille.
»Gerade noch zu rechter Zeit,« murmelte der alte Freiherr ohne aufzublicken verloren vor sich hin, »gerade noch zu rechter Zeit.«
Eberhard antwortete nicht. Er stand regungslos da, die Hacken geschlossen, wie ein junger Offizier vor seinem Vorgesetzten.
Nach einer Weile drehte er sich um und verließ langsam das Zimmer.
In der Bibliothek wartete Sylvia. Die Dämmerung ließ nur den Umriß ihrer Gestalt erkennen.
Eberhard faßte sie an und flüsterte: »Ich glaube, ich habe doch keinen Vater mehr.«