Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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An dem Tag, an welchem Dorothea geheiratet hatte, war Herr Carovius zum Notar gegangen, um das Testament, das er in der Nacht zuvor niedergeschrieben, beglaubigen zu lassen. In diesem Testament hatte er sein ganzes Barvermögen, das Haus und sämtliche Mobilien einer nach seinem Tod zu errichtenden Erziehungsanstalt für adelige Waisen vermacht. Zum Protektor des Instituts wie zum Verwalter des Nachlasses war der Freiherr Eberhard von Auffenberg bestimmt.

Von der Musik wollte Herr Carovius nichts mehr wissen. Der lange schmale Flügel, den er hatte, bekam eine Lederhülle und glich einem ausgestopften Tier. Seiner Leidenschaft für die Kunst gedachte er wie einer jugendlichen Verirrung, doch daß er seinen Geist kasteite, blieb ihm dabei, oft bis zum Schmerz, trotzig bewußt.

Recht eigentümlich war die Beschäftigung, der er sich ergab, um nicht in Langeweile zu verkommen. Er durchsuchte nämlich alle Bücher seiner Bibliothek nach Druckfehlern. Viele Stunden des Tages widmete er dieser Arbeit, las die wissenschaftlichen Werke und die der schönen Literatur mit einer nur am Buchstaben haftenden Aufmerksamkeit, und wenn es ihm gelungen war, ein falsch gesetztes Wort oder gar einen grammatikalischen Schnitzer zu entdecken, war ihm wie einem Fischer zumut, dem nach langem Harren endlich ein Fisch an der Angel zappelte.

Sonst war es trübselig um ihn bestellt. Der schöne Gleichschnitt seiner Haare am Nacken hatte sich in eine struppige Wildnis verwandelt; auf der Straße sah man ihn mit einem Rock voll Flecken, und der Kalabreser hatte Ähnlichkeit mit einem zerschossenen Kriegszelt.

Er hatte sich wieder angewöhnt, zwei oder dreimal wöchentlich ins Paradieschen zu gehen, nicht etwa, um sich wehmütigen Erinnerungen zu überlassen, sondern weil dort der Kaffee noch zwanzig Pfennige kostete, nicht fünfundzwanzig, wie in den neumodischen Kaffeehäusern. Und sein ganzes Abendbrot bestand aus einer Schale Kaffee und ein paar Semmeln.

Es fügte sich, daß auch der alte Jordan das Paradieschen zu seiner Zuflucht wählte. Lange Zeit studierten sich die beiden von Tisch zu Tisch, dann kam ein Tag, wo sie sich zueinander setzten, zuletzt wurde es die Regel, daß sie sich in der Ecke beim Ofen zusammenfanden, und ohne daß sie mehr als die äußerlichsten und plattesten Redensarten wechselten, entwickelte sich zwischen den beiden einsamen Greisen eine stille Kameradschaft.

Herr Carovius gab sich zwar den Anschein, als ob er den alten Jordan bloß dulde; doch vertiefte er sich erst dann in die Lektüre der Zeitung, wenn dieser gekommen war und sich mit achtungsvollem Gruß an das winzige Tischchen gesetzt hatte. Jordan seinerseits verhehlte nicht seine Freude, Herrn Carovius auf dem Stammplatz zu sehen, und während er seine Tasse Kaffee schlürfte, ließ er die Augen nicht von dem bösen Gesicht seines Gegenübers.


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