Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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7

Herr Carovius verbeugte sich nach allen Seiten. Er trug gelbe Schuhe mit Messingschnallen, schwarze Hosen, einen grünlich schimmernden Rock und eine nicht mehr ganz weiße Krawatte. Seinen Schlapphut legte er auf einen Stuhl und sagte, er bitte um Verzeihung, falls er ungelegen komme, aber er habe seinem lieben jungen Meister für die bewußte Einladung danken wollen.

»Mir scheint, mir scheint,« fügte er mit neckischem Augenzwinkern hinzu, »ich habe da in aller Unschuld eine interessante Produktion gestört. Unten vor dem Hause stehen die Leute, und ich habe mirs gleichfalls nicht versagen können, zu horchen. Es wird ja nicht abgesammelt, hihihi. Hoffentlich unterbrechen Sie das Opferfest meinetwegen nicht. Was haben Sie denn zum besten gegeben, Maestro? Doch nicht etwa die Symphonie?«

»Ja, die Symphonie,« antwortete Daniel, der aus lauter Verblüffung über das Erscheinen und das Benehmen des Herrn Carovius höflich war.

»Hat mich schon Geld gekostet, die Symphonie, mögen Sie's glauben oder nicht; einen Gehrock wie für einen Marquis, neuester Schnitt, Sammetkragen, Schöße bis an die Waden. Höchst vornehm, höchst vornehm.« Er stierte über Gertruds Kopf hinweg in die Ecke und kicherte mindestens eine Viertelminute lang.

Niemand antwortete. Alle sahen dumm und bestürzt aus.

»Mein Gott, die gesellschaftliche Pflicht,« fuhr Herr Carovius fort; »man ist doch kein Hinterwäldler. Die Musik soll ja den Menschen auch äußerlich veredeln. Übrigens, es geht das Gerücht, daß es eine Symphonie mit Chören ist. Wie sind Sie denn auf den Einfall geraten? Die Lorbeeren der Neunten lassen Sie wohl nicht schlafen? Hätte mir gedacht, Sie scheren sich den Teufel um klassische Vorbilder. Man ist ja jetzt ganz auf das musikalische Säuglingsgelall versessen, Wagelaweia und so. Aber das ist nur ein Übergang, wie der Fuchs sagte, als er geschunden wurde.«

Er nahm den Zwicker ab, putzte ihn hastig, nestelte am Kettchen und setzte ihn wieder auf. Nachdem er so Zeit gewonnen hatte, begann er sich über den Verfall der Künste zu verbreiten, erkundigte sich bei Daniel, ob er etwas von einem gewissen Hugo Wolf gehört habe, der jetzt von sich reden mache und hinten im dunkelsten Österreich Lieder fabriziere wie ein Hottentott, schimpfte über einen neuen Brunnen, der auf dem Plärrer errichtet werden sollte, erzählte, daß im Kulturverein eine Grotesk-Tänzer-Pantomimengesellschaft auftrete, daß er auf dem Herweg die Entdeckung gemacht, es gebe in der Stadt eine Leihanstalt für Kartoffelsäcke und daß in Konstantinopel eine schreckliche Feuersbrunst gewütet habe.

Dabei schaute er Daniel und Monsieur Rivière an, bald den einen, bald den andern, hielt die Knurrlaute des einen und die verlegenen Blicke des andern für ermunternd genug, um sein Geschwätz fortzusetzen, rückte an seinem Zwicker, schneuzte sich, strich die ohnehin glatten Haare noch glatter, rieb die Hände umeinander, als ob er sich in besonderer Weise angeheimelt fühle, und kicherte, wenn in seinem Redefluß eine Pause entstand.

Auf Gertrud heftete er nur hie und da einen verstohlenen Blick, der sich gleich darauf zurückzog wie der Arm eines Diebes, der sich beobachtet glaubt; Lenore schien überhaupt nicht für ihn vorhanden zu sein. Als sie endlich aufstand, gepeinigt von seinem Wesen, von der Zerstörung des eben erlebten Eindrucks durch seine Gegenwart, seine herausfordernden, platten, grundlos hämischen, grundlos süßlichen Phrasen, erhob er sich gleichfalls, zog erschrocken die Uhr, bat, seinen Besuch wiederholen zu dürfen und empfahl sich mit einem lächerlich altmodischen Bückling von Gertrud, mit vertraulichem Händeschütteln von Daniel und mit unsicherer Höflichkeit von dem Franzosen. Lenore schien er wieder zu übersehen.

Draußen auf der Stiege blieb er stehen, nickte mehrmals mit dem Kopfe und sagte mit einem fast irren Grinsen in die leere Luft hinein: »Auf Wiedersehen, Schönste. Auf Wiedersehen, Allerschönste. Gehab dich wohl, mein Engel, vergiß mich nicht.«

In der Stube drinnen flüsterte Lenore beklommen: »Was war das? Was war das?«


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