Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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2

Benda hatte die Gewißheit, nicht bloß, daß ein großes Unheil geschehen, sondern auch, daß ein größeres im Werden war.

Sooft er an Dorothea dachte, wurde ihr Bild furchteinflößender. Immerhin müssen wunderbare Eigenschaften in ihr sein, die Daniel bestimmt haben, sie zur Lebensgefährtin zu wählen, sagte er sich. Und er wollte sie nun endlich sehen.

Sie ließ ihn durch Daniel zum Tee bitten. Früh am Nachmittag ging er hin.

Sie empfing ihn mit Äußerungen lebhafter Freude. Sie sagte, sie habe es kaum erwarten können, ihn zu sehen, denn es gebe nichts in der Welt, was solchen Eindruck auf sie mache wie ein Mann, der wirkliche Gefahren bestanden, sein Leben aufs Spiel gesetzt habe. Sie wurde nicht satt, zu fragen; bei jeder seiner spärlichen Antworten schüttelte sie verwunderungsvoll den Kopf, dann stützte sie die Ellenbogen auf die Knie, den Kopf auf die Hände, und weit vorgebeugt starrte sie ihn an wie ein Wundertier.

Sie fragte, ob er bei den Kannibalen gewesen, ob er Wilde totgeschossen, ob er Löwen gejagt habe und ob es wahr sei, daß jeder Negerhäuptling Hunderte von Weibern besitze. Dabei machte sie ein verfängliches Gesicht und meinte, das täten auch die Europäer, wenn man's ihnen freistellte, und nicht bloß die Häuptlinge.

Hierauf sagte sie, daß sie sich nicht erinnere, ihn, als sie noch Kind war, im Haus ihres Vaters gesehen zu haben, und darüber wundre sie sich jetzt, da er doch so was ganz Eigenes an sich habe. Und ihre Augen verschlangen ihn; sie begannen zu brennen wie jedesmal, wenn sie einen Fang tun wollte und die blinde Gefräßigkeit über sie kam. Sie entfaltete sich, sprach mit ihren süßesten Lauten, und ihr Lachen und Lächeln hatten in der Tat etwas Unwiderstehliches wie bei einem zutraulichen und guten, nur zuweilen ein wenig eigensinnigen Kind.

Aber sie merkte, daß dieser Mann sie betrachtete, als sei sie nicht ein junges Weib, das sich bemühte, ihm zu gefallen und seine Sympathie zu erobern, sondern wie eine kuriose Spielart. Es war etwas in seinem Blick, das sie zittern ließ vor Gereiztheit, und auf einmal war in ihren Augen Argwohn und Haß.

Benda fühlte Mitleid. Dies Haschen nach der verführerischen Gebärde und dem beziehungsvollen Wort, dieser Selbstverrat, dieser Rausch um nichts, es stimmte ihn traurig. Dorothea erschien ihm nicht schlecht; welches Vergehens man sie auch bezichtigt hätte, schlecht wäre sie ihm nicht erschienen, nur mißleitet und vergiftet, Trugbild und arme Törin.

Er dachte an gewisse äthiopische Frauen im verschlossensten Kernland des Kontinents, an ihren adeligen Gang, an die stolze Ruhe ihrer Züge, an ihre keusche Nacktheit und wie sie eins waren mit der Luft und mit der Erde.

Dennoch begriff er den Freund; der Musiker mußte dem Trugbild verfallen, der Einsame dem uneinsamsten aller Wesen.

Während er diesen Schluß zog, trat Daniel ein. Er begrüßte Benda und sagte zu Dorothea: »Es ist ein Mädchen draußen und behauptet, sie habe Straußfedern für dich. Hast du Straußfedern bestellt?«

»Richtig,« erwiderte Dorothea mit Hast, »es ist ein Geschenk von der Emmy Büttinger.«

»Wer ist das?«

»Das weißt du nicht? Die Schwester der Kommerzienrätin doch. Da müssen Sie mir helfen,« wandte sie sich an Benda, »Sie sind ja wahrscheinlich ein Sachverständiger; dort, wo Sie waren, laufen ja die Strauße herum wie bei uns die Hühner.« Lachend ging sie hinaus und kam mit einer ziemlich umfangreichen Schachtel zurück, der sie vorsichtig und beglückt zwei große Federn entnahm, eine weiße und eine schwarze. Indem sie sie an den Stielen hielt, legte sie beide über ihr Haar, trat vor den Spiegel und schaute sich mit trunkener Miene an.

In dieser Miene, dieser Haltung war etwas so Außerordentliches, beinahe Unheimliches, daß Benda einen erschrockenen Blick auf Daniel heftete.

Ich habe bisher nicht gewußt, was ein Spiegel ist, sagte er zu sich selbst.


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