Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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7

Da beim Brunnen warten Sie auf mich,« sagte Lenore zu ihrer Begleiterin, als sie um die Mittagsstunde über den Marktplatz in Eschenbach schritten. »Wenn alles besprochen ist, hol ich Sie.«

Der Postillon zeigte ihr das Häuschen der Witwe Nothafft.

Eine Frau mit strengem Gesicht und auffallend großen braunen Augen erkundigte sich nach ihrem Begehr, als sie in den Kramladen trat, in dem es nach Essig und nach Käse roch.

Lenore erwiderte schüchtern, sie wolle ein paar Minuten ungestört mit ihr reden.

Der tiefe Ernst in Mariannes Zügen, der einem unheilbaren Leiden mehr als etwas anderm ähnelte, wich nicht. Sie schloß die Ladentür zu und führte Lenore in die Wohnstube. Schweigend deutete sie auf einen Stuhl und nahm selber Platz.

Über dem Ledersofa hing das Bild Gottfried Nothaffts. Lenore betrachtete es lange.

»Mütterchen,« begann sie endlich leise und legte ihre Hand auf Mariannes Knie, »ich bring Ihnen was von Daniel.«

Marianne zuckte zusammen. »Gutes oder Schlechtes?« fragte sie. Seit zweiundzwanzig Monaten hatte sie nichts von Daniel gehört. »Wer sind Sie?« fragte sie weiter, »was haben Sie mit ihm zu tun?«

Lenore mußte acht haben, die empfindliche und sehr beleidigte Frau nicht durch ein unbesonnenes Wort zu erzürnen. Mit aller Vorsicht, deren sie fähig war, brachte sie ihr ungewöhnliches Anliegen zur Sprache.

Und siehe da, das Ungewöhnliche wurde zum Alltäglichen, so wie das Natürliche wundersam schien. Lenore schilderte Daniels Drangsale und seinen Aufstieg, prahlte treuherzig mit seinem Talent, mit der Begeisterung derer, die an ihn glaubten, mit seinem künftigen Ruhm und wollte jede Schuld Daniels, auch die gegen die Mutter, getilgt wissen.

Nachdenklich rückblickend, begriff da Marianne vieles, eigene Versäumnis, und was sie an Daniel zuvor nicht hatte würdigen können. Vieles begriff sie, nur dieses Mädchen nicht. War es schon eigen, daß eine Fremde kommen mußte, um ihr zu sagen, wer Daniel war und was er den Menschen bedeutete, so war es ganz und gar unerklärlich, daß sie noch eine mitbrachte, die die Geliebte desselben Mannes war, dem sie sich bis auf den Grund des Herzens ergeben zeigte.

Lenore las die Gedanken von Mariannes Augen ab, und es wurde ihr ein wenig besinnlicher zumute. Auch ihr fiel es ein, sich zu fragen: was bin ich ihm denn? Was ist er mir?

Sie wußte keine befriedigende Antwort. Freundin? Freund? ja; es war nur ein bißchen zu viel Ruhe in den zwei Worten. Bruder? Gefährte? Darin lag innigere Verbundenheit. Brüderlein! hatte sie ihm einmal zugerufen, hinter der Maske hervor. Also: Schwesterlein hinter der Maske?

Ja, so sollte es sein: Schwesterlein hinter der Maske. Sie mußte ein Versteck haben für so manches, was sie dunkel empfand, heller nicht empfinden wollte. Ein gebändigtes Herz, ein gefangenes Herz, es glüht auf, es kühlt ab, man hebt's empor, man drückt's hinunter, wie das Geschick es will. Immer geduldig bleiben, das war das Wichtige, und nichts verraten. Schwesterlein hinter der Maske, so sollte es sein.

Marianne sagte: »Kind, das hat Ihnen Gott eingegeben, daß Sie gekommen sind, um mir Nachrichten von ihm zu bringen. Da will ich denn wieder Blumen ins Fenster stellen wie vor Zeiten und das Haustor offen lassen, damit die Schwalben wieder ein Nest drin bauen. Vielleicht gedenkt er dann auch wieder an seine Mutter.«

Dann verlangte sie Meta zu sehen. Lenore ging und kehrte nach kurzer Weile mit ihrem Schützling zurück. Mitleidig und streng betrachtete Marianne die Schwangere, die ein verstörtes Wesen zeigte und auf jede Frage eine ungereimte Antwort gab. Sie könne wohl bei ihr wohnen, sagte Marianne, doch müsse sie arbeiten, denn im Hause sei kein Überfluß. Das Mädchen berief sich auf seine vier Dienstjahre und daß es ihr an Fleiß und Willigkeit nie gefehlt. Darauf ermahnte Marianne sie zur Verschwiegenheit, die Leute im Orte seien neugierig, sie dürfe nicht plaudern und sich von keinem ausfragen lassen, sonst sei ihres Bleibens nicht.

Als dies vorüber war, verabschiedete sich Lenore. Eine Mahlzeit zu nehmen weigerte sie sich standhaft. Marianne dachte, sie habe Eile, die Rückpost zu benutzen, und geleitete sie über den Platz. Sie versprachen einander zu schreiben, und ehe Lenore in die wacklige Kutsche stieg, küßte Marianne das blühende Geschöpf auf die Wange.

Sie schaute dem Wagen nach, bis er durchs Stadttor gefahren war. Ein betrunkener Bauer stieß sie an, der Hufschmied rief ihr einen Gruß zu, die Doktorsfrau lehnte aus dem Fenster und erkundigte sich, wer der städtische Zierbengel gewesen sei, Marianne hörte nichts und ging langsam ihrer Behausung zu.


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