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Neun Jahre lang hatte ihm seine Schwester Margaret die Wirtschaft geführt, von ihrem fünfzehnten bis zu ihrem vierundzwanzigsten Jahr. Sie hatte sein Frühstück bereitet, sein Bett gemacht, seine Wäsche geflickt, seine Kleider gebürstet, und er hatte nicht viel mehr von ihr gewußt, als daß sie gelbe Haare, eine Haut voll Sommersprossen und eine furchtsame Kinderstimme besaß. Sein Erstaunen war grenzenlos, als eines Tages Andreas Döderlein, der den Sommer zuvor ins Haus gezogen war, um ihre Hand anhielt, denn sie war für ihn immer vierzehn Jahre alt geblieben.
Er stellte Margaret zur Rede. Mit einem Mut, den aufzubringen sie lang gerungen hatte, erklärte sie, den Mann heiraten zu wollen. »Du bist eine schamlose Dirne,« sagte Herr Carovius, getraute sich aber nicht, Andreas Döderlein zurückzuweisen, und die Hochzeit fand statt.
Eines Abends saß er bei dem jungen Paar. Andreas Döderlein war in guter Laune, ging zum Klavier und schlug das Motiv des Hirten aus Wagners »Tristan und Isolde« an.
Da fuhr Herr Carovius empor wie gestochen und rief aus: »Laß doch den faulen Zauber, ich glaub ihn dir ja doch nicht.«
»Wie meinst du das, Schwager?« fragte Andreas Döderlein mit schmerzlich geneigtem Kopf.
»Willst du mich vielleicht über diesen Brunnenvergifter belehren?« rief Herr Carovius aus, und sein Gesicht zeigte eine Bosheit wie das eines Buckligen, wenn man auf seinen Buckel deutet; »weiß der Herr Professor vielleicht genauer als ich, wer er ist, dieser Richard Wagner, dieser Komödiant, dieser Jud', der sich als germanischer Messias kostümiert, dieser Kakophoniker, dieser Verballhornist, dieser Höfling, dieser Pulcinell, der sich lustig macht über das ganze genasführte deutsche Reich und Europa? Ja, ja, belehre mich nur, da bin ich, da sitz ich, nur Mut, nur Mut.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und lachte in asthmatisch keuchenden Stößen, wobei er die Hände auf dem Bauch ruhen ließ.
Andreas Döderlein erhob sich zu seiner Größe, wippte auf den Fußspitzen und blickte auf Carovius herunter wie auf einen Floh, den man zwischen zwei Fingernägeln zerquetschen kann. »Ei, ei,« sagte er, »wie interessant! So wahr ich lebe, du bist eine interessante Erscheinung, Schwager Carovius. Aber wenn man mir alles Gold der Welt böte, ich möchte nicht so . . . interessant sein. Ich nicht. Und du, Margaret, möchtest du so interessant sein?«
Es war etwas Zermalmendes in dieser Überlegenheit, und das Gelächter des Herrn Carovius verlor sich in ein gurgelndes Gekicher. Er riß die Augen hinter den Zwickergläsern auf und ähnelte einem jener fratzenhaften Wasserspeier, die man an alten Brunnen sieht. Margaret aber, die Scheue, die nie sprach, ohne sich kleiner zu machen und die Hände zu verbergen, sah hilflos vom Bruder zum Gatten und schlug die Blicke nieder vor beiden.
War es Haß, was Herr Carovius gegen Andreas Döderlein empfand? Es war mehr als Haß. Es war eine vipernhafte Erbitterung, mit der er an ihn dachte, an seinen Namen, an sein Weib, an sein Kind, an den dicken Trauring an seinem Finger und an die Gallertmasse seines dicken Halses. Seit jenem Abend besuchte er die Schwester nicht mehr, und wenn Margaret sich ein Herz faßte und zu ihm kam, behandelte er sie mit verbissener Geringschätzung. Da ließ sie ihn und ging an seiner Tür vorüber.
Als das Kind geboren wurde und die Magd ihm die Nachricht brachte, schielte er in die Ecke und kicherte. »Ich laß gratulieren,« sagte er, »es ist gut, daß sich die Döderleins fortpflanzen, da stirbt das Pläsier in der Welt nicht aus.«
Mit den Jahren kam es, daß die kleine Dorothea sich manchmal auf der Stiege herumtrieb oder am Ziehbrunnen im Hofe saß. Da schaffte Herr Carovius einen bösen Hund an, der den Namen Cäsar erhielt. Cäsar lag an der Kette, aber sein Geknurr und seine tückischen Augen flößten dem Kinde Furcht ein, und es mied die häuslichen Spielplätze.
An einem Geburtstag des Herrn Carovius erschien, nach Jahren wieder, Margaret mit ihrem vierjährigen Töchterchen, und Dorothea sagte ein Gedicht auf, das sie zu diesem Zweck hatte lernen müssen. Carovius schüttelte sich vor Lachen, als er das puppenhaft herausstaffierte und geziert redende Mädchen sah. »Meiner Treu,« rief er, »ich hätte nie geglaubt, daß so eine kleine Kröte schon so wacker quaken kann.«
Obwohl er von Frauen so wenig wußte, daß es schauerlich gewesen wäre, den Umfang dieses Nichtwissens auszumessen, spürte er doch, während Margarets Antlitz strahlte, eine Lebensenttäuschung in ihr, die sich betäuben wollte und die ihn entzückte.