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Schmerz, Trauer, Verzweiflung, das waren nicht die Worte, die seinen Zustand bezeichneten.
Er wußte nichts von sich und hatte keine Gedanken. Er lag auf dem Kanapee in der Wohnstube, Tag und Nacht, aß nicht, sprach nicht, rührte sich nicht.
Als sie den leeren Sarg in die Sterbekammer trugen, wühlte er das Gesicht tief in die Ecke des Kanapees. Der alte Jordan wankte durch den Raum, um sein totes Kind noch einmal zu sehen. »Er hat sich versündigt,« schluchzte er drinnen auf, »er hat sich an unserm Herrgott versündigt.«
Im Flur draußen wurde getuschelt. Martha Rübsam und ihr Mann, der Notar, hatten sich eingefunden. Martha weinte still. Ihre schmale Gestalt mit dem blassen Gesicht stand im Türrahmen, und sie suchte Daniel mit den Blicken.
»Willst deine Lenore nicht noch anschauen, vor sie den Sarg zumachen?« fragte Philippine dumpf.
Er rührte sich nicht; seine Züge verzerrten sich grauenhaft.
Neben ihm auf dem Tisch standen kaltgewordene Speisen, auch Brot und Äpfel.
Sie trugen den Sarg hinaus. Es schien ihm, als sei an der Stelle seines Herzens ein schwarzer, leerer Raum. Die Glocken tönten, ans Fenster klatschte Regen.
In der zweiten Nacht darauf verspürte er eine wunderliche Lockerung seines Gemüts. Dann ein kurzes Aufflammen, dann wurde es brennend naß in seinen Augen. Lautlos ergab er sich und ihm war, als begriffe er zum erstenmal in seinem Leben die Schönheit des reinen Dur-Dreiklangs.
Es verging noch ein Tag. Er vernahm, wie der alte Jordan über ihm herumging, mit schweren Schritten, unablässig. Es fror ihn, und als Philippine ins Zimmer huschte, bat er sie um eine Decke. Philippine war überaus eifrig, ihm zu willfahren. Da bimmelte das Flurglöckchen. Philippine ging hinaus und öffnete.
Vor ihr standen ein Herr und eine Dame. Sie hatten etwas so Vornehmes, daß Philippine nicht wagte, sie zurückzuhalten, als sie zur Tür der Wohnstube schritten, die nicht zugemacht war und durch die man Daniel auf dem Kanapee liegen sah.
Daniel schaute den Eintretenden gleichgültig entgegen. Ganz allmählich kamen Sammlung und Erinnerung in seinen Blick.
Es waren Eberhard von Auffenberg und seine Kusine, Sylvia von Erfft, die ihn besuchten. Sie waren ein verlobtes Paar.
In bedeutenden Umwälzungen seines Lebens stehend, hatte Eberhard erst vor wenigen Stunden vom Tod Lenores Kunde erhalten.
Es war ein seltsamer Besuch. Keines von den dreien sprach ein Wort, und Daniel blieb unter seiner Decke regungslos liegen. Nur als Sylvia sich erhob, sagte sie, zu Daniel gewandt: »Ich kannte Lenore nicht, aber es ist mir doch, wie wenn wir Freundinnen gewesen wären.«
Eberhard stieß sein Drosselbartkinn in die Luft und war blaß und stumm.
Sie kamen an den folgenden Tagen wieder, und nach und nach übte die Gegenwart der beiden einen wohltuenden Einfluß auf Daniel aus.