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Aber er kam wieder, und als Daniels Geist und Körper vollends niederbrach und er sich zu Bett begeben mußte, wurden seine Besuche regelmäßig. Er saß neben Benda, denn Benda war oft vom Morgen bis in die Nacht in Daniels Stube, doch Daniel wurde immer stiller und antwortete bisweilen gar nicht auf Bendas Fragen.
Hinter dem Doktor Dingolfinger trat das Gänsemännchen ein und reckte sich neugierig, um ihm über den Arm zu blicken, wenn er seine Rezepte schrieb. Denn es war klein von Gestalt und reichte dem Doktor kaum bis zur Hüfte.
Es trippelte um Agnes herum, wenn sie die Suppe brachte und äußerte sein Mitleid über das schlechte Aussehen des Mädchens, das mit seinen dreizehn Jahren einen betrübenden Eindruck der Reife machte und dessen Augen furchtsam und verstohlen nach einem liebevollen Blick aus andern Menschenaugen Ausschau hielten. »Die müßte man auch pflegen,« sagte das Gänsemännchen kopfschüttelnd, »der müßte man auch ein gutes Süpplein kochen.«
Ohne daß man es aufdringlich hätte nennen können, bekümmerte es sich um alles, was im Hause vorging. Als die Gerichtspersonen kamen, um Daniel wegen des Brandes zu vernehmen, zeigte es sich ungehalten und wollte die Herren nicht über die Schwelle lassen. »Gönnt ihm doch endlich Ruhe,« beschwor es sie, »endlich kann er sich sammeln, endlich zurückschauen.« Und in der Tat entfernten sich jene bald wieder.
Dabei war es stets guter Laune, stets zu einem Scherz aufgelegt. Manchmal pfiff es leise vor sich hin und zog dabei sein Röcklein glatt. Eine gewisse Bauernschlauheit trat an ihm zutage, aber seine liebenswürdigen Manieren und seine kindliche Heiterkeit ließen diese Eigenschaften nicht unangenehm erscheinen. Zumeist redete es im Nürnberger Dialekt, nur wenn es mit Daniel allein war, sprach es im getragenen Hochdeutsch, und seine natürliche Bildung wie der Reichtum seiner Ausdrucksmittel war dann zum Erstaunen.
Zehnmal des Tags lief es zum kleinen Gottfried in die Kammer und bezeigte sein Entzücken über das hübsche Kind. »Wie beneidenswert bist du, daß so ein lebendiges Geschöpf in deinem Haus herumkrabbelt,« sagte es zu Daniel, und allmählich spürte Daniel eine ganz neue Zärtlichkeit gegen das Kind in sich erwachen.
Als sich das Gänsemännchen heimisch fühlte, brachte es immer seine beiden Gänse mit und setzte sie behutsam in einen Winkel der Stube. Eines Abends saß es bei ihnen und scherzte mit ihnen, da läutete es draußen, und Andreas Döderlein stürmte herein. Er machte großen Lärm und begehrte zu wissen, wo seine Tochter sei.
»Meiner Treu, ein alter Bekannter,« sagte das Gänsemännchen lustig zwinkernd. »Ich seh ihn jetzt öfter im Wirtshaus sitzen, als seiner Gesundheit zuträglich ist.«
»Ich muß dringend bitten, sich zu mäßigen,« wandte sich Benda beherrscht zu Andreas Döderlein und deutete auf das Bett, in welchem Daniel lag.
»Meine Tochter ist nicht schlecht, das rede man andern ein, die leichtgläubiger sind,« rief Döderlein mit der Miene und Gebärde des königlichen Lear und schüttelte die Mähne; »gewaltsam hat man sie ins Verderben gehetzt; durch niedrige Kniffe hat man mir die Liebe meines Herzblättchens geraubt. Wo ist es hin, das unglückliche, verratene Kind, womit wird es seine Blöße decken?«
Da geschah das Wunderliche, daß sich das Gänsemännchen an den riesigen Arm des Olympiers hing, seinen Mund dessen fleischigem Ohr näherte und ihm mit trauriger und vorwurfsvoller Miene etwas zuflüsterte. Döderlein wurde rot und blaß, schaute zur Erde und ging mit seinem dröhnenden Schritt schweigend davon. Das Gänsemännchen verschränkte die Arme über der Brust und blickte ihm in tiefen Gedanken nach.
»Er soll sich dem Trunk ergeben haben,« sagte Benda, »soll ein wüstes Leben führen. Es scheint mir unglaubhaft. Die Döderleins begnügen sich gewöhnlich damit, am Ufer des Sumpfs zu lustwandeln und andere Leute hineinplumpsen zu lassen. Die Döderleins werden im falschen Hermelin geboren und sterben auch im falschen Hermelin.«
»Und doch ist er ein Mensch,« sagte das Gänsemännchen, nur für Daniel vernehmlich.
Daniel seufzte.