Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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12

Jason Philipp war zu einem gemütlichen Abend in der Gesellschaft »Schlapperatzen« geladen und benutzte die Siesta nach dem Nachtessen zur Lektüre des Leitartikels im Kurier. Darin war eine Rede Bismarcks so witzig glossiert, daß Jason Philipp einigemale ein schadenfrohes Beifallsknurren hören ließ.

Er hatte sich eine Apfelsine mitgebracht; die Frucht lag zerschnitten und mit Zucker bestreut neben ihm auf einem Teller. Von Zeit zu Zeit langte er hin, ergriff ein Stückchen, schob es in den Mund, schmatzte umständlich und leckte, wenn es verschlungen war, die Lippen. Da stierten dann beide Söhne lüstern auf seine Hand und leckten im geistigen Mitgenuß ebenfalls ihre Lippen.

Willibald stöhnte über einer algebraischen Gleichung; auf seinem grauen, finnigen Gesicht lag Unbegabtheit und üble Laune. Markus durfte seines Gebrechens halber nicht bei Lampenlicht arbeiten; er half seiner Mutter beim Linsenlesen und machte, um diese gegen Philippine aufzureizen, fortwährend giftige Bemerkungen über das Ausbleiben der Schwester.

Das letzte Stück der Apfelsine verschwand hinter Jason Philipps Bart, da bimmelte das Gatterglöckchen.

»Es ist ein Mann draußen,« sagte Markus, der hinausgegangen war und nun mit seinem einzigen Auge dumm glotzend auf der Schwelle stand.

Jason Philipp reckte den Hals. Gleich darnach sprang er vom Stuhl empor. Er hatte den im halbdunkeln Flur stehenden Daniel erkannt.

»Ich habe mit dir zu sprechen,« sagte Daniel, indem er ins Zimmer trat. Er zerknüllte den Filzhut in den Händen, und die Blicke, mit denen er umherschaute, zeugten von großer Erregung.

Er sah weder Jason Philipp, noch Therese, noch einen der Knaben an. Sein Auge flog über die Wände und die geringen, unschönen und seltsam gemeinen Gegenstände, die an ihnen hingen: ein Zeitungshalter mit gestickten Bändern; ein Eckbrett, auf welchem ein Bierkrug den dicken Leib und Kopf eines Mönches darstellte; ein Öldruck mit einem in den Krieg ziehenden und von seiner zahlreichen Familie Abschied nehmenden Landwehrmann. Diese Dinge hatten für Daniel etwas wie ein unsinniger Traum. Tiefatmend bohrte er endlich seinen Blick in den Jason Philipps. Da waren viele Jahre weggewischt, da sah er sich am Brunnen in Eschenbach stehen; ringsum glühten die Steine sowie die gekreuzten Balken in den Häusermauern, und Jason Philipp hastete in scheuem Bogen erbittert vorbei, als fliehe er vor der Welt, vor der Sonne, vor den Menschen und vor der Musik.

»Ich habe mit dir zu sprechen,« wiederholte er.

Therese schien es, daß sich nun ihre schlimmen Ahnungen erfüllten. Mit schlotternden Knien stand sie auf. Sie wagte nicht, in die Richtung zu schauen, wo Daniel sich befand und sie gewahrte nicht, sie spürte nur den Wink Jason Philipps, mit dem er ihr und den Knaben das Zimmer zu verlassen befahl. Sie packte Markus bei der Hand und Willibald beim Rockärmel und zwischen beiden wankte sie hinaus.

»Was gibts?« fragte Jason Philipp, verschränkte die Arme und blickte finster in den Linsenhaufen auf dem Tisch. »Du hast eine sehr, wie soll ich sagen, eine sehr eindringliche Manier. Es ist eine Manier, die einen erinnert, daß wir Gesetze gegen Hausfriedensbruch haben. Deine Aktien müssen in letzter Zeit ziemlich hoch im Kurs gestiegen sein. Also was ist los?«

Er räusperte sich und trommelte mit den Fingern an die Ellenbogen der verschränkten Arme.

Daniel fühlte, wie er die Ruhe verlor; er fühlte seine eigenen Arme wie eine Gefahr; es prickelte in ihnen. Aber noch fand er kein Wort; noch dünkte ihn die Frage, die er zu stellen hatte, zu ungeheuerlich, als daß er die Furcht vor Irrtum und Übereilung ganz hätte unterdrücken können.

»Wo ist das Geld hingekommen, das dir mein Vater gegeben hat?« kam es endlich dumpf grollend über seine Lippen.

Jason Philipp entfärbte sich und seine Arme sanken herab. »Das Geld? Wo das Geld hingekommen ist? Das dem Vater –? wo es hingekommen ist?« stotterte er verworren. Er wollte Zeit gewinnen; er wollte überlegen, was er gestehen müsse, was er verbergen durfte. Ein scheuer Blick in das Gesicht Daniels verriet ihm nichts Gutes. Er fürchtete sich vor diesem mageren, muskulösen und verwegenen Gesicht.

Er fauchte vor Zorn bei dem Gedanken, der junge Mensch, für den er, Jason Philipp, einst die höchste Autorität gewesen, wolle sich unterfangen, ihn zur Rechenschaft zu ziehen, und in dieser Vorstellung fühlte er sich als der tadellose Ehrenmann, der er in den Augen aller seiner Mitbürger zu sein wünschte und zu sein glaubte. Zugleich würgte ihn eine unbeschreibliche Angst vor dem Verlust des Geldes, das als sein Eigentum zu betrachten er sich längst gewöhnt, mit dem er spekuliert und gearbeitet hatte und das zu einem Teil seines Wesens geworden war wie sein Haus, wie sein Geschäft, wie seine Projekte. Er vergrub die Hände in den Hosentaschen und prustete; die feige Furcht vor den Folgen eines Betrugs zwang ihn zu einem halben Geständnis des Betrugs, aber in seinen Worten lag auch die fieberhafte Rabulistik des Geldmenschen, der in tobender Verzweiflung um den Mammon kämpft.

»Das Geld ist da. Natürlich ist es da. Wo soll es sonst sein? Was von Zinsen und Vorschüssen nach Eschenbach gewandert ist, darüber geben meine Bücher Auskunft. Meine Bücher können eingesehen werden bis auf den heutigen Tag. Ich habe es ein gutes Stück vorwärts gebracht im Leben. Wer so wie ich in der Welt dasteht, hat keinen Menschen zu scheuen. Denkst du vielleicht, Jason Philipp Schimmelweis ist so mir nichts dir nichts zum Zähneklappern zu bringen? Da müssen schon andere kommen. Wer bist du denn? Was für ein Amt hast du? was für eine Befugnis? Mit welchem Recht überfällst du mich zwischen meinen vier Wänden? Bildest dir vielleicht was auf deine Künstlerschaft ein? Deine ganze Kunst ist mir piepe. Der ganze Schnickschnack ist nicht wert, daß man darauf spuckt. Musike machen, Blödsinn. Wer braucht denn das? Ein Mensch, der was auf sich hält, treibt dergleichen höchstens am Feierabend. Mir imponierst du noch lange nicht. Bei dir rappelts im Koppe, und wenn du glaubst, daß du Geld von mir bekommst, da lach ich einfach, da verlang ich schon eine andere Frisur, da muß man mir schon eine Reverenz erweisen, und nicht so: Mutter jib mir wat fors Vergniegen. Nee, mein Lieber, nee.«

Auf Daniels Gesicht zeigte sich ein Lächeln, das Jason Philipp gräßlich erschien. Er verstummte jäh. Er beschloß, einzulenken und den Vorschlag einer kleinen Zahlung zu machen; er hoffte, sich mit ein paar hundert Mark einstweilen Ruhe verschaffen zu können.

Aber Daniel war nun seiner Sache sicher. Er gedachte des Elends, das er hatte erleiden müssen und es ward ihm heiß ums Herz. Zugleich schämte er sich für diesen Mann und empfand Ekel vor ihm.

Er sagte ruhig und fest: »Ich muß bis morgen früh um zehn Uhr dreitausendsiebenhundert Mark haben. Es handelt sich darum, eine ehrenhafte Familie vor dem Untergang zu bewahren. Wird dieser Betrag pünktlich abgeliefert, so verzichte ich auf alles übrige in gültiger Form. Das Schriftstück wird in meiner Wohnung bereit liegen. Ist das Geld um zehn Uhr nicht in meinen Händen, so werden wir uns auf einem andern Schauplatz wieder treffen, vor Männern, die dir gewiß imponieren.«

Er wandte sich zum Gehen.

Jason Philipps Mund tat sich weit auf, und er drückte die Faust an das Loch. »Dreitausendsiebenhundert Mark?« röchelte er; »der Mensch ist verrückt. Komplett verrückt ist der Mensch. Mensch, Mensch, bist du verrückt?« schrie er, um Daniel aufzuhalten. »Bist du verrückt, Mensch? Willst du mich zugrunde richten? Hörst du nicht, verdammter Mensch?«

Mit Grauen schaute Daniel Jason Philipp an. Da wurde die Tür zum Nebenzimmer aufgerissen und Therese stürzte herein. Ihr Gesicht war erdfahl, nur auf den Wangenknochen waren zwei kleine, kreisrunde rote Flecken sichtbar. »Du kriegst das Geld, Daniel,« heulte sie hysterisch. »Du kriegst das Geld, oder ich geh in die Pegnitz. In die Pegnitz geh ich und ersauf mich.«

»Weib!« knirschte Jason Philipp und packte sie an der Schulter.

Sie sank auf einen Stuhl, und mit den Händen in die Haare greifend fuhr sie fort: »Überall steht er, der selige Gottfried und sieht mich an. Vorm Wäscheschrank steht er und an der Speis' steht er und am Bett steht er und nickt und mahnt und hebt den Finger und hat keine Ruh im Grab und läßt mich nicht schlafen, all die Jahre her nicht schlafen.«

»Nanu, jetzt denk mal an deine Kinder!« herrschte Jason Philipp sie an.

Therese ließ die Hände in den Schoß fallen und blickte mit leeren Augen zu Boden. »Das viele schöne Geld,« klagte sie dumpf, »das viele schöne Geld.« Dann wieder, mit verzerrten Zügen und kreischend: »Aber du wirst's kriegen, Daniel, ich steh gut dafür, ich bring's dir selber.« Dann wieder klagend und leise: »Das viele, schöne Geld.«

Daniel war erschüttert. Ihm schien, als habe er nie zuvor das Geld begriffen, als habe sich ihm die Bedeutung des Wortes erst in dieser Stunde und mit Thereses Stimme offenbart.

»Morgen früh um zehn Uhr also,« sagte er.

Therese nickte stumm beteuernd und erhob, wie um sich zu schützen, die Hände mit gespreizten Fingern gegen Jason Philipp. Willibald und Markus hatten sich unter die Türe gedrängt; das Gatter mußte nicht geschlossen worden sein, denn plötzlich trat auch Philippine ein, die Daniel bis zum Haus begleitet und dann auf der Straße geblieben war. Länger hatte sie nicht warten gewollt; sie war zu begierig, zu erkunden, welche Folgen ihr Verrat gehabt hatte.

Mit gespielter Unbefangenheit schaute sie umher. War es nun ihr Anblick allein, der Jason Philipps Grimm erweckte, das halb feige, halb zynische Lächeln, das um ihren Mund zuckte, oder war es die gehäufte blinde Raserei, die sich entladen wollte, oder ahnte er dunkel, was sie getan; genug, er schritt auf sie zu und schlug sie mit der geballten Faust ins Gesicht.

Sie verzog keine Miene.

Empört von der Roheit der Züchtigung, trat Daniel zwischen Jason Philipp und seine Tochter. Aber der giftige Hohn in den Augen des Mädchens erstickte sein Mitgefühl, und er kehrte sich zur Türe und ging schweigend fort.

»Das viele schöne Geld,« murmelte Therese.


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