Jakob Wassermann
Das Gänsemännchen
Jakob Wassermann

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10

Es war im Winter, da kam die Truppe nach Ansbach und sollte im ehemaligen Theater der Markgrafen spielen. Der »Freischütz« sollte in Szene gehen; Daniel hatte mit seinen Musikern mehr als sonst geprobt.

Aber es wütete ein heftiger Schneesturm an jenem Tage, darum waren kaum zwei Dutzend Personen in die Vorstellung gekommen.

Wie in diesem Raum die Geigen anders klangen, wie die Stimmen von selbst Maß und Ruhe gewannen! Daniel hatte auch sein Orchester derart bezaubert, daß es ihm gehorchte wie ein einziges Instrument.

Nach dem letzten Akt trat ein weißhaariger Mann auf ihn zu und drückte ihm glücklich und dankbar lächelnd die Hand. Es war der Kantor Spindler.

Daniel begleitete ihn nach Hause, und sie redeten viel von der Vergangenheit und von der Zukunft, von Menschen und von Werken. Sie konnten kein Ende finden, und das Schneegestöber störte sie nicht. Auch an den folgenden Tagen waren sie viel beisammen, aber am Ende der Woche wurde der Kantor krank und mußte sich zu Bett legen.

Als Daniel eines Morgens in die Wohnung seines alten Freundes kam, erfuhr er, daß der Kantor in der Nacht plötzlich gestorben sei. Es war ein sanfter Tod gewesen.

Am dritten Tage darauf folgte Daniel dem Leichenzug, und als er den Kirchhof verlassen hatte, nur wenige Leute hatten gleich ihm dem Kantor die letzte Ehre erwiesen, ging er bis zum Abend über die verschneiten Felder.

In derselben Nacht begann er in seinem ärmlichen Quartier die Komposition von Goethes »Harzreise im Winter«. Es war dies eines der tiefsten und seltsamsten Werke, die je ein Musiker ersonnen hat, aber es mußte das Schicksal der meisten Schöpfungen Daniels teilen, die durch ein tragisches Verhängnis der Nachwelt entzogen worden sind.


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