Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Aus früheren Zeiten kannte Benda den Theateragenten und Impresario Dörmaul. Zu Dörmaul ging er und brachte ihm Daniels Arbeit, denn der vielseitige und in viele Projekte verstrickte Emporkömmling verlegte auch musikalische Werke.
Es dauerte einige Wochen, bis ihn der Impresario wieder vor sich beschied, »Unverständliches Zeug, Originalitätshascherei,« lautete Dörmauls Urteil, »damit lockt man keinen Hund vom Ofen.«
Ein junger Mensch mit feuerroten Haaren folgte Benda aus dem Zimmer und redete ihn an. Er heiße Wurzelmann und sei selbst Musiker; er habe das Wiener Konservatorium besucht und sei von seinem dortigen Lehrer an Alexander Dörmaul empfohlen worden. Dieser gehe nämlich damit um, eine Wanderoper zu gründen, nämlich eine Truppe in Sold zu nehmen, die mit einem festen Repertoir von Spielopern durch die kleinen Städte der Provinz ziehen solle, und er werde erster Kapellmeister sein.
Er sprach im häßlichen Idiom der Juden des Ostens. Benda war in artiger Weise kalt.
Die Hauptsache kam zuletzt. »Vineta« hatte Wurzelmanns Begeisterung erweckt. Er hatte die Partitur heimlich gelesen. »Ein großes Talent, Herr Doktor, wie man es seit langem nicht erlebt hat,« sagte er.
»Was soll ich da von Herrn Dörmauls Urteil halten?« fragte Benda, weil er dem Anwesenden noch nicht recht traute und den Abwesenden gegen ihn in Schutz nehmen wollte.
»Kennen Sie Dörmaul nicht? Ich dachte, Sie kennen ihn. Wo er keine Autorität fürchtet, wird er kühn. Legen Sie ihm die neunte Symphonie ohne Titelblatt vor, und er erklärt sie Ihnen für Schund. Jede Wette.«
»Ach? ist das wirklich so?« fragte Benda bekümmert.
»Geben Sie mir die Partitur, und ich verspreche Ihnen, daß ich die Leute dafür auf die Beine bringen will. Für so was muß man die Fanfare blasen.«
Benda besann sich eine Weile. Er hatte keine Neigung fürs Fanfarenblasen, und er glaubte auch nicht an die Treue derer, die das Blasen besorgten. Doch willigte er ein, da er sich nicht das Recht anmaßte, Daniel um eine Hoffnung zu verkürzen.
Es erwies sich, daß Wurzelmann nicht geflunkert hatte. Vierzehn Tage später erhielt Daniel die Nachricht, der Orchesterverein habe sich entschlossen, seine Komposition im Februar zur Aufführung zu bringen. Um der Zuhörerschaft ein reicheres Bild seines Schaffens zu geben, forderte man noch eine zweite Arbeit von ihm. Daran war kein Mangel. Vieles harrte der Vollendung.
Wurzelmann rühmte sich, den hochmögenden Herren die Türen eingerannt zu haben. Er hatte sich Gutachten der Musikprofessoren Wackerbarth und Herold verschafft, und das diplomatische Meisterstück hatte darin bestanden, daß er Andreas Döderlein als Dirigenten gewonnen hatte.
Er war unerschöpflich in Ratschlägen und voll von Plänen. Er sprach davon, daß bei der Wanderoper ein zweiter Kapellmeister notwendig sein werde, da er selbst mehr als stellvertretender Direktor zu amtieren habe. »Lassen Sie mich nur machen, lieber Nothafft,« sagte er, »Alexander Dörmaul muß tanzen, wie ich pfeife, und mein Pfiff lautet: Nothafft wird Kapellmeister oder keiner.«
Hatte er demütig begonnen, so endete er mit Vertraulichkeiten. Daniel haßte rothaarige Leute, besonders wenn sie entzündete Augen hatten und beim Sprechen speichelten.
»Er ist ein unappetitlicher Bursche, dein Wurzelmann,« sagte er zu Benda, »und daß ich ihm Dank schulde, ist hart. Er denkt, es schmeichelt mir, wenn er verächtlich von sich selber redet. Fußtritte verdient er.«
Benda schwieg. Von Wurzelmanns aufopfernden Bemühungen gerührt, hatte er ihn servule, das Knechtlein genannt. Es war schön, daß einer da war, der die Blöcke aus dem Wege räumte, damit der Fuß des aus dem Dunkel Getretenen Platz zum Schreiten habe. Aber das Knechtlein war erfüllt von der Bewunderung des in Armut und Bedrückung geborenen Juden für den Genius der andern Rasse.
Benda wußte es. Ihm ekelte davor, weil es eine Tatsache war, die andern, nicht weniger lügnerischen Schwärmern als Stammeseigentümlichkeit galt.