Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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Da ihn seine wissenschaftlichen Arbeiten täglich mit den Eingeborenen in Berührung brachten und seine Sympathie ihm half, sie zu verstehen, setzte er ihrer Bilder- und Vorstellungswelt nicht den vorurteilsvollen Widerstand entgegen, den der Europäer sich in solchen Fällen schuldig zu sein glaubt.

Die bedeutsamste Erfahrung war für ihn die Ruhe ihrer Seelen und daß die Seelen von allen wie eine einzige waren und daß Erschütterung des Geistes und Krankheit des Leibes wie Schuld empfunden wurde. Versündigung an der Gemeinschaft. Verrat an der Gottheit. Ein Mann, der an einer Splenomegalie litt, schmerzhafter Milzvergrößerung, trat eines Tages nackt vor die versammelte Gemeinde und forderte die Ältesten und die Priester auf, ihn zu töten, da er, siech und von den Göttern verworfen, nicht mehr würdig sei, unter ihnen zu weilen.

War es nicht das Irlen-Erlebnis, das ihm, entscheidender als vor fünfzehn Jahren, wiederum den Weg vorschrieb ? Und sah er nicht durch unerwartete Fügung, die wie Freundlichkeit des Schicksals wirkte, das Gesetz vom biologischen Gewissen unmittelbar bestätigt, der Syneidesis, das der große Forscher in Zürich gefunden und verkündigt hatte? Er dachte oft an den Abend, da er dem gewaltigen Mann gegenüber gesessen war, der fünfundsiebzigjährig, auch körperlich ein Riese von dem Thron seiner Weisheit auf das Menschengewimmel, Leben und Sterben, mit dem verwunderten Lächeln herabsah, daß das unbestreitbare Vorrecht der Genien ist.

Er sagte zu Mabel Hardy, mit der er in der letzten Zeit seines Aufenthaltes fast täglich beisammen war: »Wenn ich meine Existenz hier in einer Formel ausdrücken müßte, würde ich sagen, sie erscheint mir als Vorbereitung für eine künftige andere, deren Umrisse nur allmählich sichtbar werden. Ich meine damit nichts Übernatürliches, wie Sie vielleicht denken, sondern eine reale irdische Fortsetzung. Ich habe das schon einmal erlebt. Klar: So wie man hineingegangen ist in den Glühofen, kommt man nicht wieder heraus.«

Solche Äußerungen machten auf Mabel Eindruck, da sie mit allen ihren Träumen an jener Überwelt hing, von der er sich soeben mit einiger Vorsicht distanziert hatte. Aber sie nahm seine Worte nicht für bare Münze. Sie hielt ihn für einen Erleuchteten und in ihrem inbrünstigen Glauben an ihn redete sie sich ein, daß er sich über die ihm verliehenen Gaben und Kräfte täusche, zum Schaden derer, an denen sie sich fruchtbar erweisen sollten. Sie hatte an schweren nervösen Depressionen gelitten und er hatte sie davon geheilt; ohne besondere Künste oder Mittel, ohne daß sie es recht merkte, natürlich nur auf dem Weg freundschaftlichen Übereinkommens, zu praktizieren war er ja nicht befugt. Seitdem stand er in ihrer Meinung so hoch wie kein anderer Mensch sonst. Sie blickte mit ungemessenem Vertrauen zu ihm auf, das kindlich und unschuldig war, wie auch ihr Anspruch auf seine Person der Unschuld eines siebzehnjährigen Mädchens entsprach, nicht einer reifen Frau von sechsundzwanzig Jahren. »Daß ich Sie gefunden habe, betrachte ich nicht als Glücksfall«, pflegte sie zu sagen (sie hatte lange in Deutschland gelebt und beherrschte die deutsche Sprache vollkommen), »es mußte sein. Ich habe darauf gewartet.« Dabei liebte sie ihren Mann, der jung, gescheit und ein nobler Charakter war.

Kerkhoven verstrickte sich und wurde unruhig. Die Frau ließ etwas in ihm erblühen, worauf er in seinen Jahren nicht mehr gefaßt war.


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