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Aus einem Brief Bettinas an Kerkhoven:
»... es widerstrebt mir, in Ihre Zeit einzubrechen wie ein dummer kleiner Dieb in ein gastliches Haus, trotzdem Sie mir einmal sagten, Sie hätten keine eigene Zeit. Ich weiß jetzt, von wie vielen Menschen Sie in Anspruch genommen werden, das ist für mich Hindernis genug. Sie müssen bedenken, teurer Freund, meine Anfänge lagen in einer abgegrenzten und formelhaften Welt. Als Kind wurde ich von meinem Vater dazu erzogen, die Distinktionen zu achten und die Unterscheidungen zu lernen. Er war weise. Eigentlich gehörte er ins achtzehnte Jahrhundert, wo man noch die Vernunft hochachtete, und oft sagte er scherzend, einer, der den Kopf oben behält, ist mehr wert als hundert, mit denen das Herz durchgeht. Später bin ich dann in die Lebensunordnung geraten, ins geistige Abenteuer, damit hab ich vielleicht mein inneres Gesetz übertreten, und der Becher der Wirklichkeit ist mir in der Hand zersprungen. Ich habe viel über das Pascalsche Wort nachgedacht, das Sie in Ihrem letzten Brief anführen: le coeur a ses raisons que la raison ne connaît point. Gewiß. Aber wenn man so wie ich durch Fügung und Schicksal unaufhaltsam in das dunkle Reich der Instinkte hineingezogen worden ist, diesen reißenden Strom, von dem man nie weiß, an welches Ufer er einen schleudern wird, ans höllische oder ans paradiesische, dann richtet sich alle Sehnsucht, deren man fähig ist, auf die Helligkeit, die Form und das Maß. Sie haben mir einmal auseinandergesetzt, warum Alexander nach Ihrer Ansicht unverwundbar sei, unschuldig und unverwundbar sagten Sie, erinnern Sie sich? Sie sprachen davon, daß Menschen mit einer gesicherten Instinktgrundlage unter einer Art von Engelschutz lebten. Ich habe Sie doch richtig verstanden? Schön, aber wir andern, bei denen die letzten, untersten Bewußtseinsschichten nicht so ins Element hineinfließen, was sollen wir tun? was ist unser Los? Geist und Logos haben da unten keine Stimme mehr, die Erdmächte herrschen, die Nachtmächte, die Blutmächte, ich aber kann dauernd in einer Welt wie unserer nicht leben, in der die Anima in den Animalismus und den Totemismus versinkt, so wenig wie in einer Musik, die nur noch aus Tönen besteht und keine Mathematik mehr hat... Über Alexander schreib ich Ihnen nächster Tage ausführlich: Alles in ihm scheint einer neuen Krise zuzutreiben, gefährlicher noch als die erste, und ich bin unfähig, sie abzuwehren...«
Kerkhoven gab den Brief Marie zum Lesen. Sie las ihn, und als sie fertig war, las sie ihn zum zweiten Mal. Dann sagte sie: »Die Frau muß ich kennenlernen.«