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Zur selben Zeit lag Aleid unten in Wehen. Marie, Schwester Else und die Hebamme waren bei ihr. »Du mußt schreien, Liebling,« sagte Marie, »schrei so laut du kannst, das wird dir helfen.« Aber Aleid biß mit solcher Gewalt die Zähne zusammen, daß sich ihr ganzes Gesicht verzerrte und die Augen zu Schlitzen wurden. Sie weigerte sich zu schreien. Sie hatte sich vorgenommen, nicht zu schreien. Es dauerte bereits sieben Stunden, das Fürchterliche; es war als ob die Eingeweide langsam in Streifen gerissen würden. »Laßt mich sterben,« ächzte sie, »warum laßt ihr mich nicht sterben? schlagt mich tot... ich will nicht, ich will nicht...« Von Zeit zu Zeit war Kerkhoven hereingekommen, hatte ein paar Worte mit der Hebamme gewechselt, war ans Bett getreten und hatte der Kreißenden die Hand auf die Stirn gelegt, was sie zu beruhigen schien. Ein rasender, irrer Blick zuckte zu dem Mann empor, dann verkrampften sich die Lider von neuem zu Schlitzen. Gegen elf Uhr verließ Marie schluchzend das Zimmer und ging zu Bettina, die im Raum nebenan saß. »Ich kanns nicht mehr mitansehen,« rief sie aus, streckte die Arme mit geballten Fäusten starr von sich und wäre hingestürzt, wenn Bettina nicht eilends aufgesprungen und sie gestützt hätte.
Auf einmal ein Schrei, ein einziger Schrei wie eine Stichflamme, die in die Nacht zischt, unerträglich, eine drei Sekunden lange Ewigkeit lang. Beide Frauen lehnten zitternd aneinander. Dann war es still. Sie lauschten; es war still. Dann ein kleines absonderliches Krähen. Die alte Hebamme öffnete die Tür. »Gelobt sei Jesus Christus,« sagte sie, »es ist überstanden.« Schwester Else, Marie und Bettina falteten unwillkürlich die Hände. Kerkhoven kam vom Refektorium herunter. Alexander Herzog blieb im Flur stehen. Drinnen lag mit weiten Augen die junge Mutter, zwischen ihren Armen eingewickelt das Wesen, das sie geboren hatte. Kerkhoven nahm ihre Hand. »Laß mich sehen, Onkel Joseph,« hauchte sie. Er hob es sorglich auf und zeigte es ihr. »Ist es das?« flüsterte sie, »und lebt? sag, lebt es wirklich?« – »Es lebt mit allem, was es an sich hat,« sagte Kerkhoven freundlich. – Die Smaragdaugen füllten sich mit einem unbeschreiblichen Glanz. – »Du mußt es als eine Gnade ansehen, Aleid,« sagte Kerkhoven; »fühlst du, daß es die Gnade ist?« – »Ja... ich fühls...« war die Antwort, »ich fühls...«
Ende