Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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Vier Todesträume Alexander Herzogs, die er für Kerkhoven aus seinem Merkbuch herausgeschrieben.

Der erste: ich weiß Bettina mit J. K. im Theater. Es treibt mich ebenfalls hin, und damit sie bei meinem Erscheinen nicht ärgerlich wird, will ich ihr sagen, daß ich eine Eisenbahnfahrt machen muß. Im Theater ist kein Platz mehr für mich, der Direktor gibt mir den Schlüssel zu seiner Loge, ich habe nur eine Hausjacke an und ein Hemd ohne Kragen. Zwischen mir und der Bühne ist ein freier Platz, mindestens fünfhundert Meter breit. Auf diesem Platz drängt sich ein wütender Pöbelhaufen, und in dessen Mitte sehe ich Bettina, die mich mit verzweifelt gerungenen Händen um Hilfe anfleht. Der Direktor lacht mich aus und sagt: das gehört zum Stück, es ist die Regie. Ich bestehe darauf, meinen Smoking zu holen, aber als ich die Loge verlassen will, steht J. K. vor mir und sagt ruhig: es gibt kein Hinauskommen, du mußt sterben...

Der zweite: Ich bin in einer Versammlung, einer Art Reichstag, aber es ist ein kleiner, schmaler Saal. Ich bin im Frack, habe jedoch einen Panamastrohhut auf dem Kopf. Den Vorsitz führt Bismarck, er entrüstet sich über den Panamahut und weist mich auf die Galerie. Ein Redner beginnt zu sprechen, er liest seine Rede von einem schmutzigen Fetzen Papier ab, und als er fertig ist, dreht er die elektrische Stehlampe vor sich aus und stirbt im selben Augenblick. Da wirft Bismarck sein gewaltiges weißes Haupt als wäre er geköpft vor sich hin auf den Tisch, und während ich die großartig-grauenhafte Agonie an diesem Haupt beobachte, ist mein Gedanke: das ist die Strafe für seinen Zorn wegen des Panamahutes...

Der dritte: Gewitter. Ich sehe Blitze wie violette Löcher in einer Wand, die sich gräßlich schnell öffnen und schließen. Ich werde umgeworfen, das heißt, ich krümme mich zu Boden, drücke die Fäuste in den Bauch und habe die Empfindung, daß ich tot bin. Zu meinem Erstaunen konstatiere ich, daß mich der Tod nicht schmerzt, ja, daß er nicht einmal mein Bewußtsein ausgelöscht hat. Und um mir das selbst zu beweisen, spiele ich Ganna eine Komposition Bettinas auf dem Klavier vor, mache aber so viele Fehler, daß mich Ganna fortwährend verbessern muß, wobei zu meinem Ärger aus dem schönen Adagio ein ordinärer Walzer wird. Daran ist nur das Gewitter schuld, geht es mir durch den Kopf und ich schmeiße den Klavierdeckel zu...

Der vierte: Ich bin mit Bettina allein. Sie legt sich zu Bett. Ich sitze an ihrem Bett. Ein fremder Mensch kommt herein. Er stört uns, aber wir können ihn aus irgendwelchen Gründen nicht fortschicken. Er ist ziemlich groß und elegant, hat aber den Hemdkragen offen und ist ohne Rock. Obwohl Bettina, als er endlich geht, todmüde ist, entschließt sie sich, noch in eine Gesellschaft zu gehen. (Sie will also nicht mit mir allein sein.) Kaum ist sie angezogen, im Abendkleid und mit ihrem Schmuck, legt sie sich wieder hin und schläft ein. Ich lege mich auch hin, aber sie kehrt mir den Rücken zu. Ich warte und warte. Ich halte einen Regenschirm über uns beide und sehe, daß der Raum zwischen uns voller Glasscherben ist, so wie ein Bachbett voller Kiesel. Ich stehe auf und laufe fort. Ich renne über Schienen und Geleise. Helmut läuft vor mir her. Wir kommen zum Bahnhof. Ich begegne Ferry. Ich frage: wo ist der Koffer? Er deutet auf einen Dienstmann. Ich bin wütend, daß er den leeren Koffer von einem Dienstmann tragen läßt. (Woher weiß ich, daß der Koffer leer ist?) Der Zug sieht aus wie die Kommandobrücke eines Schiffes. Ich finde mein Abteil und den Koffer nicht. Das Menschengedränge wird immer beängstigender. Ich höre Bettina mit markerschütternder Stimme nach Helmut schreien. Der Rauch der Lokomotive dringt mir in die Lungen, ich muß ersticken. Über die Bedeutung dieses Traums habe ich lang und schmerzlich gebrütet, ohne auf den Sinn zu kommen. Er hat etwas beispiellos Finsteres an sich; vielleicht weil die einzelnen Vorgänge so banal und nur im Zusammenhang gespenstisch wirken.


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