Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

45

»Was hast du eigentlich im Sinn, Joseph?« fragte sie hart, härter als sie wollte; und als er fortfuhr, sie anzustarren: »Ich meine, was du dir bei alledem denkst. Das möchte ich wissen. Du bildest dir doch nicht ein, daß ich euch hier den wohlwollenden Zuschauer abgebe.« – Kerkhoven erschrak sichtlich. »Ich verstehe keine Silbe, Marie,« stammelte er. – »Du mußt dir klar werden,« sagte Marie mit der klirrenden hohen Stimme, die sie hatte, wenn sie erregt war und sich mit aller Kraft beherrschte; »entweder ist es bloß ein Spiel, dann mach Schluß, und zwar sofort. Oder es ist Ernst, dann geh ich.« – »Marie! was redest du! ich beschwöre dich... ich hatte keine Ahnung, daß du... Spiel, Ernst... eines kommt so wenig in Frage wie das andere...« – »Ich weiß, daß du keine Ahnung hast,« bemerkte Marie bitter, »umso notwendiger, daß ich dir sage, wie die Dinge stehen.« – »Welche Dinge? was meinst du denn?« – Marie sah ihm in die Augen wie einem Kind, das aus Bestürzung lügt. »Es ist dir nicht angenehm, überrumpelt zu werden, kann ich mir lebhaft denken,« spottete sie; »es war dir immer lästig, wenn man dich gestellt hat. Aber siehst du, Joseph, ich vertrage nicht, daß etwas mit mir geschieht, wobei ich das Opfer einer... na, sagen wir einer Gedankenlosigkeit bin. Ich vertrage die kleinen Schwindeleien und Mogeleien nicht, die sich ein Mann mit einer Frau erlaubt, um sie dummschlau hinters Licht zu führen. Da mußt du früher aufstehn, wenn du damit Erfolg haben willst.« – Kerkhoven war ehrlich entsetzt. Er war ein wenig in der Lage eines Mannes, der sich mit der Angelrute vergnügt an ein Ufer setzt, um zu fischen und sich sehr verwundert, wenn er erfährt, daß das Fischen in diesem Wasser strafbar ist. An eine solche Möglichkeit hatte er gar nicht gedacht. Daß Marie Einspruch erheben könne, war ihm nicht in den Sinn gekommen. Sie hatte nicht die mindeste Ursache, wollte ihm dünken. Und hierin betrog er nicht sie, er betrog sich selbst. Zwar hatte er ihrer nicht geachtet, aber so wie man zuweilen des Kostbarsten, das man besitzt, nicht achtet, weil es ja da ist, verwahrt und versperrt.

Er sagte mit großem Ernst: »Deine Voraussetzung ist falsch, Marie. Nicht einfach, dir alles zu erklären. Zwischen Mabel und mir ist nichts, was dich beunruhigen könnte. Es ist... ja, es ist fast etwas Märchenhaftes. Sogar die Bezeichnung Freundschaft trifft daneben... Mabel ist das ungewöhnlichste Geschöpf, dem ich je begegnet bin...« – »Mann! Mann!« rief Marie fassungslos. – »Ich meine, in einer gewissen Art, in ihrer Einstellung zur Liebe,« verbesserte er sich erschrocken; »das Pflanzenhafte, Schlummernde, Sanfte... und... fünfundzwanzig Jahre... ich kann nicht leugnen... dazu dieses Gesicht... willst du mir nicht den unschuldigen kurzen Traum lassen, Marie?« – Marie hatte die Finger ineinandergekrampft und das Kinn auf die verschränkten Hände gelegt. »Ich will dir einmal was sagen,« begann sie leise, bemüht, ihre Verzweiflung zu verbergen; »kurzer Traum oder wie du es sonst nennst, das konzedier ich nicht. Hab ein Verhältnis mit ihr, schön; nimm sie zu dir ins Bett, wenn sie nicht zu tugendhaft oder zu bürgerlich dazu ist; konzedier ich ohne weiteres. Warum auch nicht? Aber dieses Schmachten und Anbeten, das verschwärmte Getue mit dem Hintergrund von Begehrlichkeit, der Überwertung des Verzichts auf das worum es schließlich doch geht, das, verzeih, das ertrag ich nicht, davor widert mich, davor graut mir.« – »Du läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig,« sagte Kerkhoven verletzt. – »Das war die Absicht. Nun kannst du dich danach richten. Wie benimmst du dich denn! Leben Sie wohl! leben Sie wohl... flötest wie ein Tenor... Natürlich, du wirst sagen: diese Marie, was erlaubt sie sich, sie hat ja Butter auf dem Kopf, macht den Aufpasser,... aber siehst du: ich passe eben auf...« Sie erhob sich, doch Kerkhoven legte seine beiden Hände schwer auf ihre Schultern. »Einen Augenblick, Marie. Geh nicht so weg. Du mußt wissen... brauch ichs denn erst zu sagen... was uns verbindet, hat mit dieser Sache nichts, aber auch nichts zu schaffen. Ohne dich bestünde sie gar nicht. Du bist in meinem Leben das oberste Prinzip... der oberste Mensch...« – »Ich glaube dir nicht, es ist nicht wahr, ich glaub dir nicht mehr, Joseph!« schrie Marie auf, warf sich vornüber auf das Bett und weinte als wollte ihr das Herz brechen.

Ein halb gütiges und weises, halb schuldbewußtes Lächeln trat auf Kerkhovens Lippen. Er beugte sich über sie. Er streichelte ihre Arme und ihre Haare. Er sprach zärtliche, beschwichtigende Worte. Er zog sie langsam an seine Brust. Sie hörte auf zu weinen. Sie umklammerte ihn. Sie hielt sich an ihm fest, immer stärker, wie wenn sie fürchtete, tief hinunterzufallen, sobald sie ihn losließ. Ihr Mund suchte seinen. Ihr Körper flog und brannte. Er löschte das Licht aus.

So hatte er sie nie in den Armen gehalten, auch in der Nacht der Wiedervereinigung nicht. Sein Erstaunen wurde zur Erschütterung. Das war nicht mehr Hingabe, es war ein neuer Zustand, eine in der Glut zerschmolzene Form. Von der kühlen, sich selbst bewachenden, schwer erringbaren Marie war nichts mehr übrig. Frauen können sich in der Liebe entscheidender verwandeln als der liebendste Mann zu begreifen vermag. Es war Marie in ihrem purpurnen Rausch und Jubel noch bewußt, daß sie ein Bild in dem Gatten auszulöschen hatte, und er, wer weiß, ob er nicht dieses Bild mitumarmte, als er mit Marie eines Leibes wurde, inniger denn je. Unglaublich, daß man fünfzig Jahre alt werden muß, um das zu erleben, ging es Kerkhoven durch den Kopf; vor dem allmächtigen Schicksal sind wir alle wie kleine Kinder und werden niemals älter...


 << zurück weiter >>